Berlin. Es war eine kleine Premiere in den Öffentlich-Rechtlichen – am 17. Oktober, zur besten Sendezeit um 20:15 Uhr. Mit „Auslandseinsatz“, dem ersten deutschen Fernsehfilm, der sich konkret mit der Bundeswehr-Mission in Afghanistan auseinandersetzt und vom Leben und dem Dienst deutscher Soldatinnen und Soldaten in einem Außenposten erzählt, eröffnete die ARD an diesem Mittwoch einen Themenabend mit prominenten Gästen. Nach Till Endemanns Drama um die deutschen Zeitsoldaten Daniel (Max Riemelt), Ronnie (Hanno Koffler) und Emal (Omar El-Saeidi) stellte sich in Anne Wills politischer Talkshow auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière der Frage: „Auslandseinsatz Afghanistan – war es die Opfer wert?“
Seit Anfang 2002 ist die Bundeswehr am Hindukusch präsent. Erst unter der Prämisse, einem Stabilisierungseinsatz zu dienen, inzwischen von der Realität der „kriegsähnlichen Zustände“ im Land – so der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg – eingeholt. Bundeswehr im Kampfeinsatz! In den vergangenen zehn Jahren verloren 52 Bundeswehrangehörige in Afghanistan ihr Leben…
Über die Mission gibt es nicht allzu viel deutschsprachige Literatur: etliche Sachbücher, wenig Bildbände, einige Afghanistan-Erinnerungen und kaum nachdrücklich empfehlenswerte Romane wie etwa Dirk Kurbjuweits „Kriegsbraut“, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einer Rezension als „literarische Sprengfalle“ adelte. Im fiktionalen Fernsehen spielte das Thema „Afghanistan“ hie und da eine Rolle: als erzählerischer Roter Faden in einem Krimi, in Stücken über traumatisierte Heimkehrer wie in „Nacht vor Augen“ (gänzlich totschweigen möchte man die peinlich Klamotte „Willkommen im Krieg“ des Privatsenders ProSieben, die vor kurzem vernichtende Kritiken einfuhr). Unterstützt von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein entsteht zur Zeit die NDR/ARTE-Produktion „Entscheidung bei Kunduz“, ein Doku-Drama über das Bombardement am Kunduz-River 2009.
„Auslandseinsatz“, die Gemeinschaftsproduktion von WDR, ARD Degeto und Relevant Film, sahen rund 3,69 Millionen Zuschauer. Laut Sender entspricht dies einem Marktanteil von 11,8 Prozent. Auf großes Interesse stieß das Thema beim jüngeren Publikum. 10,4 Prozent der 14- bis 49-jährigen Zuschauer – so die Programmverantwortlichen – verfolgten das Filmgeschehen. Die nachdenklich stimmende, teils emotionale, stets aber tiefgründige Diskussionsrunde bei Moderatorin Will begleiteten 2,80 Millionen Zuschauer (Marktanteil 11,4 Prozent). Die Erkenntnis von Volker Herres, Programmdirektor Erstes Deutsches Fernsehen, der Auslandseinsatz deutscher Soldaten sei „ein brisantes gesellschaftspolitisches Thema, das in die Primetime“ gehöre, ist erfreulich und erstaunlich zugleich. Thomas Gehringer kommentiert dies in seiner Filmkritik für den Tagesspiegel mit ironischem Unterton: „Dass sich das Fernsehen erst nach gut zehn Jahren einen Film über den Afghanistan-Krieg zugetraut hat, der durchgängig vor Ort spielt, muss man nun auch nicht als besondere Tapferkeit auffassen.“
Wie dem auch sei, Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt, Regisseur Till Endemann, Besetzung und Stab erhielten für „Auslandseinsatz“ überwiegend positive Kritiken. Joachim Käppner bescheinigte dem Filmwerk in der Süddeutschen Zeitung erstaunliche Authentizität. Der „atmosphärisch dichte, gelungene Film“ zeige auf allen Seiten Menschen vor Entscheidungen, auf die sie nichts und niemand vorbereitet habe, beschreibt Käppner die Handlung. „Vor allem schildert er Soldaten in einem unvorstellbar fremden Land, die sich sehr bald die Frage stellen: Was tun wir hier eigentlich? Welchen Sinn hat es? Und wenn es überhaupt Sinn hat, warum wollen wir dann so schnell wie möglich abziehen?“. Auch Tagesspiegel-Autor Thomas Gehringer lobt: „Die weitgehend in Marokko gedrehte Inszenierung von Endemann ist von Beginn an packend und zugleich differenziert, bis zum schonungslosen Ende. Kaum eine Szene, in der sich nebenbei nicht Fragen zu Politik und Moral, zum Verhältnis zwischen Kulturen und Religionen eröffnen. Was ist richtig, was ist falsch in Afghanistan? Gewissheit hat hier nur das Scheitern der westlichen Strategie und die Fortsetzung der afghanischen Tragödie.“ Ulrike Cordes urteilt in der Münchner Abendzeitung über das Film-Team: „Ihnen allen ist ein Beitrag gelungen, der zwar nicht die großen politischen und wirtschaftlichen Hintergründe des seit 2001 andauernden ISAF-Einsatzes erklärt – dafür aber viele der konkreten inneren und äußeren Probleme spürbar macht, mit denen unsere Soldaten und Soldatinnen in Afghanistan zu kämpfen haben.“
