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Kunduz (Afghanistan)/Berlin. Was zunächst wie eine Petitesse der Zeitgeschichte klingt, hat auf den zweiten Blick eine tiefere Bedeutung für den Auslandseinsatz der Bundeswehr am Hindukusch. Dort – rund 24 Monate vor Ende des NATO-Kampfeinsatzes – hat jetzt das Auswärtige Amt die Führung des zivil-militärischen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Team, PRT) in Kunduz übernommen. Die Übergabe in dem nordafghanischen Feldlager erfolgte am 15. November. In Berlin erklärte dazu Außenminister Guido Westerwelle: „Unser Afghanistan-Engagement bekommt zunehmend ein ziviles Gesicht.“

Leiter des PRT Kunduz wurde mit Helmut Landes ein Diplomat des Auswärtigen Amtes, der Regionalerfahrung hat. Zuletzt leitete er das PRT Faizabad und übergab es an die Afghanen (Anm.: siehe auch unseren Beitrag „Ein Lackmustest für die Bundeswehr“). Bisher war das Provincial Reconstruction Team von einem militärischen Kommandeur und einem zivilen Leiter gemeinsam geführt worden. Beide hatten partnerschaftlich die Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche – Verteidigungsministerium, Bundeswehr, Auswärtiges Amt, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft – mit der afghanischen Seite koordiniert.

Die Opfer waren nicht umsonst

Oberst i.G. Ullrich Spannuth, der bisherige militärische Chef des PRT Kunduz, hatte am Vorabend des 15. November die Führung über den neuen Unterstützungsverband Kunduz übernommen. Der Verband, der dem bisherigen militärischen PRT-Anteil entspricht, hatte von Konteradmiral Rainer Brinkmann, Stellvertreter des Befehlshabers des Bundeswehr-Einsatzführungskommandos, offiziell seinen neuen Namen erhalten.

Steffen Maluche, der für die Bundeswehr die Übergabe des PRT am 15. November journalistisch begleitete, sprach im Camp mit Oberst Spannuth über die Bedeutung der Übergabe. „Sie hat für uns Soldaten einen hohen Symbolcharakter“, erklärte Spannuth. „Das ist ein sichtbares Signal, dass die Anstrengungen – auch die Opfer, die gebracht wurden – nicht umsonst waren. Die Sicherheitslage ist deutlich besser geworden. Hätte man zur Jahreswende 2009/2010 von einer so baldigen Übergabe in eine zivile Leitung gesprochen, hätte so mancher den Kopf geschüttelt“, glaubt der Kommandeur des Unterstützungsverbandes Kunduz. Nach der Übergabe könnten sich die Soldaten nun zurücknehmen und „aus zweiter Reihe heraus“ agieren.

Zunehmend ein ziviles Gesicht

Außenminister Guido Westerwelle bezeichnete in Deutschland den Wechsel zu einer rein zivilen PRT-Leitung als einen weiteren wichtigen Schritt zur Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung. „Damit setzen wir den eingeschlagenen Weg, die Leitung unserer Wiederaufbauteams in zivile Hände zu legen, fort. Unser Afghanistan-Engagement bekommt zunehmend ein ziviles Gesicht. Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung kommt voran. Der Abzug der deutschen Truppen wird planmäßig umgesetzt.“

Mit der Übergabe des PRT Kunduz in zivile Hände verändert sich der ursprüngliche Auftrag auch hier noch stärker hin zu einer reinen Beratungs- und Unterstützungsmission. Allerdings werden die deutschen Soldaten des Feldlagers die afghanischen Sicherheitskräfte auch weiterhin unterstützen (operativ werden die Afghanen mehr und mehr das Heft in die Hand nehmen). Neben dem Unterstützungsverband hat die Bundeswehr in Kunduz weiterhin eine Partnering Advisor Task Force (PATF) im Einsatz, die eine afghanische Brigade berät. Eine weitere PATF befindet sich in Mazar-e Sharif. Zu beiden Verbänden gehören neben den üblichen Militärberatern auch Spezialisten aus den Fähigkeitsbereichen Aufklärung, Artillerie und Pionierwesen.

Gefährlichster Einsatzort der Bundeswehr

Der neue Leiter in Kunduz, Helmut Landes, äußerte gegenüber Steffen Maluche: „Insgesamt sehen wir eine sehr positive Entwicklung der Sicherheitslage. Es gibt noch sensible Bereiche in der Region, die von den afghanischen Sicherheitskräften noch nicht vollständig unter Kontrolle sind. Diese Aufgabe ist noch nicht erledigt.“

Seit Beginn des Bundeswehr-Einsatzes in Kunduz Ende Oktober 2003 wurden in der Provinz 15 deutsche Soldaten bei Anschlägen und Angriffen getötet. Insgesamt kostete der Afghanistan-Einsatz bis heute 52 Bundeswehrangehörigen das Leben, 34 davon starben durch Fremdeinwirkung. Seit mehr als einem Jahr musste die Bundeswehr am Hindukusch keinen weiteren Gefallenen beklagen. Allerdings kam es im Norden Afghanistans, dem deutschen Einsatzbereich, in den vergangenen Monaten immer wieder zu Aktionen der Aufständischen, bei denen auch Deutsche verletzt wurden.

Investitionen in die Zukunft Afghanistans

Nach Informationen des Auswärtigen Amtes werden in der Provinz Kunduz alle Aktivitäten des zivilen Wiederaufbaus und der Ausbildung unverändert fortgesetzt. Im vergangenen Jahr wurden hier mit deutscher Hilfe sieben Schulen errichtet. Sechs Schulen befinden sich derzeit im Bau, fünf weitere sind in der Planung. Parallel dazu sollen in der Provinz noch bis Ende dieses Jahres zwei Lehrerausbildungszentren vollendet werden.

In den vergangenen Jahren wurden in den Provinzen Kunduz und Takhar auch Straßen, Brücken und Wasseranlagen errichtet. Diese Infrastruktur wird in Zukunft weiter ausgebaut. In Planung und Bau befindet sich zudem ein Distriktkrankenhaus in Rustaq (Takhar).

Ministerium in der Kritik

Auch im Feldlager Kunduz, das die Bundeswehr bis Ende 2013 verlassen will, wird noch gebaut. Nach Informationen der Tageszeitung Die Welt investiert das Verteidigungsministerium trotz des geplanten Abzuges hier immer noch rund 14 Millionen Euro. Alleine 5,9 Millionen Euro soll der erdbebensichere Operationstrakt, der an das Rettungszentrum angebaut wird, kosten. Wer einmal der Nutzer sein wird, ist unklar. Kritik an den Baumaßnahmen kommt laut Welt von der Opposition, aber auch aus den Reihen von CDU und FDP.


Unsere beiden Aufnahmen zeigen:
1. einen Innenbereich des Feldlagers Kunduz und…
(Foto: Belgische Streitkräfte)

2. …Helmut Landes, den neuen Leiter des Provincial Reconstruction Teams Kunduz.
(Foto: Andrea Schulze/PrInfoZ Regionalkommando Nord)


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