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Berlin/Al Azraq Air Base (Jordanien)/Wadi Sayyidna Air Base (Sudan)/Wunstorf. Das Ergebnis der Operation nahm Boris Pistorius „mit Erleichterung und sehr zufrieden zur Kenntnis“. Man kann erahnen, wie angespannt der Verteidigungsminister in den vergangenen Tagen gewesen sein muss, als die Bundeswehr gemeinsam mit Kräften der Bundespolizei und einem Team des Auswärtigen Amtes insgesamt rund 700 Menschen aus mehr als 30 verschiedenen Ländern aus dem Krisengebiet Sudan retten konnte. Die militärischen Evakuierungsflüge sind mit dem heutigen Mittwoch (26. April) vorerst offiziell beendet. Seit Sonntag (23. April) brachte die Bundeswehr mehr als 200 deutsche Staatsangehörige sowie rund 500 Bürger anderer Nationen mit Transportmaschinen des Typs A400M von Wadi Sayyidna, einem Militärflugplatz etwa 22 Kilometer nördlich der sudanesischen Hauptstadt Khartum, über die jordanische Air Base Al Azraq in Sicherheit. Der Deutsche Bundestag mandatierte die Operation heute nachträglich – dies ist in Ausnahmefällen möglich.

„Auf die Truppe können wir gemeinsam stolz sein. Sie hat aus dem Stand funktioniert und alle Anforderungen erfüllt. Die Mühen der regelmäßigen Ausbildung, die sorgfältigen Planungen und die Entschlussfreudigkeit der militärischen Führung haben sich ausgezahlt und letztendlich Leben gerettet“, äußerte sich heute Minister Pistorius unter anderem auf Twitter. Gegenüber Medienvertretern sagte der SPD-Politiker auch, die Bundeswehr habe „in beispielhafter Art und Weise gezeigt, wie kaltstartfähig sie ist“.

Bereits am 20. April waren spezialisierte Kräfte des Deutschen Heeres nach Al Azraq geflogen worden, um eine militärische Evakuierung vorzubereiten. Jordanien unterstützte die deutsche Evakuierungsoperation als Gastland und logistisches Drehkreuz. Zudem hielten sich Krisenunterstützungsteams bereit, um bei der Evakuierung zu helfen.

Bundeswehrangehörige waren seit Ende 2020 nicht mehr im Sudan im Einsatz. Zu diesem Zeitpunkt endete dort die deutsche Beteiligung an der Friedensmission der Vereinten Nationen UNAMID (United Nations/African Union Mission in Darfur).

Konflikt zwischen sudanesischen Truppen und paramilitärischen Kräften

Im Sudan tobt seit dem 15. April ein innerstaatlicher Konflikt zwischen den sudanesischen Streitkräften und den paramilitärischen Rapid Support Forces. Heftige Gefechte erschüttern die Hauptstadt Khartum und andere Orte. Beide Konfliktparteien werden von rivalisierenden Generälen der militärischen Übergangsregierung geführt. Bei den Auseinandersetzungen wurden bisher mehrere Hundert Menschen getötet und Tausende verletzt.

Am Samstag (22. April) hatten die Konfliktparteien einer Evakuierung ausländischer Staatsangehöriger zugestimmt. Seit dem 23. April ermöglichte eine befristete Waffenruhe schließlich erste Evakuierungsflüge.

Aufgrund der Dringlichkeit der Evakuierungsoperation hatte die Bundesregierung am Samstag auch entschieden, die Bundeswehr zunächst ohne politisches Mandat in den Sudan zu entsenden. Da die deutschen Streitkräfte als Parlamentsarmee der parlamentarischen Kontrolle unterliegen, ist ein solches Mandat für einen bewaffneten Bundeswehreinsatz im Ausland zwingend erforderlich. Nur in Ausnahmefällen – bei „Gefahr im Verzug“ – lässt Paragraf 5 Parlamentsbeteiligungsgesetz eine nachträgliche Mandatierung zu. Diese erfolgte nun in der 99. Sitzung des aktuellen Bundestags am heutigen Mittwoch.

