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Karlsruhe. Der 11. September 2001 mit seinen Anschlägen in den USA hat die Welt des Luftverkehrs radikal verändert. Die Standards am Boden und in der Luft wurden überarbeitet, neue Sicherheitsvorschriften wurden erlassen, drastische Anti-Terror-Gesetze verabschiedet. Auch die damalige rot-grüne Bundesregierung hatte – unter dem Eindruck der schockierenden Terrorbilder – mit dem Erlass eines Luftsicherheitsgesetzes rasch entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen. Das Bundesverfassungsgericht fällte dazu vor kurzem erneut eine Entscheidung.

Am 20. März 2013 urteilte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe (2 BvF 1/05), dass nur die gesamte Bundesregierung „als Kollegialorgan“ den Abschuss eines von Terroristen gekaperten Flugzeuges befehlen kann, um größere Katastrophen zu verhindern. Auch in Eilfällen kann nun nicht mehr alleine der Verteidigungsminister den Einsatzbefehl erteilen.

Ausnahmen „katastrophischen Ausmaßes“

Bereits am 3. Juli 2012 hatte der Große Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Bundeswehr in „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ im Inneren militärische Kampfmittel einsetzen darf. Damit wurde auch die Abwehr eines von Terroristen gekaperten Flugzeuges – in engen Grenzen wie Abdrängen der Maschine oder Abgabe von Warnschüssen – erlaubt.

Verboten bleibt nach wie vor durch eine Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 der eigentliche Abschuss einer von Terroristen entführten Maschine mit Passagieren. Ein Abschuss ist nur dann erlaubt, wenn die Terroristen sich alleine an Bord befinden sollten.

Krimineller Anschlag mit einem Luftfahrzeug

In einer vom Bundesverfassungsgericht anberaumten mündlichen Verhandlung am 10. Februar 2010 hatte sich unter anderem auch Generalleutnant Friedrich Wilhelm Plöger zu militärischen Aspekten des Luftsicherheitsgesetzes geäußert. Der damalige Kommandeur des Kommandos Operative Führung Luftstreitkräfte und der Führungszentrale Nationale Luftverteidigung (Kalkar-Uedem), heute Stellvertretende Befehlshaber im Hauptquartier der Alliierten Luftstreitkräfte (Ramstein), hatte bei der Anhörung den sogenannten Renegade-Fall geschildert: „Im Fall des Verdachts auf einen bevorstehenden kriminellen Anschlag mittels eines Luftfahrzeuges – dem Renegade-Fall – stehen die NATO-Mittel den Mitgliedstaaten in nationaler Verantwortung zur Verfügung. Die sonst für die operative Luftverteidigung bei einem militärischen Angriff zuständige Führungszentrale Nationale Luftverteidigung kann dann ein Luftlagebild erstellen, die Kommunikation zwischen zivilen und militärischen Stellen gewährleisten und gegebenenfalls den Einsatz von Jagdflugzeugen steuern.“ Dies erfolge anhand der Zusammenarbeitsgrundsätze von Bund und Ländern, die alle Informationsabläufe, Verfahrensweisen und Rahmenbedingungen regelten, um Gefahren für die Sicherheit im deutschen Luftraum durch Renegade-Luftfahrzeuge bestmöglich abzuwehren.

„Geht der Funkkontakt zu einem Luftfahrzeug verloren, wird die Führungszentrale (in Kalkar) informiert. Dort werden alle zu dem Luftfahrzeug verfügbaren Daten zusammengeführt. Kann der Funkkontakt auf den herkömmlichen Wegen nicht wiederhergestellt werden, steigen Jagdflugzeuge auf. Dies geschieht etwa 30 bis 40 Mal jährlich“, so Plöger weiter. Gleichzeitig mit dem Start der Jagdflugzeuge würden der Inspekteur der Luftwaffe und über den Verbindungsbeamten der Bundespolizei im Führungszentrum die Lagezentren des Bundes und der Länder informiert. Die Besatzungen der Jagdflugzeuge versuchten dann, Sichtkontakt mit der Besatzung des anderen Flugzeugs aufzunehmen. Dieser Besatzung könnten durch Flügelbewegungen gemäß des internationalen Codes Verhaltenssignale übermittelt werden. Bei Bedarf könnten die Jagdflugzeuge zudem Infrarot-Täuschkörper zünden, die selbst in hellem Sonnenlicht von der Besatzung des Renegade-Flugzeugs nicht übersehen werden könnten und ihr signalisierten, dass Anweisungen der Jagdflugzeugbesatzung zu befolgen seien.

