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Berlin/Stuttgart-Möhringen. Der große Kontinent Afrika ist fest im Würgegriff von Extremisten und Terroristen aller Couleur, die in erster Linie von regionalen und lokalen Konflikten profitieren und sich deswegen weniger transnational orientieren. Zum Weltbild der in Afrika agierenden islamistischen Terroristen gehört zwar auch die Vision von einer „weltumspannenden islamischen Gemeinschaft“, wie Guido Steinberg und Annette Weber 2015 in ihrer Studie „Dschihadismus in Afrika“ schrieben (herausgegeben von der Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP). Seit 2003 und verstärkt seit 2011 sind jedoch nach Steinbergs Meinung deutliche Anzeichen für eine „Regionalisierung dschihadistischer Aktivitäten“ zu beobachten, also die zunehmende Konzentration terroristischer Gruppen auf ihre jeweiligen Heimatregionen. Diese unübersichtliche Gemengelage auch miteinander konkurrierender Schreckensorganisationen in Afrika macht es der westlichen Terrorismusbekämpfung so schwer. Ist in diesem Zusammenhang die amerikanische Übungsserie „Flintlock“ ein taugliches Mittel gegen das Krebsgeschwür „Terrormilizen in Afrika“?

Die „Flintlock“-Übungsreihe ist nach Angaben des United States Africa Command (AFRICOM), des sechsten und jüngsten Regionalkommandos der amerikanischen Streitkräfte mit Sitz in Stuttgart-Möhringen, die „größte Übung von Spezialkräften unter Verantwortung dieses US-Kommandos“. Die multinationale Übung findet seit 2005 alljährlich statt.

Laut AFRICOM ist „Flintlock“ nicht nur eine reine Militärübung. Trainiert werden auch Anteile aus dem Bereich der Strafverfolgung. Beteiligt sind stets Kräfte nord- und westafrikanischer Staaten sowie Sondereinsatzkräfte westlicher Armeen. Die Bundeswehr hatte bereits 2005 Angehörige des Kommandos Spezialkräfte zu „Flintlock“ entsandt. Geleitet wird die mehrtägige Veranstaltung jeweils von einer afrikanischen Partnernation.

Übungsschwerpunkte diesmal in Niger, Burkina Faso und Senegal

In diesem Jahr beteiligten sich an der Übung nach Auskunft von AFRICOM rund 1900 Militärangehörige afrikanischer und westlicher Streitkräfte. Alles in allem waren 20 Nationen vertreten (aus Afrika: Burkina Faso, Kamerun, Mali, Mauretanien, Niger, Nigeria, Senegal und Tschad/aus Europa und Nordamerika: Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Italien, Kanada, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Spanien und USA). „Flintlock 2018“ dauerte vom 9. bis zum 20. April und wurde an zentralen Orten im Ausrichterland Niger sowie in Burkina Faso und Senegal durchgeführt.

Zu den übergeordneten Übungszielen erklärte das US-Regionalkommando: „Mit ,Flintlock‘ wollen wir die Anti-Terror-Fähigkeiten der wichtigsten Partnerländer in der Region ausbauen, ihre Fähigkeiten in der Grenzsicherung verbessern und so insgesamt einen Beitrag leisten für einen umfassenden Bevölkerungsschutz.“ Darüber hinaus vertiefe die Übung auch die ohnehin schon gute Zusammenarbeit zwischen afrikanischen und westlichen Sicherheitskräften und Strafverfolgungsbehörden. Dies werde sich positiv auf das Zusammenspiel bei künftigen multinationalen Operationen auswirken, besonders auch in Krisenfällen.

„Terroristen operieren über Grenzen hinweg und sind gut vernetzt“

Die Übungsserie „Flintlock“ ist die Antwort auf eine Entwicklung in Afrika, die in den vergangenen Jahren nur den Terrorgruppen und kriminellen Banden in die Hände gespielt hat. In einem Gespräch mit der Deutschen Welle brachte es ein Brigadegeneral aus dem Tschad 2016 so auf den Punkt: „Die Terroristen operieren über Grenzen hinweg und sind gut vernetzt. Es kann nicht sein, dass die Sicherheitsbehörden in den verschiedenen Ländern der Region hingegen unkoordiniert agieren. Von einer echten internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror kann leider in Westafrika und im Sahelgebiet noch nicht die Rede sein.“

Wie wichtig eine internationale Anti-Terror-Koalition gerade in Westafrika ist, betonte in dem Beitrag der Deutschen Welle auch ein Sprecher von AFRICOM. Denn der Terror in Afrika nehme dramatisch zu, beklagte der US-Offizier vor zwei Jahren. Mittlerweile sind die von ihm im damaligen Gespräch genannten Gruppierungen wie Boko Haram oder al-Qaida im Maghreb nicht friedfertiger geworden. Ganz im Gegenteil!

