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Capellen (Luxemburg)/Leipzig/Mörfelden-Walldorf. Seit dem 1. Januar 2019 ist die ukrainische Fluggesellschaft Antonov Airlines mit ihren Großraumtransportern Antonov AN-124-100 allein für den strategischen Lufttransport im Rahmen des SALIS-Programms verantwortlich. Die russische Frachtairline Volga-Dnepr, zuvor Partner von Antonov, hatte im April 2018 die Kooperation zum Jahresende aufgekündigt (das Joint Venture zerbrach offenbar vor dem Hintergrund der Krimkrise am Druck Moskaus). Die NATO hatte den Logistikvertrag mit Volga-Dnepr und Antonov im Jahr 2006 in Ermangelung geeigneter eigener Großraumflugzeuge geschlossen. Anfangs hatten sich 17 europäische Bündnisländer plus Kanada sowie die „Neutralen“ Finnland und Schweden an dem Programm SALIS (Strategic Airlift International Solution) beteiligt, um militärische strategische Lufttransportaufgaben zeitnah lösen zu können. Mittlerweile wird SALIS noch von zehn NATO-Mitgliedern genutzt.

Das Unternehmen Antonov stellt jetzt auf dem Flughafen Leipzig/Halle dauerhaft zwei Maschinen des Typs An-124-100 bereit, um SALIS-Lufttransportmissionen für NATO oder EU durchführen zu können. Der Vertrag mit den Ukrainern gilt vorerst bis Ende 2021.

An SALIS beteiligen sich momentan – vertragsrechtlich vertreten durch die NATO Support and Procurement Agency (NSPA) mit Sitz im luxemburgischen Capellen: Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Norwegen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn.

Politische Weichenstellung in Helsinki und Prag

Blicken wir noch einmal kurz zurück auf die SALIS-Historie. Im Frühjahr 1999 hatte der Kosovokrieg gezeigt, dass die Europäer ohne Unterstützung der USA militärisch kaum handlungsfähig waren. Beim EU-Gipfel im Dezember 1999 in Helsinki wurde deshalb auf britisch-deutsch-französische Initiative hin das Planziel „Helsinki Headline Goal“ (HHG) ausgegeben. Das HHG sollte dafür sorgen, dass die EU-Staaten die notwendigen militärischen Fähigkeiten erhalten, um künftig einen ähnlichen Einsatz wie dem im Kosovo auch ohne amerikanische Unterstützung bewältigen zu können. Zu den im HHG ausgemachten Defiziten zählte damals bereits der strategische Lufttransport.

Drei Jahre später, im November 2002, startete die NATO bei ihrem Gipfeltreffen in Prag mit ihrer „Prager Verpflichtungserklärung“ (Prague Capabilities Commitment, PCC) ein Programm, das die Bündnisstaaten darin bestärken sollte, den Schwerpunkt ihrer Verteidigungsausgaben gezielt auf die Beseitigung der kritischsten Fähigkeitslücken zu legen. Auch beim PCC stand der strategische Lufttransport auf der Defizitliste an vorderer Stelle.

NATO und EU unterzeichneten nach diesen politischen Grundsatzentscheidungen am 28. Juni 2004 schließlich eine Absichtserklärung (Memorandum of Understanding, MoU) über eine Zwischenlösung für einen derartigen strategischen Lufttransport. Die unter dem Kürzel „SALIS“ bekannt gewordene befristete Lösung hieß zunächst „Strategic Air Lift Interim Solution“, später dann „Strategic Airlift International Solution“.

Die Ukrainer jetzt mit deutschem Logistik-Partner

Das MoU führte eineinhalb Jahre später, am 23. Januar 2006, zum ersten SALIS-Vertrag. Vertragspartner war damals die NSPA-Vorgängerorganisation NAMSA (NATO Maintenance and Supply Agency) für die Nutzerländer auf der einen und die Ruslan SALIS GmbH in Leipzig auf der anderen Seite. Die Gesellschaft war zuvor durch die Unternehmensgruppe Volga-Dnepr Airlines (Russland) und Antonov Design Bureau (Ukraine) gegründet worden. Im Oktober 2006 wurde auf dem Flugplatz Leipzig/Halle die flugtechnische Wartungsbasis für russische und ukrainische Flugtechnik eröffnet.

