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Berlin/Camp Røedsmoen in Rena (Norwegen). Eine Regierungsanfrage des Bundestagsabgeordneten Matthias Höhn (Die Linke) zum Thema „Materielle Einsatzbereitschaft und Verfügbarkeit der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr“ hat ein deutliches Medienecho erzeugt. Von 97 im vergangenen Jahr an die Bundeswehr ausgelieferten Großsystemen – Flugzeuge, Hubschrauber und Schützenpanzer – sind momentan lediglich 38 einsatzbereit, 59 demnach „außer Gefecht“. Dies entspricht einer Verfügbarkeitsquote von 39 Prozent. Ziel der Bundeswehr sind jedoch 70 Prozent. Höhn, sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion der Linken und Mitglied im Verteidigungsausschuss, spricht von einem „Skandal“. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sieht die Statistik „als nicht besonders aussagekräftig“ an.

Wie werden aktuelle Zahlen zur materiellen Einsatzbereitschaft und Verfügbarkeit der Bundeswehr-Hauptwaffensysteme ermittelt? Von der Leyen hatte im Oktober 2014 den damaligen Generalinspekteur Volker Wieker angewiesen, ein einheitliches und vor allem transparentes Meldewesen zu den strukturbestimmenden Hauptwaffensystemen aufzulegen. Seit Januar 2015 melden nun bereits die Inspekteure regelmäßig an den Generalinspekteur die materielle Einsatzbereitschaft jedes Hauptwaffensystems ihres Organisationsbereichs. Das Meldewesen wurde 2017 digitalisiert; seit Januar 2018 können jetzt die benötigten Kennzahlen mithilfe der betriebswirtschaftlichen Standardsoftware (SASPF) erhoben werden.

Das Ministerium legt dem Verteidigungs- und dem Haushaltsausschuss des Bundestages jährlich einen Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme vor – zuletzt war dies am 26. Februar.

Rückschlüsse auf die Einsatzbereitschaft der Gesamtflotte nur bedingt möglich

2017 übergab die Industrie insgesamt 97 einzelne Großgeräte an die Truppe. In der Antwort der Bundesregierung an den Bundestagsabgeordneten Matthias Höhn vom 25. Oktober, die dem bundeswehr-journal vorliegt, heißt es zunächst: „Die materielle Einsatzbereitschaft von Einzelsystemen in einem bestimmten Zeitraum kann aufgrund notwendiger technischer Maßnahmen starken Schwankungen unterliegen und lässt daher einen Rückschluss auf die Einsatzbereitschaft der Gesamtflotte nur bedingt zu. So müssten teilweise – unabhängig von der Auslieferung – aufgrund der Komplexität moderner Waffensysteme oder der Auslieferungsqualität technische oder zulassungsbedingte Maßnahmen, verbunden mit Ausfallzeiten des Systems, durchgeführt werden, um uneingeschränkt einsatzbereit zu sein.“

Peter Tauber, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung, äußert sich in dem Schreiben dann im Detail zu den Industrielieferungen des Jahres 2017: vier Eurofighter, sieben Kampfhubschrauber Tiger, sieben NH90, acht Militärtransporter A400M sowie 71 Schützenpanzer Puma.

Nachrüstung der Eurofighter mit einem neuen Hauptrechner

Die in der deutschen Luftwaffe eingesetzten Eurofighter sollen so schnell als möglich auf den modernsten Rüstungstand aufgewertet werden. Dies erhöhe die Fähigkeiten der Maschinen und erweitere das Einsatzspektrum der Teilstreitkraft, so Tauber in der Regierungsantwort an den Verteidigungsexperten der Linken. Weiter schreibt Tauber an Höhn: „Drei der vier [im Jahr] 2017 ausgelieferten Eurofighter erhielten einen neuen, bereits obsoleszenz-beseitigenden Hauptrechner [Anm.: Obsoleszenz = Produktalterung, Abnutzung]. Eine Freigabe zur Nutzung dieser drei Eurofighter wird zeitnah erwartet, dann sind nicht mehr nur einer, sondern alle vier in 2017 gelieferten Eurofighter einsatzbereit.“

Eine positive Situation erwartet der Staatssekretär auch im Bereich der Hubschrauber. Dafür sorgen könnten „mehr Übernahme-Inspektionen oder auch Anlagen in den Systemen der technischen Betriebsführung“, so die Einschätzung Taubers. Im vergangenen Jahr wurden sieben KH Tiger und sieben NH90 an die Bundeswehr ausgeliefert. Davon sind zwei Tiger sowie vier NH90 einsatzbereit.