Der Film „Auslandseinsatz“ (ebenfalls von der Länderförderung getragen) schildert den schwierigen Alltag einer Gruppe Bundeswehrsoldaten in einem ISAF-Außenposten. Ein Alltag, der durchdrungen ist von komplizierten Situationen und tragischen Verwicklungen, der begleitet wird von ständiger Unsicherheit in einer archaischen Welt, von Unkenntnis der fremden Sprache, Kultur und Traditionen. Ein Alltag, der zwischen den Extremen Langeweile, ja Ödheit, und Todesangst balanciert. Die Extremsituation des Krieges, sie stellt im Film schließlich sogar eine Freundschaft vor die Zerreißprobe. In den Hauptrollen sind – neben Max Riemelt, Hanno Koffler und Omar El-Saeidi – auch Devid Striesow und Bernadette Heerwagen zu sehen.
In Anne Wills politischer Runde zeigten sich alle Gäste – in der einen oder anderen Weise – berührt von diesem Werk: Verteidigungsminister Thomas de Maizière, Omid Nouripour (sicherheitspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Grüne), Franz-Josef Overbeck (seit 2011 Katholischer Militärbischof der Bundeswehr), Jürgen Todenhöfer (von 1972 bis 1990 Bundestagsabgeordneter für die CDU, Publizist) und Marita Scholz (Ehefrau eines Bundeswehrsoldaten, selber einmal als Reservistin im Afghanistan-Einsatz, Autorin des Buches „Heimatfront“).
De Maizière erklärte im Studio: „Der Film vermittelt eindrucksvoll, obwohl er eine Fiktion ist, dass es in Afghanistan nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Natürlich können Soldaten einen solchen Krieg nicht gewinnen. Soldaten können zwar beim Aufbau von Schulen helfen, sie können aber kein Bildungssystem schaffen. Sie können auch nicht eine gute Regierung herbeiführen, auch können sie keine Friedensverhandlungen führen. Aber ein Mindestmaß an Sicherheit, um Entwicklung möglich machen, dies können Soldaten. Und das haben sie bislang erfolgreich getan.“
Wills Gesprächskreis behandelte im Kern die Fragen der Kriegsursachen, des Kriegsverlaufs, der Kriegsziele und des weiteren Schicksals Afghanistans. „Waren die Opfer, die die Bundeswehr gebracht hat, womöglich gar umsonst?“, so die Moderatorin mit Blick in die Runde. De Maizière antwortete ihr folgendermaßen: „Afghanistan war die Brut- und Exportstätte des internationalen Terrorismus. Al-Qaida hat sich – wie wir jetzt erleben – anderweitig ausgebreitet, aber nicht wegen des Einsatzes der Koalitionstruppen in Afghanistan. Wir arbeiten an Rechtsstaatlichkeit in diesem Land – das ist schwer genug bei einer Regierung, die ziemlich korrupt ist. Wir bemühen uns, das Land zu entwickeln, leider mit mittelmäßigen Erfolg. Wir sind dort hingegangen unter großer Zustimmung der Bevölkerung, aber unsere Ziele waren zu optimistisch. Das Ziel war, dort in drei Jahren eine Demokratie nach westlichem Vorbild aufzubauen. Dies war zu illusionär. Jetzt geht es darum, dass wir ein Mindestmaß an Sicherheit so aufbauen, damit die Afghanen in Zukunft selber für sich sorgen können. Für Sicherheit mit afghanischem Gesicht und unter afghanischer Führung. Danach wollen wir dem Land auch weiterhin helfen – mit finanziellen Mitteln und auch mit Personal, damit die Entwicklung – dann in afghanischer Hand – weitergehen kann. Das ist ein schwieriger Weg, und wir wissen nicht, ob er Erfolg haben wird. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht. Und ob alle Anstrengungen von Erfolg gekrönt sein werden, werden wir erst in einigen Jahren wissen. Nicht Anfang 2015, sondern viel später.“
