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Berlin/Bonn/Freising/München. Die Bundeswehr prüft derzeit einen ganz speziellen Hilfseinsatz: Soldaten und Gerät könnten in verschiedenen deutschen Waldregionen eingesetzt werden, um bei der Eindämmung der verheerenden Borkenkäfer-Plage zu helfen. Ute Kreienmeier vom nordrhein-westfälischen Gemeindewaldbesitzerverband schlägt Alarm: „Die Krise in den Wäldern hat die Vorstufe zur Apokalypse erreicht, wir kriegen das alleine nicht mehr gemanagt.“ In einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) appellierte die Geschäftsführerin am heutigen Mittwoch (21. August) in Bonn: „Wir brauchen dringend Hilfe.“ Das Bundesministerium der Verteidigung hat bereits reagiert …

Wie das Ministerium am gestrigen Dienstag (20. August) in seinem Onlineauftritt mitteilte, sind inzwischen schon „angesichts der immensen Herausforderungen bei der Bekämpfung der Borkenkäfer-Plage […] diverse Bitten um Unterstützung an die Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe herangetragen worden“. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer rät nun den betroffenen Bundesländern, sich mit militärischen Landeskommandos vor Ort in Verbindung zu setzen, „um für den Fall der Hilfenotwendigkeit die erforderlichen Maßnahmen einleiten zu können“.

Das Ministerium macht weiter darauf aufmerksam: „Neben dem Vorliegen der rechtlichen Zulässigkeit [ist] auch die Kenntnis des genauen Unterstützungsbedarfs notwendige Voraussetzung. In diesem Prozess sind präzise Fachgespräche unter Beteiligung der Betroffenen auf Ortsebene zu führen, um auf dieser Grundlage eine schnelle und zielgenaue Entscheidung zur Amtshilfe durch die Bundeswehr treffen zu können“.

Arbeitsgemeinschaft spricht von „Jahrhundertkatastrophe“

Die Bundeswehr kann Amtshilfe gemäß Artikel 35 Absatz 1 des Grundgesetzes leisten. Die Geschäftsführerin des Waldbesitzerverbandes der Gemeinden, Gemeindeverbände und öffentlich-rechtlichen Körperschaften in Nordrhein-Westfalen e.V. hatte in ihrem Gespräch mit dpa bereits angedeutet, wie und wo die Truppe jetzt mit anpacken könnte. „Die Soldaten können beim Markieren und Fällen geschädigter Bäume sowie bei deren Entrindung und Abtransport unterstützen“, schlug Kreienmeier vor. Das befallene Holz müsse so schnell wie möglich aus den Wäldern geschafft werden, damit sich die Käfer von dort nicht weiter ausbreiten könnten. Man habe mittlerweile so viel Holz im Wald liegen, dass man mit dem Abtransport einfach nicht mehr nachkomme.

Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW), die ihren Sitz in Berlin hat, spricht wegen der anhaltenden Borkenkäfer-Plage, der zahlreichen Sturmschäden und der langanhaltenden Dürre bereits von einer „Jahrhundertkatastrophe“.

Mittlerweile Schäden in Höhe von rund 2,1 Milliarden Euro

Eine Pressemitteilung der AGDW zur „Krise im Wald“ nennt Details – die Waldeigentümer warnen: „Der Klimawandel ist in den Wäldern angekommen. Die Dürre im Jahr 2018, die vorangegangenen Stürme und die anhaltende Trockenheit in 2019 haben dem Wald in Deutschland zugesetzt. Ein einzelnes Extremwetterereignis würde der Wald verkraften, eine ganze Kette jedoch aus Stürmen, Dürre, Trockenheit und Schneebruch, wie sie in jüngerer Zeit auftreten, hat zu einer Jahrhundertkatastrophe in den Wäldern geführt.“

Betroffen seien alle Baumarten, Nadel- wie Laubbäume gleichermaßen, so der Dachverband der kommunalen und privaten Waldeigentümer in Deutschland. „Jede Baumart hat ihren Schädling: Borkenkäfer und Nonnenspinner setzen Fichten und Kiefern zu. Buchen und Erlen leiden unter einem Pilzbefall, die Eiche unter dem Eichenprozessionsspinner, der schwere gesundheitliche Folgen auch für den Menschen haben kann.“

Mittlerweile sind die Schäden an den Bäumen auch für den Laien nicht mehr zu übersehen. Kahlflächen, vertrocknete Bäume und Jungpflanzen, abgebrochene Bäume und Äste gehören seit einigen Monaten zum Waldbild dazu. Und die Schäden sind enorm: Rund 70 Millionen Festmeter Schadholz, ein Waldverlust von etwa 110.000 Hektar und Kosten zur Beräumung der Schäden in Höhe von etwa 2,1 Milliarden Euro sind nach Berechnungen der AGDW das vorläufige Resultat dieser Krise.

Für die Wiederbewaldung werden nach Angaben des Dachverbandes zunächst rund 300 Millionen Bäume und ein Finanzvolumen von etwa 640 Millionen Euro benötigt.

