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Eckernförde/Accra (Ghana)/Yaoundé (Kamerun). Der Golf von Guinea ist und bleibt ein Gefahrenherd für die internationale Seefahrt und die Internationale Gemeinschaft. Flottillenadmiral Jürgen Ehle, Leiter des Arbeitsbereichs „Militärpolitik“ bei der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU und profunder Kenner der Region, hat den Golf von Guinea einmal als „giftige Mischung krimineller Handlungen“ bezeichnet. Denn die west- und zentralafrikanischen Gewässer waren schon immer ein Brennpunkt der Seeräuberei und bewaffneten Raubüberfälle auf See, der Menschenhändler und Schmuggler, der Erdöl-Diebe und der illegalen Fischerei. Mittlerweile speisen viele Länder am Golf die illegalen Migrationsströme Richtung Nordafrika, die verhängnisvolle Auswirkungen auf die Situation im Mittelmeer haben und Druck auf Europa erzeugen. Eine Teilantwort auf die instabile Lage in diesem Teil der Welt ist die multinationale Übungsserie „Obangame Express“, die die Amerikaner 2011 gestartet haben. Die jährliche Großübung wird ausgerichtet vom Kommando U.S. Naval Forces Europe and Africa/U.S. 6th Fleet und dem U.S. Africa Command (AFRICOM), das seinen Sitz in Stuttgart-Möhringen hat. Auch diesmal beteiligt sich die deutsche Marine mit Fachpersonal.

„Obangame Express 2017“ wurde nach einer Vorbereitungsphase am 23. März in Ghanas Hauptstadt Accra feierlich eröffnet. 32 Nationen nehmen in diesem Jahr an der insgesamt zwölf Tage dauernden See- und Landübung teil. Das Übungsgebiet erstreckt sich von Senegal in Westafrika bis nach Angola im Südwesten und umfasst damit alle Küstengebiete im Golf von Guinea. Marinesoldaten der beteiligten Nationen trainieren unter anderem das Vorgehen gegen illegale Fischerei, gegen Drogen- und Waffenschmuggel und gegen Piraterie.

Unsere Marine hat sechs Soldaten der Bordeinsatzkompanie des Seebataillons aus Eckernförde nach Ghana abkommandiert. Sie sollen ghanaische Marineangehörige in Boarding-Taktiken, waffenloser Selbstverteidigung und Erster Hilfe ausbilden. Auf dem Stundenplan steht auch allgemeines Handlungs- und Verhaltenstraining. Zum Programm des deutschen Teams gehören außerdem grenzübergreifende Szenarien: im Westen mit der Elfenbeinküste und im Osten mit Togo – ein französisches Marineschiff und ein portugiesisches Aufklärungsflugzeug werden diesen Übungsteil unterstützen.

Gewässer vor der westafrikanischen Küste nach wie vor sehr gefährlich

Wie das Internationale Schifffahrtsbüro (International Maritime Bureau, IMB) der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC) am 10. Januar in seinem Seepiraterie-Report für 2016 berichtete, bleibt der Golf von Guinea vor der Westküste Afrikas auch weiterhin ein besorgniserregender Gefahrenherd. So wurden in der Region im vergangenen Jahr bei neun verschiedenen Attacken insgesamt 34 Menschen entführt. Drei Schiffe wurden gekapert. Außerdem nahm vor der nigerianischen Küste die Zahl der Piratenangriffe weiter zu: von 14 im Jahr 2015 auf 36 im Jahr 2016. Weltweit hat es im vergangenen Jahr zwölf Angriffe gegeben, bei denen auf Schiffe gefeuert wurde – neun dieser Vorfälle ereigneten sich vor Nigeria.

