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Wien/Kabul. Der Kampf gegen Schlafmohnanbau und Drogenproduktion in Afghanistan scheint zusehends aussichtslos. Zwar konnten nach Angaben der Vereinten Nationen in diesem Jahr in 14 Provinzen des Landes rund 750 Hektar Mohn-Anbaufläche zerstört werden (2016 waren es in sieben Provinzen lediglich 355 Hektar gewesen), dafür wuchs jedoch die Gesamtanbaufläche für Schlafmohn in Afghanistan mittlerweile um 63 Prozent auf insgesamt 328.000 Hektar an. Diese Zahlen nannte das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (United Nations Office on Drugs and Crime, UNODC) am 15. November bei der Präsentation der Studie „Afghanistan Opium Survey 2017“. Die Experten schätzen, dass in diesem Jahr aus dem afghanischen Schlafmohn etwa 9000 Tonnen Opium hergestellt werden können, 87 Prozent mehr als 2016. Rohopium ist die Ausgangsbasis für Heroin.

In das schmutzige aber äußerst lukrative Geschäft mit dem Gift sind auch die Taliban verstrickt. Experten schätzen, dass die Islamisten jährlich zwischen 200 und 400 Millionen Dollar durch die Besteuerung des Schlafmohnanbaus und des Drogenschmuggels verdienen. Mittlerweile sollen sie auch selbst in der Rauschgiftproduktion tätig sein. Dagegen gingen nun erstmals die Amerikaner in der Südprovinz Helmand mit gezielten Luftschlägen vor.

Wie der amerikanische General John W. Nicholson Jr., Befehlshaber der „Resolute Support Mission“ und der U.S. Forces Afghanistan (USFOR-A), in einer Pressekonferenz des Verteidigungsministeriums in Washington mitteilte, haben Piloten der US-Luftwaffe in der Nacht vom 19. auf den 20. November zum ersten Mal Angriffe auf mehrere Rauschgiftfabriken in Afghanistan geflogen. Der gemeinsame Einsatz mit afghanischen Streitkräften in der Provinz Helmand habe die finanziellen Ressourcen der Radikalislamisten im Visier gehabt, so Nicholson, der zur Pressekonferenz aus seinem Hauptquartier in Kabul zugeschaltet war.

Erste gezielte Schläge gegen die Finanzmaschinerie der Taliban

Wie der General erklärte, seien in drei Tagen durch das gemeinsame Vorgehen von US-Kräften und afghanischen Spezialeinheiten enorme finanzielle Ressourcen der Taliban vernichtet worden. Nicholson, der diese Einnahmeverluste des Gegners auf „sieben bis zehn Millionen US-Dollar“ schätzt, sagte den Reportern: „Diese Schläge waren erst der Anfang unserer Bemühungen, bald die ganze Finanzmaschinerie der Taliban zum Erliegen zu bringen.“

Gleichzeitig wies er auf das neue, von US-Präsident Donald Trump verordnete Vorgehen gegen die Aufständischen in Afghanistan hin. Die neue Strategie richte sich ausschließlich am erzielten Erfolg aus und nicht mehr an zeitlichen Vorgaben. „Wir werden hier im Land bleiben, bis unsere Arbeit getan ist“, versicherte Nicholson. „Krieg ist auch ein Kampf des Willens – Präsident Trump hat keinen Zweifel daran gelassen, dass wir gewillt sind, zu siegen.“

Wenn aus religiösen Fanatikern allmählich Drogenfürsten werden

Die Taliban selber bezeichnete der Befehlshaber als eine „kriminelle Drogenorganisation“, die sich lediglich einen religiösen und politischen Tarnanstrich gegeben habe. „Sie kämpfen, damit sie weiterhin vom gewaltigen Drogengeschäft und anderen kriminellen Aktivitäten profitieren können“, meinte Nicholson während der Pressekonferenz. Er erinnerte daran, dass die Taliban im ganzen Land zwischen 400 und 500 Fabrikationsstätten für Rauschgift betrieben. Rund 60 Prozent der Einnahmen, die sie zur Fortsetzung ihres Kampfes benötigten, erhielten sie aus dem Drogenhandel. Von den 13 großen Drogenschmuggel-Banden in Afghanistan seien sieben unter fester Kontrolle der Aufständischen.

