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Berlin. Der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer interessiert sich für Statistiken aus dem Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Er wollte von der Bundesregierung wissen, „wie viele deutsche Soldaten, Polizisten und Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung unter Berücksichtigung von mehrfachen Teilnahmen seit 2001 insgesamt im Rahmen von Auslandsmissionen in Afghanistan eingesetzt“ worden sind.

Der Parlamentarier, der nach eigenen Angaben selber von 1997 bis 2009 Zeitsoldat bei der Deutschen Marine gewesen war und dabei auch 2006/2007 an einem Auslandseinsatz am Hindukusch teilgenommen hatte, wollte zudem wissen, wie viele Einsatzmedaillen seit 2001 insgesamt im Rahmen von Missionen der Bundeswehr in Afghanistan verliehen worden sind.

Dem AfD-Politiker antwortete am 24. August 2020 der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung Peter Tauber. Seine Angaben beziehen sich bei den Einsätzen in Afghanistan auf folgende Missionen mit deutscher Beteiligung:
ISAF (International Security Assistance Force);
Mission KUNDUZ (Einsatz in der Region Kunduz im Rahmen weiterer Implementierung der Bonner Vereinbarung über die Region Kabul hinaus);
Mission AWACS AFG (die Bundeswehr stellte Personal für die Beteiligung an AWACS-Aufklärungsflügen über Afghanistan ab);
OEF (Operation Enduring Freedom);
RS (Resolute Support Mission);
UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan).

Laut Tauber hatten seit 2001 bis zum Stichtag 7. August 2020 unter Berücksichtigung von Mehrfachteilnahmen – gemäß verfügbarem Datenbestand – insgesamt 161.590 Angehörige der Bundeswehr beziehungsweise der Polizei des Bundes und der Länder an humanitären, friedenserhaltenden und friedensstiftenden Einsätzen in Afghanistan teilgenommen.

Hunderttausende deutscher Soldaten bisher in einem Auslandseinsatz

Der Staatssekretär verwies in diesem Zusammenhang auf eine Tabelle der Bundesregierung zu einer früheren Antwort zum Thema „Zahl der an Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligten Soldaten“. Aus dieser Regierungsantwort aus dem Jahr 2018 ist ersichtlich, dass im Zeitraum 1992 bis 4. April 2018 (Stichtag) insgesamt 417.511 Bundeswehrangehörige an Auslandsmissionen teilgenommen haben, 18.073 waren Frauen (die Angaben beinhalteten ebenfalls Mehrfachteilnahmen).

Zu Afghanistan: Den Regierungsangaben von 2018 zufolge beteiligen sich an ISAF 135.538 Bundeswehrsoldaten, an der Mission KUNDUZ 1667, an AWACS AFG 126 und an UNAMA 18 – zusammen demnach 137.349 deutsche Soldaten.

An OEF in Afghanistan waren gemäß verfügbarem Datenbestand des Ministeriums 465 Bundeswehrangehörige beteiligt.

Zu den Einsatzzahlen bei der „Resolute Support Mission“ führte Tauber aus: „Mit Stichtag 7. August 2020 waren bei ,Resolute Support‘ 22.290 […] Soldaten eingesetzt. Darüber hinaus waren – ebenfalls mit Stichtag 7. August 2020 – vom Sommer 2007 bis 31. Dezember 2016 insgesamt 218 […] Polizeibeamte bei der Polizeimission der Europäischen Union in Afghanistan (EUPOL AFG) sowie im Zeitraum von 2007 bis heute insgesamt 1268 deutsche […] Polizeibeamte beim bilateral vereinbarten Polizeieinsatz in Afghanistan (German Police Project Team, GPPT) eingesetzt. Über den davor liegenden Zeitraum ab April 2002 liegen für das GPPT keine Daten mehr vor.“

Bundeswehr-Personalwirtschaftssystem „Orden und Ehrenzeichen“

Taubers Angaben zufolge wurden während der gesamten Dauer des deutschen Militärengagements in Afghanistan (seit 2001) insgesamt 107.519 Einsatzmedaillen ISAF, OEF, RS und UNAMA an Soldaten der Bundeswehr verliehen. Unsere Infografik (siehe Bildmaterial) zeigt, wie sich diese Auszeichnungen aufteilen; die Zahlen wurden vom Personalwirtschaftssystem der Bundeswehr, Aufstellung „Orden und Ehrenzeichen“, geliefert.

