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Berlin. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will eine grundlegende Neuausrichtung und einen damit verbundenen Umbau der Bundeswehr einleiten. Dies legt der Entwurf der neuen „Konzeption der Bundeswehr“ nahe, der am 20. April dem Verteidigungsausschuss und dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages zur Kenntnisnahme übermittelt wurde. Im Begleitschreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bundesministerin der Verteidigung, Peter Tauber, an die Gremien heißt es: „Als wesentliche Neuerung in der Konzeption […] ist die Gleichrangigkeit und Gleichzeitigkeit aller Aufgaben der Bundeswehr hervorzuheben.“ Damit werde die bislang gültige Priorisierung der Einsätze und Missionen im Rahmen des internationalen Krisenmanagements zulasten der Landes- und Bündnisverteidigung beendet, erklärt Tauber. Zugleich werde mit diesem neuen Konzept die „Landes- und Bündnisverteidigung als die anspruchsvollste Aufgabe mit dem höchsten Nachholbedarf“ definiert. Um es auf den Punkt zu bringen: Landes- und Bündnisverteidigung sollen künftig „gleichrangig“ neben den Auslandseinsätzen der Truppe stehen.

Wer kennt ihn nicht, den markanten Satz des früheren Verteidigungsministers Peter Struck, der so treffend den Aufgabenschwerpunkt der Bundeswehr in den vergangenen 16 Jahren beschreibt? „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt, wenn sich dort Bedrohungen für unser Land, wie im Falle international organisierter Terroristen, formieren.“ Struck tat diese Äußerung, die einen so mächtigen Nachhall haben sollte, am 11. März 2004 im Rahmen einer Regierungserklärung zur damaligen Bundeswehr-Reform (Thema der Erklärung: „Die neue Bundeswehr – auf richtigem Weg“).

Der mittlerweile verstorbene sozialdemokratische Verteidigungsminister sagte damals auch: „Die Sicherheitslage hat sich entscheidend verändert. Deutschland wird absehbar nicht mehr durch konventionelle Streitkräfte bedroht.“

Derzeit beteiligen sich 3764 Bundeswehrsoldaten (Stand 30. April) unmittelbar an zwölf Auslandseinsätzen; an zwei unterstützenden Missionen – in Westsahara und Libyen – nehmen insgesamt vier deutsche Soldaten teil. Die Einsätze in Afghanistan und in Mali sind die größten Auslandseinsätze der Bundeswehr überhaupt. Zu der „Resolute Support Mission“ in Afghanistan sind momentan 1116 Bundeswehrangehörige abkommandiert, zu MINUSMA in Mali 984. Auf dem Höhepunkt des internationalen Militärengagements im Kosovo und in Afghanistan waren es bis zu 10.000 deutsche Kräfte.

Landesverteidigung als Kernaufgabe der deutschen Streitkräfte

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will nun die Fokussierung auf die Auslandseinsätze zurückfahren, Landes- und Bündnisverteidigung soll wieder in den Mittelpunkt rücken. Zwar habe sich „der Charakter der Landes- und Bündnisverteidigung für Deutschland in seinem heutigen sicherheitspolitischen Umfeld im Gegensatz zu den in Zeiten des Kalten Krieges gültigen Annahmen signifikant gewandelt“, heißt es in dem Konzeptentwurf, der dem bundeswehr-journal vorliegt. Aber: „Landesverteidigung stellt eine Kernaufgabe der Streitkräfte dar.“ Und: „Landesverteidigung in Deutschland gegen konventionelle, symmetrische Angriffe ist immer ein Bündnisfall für die NATO und Beistandsfall für die EU.“

Das Grundsatzdokument legt auch fest, dass „unter Umständen“ auch groß angelegte asymmetrische beziehungsweise terroristische Angriffe oder massive Cyberattacken zu einer Feststellung des Spannungs- und Verteidigungsfalls“ führen können.

Kollektive Bündnisverteidigung wieder in den Fokus der NATO gerückt

Auch für den Aufgabenbereich „Bündnisverteidigung“ wollen die Planer jetzt die Konsequenzen aus den sicherheitspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre ziehen. Die kollektive Bündnisverteidigung sei inzwischen wieder in den Fokus der strategischen Überlegungen der NATO gerückt, schreiben die Autoren des Konzeptentwurfs.

Danach erläutern sie: „Die Bundeswehr trägt – der Bündnis- beziehungsweise Beistandspflicht in NATO oder EU folgend – umfassend zur (kollektiven) Bündnisverteidigung bei. Bündnisverteidigung kann sowohl das eigene als auch das Staatsgebiet eines anderen, uneingeschränkt souveränen Mitgliedstaates betreffen. Bündnisverteidigung in Deutschland oder auf dem Staatsgebiet eines Verbündeten ist eine gesamtstaatliche und multinationale Aufgabe.“

Die Bündnisverteidigung schließe die gemeinsame Abwehr von konventionellen ebenso wie asymmetrischen Angriffen und vergleichbaren terroristischen Anschlägen nicht-staatlicher Gewaltakteure ein, so der Text des Grundsatzdokuments. Deshalb blieben auch Abschreckung und Verteidigung auf Grundlage einer geeigneten Mischung aus konventionellen, nuklearen und Raketenabwehrfähigkeiten ein Kernelement, solange die NATO-Gesamtstrategie dies vorsehe.

