Brüssel (Belgien)/Gdynia (Polen)/Drawsko Pomorskie (Polen)/Adazi (Lettland). Am 9. November beendete die NATO mit „Steadfast Jazz 2013“ ihr größtes multinationales Manöver seit sieben Jahren. An „Steadfast Jazz“ nahmen alle 28 NATO-Mitgliedsstaaten teil, außerdem die Partnerländer Finnland, Schweden und Ukraine. 6000 Soldaten, 350 Fahrzeuge, 60 Flugzeuge und Helikopter, 15 Schiffe und zwei Uboote beteiligten sich an dem komplexen Ausbildungsvorhaben. Die Bundeswehr stellte unter anderem das Minenjagdboot „Dillingen“, zwei Transporthubschrauber Bell UH-1D sowie ein Transall-Transportflugzeug. Schauplätze der Großübung, die am 2. November begonnen hatte, waren Polen, die Baltischen Staaten und die Ostsee.
„Steadfast Jazz“ war der Höhepunkt in einer ganzen Reihe höchst anspruchsvoller, dynamischer Übungen, mit denen die verschiedenen Komponenten der Schnellen Eingreiftruppe der NATO (NATO Response Force, NRF) getestet und trainiert wurden. Die NRF mit ihren Land-, Luft-, See- und Spezialkräften besteht organisatorisch aus drei Komponenten. Erstens: der Führung aus Elementen der NATO-Kommandostruktur. Zweitens: der „Immediate Response Force“ von rund 13.000 Soldaten. Drittens: dem „Response Force Pool“, dessen Kräfte bei Bedarf unterstützen. Die NATO-Mitgliedsländer stellen in der Regel im Wechsel für jeweils ein Jahr NRF-Kräfte bereit, auch Partnernationen können sich an diesem „Pool“ beteiligen. Wie im Oktober bekannt wurde, wird auch Georgien ab 2015 der Schnellen Eingreiftruppe militärische Einheiten zur Verfügung stellen.
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen äußerte sich in Brüssel zu dem größten Manöver der Allianz seit 2006, bei dem etwa 3000 Soldaten „live im Feld“ übten und weitere 3000 das Führungstraining absolvierten: „Die ,Steadfast Jazz‘-Übungsserie dient dazu, Kräfte aus verschiedenen Bündnisländern auf hohem Bereitschaftslevel eng zusammenwirken zu lassen. Bislang fanden hierzu 17 Truppenübungen in insgesamt 14 verschiedenen Ländern statt. Das übergeordnete Ziel war und ist es, unsere NRF-Elemente so auszubilden, dass sie jeder denkbaren Herausforderung in jeder noch so schwierigen Umgebung gewachsen sind.“
An „Steadfast Jazz 2013“ nahm auch Personal aus dem Allied Joint Force Command (JFC) im niederländischen Brunssum teil. Das JFC Brunssum untersteht direkt dem Allied Command Operations (ACO) der NATO in Casteau bei Mons in Belgien und ist – neben dem JFC Neapel und dem JFC Lissabon – eines der drei europäischen NATO-Kommandos der operativen Führungsebene. Das JFC Brunssum soll im kommenden Jahr die NRF-Kräfte führen.
General Hans-Lothar Domröse, der seit dem 14. Dezember 2012 dieses Operative Kommando befehligt, sagte bei einer Pressekonferenz zum Auftakt von „Steadfast Jazz“: „Diese multinationale große Übung ist quasi die Generalprobe für die Zertifizierung jener militärischen Kräfte, die 2014 die Schnelle Eingreiftruppe unseres Bündnisses bilden sollen. Dazu wird auch mein Hauptquartier, das Joint Force Command Brunssum, gehören. Die NRF ist ein äußerst fähiges Instrument. Sie ist auch ein Instrument, das sich ständig weiterentwickelt und Antworten auf die Herausforderungen eines modernen Konflikts – ich denke da beispielsweise an Cyberdefence – finden soll und findet.“
In einem Interview mit der Deutschen Welle beschrieb Karl-Heinz Kamp, langjähriger Koordinator für Sicherheitspolitik der Konrad Adenauer Stiftung (Sankt Augustin/Berlin), danach Forschungsdirektor am NATO Defense College (Rom) und heute unter anderem Beiratsmitglied der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Berlin), den Sinn und Zweck von Übungen wie „Steadfast Jazz“ so: „Man kann hier in kleinem Rahmen mit der NATO Response Force ausprobieren, was gut läuft.“ Die Eingreiftruppe diene der NATO quasi als Versuchslabor für die Veränderungen, die nach dem ISAF-Einsatz auf das Bündnis zukommen.
In der Tat wird das rasch näherrückende Ende des Afghanistan-Kampfeinsatzes innerhalb der NATO für eine gravierende Veränderung sorgen. Zwölf Jahre lang waren Tausende von Soldatinnen und Soldaten aller NATO-Mitgliedsstaaten durch den gemeinsamen Dienst am Hindukusch ein eingespieltes Team. Mit dem Abzug aus Afghanistan droht dieser unschätzbare Vorteil nach und nach zu schwinden.
Kamp gegenüber der Deutschen Welle: „Der NATO-Kampfeinsatz in Afghanistan hatte aus bündnispolitischer Sicht den Vorteil, dass alle 28 Staaten permanent miteinander arbeiteten.“ In Afghanistan habe die NATO bestimmte Fähigkeiten gewonnen, die andere Institutionen so nicht vorzuweisen hätten: gleiche Sprache, gleiche Kommandoregelung, gleiche Verfahren. „Das ist eben so, als wenn alle das gleiche Computerprogramm benutzen und nicht 28 unterschiedliche“, so Kamp plakativ.
