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Washington D.C./Zürich/Mainz. Der Bundesnachrichtendienst (BND) und der US-Geheimdienst CIA belauschten von 1970 bis 1993 gemeinsam die verschlüsselte Kommunikation von mehr als einhundert Staaten. Dies belegen bisher unveröffentlichte Dokumente, die von führenden BND- und CIA-Mitarbeitern verfasst wurden. In den Akten heißt es: „Diplomatische und militärische Verkehre vieler wichtiger Länder der Dritten Welt, aber auch europäischer Staaten […] konnten […] flächendeckend mitgelesen werden.“ Auf den rund 280 Dokumentenseiten wird die sogenannte „Operation Rubikon“ als „eine der erfolgreichsten nachrichtendienstlichen Unternehmungen der Nachkriegszeit“ bezeichnet. In einer gemeinsamen Recherche haben das ZDF-Politmagazin „Frontal 21“, die Washington Post und die „Rundschau“ des Senders Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) die Dokumente ausgewertet. „Frontal 21“ berichtet am heutigen Dienstagabend (11. Februar) ab 21 Uhr über das brisante Stück Zeitgeschichte …

Der frühere CDU-Parlamentarier Bernd Schmidbauer, von Dezember 1991 bis Oktober 1998 Kanzleramtsminister im Kabinett Kohl und damit damals zuständig für die Koordination der deutschen Geheimdienste, bestätigte die deutsch-amerikanische Operation. „Die Aktion Rubikon hat sicher dazu beigetragen, dass die Welt ein Stück sicherer geblieben ist“, sagte Schmidbauer dem ZDF. Der BND habe diese Zusammenarbeit mit der CIA aber 1993 beendet.

Der Bundesnachrichtendienst teilte auf Anfrage des ZDF mit, er nehme „zu Angelegenheiten, welche die operative Arbeit betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung“.

Die vorliegenden Dokumente zeigen dem Sender zufolge, dass sich BND und CIA für ihre Abhöroperation der Schweizer Firma Crypto AG bedienten. Seit 1970 waren die beiden Geheimdienste zu je 50 Prozent Eigentümer der Firma. Das Unternehmen stellte Verschlüsselungstechnik für abhörsichere Kommunikation her und verkaufte diese weltweit. Das ZDF: „Die Kunden wussten nicht, dass BND und CIA die Technik manipulieren ließen.“

Historiker und Geheimdienstexperten haben die vorliegenden Akten ausgewertet. Prof. Richard Aldrich von der Universität Warwick in Großbritannien wird vom ZDF mit den Worten zitiert: „Die Operation Rubikon war eine der kühnsten und auch skandalträchtigsten Operationen, denn über hundert Staaten zahlten Milliarden Dollar dafür, dass ihnen ihre Staatsgeheimnisse gestohlen wurden.“

Frühzeitig von schweren Menschenrechtsverletzungen Kenntnis gehabt

In der heute im Vorfeld der Ausstrahlung des „Frontal 21“-Beitrags veröffentlichten Pressemitteilung aus Mainz heißt es weiter: „Die Dokumente belegen erstmals, dass BND und CIA frühzeitig über den Sturz des chilenischen Präsidenten Salvador Allende 1973 und die schweren Menschenrechtsverletzungen durch die argentinische Militärjunta informiert waren. Die von Deutschen und Amerikanern weitergeleiteten entschlüsselten Funksprüche der argentinischen Marine trugen 1982 auch entscheidend zum Sieg Großbritanniens im Falklandkrieg bei.“

Die größten Abnehmer für die manipulierten Verschlüsselungsgeräte aus dem Hause Crypto AG waren den Erkenntnissen des Rechercheteams zufolge Saudi-Arabien und der Iran. Jahrzehntelang sollen Deutsche und Amerikaner so über die geheime Kommunikation des Ayatollah-Regimes informiert gewesen sein, auch während der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran im Jahr 1979.

