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Faizabad (Afghanistan). Schwarzrotgold weht nicht mehr am Kokcha-Fluss. Die letzten Bundeswehrangehörigen haben Faizabad, die Hauptstadt der nordafghanischen Provinz Badakhshan, im Oktober mit rund 50 Fahrzeugen endgültig verlassen. Oberstleutnant Ralph Blasajewsky, der Kommandeur des deutschen Feldlagers, ging als Letzter auf den Landmarsch nach Kunduz. Aber im Camp brennt auch weiterhin das Licht. Afghanische Sicherheitskräfte haben dort einen Großteil der Infrastruktur übernommen: Wohn- und Schlafcontainer, Sanitäreinrichtungen, Büroräume, das geräumte Feldlazarett.

Faizabad war das erste große Bundeswehr-Camp, das im Rahmen des Abzuges aller deutscher Kampftruppen vom Hindukusch an die Afghanen übergeben wurde (Verteidigungsminister Thomas de Maizière favorisiert den Terminus „Rückverlegung“). Monatelang hatten Spezialisten die Feldbauten in Kleinteile zerlegt, sie verpackt und in 450 Seecontainern verstaut. Am Schluss waren 800 Tonnen Wehrmaterial in einer aufwendigen Inventur registriert worden – insgesamt 9000 Artikel. Für den Transport nach Kunduz und weiter nach Mazar-e Sharif, dem logistischen Drehkreuz der ISAF in der Nordprovinz Balkh, wurden 112 Fahrzeuge eingesetzt. Von Mazar geht das Material in den kommenden Monaten zurück in die Heimat.

Alles in allem rechnet die Bundeswehr bei ihrer Rückverlegung aus Afghanistan, die bis Ende 2014 dauern soll, mit etwa 8650 Containern, die die lange Reise nach Deutschland antreten müssen. 250 der Container werden voraussichtlich mit Munition beladen sein. Die anderen mit Tausenden von Computern, Druckern und Telefonanlagen, mit Liegen, Betten, Bänken, Tischen, Stühlen, Schränken und Spinden, mit medizinischem Gerät, Wundmaterial, Medikamenten, mit Kücheneinrichtungen, Kühlschränken, Besteck, Tellern und Tassen, mit Werkstatteinrichtungen, Handwerkszeug… – eine nicht enden wollende Liste militärischer und ziviler Güter des täglichen Einsatzbedarfs. Ein Transportunterfangen, das die Bundeswehr in diesem Ausmaß vorher noch nicht erlebt (und gestemmt) hat. Das Meisterstück für die Logistiker unserer Streitkräfte. Faizabad wurde, wie die Wochenzeitung Die Zeit so treffend schrieb, deshalb zum Lackmustest für die deutschen Soldaten.

Reichtum im Schatten der Berge

In Faizabad, dem Zentrum von Badakhshan, leben heute zu beiden Seiten des Kokcha-Flusses mehr als 60.000 Menschen. Die Stadt liegt rund 1200 Meter hoch im Gebirge inmitten der traumhaften Kulisse der Hindukusch-Ausläufer. Noch im Herbst können hier die Temperaturen zwischen 23 und 6 Grad schwanken, hinzu kommt eine Luftfeuchtigkeit von oft mehr als 82 Prozent.

Die Provinz und das Tal der Kokcha sind berühmt für den Abbau des blauglänzenden Lapislazuli, dem Stein der Könige, der bereits zu Zeiten der Ägypter zu den begehrtesten Edelsteinen zählte. Zahllose kleine Minen in der Hochgebirgsregion hüten weitere Schätze, die von hunderten Arbeitern aus dem Gestein gehackt werden: zartblaue Aquamarine, orangefarbener Carneol, Rubine in unterschiedlichsten Rottönen, grünschimmernder Smaragd, himmelblauer Türkis. Die Taliban hatten mehrfach versucht, die Bergwerke in Badakhshan zu erobern. Doch die gegnerischen Truppen der Nordallianz unter Ahmed Schah Massud (der am 9. September 2001 in Takhar von zwei Selbstmordattentätern der al-Qaida getötet wurde) schlugen die Angriffe zurück. Auch für sie waren die Edelsteine von vitalem Wert: mit dem Verkaufserlös konnten Waffen aus dem Iran und aus Russland beschafft werden.