Ansar al-Scharia erklärte im vergangenen Jahr die Selbstauflösung

Kaum eine Region, kaum ein Land in Afrika, die oder das sich inzwischen nicht auch mit dem Namen einer Terrororganisation in Verbindung bringen ließe.

Im Nordosten und Nordwesten Afrikas agieren Ansar Bait al-Maqdis (in Ägypten), Ansar al-Scharia (in Libyen und Tunesien; in Libyen soll sich die Gruppierung im Mai 2017 aufgelöst haben) sowie al-Qaida im Maghreb/al-Qaida au Maghreb islamique, kurz AQMI (in Algerien; die Gruppe mit Rückzugsgebieten in Libyen versucht auch die Nachbarländer Tunesien, Marokko, Mauretanien, Mali und Niger durch Anschläge und Entführungen zu destabilisieren).

Kampf gegen die Dschihadisten in der Sahelregion

In Westafrika leidet vor allem der Binnenstaat Mali unter dem Terror. Anhänger der Islamistengruppe Ansar al-Din besetzten 2012 gemeinsam mit Tuareg-Rebellen den Norden des Landes. Der Gruppierung werden Verbindungen zu AQIM nachgesagt. Französische und afrikanische Truppen vertrieben Anfang 2013 die Extremisten weitgehend aus der Region. Es kommt aber nach wie vor zu Gefechten und Anschlägen auf Sicherheitskräfte in Mali.

Das dschihadistische Geschehen in der Region wurde und wird übrigens nicht von einer einzigen großen Organisation dominiert. Charakteristisch sind vielmehr wechselnde Allianzen mehrerer kleinerer Gruppierungen neben Ansar al-Din, etwa MUJAO (französische Abkürzung für Mouvement pour l’unicité et le jihad en Afrique de l’Ouest), al-Mulaththamin oder al-Murabitun. Der nach der französischen Invasion neu formierten Gruppe haben sich viele ehemalige AQIM-Kämpfer und ein Teil der MUJAO-Kräfte angeschlossen und konnten so zur größten terroristischen Bedrohung in der Sahara werden.

Auch vor diesem Hintergrund vereinbarten im Februar 2017 Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad als „G5“ die Aufstellung einer rund 5000 Mann starken Spezialeinheit, um islamistische Extremisten in der Sahelregion bekämpfen zu können. Die Wüste der Sahelzone ist ein Rückzugsort nicht nur für Islamisten, sondern auch für Schleuser und andere Kriminelle, für die nationale Grenzen kaum Bedeutung haben.

Rund 2,6 Millionen Menschen auf der Flucht vor den „Gotteskriegern“

Ein Blick nach West- und Zentralafrika. Die sunnitischen Dschihadisten von Boko Haram kämpfen seit 2009 für die Errichtung eines islamischen Gottesstaats im mehrheitlich muslimischen Nordosten Nigerias. In dem Konflikt wurden bisher etwa 20.000 Menschen getötet und 2,6 Millionen zur Flucht gezwungen. Seit 2013 hat die Terrorgruppe nach Angaben von UNICEF, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, in Nigeria schon mehr als tausend Kinder verschleppt.

Die selbsternannten „Gotteskrieger“ kontrollieren nicht nur weite Teile im Nordosten Nigerias, sie versuchen auch, Gebiete in den Nachbarländern Kamerun und Niger zu erobern. Die Gruppe, die der Terrorbewegung „Islamischer Staat“ Gefolgschaft geschworen hat, ist inzwischen auch in Teilen des Tschad aktiv (2015 hatte Boko Haram in der Hauptstadt des Tschad, N’Djamena, und einer kleinen Stadt am Tschadsee insgesamt sieben Sprengstoffanschläge verübt, bei denen 80 Menschen starben und zahlreiche verletzt wurden).

Zwischen Mali und Niger liegt Burkina Faso, eines der ärmsten Länder der Welt. Im besonders strukturschwachen Norden von Burkina Faso gewann der lokale Prediger Ibrahim Malam Dicko über eigene Koranschulen und Radiosendungen in den vergangenen Jahren im großen Stil Anhänger für seine Terrororganisation Ansar al-Islam.

Angst und Schrecken verbreiten sich im Namen der Religionen

Kommen wir schließlich geografisch zur Mitte Afrikas: zur Zentralafrikanischen Republik, zur Demokratischen Republik Kongo und zu Uganda. Hier im Grenzgebiet zwischen den drei genannten Ländern und dem Südsudan kämpft die Lord’s Resistance Army – kurz LRA – für die Errichtung eines Gottesstaates, der auf den biblischen Zehn Geboten basieren soll. Die LRA gilt als eine esoterisch-militante Organisation, die für sich eine indigene christliche Ideologie beansprucht. Nachdem Uganda die LRA weitgehend vertreiben konnte, terrorisierte sie die Menschen vor allem im Südsudan und im Norden der Demokratischen Republik Kongo. Laut Einschätzung der ugandischen Regierung von 2017 ist die Terrororganisation inzwischen militärisch geschwächt und stellt angeblich keine ernsthafte Gefahr mehr dar.