Das Personalwirtschaftssystem nutzt die Bundeswehr seit dem Jahr 2013. Dabei gibt es Einschränkungen. So wird beispielsweise eine Auswertung ohne Berücksichtigung von mehrfachen Einsatzteilnahmen der gleichen Person durch das System technisch nicht unterstützt. In der Antwort des Staatssekretärs auf den Fragenkomplex des AfD-Bundestagsabgeordneten heißt es deshalb auch zum Schluss: „Von einer vollständigen personellen Erfassung aller Einsätze der Bundeswehr […] kann erst ab dem Jahr 2013 mit Beginn der Nutzung des Einsatztools im Personalwirtschaftssystem der Bundeswehr ausgegangen werden.“


Kompakt                                  

Den historischen Ausgangspunkt für den Einsatz am Hindukusch markiert der 11. September 2001. Mit den verheerenden Terroranschlägen in New York und Washington geriet Afghanistan urplötzlich ins Blickfeld der Internationalen Staatengemeinschaft. Das Land litt zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als 20 Jahren unter einem grausamen Bürgerkrieg. Die damalige Regierung der radikalislamischen Taliban duldete die Anwesenheit der Terrororganisation al-Qaida, die als Drahtzieher der Anschläge galt. Der Westen – auch Deutschland – antwortete mit der Anti-Terror-Operation „Enduring Freedom“, als deren Rechtsgrundlage die Resolution 1368 der Vereinten Nationen gilt. Gleichzeitig baten die Teilnehmer der ersten Afghanistan-Konferenz 2001 (Petersberger Konferenz) die Internationale Gemeinschaft um die Aufstellung einer Schutzmission. Das Petersberger Abkommen wurde Grundlage für die Resolution 1386 des Sicherheitsrates, der unmittelbar nach der Konferenz die Aufstellung der International Security Assistance Force – kurz ISAF – beschloss.

ISAF > Der Deutsche Bundestag verabschiedete am 22. Dezember 2001 das erste Afghanistan-Mandat. Im Januar 2002 trafen die ersten Kräfte in Kabul ein. Am 14. Januar 2002 beteiligten sich erstmals deutsche Soldaten an einer Patrouille in der kriegszerstörten Stadt. Die Führung von ISAF übernahm zunächst Großbritannien, das sich in einem sechsmonatigen Turnus mit anderen Nationen abwechselte. Erst 2003 ging die ISAF-Führung an die NATO über.


Mission KUNDUZ > Im Rahmen des deutschen Afghanistan-Engagements beteiligten sich Bundeswehrsoldaten in den Jahren 2003 bis 2005 auch an der Mission KUNDUZ, einem Einsatz in der Region Kunduz im Rahmen weiterer Implementierung der Bonner Vereinbarung über die Region Kabul hinaus.


Mission AWACS AFG > Außerdem stellte die Bundeswehr Personal für die NATO-Mission AWACS AFG ab. Im Zeitraum 15. Januar 2011 bis 25. September 2014 absolvierten AWACS-Aufklärungsmaschinen des Typs Boeing E-3 Sentry in Afghanistan rund 1240 Einsatzflüge. Der Bundestag hatte der von der Bundesregierung beschlossenen Beteiligung deutscher Streitkräfte am Einsatz von NATO-AWACS im Rahmen von ISAF am 25. März 2011 zugestimmt.


OEF > Als nach den Anschlägen am 11. September 2001 die NATO am 2. Oktober 2001 erstmals den Bündnisfall auslöste, war auch Deutschland in der Pflicht. Der Bundestag hatte diese Entwicklung bereits am 19. September 2001 mit dem Hinweis auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrages thematisiert. Mit Beschluss vom 16. November 2001 und Folgebeschlüssen stimmte der Bundestag schließlich zu, dass bewaffnete deutsche Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA zum Einsatz kommen sollten. Auf dieser Grundlage beteiligte sich die Bundeswehr unter anderem mehrere Jahre aktiv an der „Operation Enduring Freedom“ – kurz OEF.

OEF war die erste und bisher einzige militärische Großoperation im Rahmen des 2001 von den USA ausgerufenen „Krieges gegen den Terrorismus“. Die Operation wurde in vier Regionen durchgeführt: in Afghanistan, am Horn von Afrika, in Afrika innerhalb und südlich der Sahara sowie auf den Philippinen.