Abstimmung im Bundestag mit einem beeindruckenden Ergebnis

Die Abgeordneten stimmten der Evakuierungsoperation nachträglich mit solch überragendem Ergebnis zu, dass die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, später erstaunt feststellen musste: „Wow! Was für ein super Ergebnis. […] Solche Ergebnisse sind selten im Bundestag. Starke Unterstützung unserer Bundeswehr. Super!“

Bei der namentlichen Abstimmung votierten 661 Abgeordnete für den Antrag der Bundesregierung „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur militärischen Evakuierung aus Sudan“. Es gab keine Gegenstimmen. Sieben Parlamentarier enthielten sich. 68 Stimmen wurden nicht abgegeben.

Mandat für den Sudan-Rettungseinsatz ist noch befristet bis zum 31. Mai

Kommen wir kurz zu den Inhalten des Regierungsantrages. In der Vorbemerkung – quasi eine Lagebeschreibung – heißt es unter anderem: „In den letzten Tagen hat sich die Sicherheits- und Bedrohungslage in Sudan dramatisch verschlechtert. Der Machtkampf zwischen dem sudanesischen Armeechef und Staatsoberhaupt, General Abdel Fattah al-Burhan, und seinem Stellvertreter, General Mohamed Hamdan Dagalo, ist eskaliert. Es kommt seither zu bewaffneten Kampfhandlungen zwischen den regulären sudanesischen Streitkräften und den Milizkräften der sogenannten Rapid Support Forces. Der durch die Internationale Gemeinschaft unterstützte innersudanesische Einigungsprozess, der die Rückkehr zu einer zivil geführten Übergangsregierung und der Vorbereitung freier Wahlen ermöglichen soll, ist weit zurückgeworfen.“

Die Bundesregierung führt weiter aus: „Die anhaltende Gewalteskalation in weiten Landesteilen sowie in der Hauptstadt Khartum machen ein Eingreifen von Kräften der Bundeswehr erforderlich mit dem Ziel, Leib und Leben deutscher Staatsangehöriger und weiterer berechtigter Personen sowie im Rahmen verfügbarer Kapazitäten von Staatsangehörigen von Drittstaaten zu schützen. Unter dem Eindruck auch gewaltsamer Angriffe auf diplomatische Liegenschaften sowie gegen Angehörige internationaler Hilfsorganisationen muss die Bundesregierung eine militärische Evakuierung deutscher Staatsangehöriger und weiterer berechtigter Personen aus Sudan sicherstellen. Im Rahmen verfügbarer Kapazitäten kann sich die Evakuierung auch auf Staatsangehörige von Drittstaaten erstrecken.“

Wie dem Regierungsantrag zu entnehmen ist, wurde die Evakuierungsoperation durch das Bundesministerium des Innern mit spezialisierten Einsatzkräften der Bundespolizei unterstützt. Diese kamen unter Führung der Bundeswehr zum Einsatz und flankierten deren Maßnahmen.

Der Einsatz erfolgte auf Grundlage der Zustimmung der Regierung Sudans und „des völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Rechts aller Staaten zur Evakuierung eigener Staatsangehöriger“. Eingesetzt werden können (und konnten) laut Regierungsantrag bis zu 1600 Kräfte der Bundeswehr, zu deren Aufgaben – so die Vorgaben – „neben der Evakuierung deutscher Staatsangehöriger und weiterer berechtigter Personen auch Sicherung, Schutz sowie Evakuierung diplomatischer und konsularischer Vertretungen gehört, in denen deutsches Personal eingesetzt ist“.

Für den Einsatz wurden folgende militärische Fähigkeiten bereitgehalten:
Führung;
Wirkung, Sicherung und Schutz;
Militärisches Nachrichtenwesen;
Aufklärung;
Führungsunterstützung;
Einsatzunterstützung, einschließlich Transport und Umschlag;
Lufttransport;
Seetransport;
Sanitätsdienstliche Versorgung.

Das Mandat ist befristet bis längstens 31. Mai 2023. Die einsatzbedingten Zusatzkosten für dieses Operation beziffert die Bundesregierung auf 22,4 Millionen Euro.