Blieben noch die beiden ostafrikanischen Länder Kenia und Somalia, um die Betrachtung des afrikanischen Krisenbogens abzuschließen. In Kenia und in Somalia verbreitet die radikale Miliz al-Shabaab Angst und Schrecken und verübt auch in Nachbarländern Anschläge. Zwar konnten Regierungstruppen und Soldaten der Afrikanischen Union die Extremisten 2011 aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu vertreiben. Die Terrorbewegung beherrscht aber weiterhin weite Teile Mittel- und Südsomalias und hat Verbindungen zum Terrornetzwerk von al-Qaida und zu Boko Haram in Nigeria.

Seit 2008 ging al-Shabaab von einer Guerillastrategie zu mehr terroristischen Taktiken über, wie Selbstmordattentaten, Entführungen und Bombenanschlägen. 2012 wurde die Gruppe offizielles Mitglied von al-Qaida. In Struktur und Zielsetzung sind Teile der somalischen al-Shabaab den Taliban ähnlich.

Drei deutsche Staatsbürger in der Hand afrikanischer Entführer

Wie brandgefährlich manche Gegenden Afrikas derzeit sind, zeigen die Entführungsfälle der vergangenen Tage und Wochen.

Am 11. April ist in der Nähe der Landgemeinde Inatès in Niger ein deutscher Entwicklungshelfer verschleppt worden, mutmaßlich von Islamisten. Das Entführungsopfer ist Mitarbeiter der in Bonn ansässigen privaten Hilfsorganisation „Help“. Am 16. April haben Bewaffnete im Norden Nigerias einen deutschen Mitarbeiter einer örtlichen Baufirma gekidnappt. Ein Polizist, der den Deutschen begleitet hatte, ist nach Angaben eines Behördensprechers bei dem Überfall getötet worden. Am 2. Mai nun wurde eine deutsche Krankenschwester des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Somalias Hauptstadt Mogadischu Opfer einer nächtlichen Entführung. Nach ersten Erkenntnissen soll ein Wachmann bei der Tat geholfen haben, der Verdächtige ist untergetaucht.

Zum Schluss noch einmal kurz zurück zur multinationalen Übung „Flintlock 2018“. Peter Tauber Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, teilte vor wenigen Tagen auf Anfrage von Tobias Pflüger (Die Linke) einige zusätzliche Details mit. Demzufolge war die Bundeswehr an diesem Anti-Terror-Training mit elf Soldaten in Quallam im westafrikanischen Niger und mit 65 Soldaten in Tunesien im Raum Bizerte vertreten. Dass „darüber hinaus der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse“ zu „Flintlock 2018“ vorliegen sollen (so Tauber am Schluss seiner Antwort), mag man kaum glauben …


Zu unserem Bildlauf:
1. Eröffnungszeremonie der multinationalen Übung „Flintlock 2018“ in Agadez, Hauptstadt der gleichnamigen Region in Niger.
(Foto: Eric Smith/U.S. Africa Command)

2. Die Flaggen aller an „Flintlock 2018“ beteiligten Nationen werden in Agadez gehisst, darunter auch die Bundesflagge.
(Foto: Eric Smith/U.S. Africa Command)

3. Training in Agadez – Soldaten des Niger warten bei der Gefechtsausbildung durch amerikanische Spezialkräfte auf den nächsten Durchgang.
(Foto: Daniel Love/U.S. Africa Command)

4. Ein Soldat der Armee des Niger beobachtet im Rahmen der „Flintlock“-Ausbildung in Agadez den ihm zugeteilten Abschnitt.
(Foto: Mary S. Katzenberger/3rd Special Forces Group/U.S. Army)

5. „Flintlock“-Training in Tahoua, Niger – senegalesische Soldaten bei der speziellen Gefechtsausbildung.
(Heather Doppke/79th Theater Sustainment Command/U.S. Army)

Unser Großbild auf der START-Seite zeigt Soldaten der Streitkräfte des Niger in Agadez. Die Männer werden von westlichen Spezialkräften in speziellen Angriffstaktiken geschult.
(Foto: Richard Bumgardner/U.S. Army)

Kleines Beitragsbild: Senegalesische Soldaten bei „Flintlock 2018“ in Tahoua, Niger.
(Heather Doppke/79th Theater Sustainment Command/U.S. Army)


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