Institutionen leugnen, mauern oder verweigern Stellungnahme

Der Bundesnachrichtendienst, das Bundeskanzleramt und die Firma Siemens, die laut ZDF mehrere Jahre lang den Vorstandschef für die damalige Crypto AG stellte, haben eine Stellungnahme gegenüber der deutschen Sendeanstalt abgelehnt. Der BND informierte allerdings Ende Januar 2020 das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages über die aktuelle Berichterstattung mit dem Hinweis, dass „die Sache ja gar nicht neu“ sei, so das ZDF. Die CIA, NSA und die US-Regierung lehnten eine offizielle Stellungnahme ebenfalls ab.

Der Schweizer Geheimdienst bestreitet, dass er über die wahren Hintergründe der Crypto AG informiert gewesen war. Jürg Bühler, der Vize-Direktor des Schweizerischen Nachrichtendienstes NDB, der Anfang der 1990er-Jahre als Leiter der Bundespolizei mit Ermittlungen im Fall des im Iran inhaftieren Technikers betraut war, sagte der „Rundschau“ des SRF: „Niemand konnte uns Beweise liefern, dass die Geräte manipuliert sind. […] Wir haben die Besitzverhältnisse recherchiert, aber kamen in Liechtenstein nicht mehr weiter. […] Deshalb hatten wir keinen Verdacht, dass die Vorwürfe stimmten und haben deshalb kein Verfahren eröffnet. […] Im Nachhinein merken wir jetzt, dass wir teilweise angelogen wurden. Das ist natürlich ärgerlich.“

Die Crypto AG selbst ist im Jahr 2018 in zwei Firmen aufgespalten worden: Die CyOne AG, die nur noch den Schweizer Markt bedient und die Crypto International AG für den Rest der Welt. Über die Zeit davor, so die neuen Geschäftsleitungen, habe man keinerlei Erkenntnisse. Nach Bekanntwerden der Recherchen zum Thema „Operation Rubikon“ hat das Schweizer Wirtschaftsministerium vorerst alle weiteren Exporte der Crypto International AG untersagt.


Randnotiz                                  

An der gemeinsamen Recherche von ZDF, SRF und Washington Post unter dem Hashtag #cryptoleaks war und ist auch das Forschungsinstitut für Friedenspolitik beteiligt. Die in Weilheim ansässige Einrichtung, die von Erich Schmidt-Eenboom geleitet wird, ist die gemeinnützige Forschungseinrichtung der Friedensbewegung, die seit mehr als 30 Jahren kontinuierlich zu Fragen der Friedenssicherung und Militarisierung, zur Außenpolitik und zu Nachrichtendiensten arbeitet.
Die Washington Post berichtet am 11. und 12. Februar 2020, das Schweizer Fernsehen SRF am morgigen Mittwoch (12. Februar) ab 20:05 Uhr in seiner „Rundschau“.
Das ZDF-Magazin „Frontal 21“ sendet seinen Beitrag heute (11. Februar) ab 21 Uhr; am 18. März 2020 läuft in ZDFinfo ab 20:15 Uhr die 60minütige TV-Dokumentation „Geheimoperation Rubikon – der größte Coup des BND“.
Alle Angaben ohne Gewähr.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Laut ZDF zeigen die vorliegenden Dokumente, dass sich BND und CIA für ihre Abhöroperation der Schweizer Firma Crypto AG bedienten. Seit 1970 waren die beiden Geheimdienste zu je 50 Prozent Eigentümer der Firma. Das Unternehmen stellte Verschlüsslungstechnik für abhörsichere Kommunikation her und verkaufte diese weltweit. Die Kunden wussten nicht, dass BND und CIA die Technik manipulieren ließen.
(Bildquelle: Google Earth/ZDF)

2. Der Schweizer Chiffriergeräte-Hersteller Crypto AG wurde 2018 aufgelöst. Die Chiffriermaschine CX52 war einst eines der Vorzeigeprodukte des Unternehmens.
(Bild: ZDF)

3. Bernd Schmidbauer, Ex-Geheimdienstkoordinator der damaligen Bundesregierung Kohl, bestätigte im Interview die gigantische Geheimdienstoperation der Amerikaner und Deutschen.
(Bild: ZDF)

Kleines Beitragsbild: Unser Symbolfoto zeigt Details der Crypto-Chiffriermaschine CX52.
(Bild: nr; grafische Bearbeitung: mediakompakt)


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