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Mainz. Die deutschen Streitkräfte sind lange Zeit vernachlässigt worden. Heute fehlt Personal, die Ausrüstung der Soldaten ist diskussionswürdig, viele Waffensysteme sind nur teilweise einsatzbereit. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete in diesem Jahr in Berlin den Zustand der Truppe bereits als „unbefriedigend“. Milde formuliert! Auf der anderen Seite nehmen die Anforderungen an die Bundeswehr immer mehr zu: Neben zahlreichen Bündnisverpflichtungen sind es vor allem die Auslandseinsätze, die den Männern und Frauen in Uniform vieles abverlangen (derzeit – Stand 17. September – beteiligen sich 3470 Bundeswehrangehörige unmittelbar an zwölf Auslandsmissionen). Der Frust in den Reihen der Soldaten ist groß und wird größer. John A. Kantara, freier Journalist und TV-Autor, stellt in seiner Dokumentation „Armee ohne Kompass“ die Frage nach der Zukunft von Deutschlands Militär. „Armee ohne Kompass – wohin marschiert die Bundeswehr?“ wird am Mittwoch dieser Woche (26. September) ab 22:45 Uhr im ZDF gezeigt.

Früher gab es die Allgemeine Wehrpflicht, und die Aufgabe der Bundeswehr war klar: Sie sollte die Landesgrenze verteidigen. Heute ist die Bundeswehr eine Berufsarmee, und deutsche Soldaten sind an einem Dutzend Auslandseinsätze beteiligt, darunter auch Kampfeinsätze.

Vor allem Soldaten im Auslandseinsatz wünschen sich Rückhalt in der Gesellschaft und die volle Unterstützung der Politik. Aber daran mangele es, klagen viele Bundeswehrangehörige. In Kantaras Dokumentation (der Filmemacher war übrigens selbst in den Jahren 1985 und 1986 als Wehrpflichtiger bei der Marine) kommt unter anderem Hauptfeldwebel Alex P. zu Wort. Er war beim sogenannten „Karfreitagsgefecht“ 2010 in Afghanistan dabei und wurde schwer traumatisiert.

Der Portepeeunteroffizier: „Die Leute wissen nicht, was Todesangst ist. Sie wissen nicht, dass man Angst hat um seine Kameraden.“ Und: „Eine Vorstellung vom ,soldatischen Leben‘ haben die wenigsten außerhalb der Bundeswehr.“ Eine breite Schicht der Gesellschaft sei zudem entschieden gegen den militärischen Einsatz der Bundeswehr oder zeige gar kein Interesse an der Truppe – und das würde viele Soldaten verbittern.

Wehrbeauftragter warnt vor Vernachlässigung der politischen Bildung

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, kennt die Nöte der Soldaten. Auch mit ihm hat Kantara gesprochen.

Bartels fürchtet, dass durch die hohe Auftragsbelastung der Truppe die so wichtige politische Bildung im Zweifel eher mal vom Dienstplan gestrichen wird. Dies dürfe man aber keinesfalls hinnehmen, warnt der SPD-Politiker. Wer wolle, dass Männer und Frauen in der Bundeswehr dienen, müsse ihnen erklären, was sie machen sollen und vor allem, warum sie es tun sollen. Denn am Ende entscheiden nicht sie über die Beteiligung Deutschlands an Auslandsmissionen, sondern die Politik beziehungsweise die gewählten Volksvertreter. Die politische Entscheidung verpflichte die Verantwortlichen zugleich zu mehr Ehrlichkeit, so Bartels.

Professur in Berlin und Träger verschiedener Medienpreise

Der gebürtige Bonner John A. Kantara studierte nach dem Abitur an der Freien Universität in Berlin Politikwissenschaft und später an der City University in London Internationalen Journalismus. Seit 2000 ist er als freier Journalist und TV-Autor unter anderem für ARD, ZDF und arte tätig. Darüber hinaus schreibt er für verschiedene in- und ausländische Zeitungen. Im Mai 2011 übernahm er eine Professur für Journalistik an der DEKRA Hochschule für Medien in Berlin.