Nach der Krimkrise im März 2014 zeigten sich im russisch-ukrainischen Joint Venture erste Risse. Es zerbrach 2016. Mit Jahresbeginn 2017 agierten die früheren Partner getrennt. Die NATO hatte jetzt mit der Ruslan SALIS GmbH (Auftragnehmer Volga-Dnepr Airlines) und Antonov SALIS GmbH (Auftragnehmer Antonov Design Bureau) zu tun.

Seit dem 1. Januar 2019 werden die Lufttransportmissionen für die NATO und Europäische Union nur noch von der Antonov Logistics SALIS GmbH durchgeführt. Das Unternehmen mit Geschäftsführer Oleksandr Grytsenko hatte sich am 10. September vergangenen Jahres ins Handelsregister eintragen lassen. Unter „Gegenstand des Unternehmens“ heißt es dort: „Alle Tätigkeiten in Bezug auf die Erbringung von Logistikdienstleistungen. Dies beinhaltet den Land-, See-, Luft-, Schienenverkehr sowie die Lagerhaltung, darunter insbesondere die Organisation, vertragliche Durchführung, Unterstützung und der Verkauf von Chartertransporten und regulären Transporten von Gütern auf dem Luftwege, vornehmlich mit Flugzeugen des Typs Antonov, insbesondere zur Erfüllung eines Vorhaltechartervertrages mit der [NSPA], den diese im Rahmen des Projekts [SALIS] namens der teilenehmenden NATO- und EU-Mitglieder abschließt.“

Die Gesellschaft gehört zu 51 Prozent der Antonov Airlines; die übrigen 49 Prozent sind im Besitz des deutschen Logistikers Aircargonet International, dessen Geschäftssitz sich in Mörfelden-Walldorf befindet. Aircargonet International wird die Transportlogistik bereitstellen und die Ersatzteilversorgung der beiden am Flughafen Leipzig/Halle stationierten An-124-100 sicherstellen. Seit September vergangenen Jahres sind die hessischen Frachtspezialisten alleiniger Vertriebspartner von Antonov in Deutschland.

Eine drastische Verringerung der Blockstunden

Das russische Frachtflugunternehmen Volga-Dnepr hatte die NATO-Agentur NSPA am 12. April vergangenen Jahres über seine Rückzugspläne informiert. Das Fachportal Cargo Forwarder Global berichtete drei Tage später als erstes Medium über diese Entscheidung. Demnach habe Volga-Dnepr entschieden, sich künftig auf den Transport ziviler Güter konzentrieren und kein militärisches Gerät mehr für westliche Staaten befördern zu wollen.

Nach dem Ausstieg der russischen Gesellschaft aus dem SALIS-Projekt hat sich nun die Transportkapazität, die der NATO und EU für die Materialversorgung ihrer Kräfte in Auslandseinsätzen zur Verfügung steht, drastisch verringert: von vormals 2300 Blockstunden jährlich auf jetzt nur noch rund 900 Stunden. Die Kapazität für diese 900 Block- oder Flugzeitstunden gewährleistet die Antonov Logistics SALIS GmbH. (Anm.: Die Bilanzkennzahl „Blockstunde“ wird gemessen von dem Zeitpunkt an, an dem das Flugzeug zum ersten Mal aus eigener Kraft aus seiner Parkposition zum Start rollt bis hin zum Abstellen aller Triebwerke auf der zugewiesenen Parkposition am Zielflughafen.)


Zu unserem Bildangebot:
1. Am Flughafen Leipzig/Halle wurden und werden mit dem Großraumtransporter An-124-100 auch Transportflüge für die Bundeswehr nach Afghanistan durchgeführt; das Bild vom 25. Januar 2012 zeigt die Verladung eines schweren geschützten Berge- und Abschleppfahrzeugs Bison in die ukrainische Antonov.
(Foto: Michael Mandt/Bundeswehr)

2. Großraumfrachtflugzeug An-124-100 des Auftragnehmers Antonov Design Bureau auf der Runway.
(Foto: amk)

3. Eine ukrainische An-124-100 am 24. Juni 2015 auf dem Fliegerhorst Holzdorf – entladen wird ein Transporthubschrauber CH-53 der deutschen Luftwaffe.
(Foto: Bensen84/Wikipedia/unter Lizenz CC BY-SA 3.0 de –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)

Kleines Beitragsbild: An-124-100 des ukrainischen Unternehmens Antonov; die Aufnahme stammt vom 17. Juli 2007.
(Foto: Juergen Lehle, albspotter.eu/Wikipedia/unter Lizenz CC BY-SA 3.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)


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