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Berlin/Düsseldorf/Paderborn. Nördlich von Paderborn, am Westrand des Teutoburger Waldes und im Ursprungsgebiet der Ems, liegt der 116 Quadratkilometer große Truppenübungsplatz Senne. 1892 zum militärischen Sperrgebiet erklärt, steht das Areal seit 1945 unter Verwaltung der britischen Streitkräfte. Der Truppenübungsplatz Senne ist das bedeutendste Naturreservat im Bundesland Nordrhein-Westfalen und eines der artenreichsten Gebiete Deutschlands überhaupt. Als im Oktober 2010 der damalige britische Premierminister David Cameron ankündigte, die britischen Truppen aus Deutschland bereits bis 2020 abziehen zu wollen (die ursprünglichen Planungen waren von einem Abzug bis zum Jahr 2035 ausgegangen), wurden die Naturschützer aktiv. Sie forderten schon länger den Schutz der Senne vor wirtschaftlicher Nutzung, wenn das Gebiet eines Tages nicht mehr militärischen Zwecken dienen sollte. Im Juli vergangenen Jahres schließlich übergaben sie dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart mehr als 15.000 Unterschriften für ein Projekt „Nationalpark Senne“. Dessen Errichtung war bereits 1991 im Landtag beschlossen worden, so denn die Briten den Truppenübungsplatz einmal räumen würden. Es sollte anders kommen …

Als Cameron 2010 seine überarbeiteten Abzugspläne publik machte, wurde die Frage „Was soll nach fast 120 Jahren Truppenübungsplatz-Geschichte aus der Senne werden?“ quasi über Nacht hochaktuell. Ein Nationalpark, wie es bereits die Organisationen BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) und NABU (Naturschutzbund Deutschland) oder Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer forderten? Oder ein Biosphärenreservat, das weniger strikt geschützt wäre, und von einigen Umlandgemeinden und der Holzindustrie favorisiert wird?

Als der Commander British Forces Germany, Brigadegeneral Richard Clements, im Juli vergangenen Jahres mitteilte, dass Großbritannien den Truppenübungsplatz Senne auch in Zukunft weiter nutzen wird und nach dem Truppenabzug aus Deutschland am Standort Paderborn 200 britische Soldaten mit ihren Familien verbleiben sollen, war die Diskussion um einen Nationalpark damit eigentlich schon wieder hinfällig.

Zumindest eine zeitlich befristete „Klarheit für die Senne“

Neu war das mit der Ankündigung verbundene Angebot von Clements. Wie die Neue Westfälische am 14. Juli 2018 über ein Schreiben des Befehlshabers berichtete, wollen nun nicht nur die Briten das Areal Senne militärisch nutzen. Clements bietet an und schlägt vor, dass die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr und anderen NATO-Alliierten erleichtert und bestehende Trainingseinrichtungen hier besser genutzt werden sollen – so neben der „Sennelager Training Area auch das Sennelager Training Centre für die NATO-Ausbildung“. Wie die Zeitung weiter aus dem Clements-Schreiben zitiert, soll jetzt auch die Infrastruktur der Athlone-Barracks in Sennelager, eine 1951 errichtete Kaserne am Südrand des Truppenübungsplatzes, beibehalten werden.

In einer gemeinsamen Pressemitteilung von Kreis und Stadt Paderborn wird die Entscheidung nachdrücklich begrüßt. „Klarheit für die Senne“ heißt es in dem am 13. Juli 2018 veröffentlichten Pressetext. Landtagspräsident André Kuper, Paderborns Landrat Manfred Müller und Paderborns Bürgermeister Michael Dreier weisen darin auch auf die Aussage von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hin, die „vor einiger Zeit persönlich mitgeteilt [habe], dass die Bundeswehr gerne die Briten als zusätzliche Nutzer der Senne sähe“. Die Einrichtung solle so insgesamt besser „ausgelastet“ werden. Darüber hinaus könnten – so die Ministerin – „auch weitere europäische Partner mit ihren Truppen die Senne nutzen“.