Industrie in der Pflicht, vereinbarte Leistungen schnellstmöglich zu erfüllen

Große Probleme bereiten laut Tauber derzeit vor allem der Schützenpanzer Puma und der Transporter Airbus A400M. Die Qualität bei Auslieferung sei „weiterhin steigerungsfähig“, heißt es in der Antwort der Bundesregierung an Höhn. Hier sehe man „nach wie vor die Industrie in der Pflicht, die vereinbarten Leistungen schnellstmöglich zu erfüllen“. Von den insgesamt 71 im vergangenen Jahr ausgelieferten Puma-Schützenpanzern sind gerade einmal 27 einsatzbereit, von den acht A400M sind es vier Maschinen.

Die Einsatzbereitschaft bei den neuen Bundeswehr-Großgeräten des Jahres 2017 liegt sogar noch deutlich unter dem Durchschnitt aller rund 5000 Exemplare der 53 Hauptwaffensysteme, die unseren Streitkräften derzeit zur Verfügung stehen. Aus dem letzten Prüfbericht zur materiellen Einsatzbereitschaft vom Februar geht hervor, dass davon „insgesamt deutlich mehr als die Hälfte“ eingesetzt werden können.

Linke werfen Ministerium „Missmanagement und Steuerverschwendung“ vor

Für Matthias Höhn und die Linken waren die Zahlen aus dem Bundesministerium der Verteidigung Wasser auf die parteipolitischen Mühlen (unter anderem fordert die Partei ja in schöner Regelmäßigkeit die Verkleinerung der Bundeswehr und ihre Umgestaltung zu einer Verteidigungsarmee, eine Beschneidung des Verteidigungsetats sowie die Beendigung der Auslandseinsätze). In einem Pressestatement beklagt Höhn jetzt: „Man sollte ja davon ausgehen, dass das, was die Bundeswehr von der Industrie abnimmt, auch zu 100 Prozent einsatzfähig ist. Dem ist nicht so. Im Gegenteil, neues Gerät ist noch weniger einsatzfähig als der Gesamtbestand.“

Die Quote der Einsatzbereitschaft des neuen, im Vorjahr an die Bundeswehr ausgelieferten Materials liege mit rund 40 Prozent weit unter der Quote der Einsatzbereitschaft des Gesamtbestandes, so der sicherheitspolitische Sprecher seiner Fraktion. Höhn wörtlich: „Für uns ist dies deshalb ein Skandal, weil erstens die Steuerzahler zur Freude der Rüstungsindustrie die ganze Rechnung bezahlen müssen. […] Zweitens decken die Zahlen auf, dass unter Frau von der Leyen immer mehr Geld ins Militär [fließt], die Reformen und Trendwenden der Bundeswehr aber offenkundig in die völlig falsche Richtung gehen. Die Aufrüstungsorgien führen nicht einmal zu einer besseren, sondern sogar noch zu einer schlechteren Ausrüstung der Bundeswehr.“

Statt Steuerverschwendung, Missmanagement und Aufrüstung müsse es jetzt eine Trendwende im Verteidigungsministerium geben. Höhn fordert: „Sparsamkeit, Materialerhaltung und Abrüstung.“

Laut Ministerin vermitteln Stichtagsaufnahmen „immer ein falsches Bild“

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen äußerte sich inzwischen ebenfalls zu den negativen Klarstandszahlen des Jahres 2017. Während ihres Truppenbesuches in Norwegen bei der NATO-Großübung „Trident Juncture 18“ am heutigen Mittwoch (31. Oktober) sagte sie in einem Interview mit Bettina Scharkus vom ARD-Studio Brüssel: „Diese Stichtagsaufnahmen zeichnen immer ein falsches Bild. […] Bei den Eurofightern musste man zum Beispiel eine Software updaten und man musste Computer modernisieren. Das heißt, sie sind dann vorübergehend nicht einsatzfähig – klar, wenn die Software verändert werden muss. Aber heute zum Beispiel fliegen alle vier Eurofighter wieder. Das heißt, ich plädiere dafür, nicht immer diese Stichtagsabfragen zu bewerten – die geben nicht das volle Bild – sondern ein Bild über die Zeit. Dann hat man Klarheit, wie es tatsächlich mit der Einsatzbereitschaft steht.“

Zugleich räumte die Ministerin – mit einem Schuss Understatement – ein, dass es beim Transportflugzeug A400M und beim Schützenpanzer Puma Nachbesserungsbedarf gebe. „Da wissen wir, dass es gewisse Mängel gibt.“ Es sei dennoch wichtig, dass die Waffensysteme schon da seien, um überhaupt Training und Ausbildung zu ermöglichen.