Markante Spuren der Geschichte

Das in der Antike zum Königreich Baktrien zählende afghanische Kernland stand im 15. Jahrhundert unter der Herrschaft der muslimischen Timuriden und wurde 1657 zu einem unabhängigen usbekischen Fürstentum. Im 18. Jahrhundert besetzten Truppen Achmad Schah Durranis die Stadt, Teile der Bevölkerung wurden umgesiedelt. 1821 zerstörte Mohammad Murad Beg, Herrscher im benachbarten Kunduz, die Ortschaft an der Kokcha. 1859 wurde die Provinz Badakhshan gegenüber Kabul tributpflichtig und 1881 dem afghanischen Reich eingegliedert. 1955 legte ein Erdbeben große Teile von Faizabad in Trümmer.

Im Zuge ihrer Afghanistan-Invasion erreichte die Rote Armee zur Jahreswende 1979/1980 die Stadt und installierte eine Garnison. Zwischen 1996 und 2001 war Faizabad Sitz der international anerkannten Rabbani-Regierung nach deren Flucht vor den Taliban aus der afghanischen Hauptstadt Kabul (Burhanuddin Rabbani war der politische Führer der Nordallianz in Afghanistan; er kam am 20. September 2011 in Kabul bei einem vermutlich von den Taliban verübten Bombenanschlag ums Leben). Mehrere Versuche der Taliban, Badakhshan und das heute überwiegend von Tadschiken und Usbeken bewohnte Faizabad unter Kontrolle zu bringen, scheiterten – wie bereits erwähnt – an der Nordallianz.

Ruhig – aber nicht stabil

Das deutsche Engagement in der Provinzhauptstadt begann am 12. Juli 2004 mit dem Eintreffen der ersten Bundeswehrangehörigen. Etliche Wochen zuvor, im März, hatte sich die deutsche Regierung mit den Vereinten Nationen darauf verständigt, in Nordafghanistan im Rahmen von ISAF (International Security Assistance Force/Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe) ein weiteres PRT (Provincial Reconstruction Team/Regionales Wiederaufbauteam) einzurichten, das PRT Faizabad.

In den kommenden acht Jahren sollte dieser Bundeswehr-Bereich als „ruhig, aber nicht stabil“ gelten. Am 14. November vergangenen Jahres konnte der Angriff einer Gruppe Aufständischer auf das Feldlager verhindert werden. Bei ihren Patrouillen mussten die Mitglieder des Wiederaufbauteams stets mit versteckten Straßenbomben rechnen. Erst jetzt, gut drei Wochen nach dem Abzug der Bundeswehr, überfielen Taliban im Nordosten Badakhshans eine Polizeistation und töteten vier einheimische Sicherheitskräfte.

Das PRT Faizabad selber verlor in seiner achtjährigen Afghanistan-Historie vier deutsche Soldaten: ein Kamerad hatte während einer Nachtpatrouille einen tödlichen Fahrzeugunfall, drei Kameraden starben durch eine Sprengfalle.

Schlüssel für die Nachmieter

Die Bundeswehr übergab das Feldlager in Faizabad feierlich am 9. Oktober. Neuer Nutzer ist jetzt die Afghan National Civil Order Police (ANCOP), eine im Juli 2006 gegründete Eliteeinheit der nationalen Polizei. ANCOP genieße nach anfänglichen Schwierigkeiten inzwischen bei den Koalitionspartnern und bei der Bevölkerung einen äußerst positiven Ruf, berichtete unlängst das United States Institute of Peace in einer Studie. Die Spezialkräfte gelten als Schnelle Eingreiftruppe im Kampf gegen die Aufständischen.

Bei der feierlichen Übergabe, an der auch Vertreter des Auswärtigen Amtes und der neue Leiter des PRT Kunduz Helmut Landes teilnahmen, überreichte Brigadegeneral Wolfgang Gäbelein der ANCOP symbolisch einen großen Schlüssel für das Camp mit den Worten: „Ich freue mich, dass ein so stolzer Verband wie der Ihrige Nachnutzer dieses Feldlagers wird. Ich wünsche Ihnen bei der Bewältigung aller Aufgaben hier in Badakhshan alles Gute. Möge die Infrastruktur des Feldlagers Ihnen dabei nutzen.“

Das PRT Faizabad bestand zuletzt aus 240 Soldaten. In früheren Zeiten waren mitunter bis zu 520 Soldaten im Militärareal stationiert. Eine der Hauptaufgaben der Bundeswehr an diesem Standort war die Ausbildung von Angehörigen der ANA, der Afghan National Army. Daneben waren mit deutscher Hilfe in der Region auch Schul- und Krankenhausgebäude errichtet worden. Die Straße, die Faizabad mit dem Rest des Landes verbindet, ist heute geteert – auch dies ein Zeugnis des deutschen Engagements im Kokcha-Tal.

