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Stockholm (Schweden)/Berlin. Die größten 100 Rüstungskonzerne der Welt haben im Vorjahr Waffen und militärische Dienstleistungen im Wert von etwa 592 Milliarden US-Dollar verkauft (umgerechnet rund 560 Milliarden Euro). Damit wuchsen die Umsätze aus Rüstungsgeschäften bereits zum siebten Mal in Folge. Das reale Plus für das Jahr 2021 beträgt 1,9 Prozent gegenüber 2020. Entnommen sind diese Angaben dem aktuellen Bericht „Top 100 Rüstungsproduzenten“ des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute), der am 5. Dezember veröffentlicht wurde.

Das zwölf Seiten umfassende Fact Sheet der Organisation – offizieller Titel „The SIPRI Top 100 arms-producing and military services Companies, 2021“ (die „SIPRI Top 100 waffenproduzierende und militärische Dienstleistungen erbringende Unternehmen, 2021“) – berichtet auch von den zahlreichen Problemen in der Lieferkette, mit denen sich große Teile der Rüstungsindustrie 2021 aufgrund des Ukrainekrieges konfrontiert sahen (und immer noch sehen).

„Ohne die anhaltenden Lieferkettenprobleme hätten wir für 2021 ein noch stärkeres Wachstum der Waffenverkäufe erwarten können“, kommentierte Lucie Béraud-Sudreau, Direktorin des SIPRI-Programms für Militärausgaben und Rüstungsproduktion, die Entwicklung. Sowohl größere als auch kleinere Rüstungsunternehmen hätten angegeben, dass ihre Verkäufe im Laufe des Jahres beeinträchtigt worden seien. Einige Unternehmen, beispielsweise Airbus und General Dynamics, hätten auch über Arbeitskräftemangel berichtet, so Béraud-Sudreau.

Unterbrechung der Lieferkette vor allem wegen des Ukrainekrieges

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 hat die Lieferkette für Rüstungsunternehmen laut SIPRI auch deswegen erschwert, weil Russland ein wichtiger Lieferant von Rohstoffen für die Waffenproduktion ist. In der SIPRI-Expertise heißt es an dieser Stelle: „Dies könnte die laufenden Bemühungen der USA und Europas erschweren, ihre Streitkräfte zu stärken und die Lagerbestände aufzufüllen, nachdem Munition und andere Ausrüstungsgegenstände im Wert von Milliarden von Dollar an die Ukraine geliefert worden sind.“

Die Steigerung der Produktion brauche Zeit, meint Diego Lopes da Silva, leitender Forscher bei SIPRI. „Wenn die Unterbrechung der Lieferkette anhält, könnte es mehrere Jahre dauern, bis einige der wichtigsten Waffenproduzenten die durch den Ukrainekrieg entstandene neue Nachfrage decken können.“

Nach Einschätzungen von Experten und Medienberichten erhöhen russische Unternehmen derzeit zwar ihre Produktion im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine. Offenbar aber haben sie auch große Schwierigkeiten, Halbleiter zu beschaffen. Die vom Westen verhängten kriegsbedingten Sanktionen erschweren die Lage zusätzlich. Dazu SIPRI: „Beispielsweise hat das in Moskau ansässige größte russische Rüstungsunternehmen Almaz-Antey – aufgrund fehlender Daten nicht in den Top 100 für das Jahr 2021 aufgeführt – erklärt, dass es für einige seiner Waffenexportlieferungen keine Zahlungen erhielt.“

Verkäufe von schweren Waffen und Dienstleistungen für das Militär

Die Datenbank, mit der das Stockholmer Institut die Entwicklung des internationalen Rüstungsgeschäfts dokumentiert, gibt es seit mehr als 30 Jahren. Anfangs wurden nur die Konzerne der westlichen Welt erfasst, seit 2002 auch die Rüstungsbranche in Russland, seit 2015 schließlich auch die in China.