Auf der Grundlage des parlamentarischen Beschlusses konnte die Bundeswehr der Anti-Terror-Koalition zunächst die Möglichkeit einer deutschen Beteiligung mit bis zu 100 Spezialkräften am OEF-Einsatz in Afghanistan melden. Nach durchgehendem Kontingenteinsatz im Zeitraum von Dezember 2001 bis September 2003 und einem Folgeeinsatz von Mai bis November 2005 wurde der Schwerpunkt des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan und damit auch der Spezialkräfte auf ISAF gelegt. Mit der Mandatsverlängerung für die Beteiligung der Marine an der „Operation Enduring Freedom“ im Indischen Ozean durch den Bundestag im Oktober 2008 wurde zugleich auf eine weitere Anzeige der Beteiligung deutscher Spezialkräften in Afghanistan verzichtet.

Militärischer Hauptakteur von OEF am Hindukusch waren die Streitkräfte der Vereinigten Staaten, allerdings nahmen – neben der Bundeswehr – auch viele Militärkräfte von Verbündeten der USA an dieser Mission teil.


RS > In der Nacht vom 31. Dezember 2014 auf den 1. Januar 2015 wurde die NATO-Mission ISAF beendet und in die Ausbildungsmission „Resolute Support“ – kurz RS oder RSM („Resolute Support Mission“) – überführt. RS kennzeichnet ein regionaler Ansatz, bei dem insgesamt fünf Kommandos beteiligt sind. Der NATO-Einsatz hat aktuell noch einen personellen Gesamtumfang von rund 17.000 Soldaten. Insgesamt 39 NATO-Mitgliedstaaten und Partnerländer beteiligen sich an der Mission.

Deutschland hat als Rahmennation die Führung des „Train, Advise and Assist Command North“ (TAAC-N) übernommen – eines der fünf regionalen Kommandos in Afghanistans. Geführt wird es von einem deutschen Brigadegeneral. Mehr als 20 Nationen arbeiten hier mit Bundeswehrangehörigen zusammen. Basis ist das Camp Marmal in Mazar-e Sharif, in dem rund 1000 deutsche Soldaten stationiert sind.

Darüber hinaus leisten etwa 150 deutsche Soldaten in der Hauptstadt Kabul und in Bagram in der afghanischen Provinz Parwan ihren Dienst. Zusätzlich ist die Bundeswehr mit etwa 100 Kräften permanent im sogenannten „Train Advise Assist Kunduz“ im Camp Pamir eingesetzt. Nach dem Multiplikator-Prinzip („train the trainers“) bildet die Bundeswehr dort einzelne Führungskräfte aus und berät darüber hinaus den Stab des 217. Afghan National Army Corps.

Unregelmäßig befinden sich auch deutsche Soldaten im „Expeditionary Advisory Package“ in Meymaneh, Hauptstadt der Provinz Faryab. Hier wird von Zeit zu Zeit der Stand der bisher geleisteten Ausbildung in der afghanischen Armee überprüft.


UNAMA > Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan/Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan – kurz UNAMA – ist eine politische Mission. Sie basiert auf der am 28. März 2002 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Resolution 1401. Das Mandat wurde bisher jährlich verlängert, aktuell am 17. September 2019.

Die Mission wird seit April 2020 von der kanadischen Diplomatin Deborah Lyons, frühere Botschafterin ihres Landes in Afghanistan, geleitet. Die Sonderbeauftragte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen bei UNAMA ist Nachfolgerin des Südafrikaners Nicholas Haysom.

Die Mission, die der Hauptabteilung „Friedenssicherungseinsätze“ der Weltorganisation untersteht, hat etwa 1000 meist afghanische Mitarbeiter. Das Hauptquartier ist in Kabul, es gibt acht regionale Büros.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Ein afghanischer Zivilbeschäftigter im Camp Marmal in Mazar-e Sharif. Die Aufnahme stammt vom 15. Juni 2011, also noch aus „ISAF-Zeiten“.
(Foto: Burton Eichen/ISAF Regional Command North/NATO)

2. Die Infografik zeigt, wie viele Einsatzmedaillen ISAF, OEF, RS und UNAMA an Bundeswehrangehörige nach ihren Afghanistaneinsätzen verliehen worden sind – die Missionen KUNDUZ und AWACS AFG sind in ISAF enthalten. Das Hintergrundbild vom Beobachterposten und der afghanischen Flagge wurde am 19. Oktober 2017 im Bezirk Achin im Süden der Provinz Nangarhar gemacht.
(Foto: Matthew DeVirgilio/NATO Special Operations Component Command-Afghanistan;
Infografik © Christian Dewitz/mediakompakt 09.20)

Kleines Beitragsbild: Camp Marmal, 15. Juni 2011 – Soldat der Bundeswehr auf Wache.
(Foto: Burton Eichen/ISAF Regional Command North/NATO)


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