Deutsche Staatsangehörige nutzten auch andere Evakuierungsmöglichkeiten

Insgesamt gab es bei dieser Operation sechs Evakuierungsflüge aus dem Sudan nach Jordanien durch die Deutsche Luftwaffe. Das Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amtes hatte seit dem Wochenende alle auf der Krisenvorsorgeliste registrierten deutschen Staatsangehörigen abtelefoniert. Dies wurde (und wird) fortgesetzt, um sicherzustellen, dass alle Deutschen, die noch vor Ort im Sudan sind, über die weiteren Evakuierungsmöglichkeiten – auch mit internationalen Partnern – informiert sind.

Deutschland hatte zudem am Montag (24. April) die Führung der multinationalen Flugkoordinierung am Militärflughafen Wadi Sayyidna in der Nähe von Khartum übernommen. Generalinspekteur Carsten Breuer stimmte sich später mit Partnerländern in der Frage, wer die Führung der Flugkoordinierung nach Deutschland würde übernehmen wollen, eng ab. Nach Übergabe der Koordinierung hat die Bundeswehr inzwischen bereits mit der Rückverlegung von Material und Personal begonnen.

Wie der Stab „Informationsarbeit Presse“ (IP-Stab) des Verteidigungsministeriums mitteilte, konnten deutsche Staatsangehörige inzwischen auch andere Evakuierungsmöglichkeiten nutzen. So wurden 23 Deutsche mit einem Konvoi der Vereinten Nationen aus Khartum evakuiert, für sie ist die Weiterreise nach Djiddah, der wichtigsten Hafenstadt Saudi-Arabiens am Roten Meer, geplant. Drei Deutsche, die sich bei Ausbruch der Kämpfe auf einem Boot vor dem Sudan befanden, konnten mit einem Kreuzfahrtschiff nach Ägypten ausreisen. Neun Deutsche wurden von Frankreich nach Dschibuti am Horn von Afrika evakuiert.

„Ergebnis von Mut, Teamwork und unermüdlicher Einsatzbereitschaft“

Die deutsche Evakuierungsoperation wurde federführend vom Krisenstab des Auswärtigen Amts geleitet. Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius dankten in einer gemeinsamen Presseerklärung am gestrigen Dienstag (25. April) allen zivilen und militärischen Kräften „für die großartige Leistung im Rahmen der Mission“.

Der IP-Stab zitiert in dem Pressetext Baerbock mit den Worten: „Uns war wichtig, dass eine Evakuierung – anders als bei anderen Staaten – nicht nur unserem Botschaftspersonal gilt, sondern allen Deutschen vor Ort und unseren Partnern. […] Dass unsere […] Bürger sich auch im Ausland darauf verlassen können, im Notfall nicht auf sich allein gestellt zu sein, ist keine bürokratische Selbstverständlichkeit. Es ist das Ergebnis von Mut, Teamwork und unermüdlicher Einsatzbereitschaft von vielen Hundert Beteiligten in Bundeswehr, Bundespolizei und Auswärtigem Amt.“

Erfahrung aus Kabul waren wertvoll für die aktuelle Sudan-Operation

Mittlerweile gibt es auch erste Pressestimmen. So kommentiert das Straubinger Tagblatt: „Erinnerungen an den chaotischen Abzug aus Afghanistan wurden wach. Die Erfahrung aus Kabul war wertvoll für die Sudan-Operation, bei der viel Geduld gefragt war. […] Insgesamt war es eine starke Leistung aller Beteiligten. Die Bundesregierung hat vor der Evakuierung Wert auf grünes Licht der staatlichen Truppen al-Burhans und der Kämpfer von Dagalos Rebellenarmee, der Rapid Support Forces, gewartet. Es war verantwortungsvoll, so weit wie möglich auf Nummer sicher zu gehen und das Risiko für die Soldaten und jene, die sie nach Hause holen sollten, zu senken.“