Feldmarsch ohne Zwischenfälle

In ihrem Beitrag „Eine Ära geht zu Ende“ beschreiben Redakteure der Bundeswehr am 17. Oktober den Abschied der Deutschen aus Faizabad. Es ist früher Nachmittag, einige Tage nach der feierlichen Übergabe an die Afghanen, als Oberstleutnant Ralph Blasajewsky und seine Leute abrücken.

Der Bericht hält den denkwürdigen Augenblick fest: „Unter den wachsamen Augen der Afghan National Civil Order Police, die bereits seit einigen Tagen den äußeren Sicherungsring um das Feldlager stellen, passieren die deutschen Soldaten zum letzten Mal das Haupttor. Begleitet von zwei ISAF-Hubschraubern fährt der Konvoi durch die Provinzen Badakhshan und Takhar bis nach Kunduz. Das schwierige Gelände und die latente Gefahr verlangen von allen Soldaten höchste Konzentration. Mehrfach drohen einzelne Fahrzeuge umzukippen, doch mit viel Erfahrung und Gespür haben die Fahrer ihre tonnenschweren Kolosse stets unter Kontrolle.“

Nach fast elf Stunden Feldmarsch erreichen die letzten Teile der Kolonne sicher das PRT Kunduz.

Dienstschluss in Hazrat-e Sultan

Auch in Hazrat-e Sultan, einem erst im vergangenen Jahr als FOB (Forward Operation Base) errichteten Außenposten der Bundeswehr rund 100 Kilometer südöstlich von Mazar-e Sharif, wurde vor etlichen Tagen die deutsche Flagge eingeholt. Am 31. Oktober verließen hier die letzten, mit dem Rückbau beauftragten Kräfte das Lager nahe Aibak, Provinz Samangan. Neben der Bundeswehr-Base hatte die Afghanische Nationalarmee ihr Camp aufgebaut. Der gesamte Stützpunkt diente einem afghanischen Infanteriebataillon und ISAF-Unterstützungskräften als feste Basis bei der Sicherung des umliegenden Terrains.

Seit dem Sommer 2011 waren hier deutsche Soldaten im Rahmen der sogenannten Operational Mentor and Liaison Teams (OMLT) als Ausbilder und Unterstützer der afghanischen Streitkräfte tätig. Die afghanischen Infanteristen sind weiterhin in Hazrat-e Sultan stationiert.


Randnotiz                                          

„Operation Rückzug – die Bundeswehr verlässt Afghanistan“: unter diesem Titel will der Dokumentationskanal PHOENIX im Januar kommenden Jahres eine Reportage von Jürgen Osterhage und Thomas Kaspar zeigen, die sich mit dem Abzug der deutschen ISAF-Soldaten vom Hindukusch befasst. PHOENIX begleitete unter anderem den Rückbau des Feldlagers Faizabad mit der Kamera und verfolgte den Weg zurück von Menschen, tonnenschwerer Ausrüstung und Fahrzeugen durch ein unsicheres Land.
Erstausstrahlung: 9. Januar 2013 (Mittwoch), 21.00 Uhr
Wiederholung: 10. Januar 2013 (Donnerstag), 08.15 Uhr und 19.15 Uhr



Hinweis:  Unser Video von Bundeswehr-TV (bwtv) zeigt die Übergabezeremonie am 9. Oktober 2012 im Feldlager Faizabad.
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Zu unseren Bildern:
1. Hauptmann Siegmar Jessulat mit einem Angehörigen der Afghanischen Nationalarmee in Faizabad. Jessulat bildete dort als Angehöriger eines OML-Teams afghanische Soldaten aus.
(Foto: John Scott Rafoss/U.S. Marine Corps)

2. September 2009 – im Feldlager Faizabad bereiten sich Bundeswehrsoldaten auf eine Fahrzeugpatrouille vor.
(Foto: Dana Kazda/PrInfoZ Heer)

3. Das PRT Faizabad vor der Kulisse der Hindukusch-Ausläufer.
(Foto: PrInfoZ EinsFüKdo; Infografik: mediakompakt)

4. Vergangenheit: Bundeswehrsoldat auf dem Markt von Faizabad.
(Foto: Dana Kazda/PrInfoZ Heer)


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