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Rukla (Litauen)/Berlin. Die Bundeswehr hat nach skandalösen Vorfällen beim NATO-Einsatz in Litauen, der Beistandsinitiative Enhanced Forward Presence (EFP), jetzt zwei Soldaten vorzeitig entlassen. Bei einer Party in einem litauischen Hotel war es im April nach dem Genuss von reichlich Alkohol zu schweren Auswüchsen gekommen. Die Medien berichteten später von „rassistischen Beleidigungen, Gewalt und sexueller Nötigung“, die von deutschen Panzergrenadieren ausgegangen sein sollen. Einige an den Exzessen Beteiligte sollen zudem „rechtsextreme und antisemitische Lieder“ gegrölt haben.

Nach den unrühmlichen Ereignissen musste der gesamte Zug der Panzergrenadiere am nächsten Tag die Heimreise ins niedersächsische Munster antreten (der SPIEGEL berichtete, es habe sich um den zweiten Zug des Panzergrenadierlehrbataillons 92, das zur Panzerlehrbrigade 9 gehört, gehandelt).

Die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bezeichnete das „Fehlverhalten einiger Soldaten in Litauen“ kurz danach als einen „Schlag ins Gesicht aller, die Tag für Tag in der Bundeswehr der Sicherheit in unserem Land dienen“. „Ein unsoldatischeres und unkameradschaftliches Verhalten ist kaum vorstellbar“, kommentierte Kramp-Karrenbauer die Vorfälle weiter. Sie sei tief enttäuscht.

In Berlin war man nach dem beschämenden Auftreten der deutschen Soldaten alarmiert. So schrieb ARD-Korrespondent Kai Küstner, die Vorfälle könnten nicht nur dem Ansehen der Truppe, sondern auch dem Verhältnis zum EU- und NATO-Partner Litauen nachhaltig schaden. „Denn“, so Küster, „Russland versucht seit langem, auch mit dem Verbreiten von Falschmeldungen über die Deutschen, einen Keil in die Allianz zu treiben.“

Betroffener Heeresverband soll „bis zum kommenden Jahr“ reorganisiert werden

Nach der vorzeitigen Entlassung der beiden Soldaten sind derzeit gegen fünf weitere Bundeswehrangehörige bei einer Wehrdisziplinaranwaltschaft Vorermittlungen zu einem gerichtlichen Disziplinarverfahren eingeleitet. Dies bestätigte ein Sprecher der Bundeswehr gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Bei drei von insgesamt zwölf beschuldigten Soldaten hätten sich die Vorwürfe nicht bestätigt, erfuhr die dpa.

Das Panzergrenadierlehrbataillon 92 soll Medienberichten zufolge nach den April-Ereignissen in Litauen „bis zum kommenden Jahr“ reorganisiert werden.

Redaktioneller NACHBRENNER

Wie nun am 9. Februar dpa berichtete, hat die Staatsanwaltschaft Lüneburg drei Ermittlungsverfahren gegen Soldaten eingeleitet, die bei der NATO-Mission in Litauen durch Fehlverhalten aufgefallen waren. Ein Verfahren sei wegen des „Verdachts der versuchten Unterdrückung von Beschwerden“ und eines Vorfalls von 2020 wegen des „Verdachts der entwürdigenden Behandlung von Untergebenen“ eingeleitet worden, bestätigte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft gegenüber der dpa.

Die weiteren Verfahren beziehen sich den Informationen der Agentur zufolge auf die Delikte „Volksverhetzung“, „ausländerfeindliche und antisemitische Äußerungen“ sowie „Holocaust-Leugnung“.

Die Bundeswehr hatte nach Bekanntwerden der Vorfälle den Panzergrenadierzug abgezogen. Zwei Soldaten sind nach den Vorfällen vorzeitig entlassen worden. Einfache disziplinarische Maßnahmen seien bei zwei Bundeswehrangehörigen verhängt worden, bei dreien hätten sich die Vorwürfe nicht bestätigt, so ein Sprecher des Heeres in Munster zur dpa. Fünf Vorermittlungen zu gerichtlichen Verfahren des Wehrdisziplinaranwalts liefen noch.


Hintergrund                           

Enhanced Forward Presence – kurz EFP – dient der Sicherung der NATO-Ostflanke. Die Beistandsinitiative EFP war im Juli 2016 auf dem NATO-Gipfel in Warschau als Ausdruck der Solidarität der NATO mit ihren östlichen Bündnispartnern beschlossen worden. Die Solidaritätsbekundung erfolgte als Reaktion auf das Vorgehen Russlands in der Ostukraine seit 2014 sowie aufgrund der sogenannten „Krim-Krise“ und der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel im gleichen Jahr.

Ab 2017 wurden Kräfte in Stärke von jeweils eines multinationalen Gefechtsverbandes (Battlegroup) in den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie in Polen stationiert. Diese Gefechtsverbände bestehen aus jeweils rund 1000 Bündnissoldaten, die die Streitkräfte der Gastländer verstärken. Ausbildung, Training und Abschreckung bilden den Kernauftrag. Das Personal rotiert als regelmäßiges Ereignis bei EFP im halbjährlichen Rhythmus, da die NATO/Russland-Grundakte keine dauerhafte Stationierung alliierter Truppen in Osteuropa erlaubt. Jeder dieser Battlegroups wird von einer Rahmennation geführt: Diese Aufgabe haben Großbritannien, Kanada, die USA und Deutschland übernommen.

Das primäre Operationsgebiet der Bundeswehr im Rahmen der Beistandsinitiative EFP ist Litauen. Je nach Lage und Entscheidung der Partnernationen ist allerdings eine Verlegung des Kampfverbands in die anderen baltischen Staaten oder nach Polen möglich.

Seit Januar 2017 ist der Verband für Litauen in der Kleinstadt Rukla im Zentrum des Landes stationiert und nutzt den Truppenübungsplatz in Pabrade, im Osten Litauens unweit der russischen Grenze. Der Verband besteht aus 1000 bis 1200 Soldaten, darunter rund 600 deutsche Soldaten. Er steht unter deutscher Führung (am ersten NATO-Bataillon in Litauen beteiligten sich neben Deutschland Belgien, die Niederlande, Norwegen und Kroatien).

Gefechtsübungen sind bei EFP ein immer wiederkehrendes Element und Ereignis. Bei „Iron Wolf“, „Saber Strike“, „Flaming Thunder“ oder „Eager Leopard“ trainieren die NATO-Truppen regelmäßig zahlreiche Szenarien – vom Häuser- und Stellungskampf bis hin zur Verzögerung des Vormarsches eines anrückenden Feindes.

Die Beteiligung an der Operation „Enhanced Forward Presence“ der NATO stellt eine sogenannte „anerkannte Mission“ dar. „Anerkannte Missionen“ sind Verwendungen der deutschen Streitkräfte im In- und Ausland, die aber gleichwohl nicht durch den Deutschen Bundestag mandatiert werden.


Zu unserer Symbolaufnahme: Ärmelpatch eines bei EFP in Litauen eingesetzten Bundeswehrsoldaten.
(Foto: Bundeswehr via Twitter)


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