Massenhafte Vermehrung des Fichtenborkenkäfers in Mitteleuropa

Auch Forstwissenschaftler sind tief beunruhigt. „Wir haben bei fast allen Baumarten täglich Hiobsbotschaften über Vitalitätsminderung und Schäden“, teilte Olaf Schmidt vor Kurzem erst der Presse mit. Für den Präsidenten der in Freising beheimateten Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF), eine Forschungseinrichtung der Forstverwaltung in Bayern, steht auch die massenhafte Vermehrung der Fichtenborkenkäfer in Mitteleuropa im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Schmidt erklärte: „Normalerweise kann die Fichte die Käfer durch Harzbildung abwehren. Aber wenn es zu trocken wird, hat sie kein Wasser und damit kein Harz mehr. Dann kann es innerhalb weniger Wochen zum Absterben der Bäume kommen.“

Im Kampf gegen die Borkenkäfer ist es wichtig, befallenes Holz möglichst schnell zu entfernen, weil sich die Forstschädlinge in rasender Geschwindigkeit auf benachbarte Bäume ausbreiten. Mit dem Holztransport kommen vor allem viele private Waldbesitzer kaum hinterher.

Bundesland Bayern wartet die weitere Entwicklung ab

Oberstleutnant Carsten Spiering, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Landeskommando Bayern, hat jetzt dem Bayerischen Rundfunk auf Anfrage dargelegt, wie ein Einsatz von Soldaten in den bayerischen Wäldern zur Bekämpfung der Borkenkäfer-Plage ablaufen könnte. Wenn das Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einen Antrag auf Amtshilfe stellen würde, könnte in anschließenden Fachgesprächen der Bedarf ermittelt und auch die Möglichkeiten der Bundeswehr ausgelotet werden. Der Ablauf sei mit der Waldbrandbekämpfung in Norddeutschland oder dem Einsatz bei der Schneekatastrophe in Süddeutschland vergleichbar, sagte Spiering dem Sender.

Seiner Einschätzung nach könnten beispielsweise Bergepanzer Schneisen in den Wald ziehen und Stämme herausschaffen. In erster Linie biete die Bundeswehr „Manpower“ an, so der Offizier. Soldaten könnten mit Spezialwerkzeugen, das von der Forstverwaltung zur Verfügung gestellt würde, bei der Entrindung der befallenen Bäume mithelfen.

Wie der Bayerische Rundfunk weiter berichtete, habe das Landwirtschaftsministerium bislang einen Bundeswehreinsatz noch nicht in Erwägung gezogen. Dies habe Ministeriumssprecher Peter Issig mitgeteilt, gleichzeitig aber auch darauf hingewiesen, dass man abwarten müsse, wie sich die Lage weiter entwickle. Medienberichten zufolge haben die Bundesländer Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern bereits Amtshilfeanträge gestellt.


Zu unserer Bildfolge:
1. Nationalpark Bayerischer Wald zwischen der Ortschaft Waldhäuser und der Erhebung Lusen – die Aufnahme vom 18. August 2004 zeigt Schäden, die der Borkenkäfer angerichtet hat. In den Folgejahren breitete sich im Nationalpark besonders in den Hochlagen, in denen Berg-Fichtenwälder dominieren, der Borkenkäfer rasch aus. Bis Ende 2011 beispielsweise starben etwa auf 7558 Hektar die alten Fichtenbestände großflächig ab, das entsprach zu jener Zeit etwa 31 Prozent der Nationalparkfläche.
Übrigens: Die Bekämpfung des Borkenkäfers ist und bleibt ein kontrovers diskutiertes Thema – dies lässt sich am Beispiel des Nationalparks Bayerischer Wald gut beobachten. Als im Juli 2011 ein Gewittersturm des Tiefs „Meikel“ über die Region hinwegfegte, wurden enorme Fichtenbestände niedergeworfen. Der gewaltige Windwurf stellt die Nationalparkverordnung, in der die konsequente Borkenkäfer-Bekämpfung und somit auch die Aufarbeitung von Windwurf vorgeschrieben sind, auf eine Belastungsprobe. Die Fachleute standen damals vor der Entscheidung, die umgestürzten Fichten rasch zu entrinden und zu entfernen, um dem Borkenkäfer die Möglichkeit zu entziehen, auch noch auf großer Fläche übrige Fichtenbestände zu befallen. Allerdings – so das Gegenargument – würden dabei durch die Entnahme der enormen Holzmassen noch viel größere Kahlflächen als ohnehin schon entstehen. Schwere Holz-Erntemaschinen würden zudem die empfindlichen Waldböden zusätzlich massiv schädigen. Am Schluss fand sich ein Kompromiss zwischen Beseitigung vieler entwurzelter Fichten und Belassen des Totholzes nach dem Prinzip „Schutz der natürlichen Dynamik“
(Foto: Kurt Seebauer/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 3.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)

2. Einer der gefährlichsten Schädlinge in der Forstwirtschaft ist der Borkenkäfer. Die Aufnahme wurde nach dem Entfernen der Fichtenrinde gemacht und zeigt den Käfer in unterschiedlichen Entwicklungsstadien.
(Foto: Harald Kloth/Wikipedia/Wikimedia Commons/unter Lizenz CC BY-SA 4.0 –
vollständiger Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)

3. Schwere Forstmaschine zum Abtransport von Baumholz aus dem Wald.
(Foto: abadonian/AGDW)


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