Eingerechnet in die Daten werden Verkäufe von schweren Waffen und militärischen Dienstleistungen an militärische Abnehmer im In- und Ausland. Auf Deutschland bezogen werden also beispielsweise sowohl die Beschaffungen der Bundeswehr bei hiesigen Rüstungskonzernen erfasst als auch Rüstungsexporte ins Ausland.

Verkaufsentwicklung in der Region Nordamerika rückläufig

Die Waffenverkäufe der 40 in der Liste aufgeführten US-Unternehmen beliefen sich im Jahr 2021 auf rund 299 Milliarden Dollar. Nordamerika war die einzige Region, in der die Waffenverkäufe im Vergleich zu 2020 zurückgingen. Der Rückgang um real 0,8 Prozent war teilweise auf die hohe Inflation in der US-Wirtschaft im Jahr 2021 zurückzuführen. Seit 2018 sind die fünf führenden Unternehmen in den Top 100 – Lockheed Martin, Raytheon Technologies, Boeing, Northrop Grumman und General Dynamics – alle in den Vereinigten Staaten ansässig.

Die jüngste Welle von Fusionen und Übernahmen in der amerikanischen Rüstungsindustrie setzte sich auch im Jahr 2021 fort. Eine der bedeutendsten Übernahmen war der Kauf von Perspecta, einem IT-Spezialisten der Regierung, durch Peraton für 7,1 Milliarden Dollar.

Nan Tian, ebenfalls ein leitender SIPRI-Forscher, erklärte: „Wir können wahrscheinlich davon ausgehen, dass die US-Regierung in den nächsten Jahren stärkere Maßnahmen zur Begrenzung von Fusionen und Übernahmen in der Rüstungsindustrie ergreifen wird.“ Das Pentagon habe in diesem Zusammenhang bereits seine Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass ein geringerer Wettbewerb in der Branche Auswirkungen auf die Beschaffungskosten und die Produktinnovation haben könnte.

Europäische Schiffbauer konnten ihre Umsätze im Jahr 2021 steigern

Im Jahr 2021 gab es insgesamt 27 Top-100-Unternehmen mit Hauptsitz in Europa. Ihr gemeinsamer Rüstungsumsatz stieg im Vergleich zu 2020 um 4,2 Prozent und erreichte 123 Milliarden Dollar.

„Die meisten europäischen Unternehmen, die sich auf die militärische Luft- und Raumfahrt spezialisiert haben, meldeten für 2021 Verluste, die sie auf Unterbrechungen der Lieferkette zurückführen“, erläuterte SIPRI-Forscher Lorenzo Scarazzato (Schwerpunkt „Militärausgaben und Rüstungsproduktion“) die Entwicklung in diesem Bereich. „Im Gegensatz dazu scheinen die europäischen Schiffbauer weniger von den Auswirkungen der Pandemie betroffen zu sein und konnten ihre Umsätze im Jahr 2021 steigern.“

Die französische Dassault Aviation Group widersetzte sich dem Trend im Segment der militärischen Luft- und Raumfahrt. Die Rüstungsumsätze des Herstellers stiegen im Jahr 2021 um 59 Prozent auf 6,3 Milliarden Dollar, positiv beeinflusst durch die Auslieferung von insgesamt 25 Rafale-Kampfflugzeugen.

Konsolidierungswelle innerhalb der chinesischen Rüstungsbranche

Die Waffenverkäufe der 21 Unternehmen in Asien und Ozeanien, die in der Top-100-Liste von SIPRI aufgeführt sind, erreichten 2021 zusammen rund 136 Milliarden Dollar – 5,8 Prozent mehr als im Jahr 2020. Die acht in der Liste aufgeführten chinesischen Rüstungsunternehmen erzielten einen Gesamtumsatz von 109 Milliarden Dollar, was einem Anstieg von 6,3 Prozent entspricht. Die Ranking-Plätze sieben bis zehn belegen NORINCO (China North Industries Group Corporation), AVIC (Aviation Industry Corporation of China), CASC (China Aerospace Science and Technology Corporation) sowie CETC (China Electronics Technology Group Corporation).