Verantwortlicher Träger des Militärgeländes bleiben die Briten

Die Bundesregierung hat sich zum Thema „Zukünftige Nutzung des Truppenübungsplatzes Senne“ am 6. Februar in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen geäußert. Die Parlamentarier Britta Haßelmann, Oliver Krischer und Steffi Lemke wollten unter anderem wissen, wer in Zukunft der verantwortliche Träger des Truppenübungsplatzes Senne sein wird. Die Regierungsantwort dazu: „Nach den seitens der britischen Streitkräfte im Juli 2018 erteilten Informationen über ihre künftige Präsenz in Deutschland wird der Truppenübungsplatz Senne weiterhin von den britischen Streitkräften genutzt und bleibt diesen auf der Grundlage völkerrechtlicher Vereinbarungen zur ausschließlichen Nutzung für die Dauer ihres militärischen Bedarfs überlassen. Es tritt demnach keine Änderung der Verantwortlichkeit ein.“

Auf die Frage der Grünen, ob die gesamte Fläche des Truppenübungsplatzes für das zukünftige Konzept benötigt wird oder Teilflächen aus der militärischen Nutzung entlassen werden, teilte die Bundesregierung mit, dass die britischen Streitkräfte bis jetzt keine Teilfreigaben angekündigt haben. Auch seien im Hinblick auf die zukünftige militärische Nutzung des Truppenübungsplatzes Senne momentan keine baulichen Veränderungen bekannt, die mit größeren Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sein könnten.

Mehrheit wünscht sich in Nordrhein-Westfalen einen zweiten Nationalpark

Die Senne bildet mit ihren artenreichen Offenlandgebieten, mit Heiden, Sandtrockenrasen und Mooren, wertvollen Erlenbruchwäldern und glasklaren Fließgewässern eine europaweit einmalige naturnah erhaltene Landschaft. Die Organisation BUND etwa erinnert daran: „Hier gibt es nach wie vor einen unglaublichen Reichtum an Pflanzen- und Tierarten, von denen mehr als 1000 auf der Roten Liste gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Arten stehen.“ Dazu gehört auch die Einfache Mondraute (Botrychium simplex), eine in Europa äußerst seltene Pflanze. Der Farn galt hierzulande, ehe er 1993 in der Senne wiederentdeckt wurde, als ausgestorben.

Bei einer repräsentativen Telefonumfrage im Zeitraum 12. bis 28. Juni 2018 durch das Befragungsinstitute Kantar EMNID hatten mehr als 1000 Personen ihre Meinung zu einem möglichen Nationalpark in der Region Senne geäußert. Ein Nationalpark, der nach dem Komplettabzug der Briten denkbar gewesen wäre.

Der EMNID-Erhebung zufolge befürworteten zum Zeitpunkt der Befragung „85 Prozent der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen die Einrichtung eines Nationalparks in der Region Senne“. Auch die weiteren Ergebnisse sind aus Sicht der Naturschutzverbände eindeutig. Dazu Karsten Otte, Sprecher der Naturschutzkonferenz Ostwestfalen-Lippe, nach Bekanntwerden der Zahlen: „Die große Mehrheit der Bevölkerung in ganz Nordrhein-Westfalen ist von den Vorteilen eines solchen Nationalparks überzeugt. 81 Prozent der Befragten verbinden damit einen besseren Schutz der Natur. 56 Prozent sieht zudem auch Vorteile für die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere durch eine Förderung des Tourismus.“

Managementplan zur Umsetzung von NATURA 2000

Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen legte bei ihrer Kleinen Anfrage zum Truppenübungsplatz Senne den Schwerpunkt bei ihren zehn Fragestellungen auf den Umweltschutz und die Besonderheit der Senne als einer der bedeutendsten zusammenhängenden Biotopenkomplexe im Bundesland. So erkundigten sich die Abgeordneten beispielsweise nach den Verantwortlichkeiten „für die Umsetzung der Vorgaben durch NATURA 2000 im Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Gebiet Senne“. Dieser Bereich ist weitgehend mit dem Truppenübungsplatz flächengleich. (Anm.: NATURA 2000 ist ein EU-weites Netz von Schutzgebieten zur Erhaltung gefährdeter oder typischer Lebensräume und Arten.)

Aus der Antwort der Bundesregierung: „Das NATURA 2000-Gebietsmanagement wird auch in Zukunft weiterhin vom Bund […] im Einvernehmen mit den britischen Streitkräften wahrgenommen. Dazu wurde gemäß ,Gebietsspezifischer Vereinbarung‘ zwischen dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen unter Anerkennung der britischen Streitkräfte ein mit dem Land einvernehmlich abgestimmter Managementplan zur Umsetzung von NATURA 2000 auf den Truppenübungsplätzen Senne und Stapel – unter Berücksichtigung der militärischen Nutzungserfordernisse – erstellt. Die Umsetzung obliegt dem Bundesforst sowie den britischen Streitkräften im Rahmen des umweltverträglichen Geländemanagements.“

Darüber hinaus teilte die Bundesregierung mit, dass die britischen Streitkräfte auch in Zukunft den Einsatz der Geländebetreuungsstelle der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zur Erhaltung der äußerst wertvollen Offenlandbiotope beziehungsweise Übungsflächen bezahlen und steuern wollen. Jedenfalls sei zum Einsatz der Geländebetreuungsstelle keine Änderungen angekündigt worden.