Redaktioneller NACHBRENNER

Am 1. November meldete sich der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) zu der Thematik „Mangelnde Einsatzbereitschaft von Großgerät“ zu Wort. Dabei wandte sich die Interessenvertretung entschieden gegen die Darstellung, die Lieferindustrie trage hier an der Gesamtentwicklung eine Schuld. Hier die komplette Stellungnahme des BDSV:

„Jedes Gerät, das die Industrie nach dem Herstellungsprozess an die Bundeswehr abgibt, wurde von dieser abgenommen und erfüllt damit die vertraglich vereinbarten Leistungsparameter. Völlig normal ist, dass dieses Gerät danach laufend instandgehalten werden muss, was je nach Komplexität mehr oder weniger große Wartungsintervalle erfordert.

Teilweise werden bei Großgeräten diese Instandhaltungen gemeinsam mit der Industrie, in einigen Fällen auch mit der Hersteller-Industrie, organisiert. Maßgeblich für die Einbindung der Industrie sind aber jeweils die von der Beschaffungsverwaltung der Bundeswehr vorgegebenen Prozesse. Diese sind aus Sicht unserer Industrie zum Teil alles andere als optimal, um eine höchstmögliche Einsatzbereitschaft des Gerätes zu ermöglichen. Eine stärkere Übertragung von Verantwortung auf die Industrie könnte hier in vielen Fällen zu besseren Ergebnissen führen; unsere Mitgliedsunternehmen bieten dies im Sinne einer vertrauensvollen Partnerschaft mit der Bundeswehr immer wieder an.

Zur Statistik der Einsatzbereitschaft ist anzumerken, dass als nicht-einsatzbereit immer auch solches Gerät erfasst wird, welches sich beispielsweise im Rahmen der regulären Wartungsintervalle in der Instandhaltung befindet und somit der Truppe nicht zur Verfügung steht. Aufgrund von solchen standardmäßigen Wartungsintervallen oder auch technischen Materialprüfungen und Updates (wie etwa regelmäßig erforderlichen Software-Updates) ergeben sich bei allen Waffensystemen Standzeiten, welche die Einsatzbereitschaft fühlbar beeinflussen.

Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis auf die Industrie als ,Schuldigen‘ in dieser Form nicht gerechtfertigt. Im Übrigen findet zu Verbesserungsmöglichkeiten bei der Einsatzbereitschaft bereits seit Längerem ein Dialog zwischen Bundesverteidigungsministerium und Industrie statt.“


Zu unserer Bildfolge:
1. Schützenpanzer Puma bei der taktischen Einsatzprüfung auf dem Truppenübungsplatz in Bergen-Hohne; die Aufnahme stammt vom 8. Juli 2014.
(Foto: Jane Hannemann/Bundeswehr)

2. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besuchte am 31. Oktober 2018 im Rahmen der NATO-Großübung „Trident Juncture 18“ Bundeswehrangehörige in Norwegen. Sie besichtigte dabei unter anderem das größte Feldlager der Übung, Camp Røedsmoen in Rena. Norwegens Verteidigungsminister Frank Bakke-Jensen begleitete sie.
(Foto: Torsten Kraatz/Bundeswehr)

3a. und 3b. Das Hintergrundbild unserer zwei Grafiken zeigt einen Militärtransporter A400M des Lufttransportgeschwaders 62 (Wunstorf) am 11. Dezember 2015 auf der türkischen Inçirlik Air Base. Beide Grafiken zeigen anschaulich den Klarstand der im Jahr 2017 an die Bundeswehr ausgelieferten 97 Großgeräte.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr; Infografiken © Christian Dewitz/mediakompakt 10.18)

4. Der sicherheitspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken, Matthias Höhn, fragte die Bundesregierung, „wie hoch die Einsatzbereitschaft von nagelneuem und direkt aus den Produktionshallen der Rüstungsindustrie geliefertem militärischen Gerät eigentlich ist“. Denn – so schreibt Höhn in einer Presseerklärung: „Man sollte ja davon ausgehen, dass das, was die Bundeswehr von der Industrie abnimmt, auch zu 100 Prozent einsatzfähig ist.“ Das Archivfoto des Bundestages zeigt den Abgeordneten am 12. Dezember 2017 als Redner im Parlament zum Tagesordnungspunkt „Bundeswehreinsatz im Irak“.
(Foto: Achim Melde/Deutscher Bundestag)

Kleines Beitragsbild: Schützenpanzer Puma am 8. Juli 2014 auf dem Truppenübungsplatz Bergen.
(Foto: Jane Hannemann/Bundeswehr)


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