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Berlin/Brüssel. Die Europäische Union unterstützt immer öfter zweifelhafte Staatschefs in Afrika, um Migranten und Flüchtlinge aufzuhalten. Das geht aus einer aktuellen Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik hervor, über die heute (19. April) die Wochenzeitung DIE ZEIT berichtete. „Die Hemmschwelle der EU und ihrer Mitgliedstaaten, im Zuge der Migrationskontrolle mit autoritären und fragilen Staaten zusammenzuarbeiten, ist […] in den vergangenen Jahren gesunken“, schreiben die Forscher.

Noch vor wenigen Jahren sei die Hilfe der Europäer an eine klare Bedingung geknüpft gewesen, erinnert Caterina Lobenstein in ihrem ZEIT-Beitrag „Schädliche Hilfen“. Wer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärke, habe Geld von der EU bekommen. Heute hätten sich die Prioritäten verschoben – zugunsten jener Staaten, die den Europäern die Flüchtlinge und Migranten vom Leibe hielten.

Die 81 Seiten starke Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit dem Titel „Migrationsprofiteure?“ warnt die europäischen Regierungen davor, nur auf schnelle Erfolge – also auf sinkende Flüchtlingszahlen – zu setzen. Die Migrationspolitik der EU sei geprägt von einer „Fixierung auf Wanderungsstatistiken“, so die Autoren und Herausgeber (Anne Koch, Annette Weber und Isabelle Werenfels). Dass diese Politik nebenbei Autokraten stärkt und vielerorts wirtschaftlichen Schaden anrichtet, werde bislang weitestgehend ausgeblendet.

Geld aus Europa kann in Afrika längst nicht alles regeln

Die Analyse des SWP-Teams konzentriert sich auf eine Reihe von Ländern, die dem Spektrum autoritärer Regime zuzuordnen sind: Ägypten, die beiden Maghreb-Staaten Algerien und Marokko, den Sahelstaat Niger sowie die am Horn von Afrika in einem „Migrationskomplex“ miteinander verbundenen Länder Sudan und Eritrea.

Koch, Weber und Werenfels haben dabei zwei grundsätzliche Probleme beobachtet, die die ganze Vielschichtigkeit eines „Migrationsmanagements“ offenlegen.

Erstens: Mit europäischem Geld soll eine schärfere Bewachung der der innerafrikanischen Grenzen und der Mittelmeerküste erkauft werden, aber nicht in und bei allen Staaten greift diese Taktik. So sind beispielsweise Geldüberweisungen von Migranten zurück in ihr Herkunftsland ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Gesamtsumme dieser Rücküberweisungen liegt in vielen Ländern deutlich höher als die Entwicklungshilfe, die die EU gewährt. Sie erlaubt größere Planungssicherheit in den zurückgebliebenen Familien, als entwicklungspolitische Projektmittel dies könnten.

ZEIT-Redakteurin Lobenstein kann sich den Hinweis nicht verkneifen: „Bemerkenswert ist dieser Punkt auch deshalb, weil im deutschen Innenministerium nach wie vor Beamte sitzen, die glauben, man könne mit europäischem Geld in Afrika fast alles regeln.“

Vorhandenes Wissen wird in den aktuellen Länderkooperationen kaum genutzt

Das zweite zentrale Problem hat mit langjährigen, gewachsenen Praktiken von Kooperationen zu tun, die nun möglicherweise durch europäische Instrumentarien konterkariert werden können.

Im ZEIT-Beitrag finden wir Beispiele: „In Niger etwa lebten bis vor Kurzem ganze Landstriche von der Unterbringung und vom Transport durchreisender Migranten und Flüchtlinge. Nun [sind] dort viele Menschen arbeitslos – vor allem junge Männer drohten von islamistischen Terroristen angeworben zu werden. Oder im Süden Algeriens. Dort treiben die Tuareg seit Jahrhunderten grenzüberschreitenden Handel, der nun durch verschärfte Kontrollen behindert [wird].“

Die SWP-Studie stellt allerdings fest: „Das in der Region wie in den einzelnen Staaten gebündelte und vorhandene profunde Wissen wird in den derzeitigen Migrationskooperationen Europas mit [den betreffenden] Staaten leider kaum genutzt.“

Klare rote Linien markieren und konsequent an ihnen festhalten

Die Studie „Migrationsprofiteure? Autoritäre Staaten in Afrika und das europäische Migrationsmanagement“ sendet an Europas Politiker und Bürokraten eine deutliche Warnung. Statt Transformationsrhetorik zu betreiben, sollten die Verantwortlichen eindeutige rote Linien im Menschenrechtsbereich definieren und an diesen in der konkreten Länderkooperation dann auch konsequent festhalten. Zudem müsse verhindert werden, dass „das Füllhorn an europäischen Programmen und Projekten innere gesellschaftliche und wirtschaftliche Ungleichgewichte verschärft oder Konflikte auslöst“.

Anne Koch, Annette Weber, Isabelle Werenfels und ihr Team haben mit ihrem Projekt vor allem eine große Gemeinsamkeit zwischen den untersuchten Ländern herausarbeiten können. Auch wenn die Migrationspolitik der EU je nach Verfasstheit der Partnerländer unterschiedliche Auswirkungen hat und das Maß an Zentralisierung, Durchsetzungskraft und Gestaltungswille der jeweiligen Regime entscheidend dafür ist, ob europäische Angebote eher als willkommener Zufluss von Projektgeldern oder als Gelegenheit zur Realisierung übergreifender politischer Ziele wahrgenommen werden, so eint doch ein Aspekt alle Nehmerstaaten. Die Autoren: „Machterhaltungsinteressen und Legitimationsstrategien der Eliten spielen [überall] für die Reaktion auf europäische Kooperationsangebote eine prägende Rolle.“


Zu unseren Bildern:
1. Lampedusa – 140 Kilometer vom afrikanischen Festland entfernt, 250 Kilometer vor Sizilien gelegen. An den Stränden der italienischen Mittelmeerinsel fanden sich in den vergangenen Jahren immer wieder Spuren geretteter Migranten, die den rund 20 Quadratkilometer großen „Flecken aus Stein“ (so der SPIEGEL im September 2017 in seiner Reportage über die „Insel der Rettung, Insel des Schreckens“) erreicht hatten. Mittlerweile kommen hier immer weniger Asylbewerber an – eine Folge der geänderten europäischen Flüchtlingspolitik. Die Aufnahme wurde am 5. März 2010 gemacht.
(Foto: Phil Behan/UNHCR/United Nations)

2. Gerettete afrikanische Flüchtlinge auf Sizilien im Hafen von Augusta. Das Bild stammt vom 3. Juni 2015.
(Foto: Francesco Malavolta/International Organization for Migration, IOM)

Kleines Beitragsbild: 5. August 2013 – dem Tod auf hoher See entkommen. Bootsflüchtlinge, die von der italienischen Küstenwache gerettet werden konnten.
(Foto: Francesco Malavolta/International Organization for Migration, IOM)


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