Über das aktuelle Bedrohungsszenario erfahren wir: „Potenzielle symmetrische Gegner verfügen mit größeren Verbänden konventioneller Kräfte und deutlich verbesserten technologischen Fähigkeiten über ein Bedrohungspotenzial für das Bündnisgebiet. Es umfasst nicht mehr Quantitäten wie zu Zeiten des Kalten Krieges, die zeitgleich eine symmetrische Bedrohung entlang der gesamten Grenze des NATO-Vertragsgebiets erwarten lassen. Vielmehr können für militärische Aktionen schnell räumliche Schwerpunkte gebildet werden. Gleichzeitig dürfte das Vorgehen konventioneller Streitkräfte eingebettet sein in eine hochagile hybride Gesamtstrategie, die auch spitzentechnologische Möglichkeiten nutzt. Letztlich kann das ganze Bündnisgebiet im gesamten Spektrum staatlichen und gesellschaftlichen Handelns in schneller Abfolge Ziel gegnerischer Aktionen werden. Die nach wie vor doktrinär hinterlegte und faktisch vorhandene Möglichkeit eines Einsatzes von nuklearen Waffen komplementiert dies.“

Die „digitale Bundeswehr“ konsequent fortentwickeln

Ein weiterer Schwerpunkt der neuen Bundeswehr-Konzeption ist laut Staatssekretär Tauber das Thema „Cyber-Sicherheit und Cyber-Verteidigung“. Die neue Konzeption der Bundeswehr setze so die mit der Einrichtung des neuen Organisationsbereichs „Cyber“ begonnene Entwicklung einer digitalen Bundeswehr konsequent fort. Tauber fordert: „Dabei gilt es, gleichermaßen die Prozesse innerhalb der Bundeswehr zu digitalisieren – beispielsweise in der Logistik oder in der Verwaltung – als auch die operationellen Aspekte der Digitalisierung – ,digitales Operationsgebiet‘ – aktiv auszugestalten.“

Im Grundsatzpapier heißt es dazu unter anderem: „Verteidigungsaspekte der gesamtstaatlichen Sicherheit und Integrität im Cyber- und Informationsraum und der dafür erforderliche resiliente Einsatz, Betrieb und Schutz des IT-Systems der Bundeswehr sind als Dauereinsatzaufgabe wahrzunehmen. Die Rolle der Bundeswehr und deren Aufgaben in der gesamtstaatlichen Cyber-Sicherheitsarchitektur leiten sich für die Zusammenarbeit der Ressorts aus der jeweils aktuellen Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland ab. Bestimmte Aspekte der Cyber-Sicherheit berühren den verfassungsgemäßen Auftrag der Bundeswehr zur Landesverteidigung. Dazu gehören unter anderem Beiträge zum Schutz kritischer Infrastrukturen oder auch die Sicherstellung der eigenen Handlungsfähigkeit gegen Angriffe aus und durch den Cyberraum. Hinsichtlich der verteidigungspolitischen Aspekte der Cyber-Sicherheit und deren Umsetzung im multinationalen Kontext orientiert sich die Bundeswehr an den Rahmenvorgaben der NATO.“

 Auslandseinsätze und Bündnisverteidigung gleichermaßen bewältigen

Die neue Konzeption soll im Juni veröffentlicht werden. Sie präzisiert letztendlich die neue strategische Ausrichtung der Bundeswehr, die bereits im „Weißbuch zur Sicherheitspolitik“ von 2016 beschrieben ist. Als weiterer konzeptioneller Schritt nach „Weißbuch“ und „Konzeption der Bundeswehr“ wird das künftige „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ folgen. In diesem Dokument sollen dann konkret die erforderlichen Ressourcen für die Streitkräfte nach Qualität und Quantität genannt werden. Und wohl auch die damit verbundenen Kosten …

Nach einem ausführlichen Blick in das neue Konzeptpapier sagte der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung: „Da steht drin, was alle seit Monaten diskutieren: Die Bundeswehr muss heute beide Aufgaben bewältigen können – Bündnisverteidigung und Auslandseinsätze gleichermaßen.“ Die Anforderungen an die Einsatzbereitschaft würden damit sogar noch „deutlich größer“.

Der haushalts- und sicherheitspolitische Experte der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Tobias Lindner, gab im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung zu bedenken. „Wenn dieses Konzept so kommt, wird es die Truppe in den nächsten zehn Jahren massiv verändern.“ Es laufe auf eine Bundeswehr-Reform hinaus, die nicht so heißen solle. Lindner forderte deshalb die Verteidigungsministerin auf, ihre Ideen im Bundestag zur Diskussion zu stellen.

Das allerdings müsste Ursula von der Leyen nicht. Es genügt ein ministerieller Erlass, um das Konzeptpapier in Kraft zu setzen. Eine parlamentarische Debatte – geht es doch um unsere Parlamentsarmee – wäre aber allemal angeraten.


Unser Bild zeigt das Mittlere Artillerie Raketensystem – kurz MARS – der Bundeswehr. Die Aufnahme entstand am 23. August 2017 auf dem schwedischen Testgelände Vidsel. Dort probte das Artillerielehrbataillon 345 aus Idar-Oberstein.
(Foto: Mario Bähr/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Das Symbolfoto zum Thema „Landes- und Bündnisverteidigung“ wurde am 11. Oktober 2017 bei der Informationslehrübung des deutschen Heeres auf dem Truppenübungsplatz Bergen gemacht. Wir sehen Soldaten vom Jägerbataillon 91, die eine Ortschaft sichern, während Panzergrenadiere mit Schützenpanzer Marder nachgeführt werden.
(Foto: Marco Dorow/Bundeswehr)


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