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Berlin/Königswinter. Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, die radikal-islamischen Taliban zu einer Friedenskonferenz für Afghanistan – ähnlich der Petersberger Konferenz 2001 – einzuladen. Dies geht aus einer Unterrichtung zu Afghanistan hervor, die das Auswärtige Amt an ausgewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestages verschickt hat und die dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel (Mittwochausgabe, 13. Februar) vorliegt. Das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL und andere Leitmedien berichteten ebenfalls über dieses „Strategiepapier“. Es soll, so der SPIEGEL, „zwischen Kanzleramt, Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium abgestimmt“ worden sein.

Laut Vorabmeldung des Tagesspiegel soll sich Deutschland „bereit erklärt [haben], auf Wunsch der Konfliktparteien seine guten Dienste zur Ermöglichung eines Friedensprozesses zur Verfügung zu stellen, beispielsweise durch die Veranstaltung einer weiteren Petersberger Konferenz unter Einschluss der Taliban in einem dafür geeigneten Stadium der Verhandlungen“.

Auf der ersten Afghanistan-Konferenz, die vom 27. November bis zum 5. Dezember 2001 auf dem Petersberg über Königswinter nahe Bonn stattfand, war unter Beteiligung verschiedener afghanischer Gruppierungen ein Stufenplan zur Machtübergabe an eine demokratisch legitimierte Regierung nach der Entmachtung der Taliban verabschiedet worden. Das damalige Abkommen leitete den sogenannten „Petersberg-Prozess“ ein, der zur Befriedung und schließlich zur Demokratisierung Afghanistans – so die übergeordnete Zielvorgabe – führen sollte. Es folgte eine ganze Reihe weiterer Afghanistan-Konferenzen.

Rund 15,5 Milliarden US-Dollar in Afghanistan „spurlos verschwunden“

Heute ist die Lage in Afghanistan bekanntermaßen brisant und weit entfernt von „Befriedung und Demokratisierung“. Erst im Januar hatte eine Delegation des Verteidigungsausschusses des Bundestages unsere Soldaten am Hindukusch besucht, um sich ein Bild aus erster Hand vom Stand der Dinge machen zu können (siehe hier). Deutschland hat momentan (Stichtag 4. Februar) 1199 Bundeswehrsoldaten zur „Resolute Support Mission“ (RSM) abkommandiert.

Ein aktueller Bericht über die Situation im Land stammt von John F. Sopko, dem US-Kontrolleur für den Wiederaufbau Afghanistans (Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction, SIGAR). Dazu gleich mehr. Zunächst ein Schwenk auf den Juli vergangenen Jahres. In jenem Monat hatte Sopko eine entsprechende Anfrage von Abgeordneten des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten zu den seit 2008 nach Afghanistan transferierten Geldmitteln beantwortet. Seinen damaligen Angaben zufolge sind in den letzten zehn Jahren rund 15,5 Milliarden US-Dollar der amerikanischen Steuerzahler durch Verschwendung, Betrug und Misswirtschaft am Hindukusch „verbrannt“ worden (wir berichteten).

Dass der Afghanistaneinsatz in finanzieller Hinsicht einem Fass ohne Boden gleicht, ist schon lange keine neue Erkenntnis mehr. Wie aber steht es um die langfristigen Erfolge der USA und ihrer Verbündeten im Land?

Aufständische konnten ihren Einfluss innerhalb des Landes weiter ausbauen

Wie der am 30. Januar erschienene Vierteljahresbericht von SIGAR für den US-Kongress ausweist, hat der Einfluss der afghanischen Regierung auf die Bevölkerung erneut abgenommen. Dazu teilte das RSM-Hauptquartier in Kabul mit, dass zum Stichtag 31. Oktober 2018 rund 63,5 Prozent der Bevölkerung in Gebieten mit afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebten. Dies bedeutet im Vergleich mit dem Quartal zuvor einen Rückgang um 1,7 Prozent. Laut RSM konnten die Aufständischen ihre Kontrolle oder ihren Einfluss in Gebieten, in denen etwa 10,8 Prozent der Bevölkerung leben, leicht erhöhen. Die Zahl des Bevölkerungsanteils, der in weiterhin umkämpften Gebieten in Afghanistan lebt, stieg nach Angaben von RSM für den SIGAR-Report auf nunmehr 25,6 Prozent.