Hoffen auf die Kooperation

Zum Schluss seiner Expertise beschrieb der Generalleutnant die Grenze des Machbaren: „Nach der Nichtigerklärung des Paragrafen 14, Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes (durch den Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichtes 2006) besteht nun keine Möglichkeit mehr, die Befolgung zu erzwingen; insofern sind wir letztlich auf Kooperation angewiesen.“ Die Aussicht auf solche Kooperation könne aber durch die verbleibenden Handlungsmöglichkeiten gesteigert werden. Aufgrund der Geschwindigkeit heutiger Verkehrsflugzeuge, die in der Minute etwa 12 bis 15 Kilometer zurücklegten, vergingen zwischen dem ersten Gefahranzeichen und dem Eintritt des Schadens im Ernstfall möglicherweise nur 15 bis 20 Minuten. Deshalb sei es im Renegade-Fall wichtig, kurzfristig Informationen auch unmittelbar an dem betroffenen Flugzeug zu sammeln, um die Gefahr richtig beurteilen und die angemessenen Abwehrmaßnahmen einleiten zu können.

Hinweis auf „gravierende Sicherheitslücke“

Der Zweite Senat legt in seinem Beschluss vom 20. März 2013 („Nichtigerklärung der Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für Einsatzentscheidungen im überregionalen Katastrophennotstand“) gleichsam mit einem Hinweis auch den Finger in die Wunde. Im Hinblick auf die Praxisnähe seiner Entscheidung verweist der Senat auf die „gravierende Schutzlücke“, die sich ergeben könnte, „weil insbesondere im Fall eines Terrorangriffs mittels Flugzeugs die bei überregionaler Bedeutung erforderliche Einsatzentscheidung der Bundesregierung unter Umständen nicht rechtzeitig wird herbeigeführt werden können“.

Eine solche Schutzlücke, so die Karlsruher Richter, wäre „jedoch nicht durch das einfache Recht, sondern durch die Verfassung selbst bedingt“. Das Bundesverfassungsgericht sei aber „nicht befugt, eine von der Verfassung vorgegebene Rechtslage als verfassungsfern zu qualifizieren“. Will heißen, hier ist der Souverän gehalten, nachzubessern.


Hintergrund                                         

Das Luftsicherheitsgesetz ist ein deutsches Bundesgesetz, das Flugzeugentführungen, terroristische Anschläge auf sowie Sabotageakte gegen den Luftverkehr verhindern und dadurch die Luftsicherheit erhöhen soll. Es wurde am 11. Januar 2005 erlassen und trat am 15. Januar 2005 in Kraft.
Das Gesetz war von Anfang an politisch, rechtlich und ethisch umstritten. Es hat vorrangig den Zweck, Attentate wie die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA bei uns zu verhindern. Als äußerste Maßnahme erlaubte das Gesetz in seiner ursprünglichen Form eine „unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt“ gegen ein Flugzeug, „wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie (die Maßnahme) das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist“.
Außerdem ermächtigte und verpflichtete das Gesetz die Luftsicherheitsbehörden, die Fluggesellschaften und die Flughafenbetreiber, bestimmte Sicherheitsmaßnahmen – wie die Kontrolle von Personen und Fracht oder die Zuverlässigkeitsüberprüfung von Fluglinien- und Flughafenmitarbeitern – zu ergreifen.
Am 15. Februar 2006 erklärte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts das Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig und nichtig. Paragraf 14 (Absatz 3) verstoße gegen das Grundrecht auf Leben und gegen die Menschenwürde, so die Urteilsbegründung. Zudem sei der Einsatz der Bundeswehr im Inneren verfassungswidrig.
Am 3. Juli 2012 hob der Große Senat des Bundesverfassungsgerichts – also der Erste und Zweite Senat zusammen – die Entscheidung aus dem Jahr 2006 teilweise wieder auf. Die Plenarentscheidung der 16 Richter erlaubt nun einen Einsatz der Bundeswehr im Inland, allerdings unter strengen Auflagen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt hierzu Tatsachen „katastrophischen Ausmaßes“.
Entschieden wurde (mit 15 zu 1 Richterstimmen), dass die Bundeswehr auch außerhalb der festgelegten Grenzen des Grundgesetzes im Inland tätig werden dürfe. Der Zweite Senat setzte sich mit seiner Rechtsauffassung insofern durch, als künftig auch militärische Kampfmittel für die Abwehr von Terrorattentaten eingesetzt werden dürfen – in engen Grenzen.
Der eigentliche Abschuss eines von Terroristen entführten Flugzeuges bleibt jedoch nach dieser Entscheidung vom Juli vergangenen Jahres auch weiterhin verboten. Erlaubt ist lediglich das Abdrängen des Flugzeugs, die Abgabe von Warnschüssen oder die Erzwingung der Landung. Ein Abschuss ist ausschließlich dann erlaubt, wenn sich nur Terroristen in der Maschine befinden.


Unser Bild zeigt, wie Piloten in einem Renegade-Fall handeln könnten: Eurofighter der österreichischen Bundesheeres trainieren das Abfangen eines Zivilflugzeuges.
(Foto: Markus Zinner/Bundesheer)


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