Militärseelsorge geht in den Einsatz mit
2012
Sigmaringen/Bingen. Es war eine klare Position, so wie sie sich die Bundeswehrangehörigen gerne öfters in der Heimat wünschen würden. Über den Afghanistan-Einsatz sagte jetzt der Evangelische Militärbischof Dr. Martin Dutzmann: „Wir tragen Verantwortung, diesen Einsatz so zu Ende zu führen, dass er erfolgreich ist.“ Er sehe keine Alternative zu dem, was die Internationale Gemeinschaft derzeit in Afghanistan tue.
Dutzmann sprach am 6. September im Rahmen seines Besuchs bei der 10. Panzerdivision in Bingen zum Thema „Die Evangelische Militärseelsorge im Einsatz – friedensethische und seelsorgerliche Herausforderungen“. Initiator der öffentlichen Vortragsveranstaltung waren die Division und der Landkreis Sigmaringen.
Zum Einsatz der Bundeswehr und Allianz am Hindukusch sagte der Evangelische Militärbischof: „Ein sofortiger Abzug aus Afghanistan würde zu keinem Frieden führen. Wer meint, dass dann dort unverzüglich Frieden eintritt, dürfte sich irren.“ Frieden sei auch keine Selbstverständlichkeit, so Dutzmann weiter. Gewaltanwendung sehe er stets als Risiko und als „äußerstes Mittel“ – nur unter strengen Kriterien dürfe diese angewendet werden. Als Beispiel für eine durchaus gerechtfertigte Gewaltanwendung der Internationalen Staatengemeinschaft nannte er das Massaker in der ostbosnischen Stadt Srebrenica und im ostafrikanischen Ruanda. „Die internationale Gemeinschaft hat sich im Falle von Srebrenica und Ruanda schuldig gemacht.“
Bei dem Völkermord in Ruanda hatten Hutu-Extremisten im Frühjahr 1994 mehr als 800.000 Menschen, die meisten Angehörige des Tutsi-Volkes, getötet. Die UN-Soldaten vor Ort hatten tatenlos zugesehen und waren nach der Ermordung von zehn belgischen Blauhelm-Kameraden abgezogen worden. Bei dem Massaker in Srebrenica im Juli 1995, verübt durch bosnisch-serbische Einheiten unter General Ratko Mladic, waren rund 8000 Muslime umgekommen. Niederländische UN-Soldaten hatten nicht eingegriffen. Das schwere Versagen der Vereinten Nationen in beiden Fällen wurde später von einer internen UN-Ermittlungskommission und einem Untersuchungsausschuss der Weltorganisation scharf kritisiert.
Militärbischof Dutzmann beschrieb bei seinem Vortrag in Bingen die Begleitung und Betreuung der Soldaten durch die Militärseelsorge während der Einsatzvorbereitung und im Einsatz. „Nicht nur Christen, sondern auch nicht-kirchlich gebundene Soldaten suchen in den Einsätzen die Nähe zu unseren Seelsorgern, nehmen seelsorgerliche Begleitung, Lebens- oder Beziehungsberatung und auch Fürsprache Vorgesetzten gegenüber in Anspruch.“ Obwohl die Auslandseinsätze der Bundeswehr – insbesondere der Afghanistan-Einsatz – die Militärseelsorge vor große Herausforderungen stelle, so gelte doch uneingeschränkt die Zusage der Kirchen: „Wir gehen mit!“
Einen besonderen Schwerpunkt sieht die Militärseelsorge künftig in der Einsatznachsorge. Neben den zurückgekehrten traumatisierten Soldaten kümmere sie sich, so der Theologe, um jene, „die im Einsatz ihr Augenlicht oder Gehör oder Gliedmaßen verloren haben und für die nichts mehr so ist, wie zuvor. Einige sind zwar weder körperlich noch seelisch verwundet, schaffen es aber nach dem Einsatz einfach nicht, wieder anzukommen.“
Generalmajor Erhard Bühler, Kommandeur der 10. Panzerdivision, bezeichnete nach dem Vortrag die katholische und evangelische Militärseelsorge als „unverzichtbar für die Streitkräfte und großartige Unterstützung für Soldaten und ihre Familien“. Ein Großteil der Soldaten der 10. Panzerdivision bereitet sich derzeit auf Auslandseinsätze 2013 vor.
Martin Dutzmann (Jahrgang 1956) steht seit 2005 als Landessuperintendent an der Spitze der Lippischen Landeskirche mit Sitz in Detmold. Am 24. September 2008 wurde er in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zu Berlin vom damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber in das Amt des Evangelischen Militärbischofs eingeführt (sein Vorgänger war der Oldenburger Bischof Peter Krug). Im Gegensatz zu den Standortpfarrern und Leitenden Dekanen steht der Evangelische Bischof in keinem Dienstverhältnis zur Bundeswehr, sondern wird vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland benannt und ist der Kirche verantwortlich. Vor seinem Studium der Evangelischen Theologie in Marburg, Straßburg und Bonn in den Jahren 1976 bis 1982 war Martin Dutzmann Zeitsoldat beim Fernmeldebataillon 330 in Koblenz; er schied 1982 als Leutnant der Reserve aus dem Militärdienst aus. Der Seelsorger ist verheiratet und hat drei Söhne.
In der Vergangenheit hatte Dutzmann immer eine klare Meinung zum Mission der Bundeswehr am Hindukusch. Im Januar 2010 war er Mitunterzeichner eines „Evangelischen Wortes zu Krieg und Frieden in Afghanistan“ der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In dem Papier verlangte die EKD Kurskorrekturen: „ Wir werben dafür, dass nicht die militärische Logik das Denken, Planen und Organisieren für Afghanistan beherrscht, sondern dass den zivilen Anstrengungen der Vorrang zukommt, der ihnen in friedensethischer Hinsicht gebührt.“ Ein bloßes „Weiter so“ würde dem militärischen Einsatz der Bundeswehr dort die friedensethische Legitimation entziehen, warnte die EKD 2010.
Zur letzten Afghanistan-Mandatsverlängerung durch den Bundestag – verbunden mit der Perspektive des Abzugs der deutschen Soldaten Ende 2014 – erklärte der Evangelische Militärbischof im Januar 2012: „ Die Verlängerung ist notwendig, aber auch die klare Zielperspektive ist sinnvoll und hilfreich … Das näher rückende Abzugsdatum schärft den Blick für das, was erreicht wurde, aber auch für die verbleibenden Herausforderungen und Nöte. Bis dahin werden sich Familien und Freunde um Menschen sorgen, die mit den ISAF-Truppen im Einsatz sind, und für ihre wohlbehaltene Rückkehr beten. Aber sie haben jetzt eine Antwort auf die Frage, wie lange diese Anspannung noch anhalten soll. Die Militärseelsorge weiß sich den Bundeswehrangehörigen und ihren Familien verbunden und wird sie in dieser Situation begleiten.“
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