Eine weitere Größe, die die Kräfteverhältnisse in dem seit Jahren heftig umkämpften Land widerspiegelt, ist die Distriktanzahl. Im Bericht von SIGAR heißt es dazu: „Laut ,Resolute Support‘ kontrollierte oder beeinflusste die afghanische Regierung zum 31. Oktober vergangenen Jahres 53,8 Prozent der Gesamtzahl der Distrikte. Dies entspricht einem Rückgang von sieben staatlich kontrollierten oder beeinflussten Bereichen im Vergleich zum letzten Quartal und acht seit dem Vergleichszeitraum 2017. 12,3 Prozent der afghanischen Distrikte befinden sich nun offenbar unter aufständischer Kontrolle oder Einfluss. 33,9 Prozent der Distrikte sind nach wie vor umkämpft.“

Bundesregierung setzt auf „verlässliche und kalkulierbare“ Partner

Noch einmal zum Dossier der Bundesregierung. Nach Angaben des Tagesspiegel enthält das Papier klare Bewertungen der möglichen Folgen eines überstürzten amerikanischen Abzugs aus Afghanistan. „Sollten vor allem die USA ihr militärisches Engagement beträchtlich zurückfahren, wird die Bundesregierung ihr Handeln in Afghanistan einer gründlichen Überprüfung unterziehen“, zitiert der Tagesspiegel aus dem Regierungstext.

Und weiter: Die Bundesregierung könne „nicht ausschließen, dass die USA ihr militärisches Engagement perspektivisch von den Bemühungen um einen Friedensprozess entkoppeln und sich ohne umfangreiche Abstimmung mit den Partnern teilweise oder ganz aus Afghanistan zurückziehen“ werde. Der Einsatz der Bundeswehr in dem Land sei aber „politisch und praktisch an ein verlässliches und kalkulierbares multilaterales Zusammenwirken gebunden“.

Der Spiegel urteilt über das Dokument: „Dass die Bundesregierung ein solches Papier verfasst und den Bundestag unterrichtet, ist mehr als Symbolik. Offensichtlich wollen sich Kanzleramt, Außenamt und Verteidigungsressort deutlich vom Abzugsversprechen Trumps distanzieren. Zugleich doziert man für den US-Präsidenten, dass ein Abkommen mit den Taliban und die Befriedung Afghanistans komplizierter sind, als einen Wolkenkratzer zu bauen.“ In den Details illustriere das Dossier „Zeile für Zeile, wie groß die Differenzen zwischen Berlin und Washington sind“.

Redaktioneller NACHBRENNER

Am Mittwoch (13. Februar) spielte bei der Regierungspressekonferenz in Berlin auch der Komplex „Afghanistan“ eine wichtige Rolle. Rainer Breul, der Sprecher des Auswärtigen Amtes, machte dabei folgende Ankündigung: „Ich möchte […] darauf hinweisen, dass wir als Bundesregierung dem Bundestag für die jetzt anstehende Debatte über das Mandat ein sogenanntes Inputpapier zur deutschen Unterstützung des Friedensprozesses in Afghanistan zur Verfügung gestellt haben. Es ist gestern auch schon von einigen Blättern zitiert worden. Mit Zustimmung des Bundestages werden wir dieses Papier jetzt auch veröffentlichen. Sie finden es ab heute Nachmittag auf der Homepage des Auswärtigen Amtes.“

Das von uns in unserem Beitrag (vom 12. Februar) bereits thematisierte Dossier, offizieller Titel „Input-Papier zur deutschen Unterstützung des Friedensprozesses in Afghanistan zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages“, finden Sie unter dem Link: https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2189142/9f7f331b680d571710a4fb07d0a8afef/190213-inputpapier-breg-an-bt-data.pdf


Die Luftbildaufnahme vom 27. Mai 2012 zeigt die Stätte der ersten Afghanistan-Konferenz, den Petersberg bei Königswinter. Die Bundesregierung hatte ab 1954 das 17 Kilometer von Bonn entfernte Hotel mit dem atemberaubenden Blick ins umgebende Siebengebirge zunächst angemietet. 1979 war dann von ihr der Petersberg mit allen Gebäuden für 18,5 Millionen Mark erworben worden. 1985 hatten umfangreiche Umbauten, die letztlich zu einem fast völligen Abriss des bisherigen Gastronomiekomplexes führen sollten, begonnen. Rund 137 Millionen Mark flossen in die Baumaßnahmen bis der Komplex – betrieben von der Steigenberger-Hotelkette – im August 1990 wiedereröffnet werden konnte. Ein Jahr nach der Fertigstellung des Hotels, das sogar einen eigenen Hubschrauberlandeplatz hat, fiel die Entscheidung für Berlin als künftigem Regierungssitz. Als reguläres Gästehaus der Bundesregierung steht seit dem Berlin-Umzug nun das Schloss Meseberg, ungefähr 70 Kilometer nördlich der Hauptstadt gelegen, zur Verfügung.
(Foto: Wolkenkratzer/Wikipedia/unter Lizenz CC BY-SA 3.0 – vollständiger Lizenztext:
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

Kleines Beitragsbild: Die erste Afghanistan-Konferenz fand vom 27. November bis zum 5. Dezember 2001 auf dem Petersberg statt. Weitere Konferenzen zu Afghanistan folgten hier 2002 und 2011.
(Foto: Bundesregierung; Bildausschnitt: mediakompakt)


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