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Berlin. Deutschland zeigt weiterhin militärische Präsenz auf dem Balkan. Am gestrigen Freitag (8. Juli) stimmte das Parlament mehrheitlich dafür, bis zu 50 Bundeswehrangehörige nach Bosnien-Herzegowina zu entsenden. Sie sollen sich in dem Land wieder an der Mission EUFOR Althea beteiligen. Vor gut zehn Jahren, am 27. September 2012, war im Camp Butmir nahe der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt Sarajevo mit dem Einholen der deutschen Flagge die Beteiligung der Bundeswehr an diesem Auslandseinsatz zu Ende gegangen. Die Bundestagsabgeordneten verlängerten zudem den Bundeswehreinsatz im Kosovo. Dort ist das deutsche Militär bereits seit 1999 im Rahmen der NATO vor Ort – aktuell (Stand 4. Juli) mit 66 Kräften, darunter zehn Frauen und acht Reservisten. Beide Missionen dienen laut der Bundesregierung „der Stabilisierung und Sicherheit in der Region“. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Putin’schen Restaurationspolitik (und insbesondere dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine) steigt die Sorge vor der Einflussnahme Moskaus auf dem Westbalkan.

Der Bundestag gedachte am 6. April anlässlich des 30. Jahrestages des Kriegsbeginns in Bosnien und Herzegowina der Opfer dieser europäischen Katastrophe. Mehrere Abgeordnete erinnerten an diesem Mittwoch in der Debatte an die 100.000 Todesopfer und zwei Millionen Vertriebene sowie an die systematischen Massenvergewaltigungen als Teil der Kriegsführung. Verwiesen wurde von einigen Parlamentariern auch auf die Parallelität schwerster Kriegsverbrechen damals und jenen Verbrechen, die heute Russland im Angriffskrieg auf die Ukraine vorgeworfen werden.

Der Krieg in Bosnien und Herzegowina begann am 4. April 1992 mit der Belagerung der Hauptstadt Sarajevo und endete im November 1995 mit der Unterzeichnung des Abkommens von Dayton. 30 Jahre nach Kriegsausbruch dominieren immer noch ethnische Spaltungen das Land. Erst im Dezember vergangenen Jahres hatten Regierungsvertreter der bosnischen Serben in der Teilrepublik Srpska die Abspaltung von Bosnien, die innerhalb von sechs Monaten vollzogen werden sollte, angekündigt. Russland unterstützt die Unabhängigkeitsbestrebungen der Teilrepublik Srpska bereits seit Jahren.

Der Destabilisierung durch Russland konsequent entgegentreten

Entsprechend deutlich fielen auch in der Bundestagsdebatte am 6. April die Redebeiträge aus. So gefährden aus Sicht von Entwicklungsministerin Svenja Schulze die Abtrennungsbestrebungen der Teilrepublik Srpska nicht nur die Stabilität Bosnien-Herzegowinas. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine drohten hier „Kettenreaktionen auf dem Westbalkan und auch noch darüber hinaus“, warnte sie. Die Bundesregierung halte deshalb auch Infrastrukturhilfen für Srpska in Höhe von 100 Millionen Euro zurück und unterstütze den EU-Annäherungsprozess des Gesamtstaates, erklärte die SPD-Politikerin danach. Schulze riet abschließend eindringlich dazu, allen Tendenzen einer politischen und wirtschaftlichen Destabilisierung durch Russland konsequent entgegenzutreten. Es gelte hierbei insbesondere, Bosnien dabei zu unterstützen, widerstandsfähiger gegen Einflussnahmen von außen zu werden.

Anna Lührmann, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, sagte angesichts der Bilder von ermordeten Zivilisten im ukrainischen Butscha: „Erinnerungen an den furchtbaren Völkermord von Srebrenica werden wach.“ Die ethnische Spaltung in Bosnien-Herzegowina bestehe bis heute fort. Die Grüne kritisierte ebenfalls die Abspaltungsbestrebungen der serbischen Teilrepublik Srpska: „Das sind Angriffe auf Frieden und Stabilität im westlichen Balkan.“ Neben Russland, das die Republik Srpska als Hebel für seine Destabilisierungsstrategie in der Region benutze, habe auch Serbien erheblichen Einfluss in Bosnien.

Große Mehrheit für eine erneute Beteiligung an EUFOR Althea

Der russische Einfluss auf dem Balkan und die Sorgen vor einer Destabilisierung der ehemaligen jugoslawischen Teilgebiete und heutigen Nachfolgestaaten wegen des Ukraine-Krieges war zweifelsohne der Hauptgrund für die Missionsverlängerung im Kosovo und das nun beschlossene erneute Engagement der Bundeswehr in Bosnien und Herzegowina (wir berichteten im Januar 2013 über das Ende der Bundeswehr-Beteiligung an EUFOR Althea).

Mit 518 Ja-Stimmen votierte der Bundestag am gestrigen Freitag in namentlicher Abstimmung mehrheitlich für die Wiederaufnahme der Bundeswehr-Beteiligung an der europäischen Operation EUFOR Althea in Bosnien-Herzegowina. 96 Abgeordnete stimmten dagegen, drei enthielten sich.

Der Antrag der Bundesregierung sieht eine Entsendung von bis zu 50 Soldaten vor. Zu den vorgesehenen Aufgaben sollen die Unterstützung und Koordination der Ausbildung der bosnischen Streitkräfte, die Unterstützung zur Schaffung eines sicheren Umfelds sowie die Wahrnehmung von Führungs-, Verbindungs-, Beratungs-, Beobachtungs- und Unterstützungsaufgaben gehören. Der Einsatz ist den Regierungsangaben zufolge „ein Beitrag zur Einhaltung der Dayton-Friedensvereinbarung von 1995“.

Ethnische Spaltungen blockieren Fortschritte und Reformprozesse

Weiter heißt es in dem Antrag, die Bundesregierung habe 30 Jahre nach Kriegsbeginn nach wie vor großes Interesse an der nachhaltigen Stabilisierung Bosnien und Herzegowinas, verbunden mit einer Entwicklung hin zu einem friedlichen und demokratischen Rechtsstaat, der selbstständig die Freiheit und Sicherheit seiner Bürger gewährleisten könne. Ziel sei neben Versöhnung und Überwindung der ethnischen Spaltung die Einbindung Bosnien-Herzegowinas in die EU und die euro-atlantische Gemeinschaft.

Gleichzeitig mahnt die Bundesregierung: „Die aktuellen politischen Entwicklungen in Bosnien und Herzegowina geben Grund zu großer Sorge. Ethnische Spaltungen prägen noch immer den Alltag, dominieren die Politik und blockieren Fortschritte und Reformprozesse. Nationalistische und hetzerische Rhetorik sind heute wieder Teil des politischen Diskurses. Zusätzlich hat das Parlament der bosnisch-serbischen Entität Republika Srpska in den vergangenen Monaten konkrete rechtliche Schritte eingeleitet, die Region weiter vom Gesamtstaat abzuspalten.“

Zusätzlich bestehe derzeit die Gefahr, so die Regierungsbegründung weiter, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und mittelbar die Konfrontation zwischen der westlichen Werte- und Staatengemeinschaft und der Russischen Föderation von der russischen Seite als Katalysator für eine weitere Destabilisierung Bosnien und Herzegowinas genutzt werden könnte. Insbesondere die engen Beziehungen der serbischen Regierung zur russischen Föderation und ihr Einfluss auf die bosnisch-serbische Entität Republika Srpska trügen zu diesen Befürchtungen bei. Angesichts dieser Entwicklungen sei das Potenzial einer weiteren Destabilisierung mit der Folge einer Eskalation bis hin zur möglichen Abspaltung der Republika Srpska gegenwärtiger denn je seit dem Ende des Krieges 1995, fürchtet die Bundesregierung. Sie weist abschließend darauf hin: „Die bosnisch-herzegowinischen Wahlen am 2. Oktober 2022 bilden in diesem Kontext einen Kristallisationspunkt für weitere Konflikte und könnten einer Zäsur gleichkommen.“

Die erneute Beteiligung der Bundeswehr an EUFOR Althea ist laut Bundestag nun „längstens bis zum 30. Juni 2023“ mandatiert. Die einsatzbedingten Zusatzausgaben an der Sicherheitsoperation beziffert die Bundesregierung für den Zeitraum 8. Juli 2022 bis 30. Juni 2023 mit „voraussichtlich insgesamt rund 5,3 Millionen Euro“.

Weiterhin bis zu 400 Bundeswehrangehörige für KFOR möglich

Mit 526 Ja- zu 99 Nein-Stimmen billigte der Bundestag am Freitag schließlich auch die Fortsetzung der Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-geführten internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo (KFOR: Kosovo Force). Der entsprechende Antrag der Bundesregierung sieht eine Entsendung von unverändert bis zu 400 Kräften vor.

Zu den Aufgaben der Bundeswehr gehört laut Antrag neben der Unterstützung zur „Entwicklung einer stabilen, demokratischen, multiethnischen und friedlichen Republik Kosovo“ der Aufbau der Kosovo Security Force als „demokratisch kontrollierte, multiethnisch geprägte Sicherheitsorganisation und anderer Akteure im Rahmen der Sicherheitssektorreform (SSR) als Vorbereitung der weiteren Einbindung in euro-atlantische Strukturen“.