Zum Thema „Umwelthaftung für die Naturschätze der Senne“ führte die Bundesregierung aus, dass nach völkerrechtlichen Vereinbarungen für Liegenschaften, die ausländischen Streitkräften zur Nutzung überlassen wurden, das deutsche Recht gelte (Anm.: Artikel 53 Absatz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut). Für dessen Einhaltung, insbesondere des Umweltrechtes, seien – auch bei einer Nutzung des Truppenübungsplatzes Senne durch andere NATO-Partner – völkerrechtlich ausschließlich die britischen Streitkräfte verantwortlich.

Landesregierung streicht den Begriff „Nationalpark Senne“ aus ihrem Konzept

Für die Naturschützer ist die Kehrtwende der Briten in Sachen Senne mehr als unerfreulich. Ihr Traum, neben dem Nationalpark Eifel einen weiteren Nationalpark in Nordrhein-Westfalen einrichten zu können, ist wohl erst einmal geplatzt. Denn am 19. Februar hat die Landesregierung in Düsseldorf einen neuen Landesentwicklungsplan (LEP) beschlossen, der die Regeln für die künftige wirtschaftliche und räumliche Entwicklung im Bundesland vorgibt. Dort nun wurde der Satz, dass die Unterschutzstellung der Senne „als Nationalpark möglich ist“, ersatzlos gestrichen. Die ostwestfälische Heidelandschaft mit ihren seltenen Pflanzen und Tierarten solle lediglich „erhalten“ werden.

Die Umwelt- und Naturschutzverbände in Nordrhein-Westfalen wenden sich vehement gegen die Streichung des „Nationalparks Senne“ aus dem LEP. Die von der Landesregierung geplante Herausnahme eines solchen Schutzgebietes in Ostwestfalen-Lippe widerspreche „eklatant den Wünschen vieler Bürger im Land“, heißt es jetzt in einer gemeinsamen Erklärung. NABU-Landesvorsitzender Josef Tumbrinck ergänzt: „In einer Zeit, in der die biologische Vielfalt rasant abnimmt, in der massenhaft Insekten- oder Pflanzenarten aussterben, ist die geplante Änderung des LEP ein Schlag ins Gesicht der nachfolgenden Generationen.“ Der neue Landesentwicklungsplan muss noch den Landtag in Düsseldorf passieren.


Zu unserer Bildfolge:
1. Warnschild auf dem Truppenübungsplatz Senne.
(Foto: Tsungam/Wikipedia/unter Lizenz CC BY-SA 4.0 – vollständiger Lizenztext:
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)

2. Blick über den Truppenübungsplatz Senne vom Aussichtspunkt an den Augustdorfer Dünen.
(Foto: Tsungam/Wikipedia/unter Lizenz CC BY-SA 4.0 – vollständiger Lizenztext:
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)

3. Motiv aus der Serie „Die Senne muss Nationalpark werden“. Für die Mediennutzung zur Verfügung gestellt von der Umweltschutzorganisation Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
(Foto: Günter Bockwinkel/BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen)

Kleines Beitragsbild: Bewachter Kontrollpunkt mit Schlagbaum am Eingang zum Truppenübungsplatz Senne bei Schlangen.
(Foto: Saturos123/Wikipedia/unter Lizenz CC BY-SA 3.0 – vollständiger Lizenztext:
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)


Kommentare

  1. vakno | 29. Oktober 2020 um 08:59 Uhr

    Ich wünschte, man hätte einmal die Menschen der umliegenden Gemeinden gefragt, bevor man den Truppenübungsplatz Senne offensichtlich bei den Nachbarstaaten als Übungsgelände anbietet und eine weitere militärische Nutzung anstrebt.
    Vor langen Jahren war es schon schlimm mitzuerleben, wie häufig die Durchfahrt durch die Senne von den Britischen Streitkräften verboten wurde. Von den umliegenden Anwohnern konnte sich niemand vorstellen, dass sich beim Abzug des britischen Militärs aus Deutschland die Situation hier vor Ort noch verschlechtern würde (mittlerweile sind jetzt häufig auch die Wochenenden für die Durchfahrt gesperrt).
    Zudem macht der tägliche und laute Fluglärm der Militärmaschinen – wie etwa dem Eurofighter – einen bald wahnsinnig. Passagiermaschinen vom nahen Flugplatz Paderborn-Lippstadt sind dagegen fast schon eine reine Erholung.
    Ich hoffe, ich konnte verdeutlichen, dass die angestrebte Erhöhung der militärischen Präsenz auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes die Anwohner belastet und die Aussagen von verantwortlichen Politikern eher Politikverdrossenheit hervorruft.

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