Kantara wurde für etliche seiner Arbeiten ausgezeichnet. So erhielt er 2007 für einen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung den Journalistenpreis „PUNKT“, ein Preis, mit dem besondere Leistungen im Bereich Technik-Journalismus prämiert werden. 2010 wurde ihm der Europäische Journalistenpreis verliehen, 2012 der Georg von Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus und 2013 der Otto-Brenner-Preis für kritischen Journalismus.


Randnotiz                                  

„Armee ohne Kompass – wohin marschiert die Bundeswehr?“, Dokumentarfilm für das ZDF von John A. Kantara. Sendetermine:
– Mittwoch, 26. September 2018, (22:45 bis 23:15 Uhr) im ZDF-Reportageformat ZDFzoom;
– Mittwoch, 14. November 2018, (20:15 bis 20:45 Uhr) in ZDFinfo.
Alle Angaben ohne Gewähr.


Zu den beiden Symbolbildern:
1. Informationslehrübung „Landoperationen 2017“ auf dem Truppenübungsplatz Bergen – Soldaten vom Jägerbataillon 91 sichern eine Ortschaft, Panzergrenadiere mit Schützenpanzer Marder werden nachgeführt. Die Aufnahme stammt vom 11. Oktober 2017.
(Foto: Marco Dorow/Bundeswehr)

2. Übung „Schneller Adler“ – Soldaten sichern das Gelände während der Landung des Mehrzweckhubschraubers NH90, der die notfallmedizinische Luftrettung Verwundeter (Forward Air MedEvac, FAM) durchführen soll. Das Bild entstand am 11. September 2018.
(Foto: André Forkert/Bundeswehr)


Kommentare

  1. Dr.-Ing. U. Hensgen | 28. September 2018 um 16:39 Uhr

    Der ZDF-Beitrag war überfällig. Die Bundeswehr muss mehr in das Bewusstsein der Bevölkerung und der Politiker rücken!

  2. T. Böhlendorf | 30. September 2018 um 23:20 Uhr

    Die desolate Lage der Bundeswehr ist vor allem auf Fehlentscheidungen und mangelndes fachliches Interesse des ehemaligen Verteidigungsministers Thomas de Maizière zurückzuführen. Insbesondere gilt dies für die Bevorratung und Beschaffung von Ersatzteilen, etwa für Großgerät.
    Die Abschaffung der Wehrpflicht, mehr jedoch der immer noch verkrampfte Umgang mit Militär und Soldaten in Deutschland, führen genau zur – im besten Falle – gesellschaftlichen Gleichgültigkeit, der die Soldaten ausgesetzt sind.
    Die Pannen in Bezug auf Beschaffung und Einsatzbereitschaft fallen in der öffentlichen Wahrnehmung auf die Soldaten zurück, da hier die Übernahme der (politischen) Verantwortung in der Öffentlichkeit fehlt. Eine Schande! Es sind indes die Soldaten, die täglich, weit über ihre Aufgaben hinaus, diese Mängel kompensieren und die Ausbildung aufrechterhalten.
    Um Unterstützung und Rückhalt für die Einsätze und mittelbar somit auch für Veteranen zu erreichen, muss offen über die Ziele der Missionen gesprochen werden. Jeder weiß, dass es nicht nur um humanitäre Fragen geht – und das ist auch berechtigt. Diejenigen, die via Smartphones oder Laptop skandieren „Kein Blut für Öl “, können dieses nur tun, da weltweit die Handelsrouten, der Rohstoffgewinn und die Stabilität in Absatzländern unter anderem durch den Einsatz von Soldaten sichergestellt werden. Und es ist eben diese daraus resultierende wirtschaftliche Stabilität und Kraft, die es Deutschland ermöglicht, seinen Bürgern Wohlstand und Flüchtlingen Hilfe zu gewährleisten.
    Die Bundeswehr bereitet sich seit Jahren nicht mehr auf ein unwahrscheinliches Gefecht an der Weser vor, sondern ist täglich weltweit im Einsatz und braucht dazu entsprechendes Material, auch in der Heimat zur Ausbildung! Es geht nicht an (wie selbst erlebt), dass Soldaten zwei Armeen erleben, nämlich zuhause und im Einsatz. Ausbildung ist für alle Bundeswehrangehörigen die beste Lebensversicherung. Und die gelingt nur mit den entsprechenden Mitteln.

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