Für die deutsche Beteiligung im Rahmen der NATO-geführten internationalen Sicherheitspräsenz KFOR sollen laut Bundesregierung folgende Kräfte und Fähigkeiten bereitgestellt werden:
Führung und Führungsunterstützung;
Kampf und Kampfunterstützung;
Sicherung und Schutz;
militärisches Nachrichtenwesen;
Einsatzunterstützung einschließlich Transport- und Umschlagsdienste;
sanitätsdienstliche Versorgung;
medizinische Evakuierung;
zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) einschließlich humanitärer Hilfs- und Unterstützungsdienste.

Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an KFOR werden nach Berechnungen der Regierung für weitere zwölf Monate „voraussichtlich insgesamt rund sieben Millionen Euro“ betragen

Breite internationale Unterstützung für den Kosovo-Einsatz

In ihrer Begründung für die Verlängerung des Kosovo-Engagements der Bundeswehr schreibt die Bundesregierung: „Die Republik Kosovo hat stets zum Ausdruck gebracht, dass sie die fortgesetzte Präsenz von KFOR auf der Grundlage der Sicherheitsratsresolution 1244 (1999) wünscht. Ebenso wird der KFOR-Einsatz international breit unterstützt. Zugleich ist der deutsche Beitrag zu KFOR ein Bekenntnis zu den Verpflichtungen in der NATO.“

Die Sicherheitslage im Kosovo sei „weiterhin überwiegend ruhig und stabil“, urteilt die Regierung weiter. Allerdings verbleibe nach wie vor ein Konflikt- und Eskalationspotenzial, insbesondere im Norden der Republik Kosovo. Und: „Die weiterhin angespannten Beziehungen zwischen der Republik Kosovo und der Republik Serbien können sich mittelbar auch auf die Sicherheitslage im Kosovo auswirken. Die innenpolitische Situation hier ist mit dem Blick auf den Norden des Landes weiterhin fragil. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine steigt die Sorge vor russischen Destabilisierungsversuchen.“

Über die Rolle der internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo, die multinationale Kosovo-Truppe (KFOR), heißt es im Antrag der Bundesregierung unter anderem: „Als zentraler Stabilitätsanker in der Region ist KFOR entscheidend für ein sicheres Umfeld für die Menschen in der Republik Kosovo. Darüber hinaus leistet sie einen zentralen Beitrag zur Festigung anerkannter lokaler Sicherheitsstrukturen. Die fortgesetzte Beteiligung an KFOR liegt daher unverändert im deutschen sicherheitspolitischen Interesse.“

Die kosovarischen Sicherheitskräfte würden zwar grundsätzlich mit sicherheitsrelevanten Situationen eigenverantwortlich umgehen, schreibt die Regierung weiter. Zu einer vollständigen und eigenständigen Schutzverantwortung für das gesamte Kosovo seien sie allerdings noch nicht in der Lage. Entsprechend sei die KFOR-Präsenz entscheidend für die Aufrechterhaltung eines anhaltend stabilen und sicheren Umfelds. Dies gelte im Besonderen für den Fall einer Verschlechterung der Sicherheitslage. Die Bundesregierung erläutert: „Hier ist die Einbindung von KFOR als sogenannter ,Third Responder‘ in Ergänzung zu den kosovarischen Polizeikräften und zur Formed Police Unit im Rahmen der EU-Rechtsstaatsmission EULEX Kosovo weiterhin möglich und notwendig.“

Der NATO-Oberkommandierende (Supreme Allied Commander Europe, SACEUR) ist übrigens autorisiert – abhängig von der Lage vor Ort und in Abstimmung mit den Alliierten – Anpassungen des militärischen Kräftedispositivs von KFOR vorzunehmen. So kann die KFOR-Truppenstärke flexibel an die Entwicklung der Sicherheitslage in der Region angepasst werden.

Deutschland trägt übrigens erheblich zum sozialen und wirtschaftlichen Aufbau in der Republik Kosovo bei. Seit 1999 belaufen sich die deutschen entwicklungspolitischen Kosovo-Beiträge auf mehr als 753 Millionen Euro.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Zwei deutsche KFOR-Angehörige bei der Geländeerkundung.
(Foto: PAO KFOR/Bundeswehr)

2. Deutsches EUFOR-Fahrzeug beim damaligen Einsatz in Bosnien-Herzegowina.
(Foto: Lars Pötsch/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Bandschnalle der Einsatzmedaille Kosovo (KFOR) und der Einsatzmedaille Bosnien-Herzegowina (EUFOR Althea).
(Bilder: nr; grafische Bearbeitung: mediakompakt)


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