Da es diese gemeinsamen „Afghanistan-Strukturen“ in dieser Form nach 2014 nicht mehr geben wird, hat die NATO rechtzeitig und vorausschauend reagiert. Bereits 2012 hatte Generalsekretär Rasmussen die „Connected Forces“-Initiative ins Leben gerufen, die dafür sorgen soll, dass die Streitkräfte der NATO-Länder auch weiterhin eng miteinander verbunden sind. Dies soll durch gemeinsame Ausbildung, die Nutzung neuester Technologien und vor allem durch mehr multinationale Übungen verwirklicht werden. Der „Connected Forces“-Initiative wurde von den Staats- und Regierungschefs der Bündnisstaaten 2012 beim NATO-Gipfel in Chicago zugestimmt.
„What NATO’s Steadfast Jazz Exercise Means for Europe“ („Was die NATO-Übung ,Steadfast Jazz‘ für Europa bedeutet“) – unter dieser Überschrift veröffentlichte die Journalistin und Buchautorin Judy Dempsey („Das Phänomen Merkel“) am 31. Oktober bei Carnegie Endowment for International Peace/Carnegie Europe einen Beitrag über die unterschiedlichen Wege Deutschlands und Frankreichs in Fragen der Sicherheitspolitik.
„Steadfast Jazz 2013“ finde vor dem Hintergrund einer wachsenden Kluft zwischen Frankreich und Deutschland über Verteidigungs-und Sicherheitsfragen statt, erklärte Dempsey. „Die Frage, wie Europas zwei wichtigsten Länder die Themen ,Verteidigung‘ und ,Sicherheit‘ wahrnehmen, ist von entscheidender Bedeutung. Sie beeinflusst Europas außenpolitischen Kurs und hat auch Auswirkungen auf die NATO.“ Mit Erstaunen verweist die Journalistin auf die Truppenkontingente, die zu dem Großmanöver entsandt worden sind. Dempsey: „Frankreich schickte 1200 Soldaten zu ,Steadfast Jazz‘, bei Weitem das größte Kontingent. Polen schickte 1040 Soldaten. Noch interessanter sind die US-amerikanischen und deutschen Beiträge. Die Vereinigten Staaten schickten 160 Militärangehörige; Deutschland insgesamt 55.“
Im ersten Moment scheinen diese Größenordnungen die ungleiche Interessenlage der beiden Nachbarn Deutschland und Frankreich zu belegen. Es muss jedoch bedacht werden, dass Frankreich 2014 den Großteil der NRF-Landkomponente stellen wird. Deutschland wird sicherlich dann wieder mit weitaus mehr Truppen bei einem vergleichbaren NATO-Manöver vertreten sein, wenn deutsche Elemente für NRF zertifiziert werden müssen.
Das NATO-Manöver „Steadfast Jazz 2013“ konzentrierte sich vor allem auf drei große Stützpunkte beziehungsweise Truppenübungsplätze. Die an der Übung beteiligten Marineeinheiten steuerten den polnischen Hafen Gdynia in der Danziger Buch an. Auf der Adazi Base nahe der lettischen Hauptstadt Riga beteiligten sich rund 3000 Kräfte an einer „Command and Control Exercise“. Weitere 3000 Soldaten waren auf der polnischen Drawsko Pomorskie Trainingsarea stationiert und bei der „Live-Fire-Exercise“ im Einsatz. Zusätzliche Kräfte, darunter auch Spezialkräfte, griffen von verschiedenen Standorten aus in das Übungsgeschehen ein.
Zu unserer Bildergalerie:
1. Erster Tag der multinationalen Übung „Steadfast Jazz 2013“ – die Flotte nach ihrem Auslaufen aus dem polnischen Ostseehafen Gdynia.
(Foto: SFJZ 13)
2. Pressekonferenz von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen zu „Steadfast Jazz“.
(Foto: Emily Langer/Bundeswehr/SFJZ 13)
3. Estnische Heereseinheit auf dem Truppenübungsplatz Drawsko Pomorskie.
(Foto: SFJZ 13)
4. Tschechische L-159Alca: das leichte Erdkampf- und Trainingsflugzeug beteiligte sich von der polnischen Airbase Poznan aus an der NATO-Übung.
(Foto: Ian Houlding/Britische Armee/SFJZ 13)
5. Zwei polnische Ujagd-Hubschrauber Mi-14 Haze über der Ostsee.
(Foto: SFJZ 13)
6. General Hans-Lothar Domröse, Commander JFC Brunssum, bei einer „Steadfast Jazz“-Lagebesprechung im Adazi Militärcamp, Lettland.
(Foto: Emily Langer/Bundeswehr/SFJZ 13)
7. Polnische Kräfte bei der „Live-Fire-Exercise“ auf dem Truppenübungsplatz Drawsko Pomorskie.
(Foto: Ian Houlding/Britische Armee/SFJZ 13)
8. Eine Gruppe polnischer Militärpolizisten trainiert bei „Steadfast Jazz 2013“ den Personenschutz; die Einheit wird Bestandteil der NRF-Kräfte 2014 sein.
(Foto: SFJZ 13)