„Seit Mitte der 2010er-Jahre hat es in der chinesischen Rüstungsindustrie eine Konsolidierungswelle gegeben“, berichtete nun Xiao Liang. Auch er ist Forscher des SIPRI-Programms „Militärausgaben und Rüstungsproduktion“. „So wurde im Jahr 2021 der chinesische Konzern CSSC (China State Shipbuilding Corporation) durch die Fusion zweier bestehender Unternehmen mit einem Umsatz von insgesamt 11,1 Milliarden Dollar zum größten Militärschiffbauer der Welt.“

Der gemeinsame Waffenumsatz der vier südkoreanischen Firmen in den Top 100 von SIPRI ist im Vergleich zum Jahr 2020 um 3,6 Prozent gestiegen und hat die Marke „7,2 Milliarden Dollar“ erreicht. Dies ist vor allem auf einen Anstieg der Waffenverkäufe von Hanwha Aerospace um 7,6 Prozent auf 2,6 Milliarden Dollar zurückzuführen. Es wird erwartet, dass die Waffenverkäufe von Hanwha in den kommenden Jahren erheblich zunehmen werden, nachdem das Unternehmen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Jahr 2022 ein großes Waffengeschäft mit Polen unterzeichnet hat.

SIPRI berichtet auch über „weitere bemerkenswerte Marktentwicklungen“

Sechs russische Unternehmen sind in den SIPRI-Top-100 für das Jahr 2021 vertreten. Ihre Waffenverkäufe beliefen sich auf insgesamt 17,8 Milliarden Dollar – ein Anstieg von lediglich 0,4 Prozent gegenüber 2020. Es gab und gibt dem Stockholmer Institut zufolge Anzeichen für eine weit verbreitete Stagnation in der russischen Rüstungsindustrie.

Die fünf Top-100-Unternehmen mit Sitz im Nahen Osten erzielten 2021 Waffenverkäufe in Höhe von 15,0 Milliarden Dollar. Dies bedeutete einen Anstieg von 6,5 Prozent gegenüber 2020 und damit das schnellste Wachstum aller in der Rangliste vertretenen Regionen.

Die Waffenverkäufe der vier in Japan ansässigen Top-100-Unternehmen beliefen sich 2021 alles in allem auf 9,0 Milliarden Dollar, was einem Rückgang von 1,4 Prozent gegenüber 2020 entspricht.

2021 ist das Jahr, in dem erstmalig ein taiwanesisches Unternehmen in den Top 100 vertreten ist. Das auf Raketen und Militärelektronik spezialisierte Unternehmen NCSIST (National Chung-Shan Institute of Science and Technology), das in der SIPRI-Liste auf Platz 60 rangiert, verzeichnete 2021 einen Waffenumsatz von 2,0 Milliarden Dollar.

Den Informationen von SIPRI zufolge werden Private-Equity-Unternehmen in der Rüstungsindustrie immer aktiver, insbesondere in den USA. Dies könnte sich auf die Transparenz der Daten über Waffenverkäufe auswirken, da die Anforderungen an die Finanzberichterstattung im Vergleich zu öffentlichen Unternehmen weniger streng sind (Anm.: Eine Private-Equity-Gesellschaft – auch Kapitalbeteiligungsgesellschaft genannt – stellt außerbörslich agierenden Unternehmen mit Finanzierungsbedarf Eigenkapital oder eigenkapitalähnliche Finanzierungsmittel zur Verfügung).


Zu unserem Bildmaterial:
1. Die erste Infografik zeigt, welchen Anteil an weltweiten Rüstungsexporten im Jahr 2021 die einzelnen Nationen hatten (Anteil in Prozent, Umsatz in Milliarden US-Dollar).
(Hintergrundbild: Eurosatory 2022; Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 12.22)

2. Unsere zweite Infografik nennt die zehn größten Rüstungsunternehmen des Jahres 2021 sowie die in Europa ansässigen und deutschen Konzerne der SIPRI-Rangliste.
(Hintergrundbild: Eurosatory 2022; Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 12.22)

Kleines Beitragsbild: Vorführung bei der französischen Rüstungsmesse Eurosatory 2018.
(Foto: Eurosatory)


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