menu +

Nachrichten


Göttingen. In Deutschland, Europa und vielen Teilen der Welt bereiten sich derzeit Christen auf das Weihnachtsfest vor. „Christliche Gemeinschaften besonders in islamisch geprägten Ländern werden dieses wichtige Fest hingegen nicht in Frieden begehen können“, befürchtet der syrisch-kurdische Historiker Kamal Sido. Sido, seit 2006 Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen, beschreibt die aktuelle Lage im Nahen Osten: „In Syrien und im Irak, die seit Jahren von Chaos und Bürgerkriegen erfasst sind, fühlen sich die wenigen verbliebenen Christen immer unsicherer – und auch andere nicht-muslimische Volksgruppen wie Yeziden, Mandäer oder Bahai stehen unter Druck.“ Fehlende Staatsordnung und marodierende islamistische Milizen seien die Hauptgefahren für Christen in diesen Ländern.

Nach Informationen der GfbV lebten im Sommer dieses Jahres im Irak weniger als 150.000 Christen. Bevor die USA im März 2003 in das Land einmarschierten, zählte man dort noch rund 1,5 Millionen Iraker christlichen Glaubens. „Innerhalb von einer Generation schrumpfte die christliche Bevölkerung also um 90 Prozent“, so Sido. „Das gleiche Phänomen zeigt sich in Syrien: Mitte des Jahres 2017 gab es dort schätzungsweise um die 500.000 syrische Christen – verglichen mit mehr als 1,5 Millionen vor Beginn des Konflikts im Jahr 2011.“ Diese Massenauswanderung der Christen aus dem Nahen Osten habe ihren Höhepunkt zwischen 2017 und 2018 erreicht, erklärt der Referent der GfbV.

Nach der Zerschlagung des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) im Norden und Osten Syriens durch die von Kurden angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces, SDF) hatte sich die Situation für religiöse Minderheiten in Teilen Syriens und Iraks zunächst verbessert. Aber – so beklagt Sido: „Durch den völkerrechtswidrigen Einmarsch der Türkei in Nordsyrien und die wiederholten Luftangriffe dieses NATO-Landes auf kurdische Stellungen im Irak sind nun viele IS-Schläferzellen aktiv geworden.“ Bombenanschläge mit vielen zivilen Opfern hätten wieder zugenommen.

Viele Christen in dieser Region sprechen von einem neuen Genozid

Während die Türkei radikale sunnitische Milizen unterstütze und finanziere, erhielten schiitische Milizen Hilfe vom Iran. Der Nahost-Experte: „Diese Gruppen sind zwar untereinander verfeindet; einig sind sie sich jedoch bei der Verfolgung von Christen, Yeziden, Mandäern, Bahai und Juden. In Syrien betrachten die von der Türkei unterstützen sunnitischen Islamisten selbst die muslimische kurdische Bevölkerung als Feinde des Islam, weil die meisten Kurden das Scharia-Recht strikt ablehnen.“ All dies führe zu Flucht und Auswanderung.

Durch die fortgesetzte Unterdrückung und Verfolgung, gezielte Entführung und Ermordung von Christen im Irak und in Syrien sei das christliche Leben in diesen Ländern stark bedroht, warnt Kamal Sido. Viele Christen bezeichneten die Situation als „neuen Genozid“. Und: „Sie erwarten von den großen christlichen Kirchen in Deutschland, Europa und in den USA mehr Beistand und Solidarität. Es braucht Druck auf die Politik, damit endlich konkrete Konzepte für eine friedliche Lösung auf den Tisch kommen“, rät der Referent der Göttinger Gesellschaft. „Nur dann wird sich die Lage der Christen und anderer Volksgruppen in der Region verbessern und die Flucht und Auswanderung enden.“


Kompakt                                  

Die 1970 gegründete Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) ist eine international tätige nichtstaatliche Organisation (Non-Governmental Organization, NGO), die sich für den Schutz von Minderheiten weltweit einsetzt, insbesondere für die Rechte von religiösen, sprachlichen und ethnischen Minderheiten. Der Verein wendet sich gegen jeden Versuch, ein Volk, eine ethnische oder religiöse Gemeinschaft oder Minderheit, ihre Sicherheit, ihr Leben, ihr Recht auf Eigentum und Entwicklung, Religion sowie ihre sprachliche und kulturelle Identität zu zerstören. Die GfbV tritt für die Menschenrechte ein, indem sie Völkern, ethnischen und religiösen Gemeinschaften und Minderheiten, die in dieser Art – insbesondere von Genozid, Ethnozid und Vertreibung – bedroht sind, durch Beschaffung und Verbreitung zuverlässiger Informationen, durch Lobbyarbeit, politische Kampagnen, konfliktpräventive Initiativen sowie durch den Einsatz für Flüchtlinge bedrohter Völker hilft.
Die ursprünglich rein deutsche Organisation ist mit unabhängigen Sektionen in Österreich, der Schweiz, Italien (Südtirol), Bosnien-Herzegowina sowie im Irak vertreten und hat Repräsentanten in London und in Luxemburg. Sie alle sind in der GfbV International mit Sitz in Berlin zusammengeschlossen.
Der Einsatz der GfbV ist von den Vereinten Nationen anerkannt und wird mit einem Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat gewürdigt. Damit hat die GfbV vor den Gremien der Vereinten Nationen Rederecht. Beim Europarat hat die Gesellschaft „mitwirkenden Status“.


Unser Symbolfoto zeigt Christen in Syrien während eines Gottesdienstes.
(Bild: nr)

Kleines Beitragsbild: Griechisch-orthodoxes Kloster Sankt Georg im Dorf Humaira bei Marmarita im Nordwesten Syriens. Das „Tal der Christen“, in dem sich das Kloster befindet, ist seit dem 6. Jahrhundert ein regionales Zentrum der griechisch-orthodoxen Kirche. Im August 2013 war das Sankt-Georgs-Kloster von islamistischen Extremisten attackiert und schwer beschädigt worden.
(Foto: Heretiq/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 2.5 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN