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Berlin. In einem Interview mit der Landeszeitung Lüneburg erläuterte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in dieser Woche einmal mehr, warum die deutschen Streitkräfte nach den Jahren verordneter Schrumpfkuren inzwischen wieder genügend finanzielle Mittel erhalten sollen und müssen. Mit Blick auf die radikal gewandelten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen sagte die CDU-Politikerin: „Es braucht Investitionen in unsere Bundeswehr – nicht massiv in einem Schlag, aber schrittweise über die Jahre verteilt.“

Das Interview mit Ministerin von der Leyen verbreitete die Landeszeitung Lüneburg für die Presse vorab am heutigen Donnerstag (27. April). Wir veröffentlichen den Text in gekürzter Form und bedanken uns für das Angebot. Übrigens: Die lokale Tageszeitung, die im Eigenverlag erscheint, wird in der ältesten noch in Familienbesitz befindlichen Druckerei der Welt produziert. Dies ist die seit 1614 bestehenden von Stern’sche Druckerei in Lüneburg.

Ukrainekonflikt, dschihadistischer Terror und Menschen auf der Flucht

Frau Ministerin – reicht der erhöhte Verteidigungsetat, um künftig der Truppe Hitzestress wie in Mali zu ersparen oder überdehnt die Bundeswehr ihre Kräfte in mehr als einem Dutzend Auslandseinsätzen, als Helfer bei Terrorgroßlagen und bei der Abschreckung an der NATO-Ostflanke?
Ursula von der Leyen: Wir dürfen bei der Frage der Beurteilung des Wehretats nicht vergessen, woher wir kommen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs haben wir uns mehr als 25 Jahre über Frieden im Herzen Europas gefreut. Umgeben von Freunden wurde die Bundeswehr 25 Jahre lang geschrumpft. Das hat tiefe Spuren hinterlassen.

In den letzten Jahren hat sich die sicherheitspolitische Lage aber verändert. Seit der Besetzung der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine präsentiert sich der Kreml zunehmend unberechenbar und aggressiv. Der sogenannte ,Islamische Staat‘ – kurz IS – zieht ein weites Band des Terrors vom Nahen und Mittleren Osten über Afrika bis hin nach Europa. Zudem erleben wir weltweit nie da gewesene Flüchtlingsströme. Deutschland als politisch und wirtschaftlich starkes Land muss in diesem Bereich seinen Teil der Verantwortung tragen. Und deshalb braucht es Investitionen in unsere Bundeswehr – nicht massiv in einem Schlag, aber schrittweise über die Jahre verteilt. So können wir Lücken auffüllen und modernisieren – vor allem in der Digitalisierung und der Cybersicherheit.

Schutz der eigenen militärischen Netze hat einen hohen Stellenwert

Sie haben das neue Cyber-Kommando eingeführt. Wird der neue Organisationsbereich die Ära von der Leyen überdauern oder wird das Bundeswehr-Sold-Gefüge verhindern, dass ausreichend IT-Spezialisten rekrutiert werden können?
von der Leyen: Tatsächlich sind IT und Cyber nicht nur für die Bundeswehr und andere Armeen das Zukunftsthema. Auch Wirtschaft und Behörden suchen händeringend IT-Nachwuchs. Wir sind in Europa die Ersten, die sich mit einem eigenen Cyber-Kommando mit 13.500 Soldatinnen und Soldaten sowie zivilen Kräften überwiegend aus der Informationstechnik, Aufklärung und Cyber-Sicherheit so schlagkräftig aufstellen. Allerdings wissen wir, dass wir an die Potenziale der Amerikaner und Israelis nicht herankommen. Ohne IT sind Armeen nicht mehr denkbar – so hat allein der Eurofighter 80 Computer und 100 Kilometer Kabel an Bord. Das illustriert den hohen Stellenwert, den der Schutz der eigenen Netze für die Bundeswehr hat.

Dasselbe gilt für den Cyberraum, in dem gezielt Fake News verbreitet werden und in dem der IS über soziale Medien rekrutiert und Aufträge erteilt. Hier sind wir in der Pflicht, uns gut aufzustellen, aber tatsächlich müssen wir uns auf dem Arbeitsmarkt strecken. Und das gelingt uns auch. Durch unsere Bemühungen haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr 60 Prozent mehr IT-Fachkräfte anstellen können als 2015. Wir werden einen Cyber-Studiengang an der Bundeswehr-Universität in München für 70 Studierende pro Jahr und 13 Professuren einrichten. Zudem erarbeiten wir ein Konzept für eine Cyber-Reserve aus der Wirtschaft, also Menschen, die für eine Zeit ihre Cyber-Expertise der Bundeswehr zur Verfügung stellen.

Muss man rechtlich nachbessern? Wo endet im grenzenlosen Cyberraum die Verteidigung, wo beginnt der Angriff?
von der Leyen: In diesem Bereich ist schon sehr viel geregelt. Die Bundeswehr selbst darf beispielsweise offensiv zurückschlagen, wenn sie so angegriffen wird, dass ihre Funktions- und Einsatzfähigkeit gefährdet ist. Besonders ist im Cyberraum, dass Angreifer – anders als beim Aufmarsch konventioneller Armeen – nur sehr schwer zu identifizieren sind. Und weil Cyber-Attacken billig sind, kann dahinter ein Hacker, ein Krimineller oder doch ein Staat stecken.

Großes Vertrauen in den neuen US-Verteidigungsminister

Wohl nie hatte der Westen eine derart unberechenbare Vormacht – die USA. Warnschuss in Syrien, Muskelspiele vor Nordkorea: Werden die Zeiten mit der Administration Trump kriegerischer?
von der Leyen: Zunächst mal ist die USA Teil der NATO – ein Bündnis zu 28, das einstimmig entscheidet. Zudem habe ich großes Vertrauen in den neuen amerikanischen Verteidigungsminister, James Mattis, ein ehemaliger Vier-Sterne-General mit NATO-Vergangenheit. Ein sehr besonnener, belesener und kluger Kopf, der offensichtlich zunehmend Einfluss auf das Weiße Haus hat.

Geografische Lage der Türkei sicherheitspolitisch wichtig und zugleich kritisch

Reicht denn der Einfluss auf das NATO-Mitglied Türkei, um den Flüchtlingsdeal trotz Abkehr von Europa zu retten?
von der Leyen: Die Türkei macht es uns sehr schwer. Aber wir sollten nicht annehmen, dass eine Türkei, die nicht in der NATO ist, uns besser zuhört als eine, die unser Bündnispartner ist. Die Türkei liegt geografisch an einer kritischen und sicherheitspolitisch wichtigen Stelle. Deshalb lohnt es sich auch nach dem Referendum – das übrigens erwiesen hat, wie geteilt das Land ist, weiter einen engen Kontakt zu dem Land zu pflegen. Das Flüchtlingsabkommen liegt auch im Interesse der Türkei.

Die NATO-Mission zwischen der Türkei und Griechenland hat als Begleiteffekt ergeben, dass die organisierte Kriminalität an der Küste der Türkei nahezu zerschlagen wurde, weil Ankara aufgeräumt hat.


Unser Bild zeigt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 10. Februar 2017 in Washington gemeinsam mit ihrem neuen amerikanischen Amtskollegen, James Mattis.
(Foto: Thomas Imo/Photothek/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Die Ministerin am 4. Juni 2014 in der Bundespressekonferenz in Berlin.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)


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