Bernd Gäbler, Publizist und Dozent für Journalistik, schrieb im Januar 2010 in einer Kolumne für den Stern: „Die Berichterstattung über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr ist kein Ruhmesblatt für die deutschen Medien.“ Zwar bezog sich Gäblers Sicht der Dinge vordergründig auf die Kunduz-Affäre, generell aber beklagte er einen zu diesem Zeitpunkt offensichtlich ausgeprägten „nationalen Schweigekonsens“ zu Afghanistan: die schlechte Kommunikationspolitik des Verteidigungsministeriums unter dem damaligen Minister Jung, verdruckste politische Sprachregelungen insgesamt, mangelhafte mediale Aufklärung, die fehlende „investigative Kraft“ deutscher Medien. Auch Gäbler fragte, zweifelnd: „Zu welchem Zweck führt die Bundeswehr denn nun in Afghanistan Krieg?“ Und er empfahl: „Vor allem brauchen wir eine große politische Debatte: Was wollen wir eigentlich in Afghanistan?“
Was Deutschland in Afghanistan will? Mit dieser zentralen Frage hatte sich bereits im Juli 2008 ebenfalls Ahmed Rashid befasst. Rashid, einer der renommiertesten Journalisten Pakistans und als Korrespondent für Zentralasien der Experte zu Themen aus dieser Region schlechthin, gab damals der Frankfurter Allgemeinen bei Erscheinen seines Buches „Sturz ins Chaos – Afghanistan, Pakistan und die Rückkehr der Taliban“ ein bemerkenswertes Interview. Tenor: Die Europäer haben die Größe des Konfliktes in diesem Teil der Erde nicht erkannt. Die Aussagen Rashids sind heute, vier Jahre später, immer noch aktuell.
Frage damals an den britisch-pakistanischen Publizisten: „Sie glauben, dass man den Extremismus besiegen kann?“ Man müsse begreifen, so der Autor der weltweit fast zwei Millionen Mal verkauften Publikation „Taliban“, dass es nicht länger nur um den Krieg in Afghanistan gehe. Das Ganze habe sich mittlerweile zu einem vielschichtigen, regionalen Konflikt ausgeweitet. Rashid wörtlich: „Wir haben es mit dem Ausgreifen der Extremisten über die ganze Region zu tun. Der Westen muss sich anpassen. Er kann sich nicht länger nur auf Afghanistan konzentrieren, wie es die Deutschen tun, die in Mazar-e-Sharif sitzen und nicht nach rechts oder links über die Grenzen schauen, was in Iran und Pakistan passiert.“ Frage: „Denken Sie, der frühere deutsche Verteidigungsminister Struck hatte recht mit dem Satz, dass Deutschland seine Freiheit am Hindukusch verteidigt?“ Rashid: „Das ist eine wichtige Aussage, für alle von uns – für Pakistan, für die Länder der Region, für Europa. Jede terroristische Verschwörung, jeder Anschlag in Europa seit 2003 lässt sich in die pakistanischen Stammesgebiete zurückverfolgen. Jeder europäische Staat hat heute ein Problem mit einheimischem Extremismus, und der erhält Inspiration und Ausbildung aus der pakistanisch-afghanischen Grenzregion … Der Krieg in Zentralasien ist global in seinen Dimensionen, und er geht die Deutschen direkt an.“
In Anne Wills Sendung war es Jürgen Todenhöfer, der jegliche Erfolge der Koalition in Afghanistan bestritt. Alle zu Beginn des Afghanistan-Einsatzes ausgegebenen Ziele hätten sich in ihr Gegenteil verkehrt, behauptete der frühere CDU-Parlamentarier. „Der Terrorismus hat sich ausgeweitet. Die Taliban sind gestärkt. Wir halten uns selbst nicht an die rechtsstaatlichen Normen, die wir einführen wollten. Und das Land ist noch stärker heruntergewirtschaftet als unter den Taliban.“ De Maizière konterte: „Wir sind in den Krieg gezogen, um zu verhindern, dass von Afghanistan der Terror in die Welt exportiert wird. Und wir wollten ein mörderisches Regime beseitigen – beides haben wir erreicht.“ Es kam einem festen Versprechen gleich, als der Minister nachdenklich aber bestimmt auf die Verluste der Bundeswehr bei dieser Mission zu sprechen kam: „Wir müssen alles tun, damit das, was es bislang auch an Blutzoll gekostet hat, nicht vergeblich war. Angehörige unserer gefallenen Soldaten sagten mir: Bitte bringen Sie den Einsatz ordentlich zu Ende und sehen Sie zu, dass der Tod unserer Söhne und Ehemänner nicht vergebens war. Und dem fühle ich mich sehr stark verpflichtet!“