In den 1990er-Jahren, als die Taliban in Afghanistan herrschten, hatten sie den Schlafmohnanbau verboten. Dieser war 2001 dann fast ganz zum Erliegen gekommen, als die USA und ihre Verbündeten nach den Terroranschlägen des 11. September gegen al-Qaida und die Kämpfer des Mullah Omar am Hindukusch vorgingen. Nach der Rückkehr der Taliban ins Land und dem Beginn des Krieges zwischen ihnen, der Regierung in Kabul und den NATO-Truppen sind der Schlafmohnanbau, die Rauschgiftproduktion sowie der Drogenschmuggel und Drogenhandel zu einer wichtigen Finanzquelle für die Aufständischen geworden.

Nur zehn der 34 afghanischen Provinzen frei von Schlafmohnanbau

Nach dem aktuellen UNODC-Report ist – wie eingangs bereits berichtet – die Anbaufläche für Schlafmohn in Afghanistan inzwischen um 63 Prozent auf 328.000 Hektar angewachsen. „Dieses Ausmaß an Schlafmohnanbau ist ein neuer Rekord und übertrifft die vorherigen Höchstwerte aus dem Jahr 2014, die 224.000 Hektar betrugen, um 46 Prozent“, heißt es in dem Jahresbericht. Die Zahl der Provinzen mit Schlafmohnanbau ist dabei nach Angaben von UNODC um drei auf 24 der insgesamt 34 Provinzen gestiegen.

Besonders stark – um 79 Prozent auf 63,700 Hektar – sei der Schlafmohnanbau in der Helmand-Provinz ausgedehnt worden, so die Autoren des Reports weiter. Helmand ist eine Hochburg der Taliban. Viel mehr Schlafmohn gab es auch in der nordafghanischen Provinz Balkh (im Vergleich zu 2016 rund 10.000 Hektar Anbaufläche mehr), wo die Bundeswehr in Mazar-e Sharif ihr großes Feldlager hat. Eine enorme Zunahme konnte auch in den Provinzen Kandahar (plus 7500 Hektar mehr = 37 Prozent Zuwachs), Nimroz (plus 6200 Hektar mehr = 116 Prozent Zuwachs) und Uruzgan (plus 6000 Hektar mehr = 39 Prozent Zuwachs) verzeichnet werden.

Helmand ist und bleibt die afghanische Provinz mit dem größten Schlafmohnanbau, gefolgt von Kandahar, Badghis, Faryab, Uruzgan, Nangarhar, Farah, Balkh, Nimroz und Badakhshan.

Den aktuellen Angaben von UNODC zufolge entspricht der Marktwert der derzeitigen Opiumproduktion etwa 1,4 Milliarden US-Dollar. Afghanistan ist schon lange berüchtigt als Hauptlieferant für den weltweiten Drogenmarkt. 70 bis 90 Prozent des globalen Opiumbedarfs werden Jahr für Jahr vom afghanischen Schlafmohnanbau gedeckt.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Präziser Luftschlag am 19. November 2017 – eine Bordkamera dokumentiert den Angriff der US-Luftwaffe auf eine Rauschgift-Produktionsanlage der Taliban.
(Bildschirmfotos und Bildmontage: mediakompakt)

2. Das Hintergrundbild unserer Grafik wurde am 20. September 2014 während einer Patrouille von amerikanischen Elitesoldaten in der Helmand-Provinz aufgenommen. Deutlich zu sehen sind die roten Mohnpflanzen, aus denen Rohopium gewonnen wird.
(Foto: John A. Martinez Jr./U.S. Marines; Infografik © mediakompakt 11.17)

Kleines Beitragsbild: Eine Spezialeinheit der afghanischen Armee auf Patrouille in der Provinz Nangarhar. Die Aufnahme vom 9. Mai 2013 zeigt die Soldaten inmitten von Schlafmohnfeldern.
(Foto: Kaily Brown/U.S. Army)


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