Und weiter schreibt das Blatt: „Die Evakuierungsaktion […] hat gezeigt, wie professionell die Bundeswehr ihre Aufgaben erfüllen kann, wenn es wirklich brenzlig wird. Und wie wichtig es ist, dazu in der Lage und nicht ausschließlich auf andere angewiesen zu sein, wenn Deutsche in Gefahr sind. Ausrüstung und Fähigkeiten müssen jedoch in der Breite verbessert werden. Das wird ein hartes Stück Arbeit und ein finanzieller Kraftakt.“

Es gibt keine Außenpolitik mehr, nur noch „Weltinnenpolitik“

Markus Decker, Hauptstadtkorrespondent des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND), erinnert daran: „Der erste Evakuierungseinsatz der Bundeswehr aus dem Sudan war in der vorigen Woche noch vorzeitig abgebrochen worden. Ab Sonntag jedoch lief die Mission offenbar wie am Schnürchen.“ Der Einsatz zeige die Leistungsfähigkeit der Truppe, überdies sei der Einsatz Beleg für die Notwendigkeit von Spezialkräften, meint Decker. Die Bundeswehr könne, wenn sie wolle und müsse: Dies habe sie nach dem Evakuierungseinsatz in Afghanistan vor zwei Jahren bereits gezeigt. Die politisch Verantwortlichen hätten derweil bewiesen, dass sie Prioritäten setzen könnten: Verteidigungsminister Pistorius habe seinen USA-Besuch abgesagt, Außenministerin Baerbock ein Außenministertreffen der EU.

Der RND-Korrespondent gibt ferner zu bedenken: „Der Ausbruch der Kämpfe zwischen rivalisierenden Teilen der sudanesischen Armee hat die westliche Welt abermals kalt erwischt. Die rasche Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan hatte im Sommer 2021 niemand auf dem Zettel. Russlands Attacke auf die Ukraine? Galt selbst in Geheimdienstkreisen manchen als unwahrscheinlich. Die explodierende Gewalt im Sudan schließlich kam, wie Baerbock sagte, ,out of the blue‘ – aus heiterem Himmel.“ Decker schlussfolgert: „Die Folgen sind spürbar. Ob es wie jetzt um eigene potenzielle Opfer, Flüchtlingsströme, Rohstoffe oder industrielle Abhängigkeiten geht – Konflikte in fernen Weltgegenden wirken sich plötzlich unmittelbar auch für uns aus. Es gibt in diesem Sinne keine Außenpolitik mehr. Es gibt nur noch Weltinnenpolitik.“


Zu unserem Bildangebot:
1. Vor dem Hintergrund der heftigen Kämpfe in der sudanesischen Hauptstadt Khartum begann die Bundeswehr am 23. April 2023 mit der Evakuierung deutscher Staatsangehöriger und zu schützender Personen anderer Nationen. Die Aufnahme zeigt Bundeswehrsoldaten auf dem Flugplatz Al Azraq in Jordanien kurz vor dem Abflug ins Krisengebiet.
(Foto: Jana Neumann/Bundeswehr)

2. Jordanien fungiert als Gastland und logistische Drehscheibe für die Evakuierungsmission aus dem Sudan. Mit dem Airbus A400M beträgt die Flugzeit vom sudanesischen Khartum bis zu der jordanischen Al Azraq Air Base rund drei Stunden.
(Bild: Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 04.23)

3. Abflug der ersten Airbus-Maschine von Al Azraq – Beginn der deutschen Evakuierungsoperation „Sudan“.
(Foto: Jana Neumann/Bundeswehr)

4. und 5. Eintreffen der ersten evakuierten Personen aus dem Sudan auf der Al Azraq Air Base in Jordanien. Nach der Ankunft wurden die Menschen versorgt, danach erfolgte die Überprüfung der Personalien und die Registrierung.
(Fotos: Jana Neumann/Bundeswehr)

6. Nachträgliche Abstimmung im Deutschen Bundestag über den Regierungsantrag „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur militärischen Evakuierung aus Sudan“; die Grafik zeigt das Abstimmungsergebnis.
(Bildquelle: Deutscher Bundestag; Bildmontage: mediakompakt)

Kleines Beitragsbild: Kurz vor dem Abflug einer A400M in den Sudan – Bundeswehrspezialisten gehen an Bord des Militärtransporters.
(Foto: Jana Neumann/Bundeswehr)


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