Aufschlussreiches Zahlenmaterial – wenn auch schon etwas älteren Datums – finden wir in einem Fachbeitrag von Flottillenadmiral Jürgen Ehle für die Zeitschrift MarineForum. In dem im September 2015 publizierten Artikel „Der Golf von Guinea – gegenwärtiges und zukünftiges Engagement der Europäischen Union“ werden nicht nur die Piraterie-Aktivitäten in der Region thematisiert. Ehle wirft auch einen Blick auf andere kriminelle Handlungsfelder und berichtet, dass beispielsweise der Schaden, der Nigeria durch gestohlenes Erdöl entsteht, jährlich etwa sechs Milliarden US-Dollar ausmacht. Durch illegale Fischerei verliert Westafrika pro Jahr mehr als eineinhalb Milliarden US-Dollar. Die EU hat seit 2009 bis 2015 rund 50 Millionen Euro für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels zur Verfügung gestellt – man muss wissen, dass durch den Golf von Guinea direkt die sogenannte „Kokainroute“ von Lateinamerika und der Karibik verläuft.

Unklarheit über das wahre Ausmaß der Kriminalität in der Region

Ehle macht in seinem Beitrag auch darauf aufmerksam, dass die Statistiken rund um das Verbrechen an und vor den west- und zentralafrikanischen Küsten eher noch düsterer ausfallen dürften. Denn etwa 70 Prozent der kriminellen Aktivitäten im Golf von Guinea werden nicht gemeldet und somit auch nicht registriert.

Auch das Programm „Oceans Beyond Piracy“ (OBP) der im US-Bundesstaat ansässigen One Earth Future Foundation beklagte jetzt in einer Sitzung am 13. März in London: „Während wir schon seit Jahren im Golf von Guinea Piratenüberfälle und bewaffnete Angriffe verzeichnen, besteht bis heute zwischen den behördlichen Stellen der Anrainerstaaten keine Einigung darüber, wie diese Ereignisse quantitativ und qualitativ sinnvoll erfasst und bewertet werden sollen.“ Es sei deshalb dringend erforderlich, so die Teilnehmer des Londoner Treffens, Instrumente für die einheitliche statistische Bearbeitung der Kriminalfälle einzusetzen, die von allen regionalen und internationalen Partnern gleichermaßen genutzt werden könnten.

Erstes afrikanisches Gipfeltreffen zur maritimen Sicherheit

Durchaus ein Meilenstein in der Bekämpfung krimineller (und damit auch terroristischer) Aktivitäten in der Region war das Gipfeltreffen von Regierungsvertretern aus 25 west- und zentralafrikanischen Staaten zum Thema „Maritime Sicherheit im Golf von Guinea“. Es fand am 24. und 25. Juni 2013 in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, statt. Anwesend waren auch Vertreter der drei regionalen Organisationen ECOWAS (Economic Community of West African States/Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft), ECCAS (Economic Community of Central African States/Wirtschaftsgemeinschaft der zentralafrikanischen Staaten) und GGC (Golf of Guinea Commission/Golf von Guinea-Kommission). Es war der erste Gipfel in Afrika, der sich ausschließlich mit maritimer Sicherheit befasste.

Die Beschlüsse von Yaoundé gipfelten in dem Bekenntnis der Unterzeichner zu einer gemeinsamen Strategie für die Bekämpfung vor allem der Piraterie im Meeresraum von Senegal bis Angola (einschließlich der Kapverdischen Inseln und São Tomé und Príncipe). Im Yaoundé „Code of Conduct“ wurde schließlich festgelegt, gegen welch grenzüberschreitende kriminelle Handlungen man nun gemeinsam vorgehen will: Piraterie und bewaffnete Raubüberfälle gegen Schiffe, Waffen- und Drogenhandel, Geldwäsche, Rohöl-Diebstahl, illegales Öl-Bunkern, Menschenschmuggel, Menschenhandel, Meeresverschmutzung, illegale Fischerei sowie illegale Giftmüllentsorgung.

Im September 2014 wurde in Kameruns Hauptstadt das Interregional Coordination Centre zur Überwachung der Yaoundé-Vereinbarungen eröffnet. Nach und nach folgten und folgen regionale und multinationale maritime Koordinierungszentren, die einmal den Golfraum komplett abdecken werden.

Lücken im operativen Kapazitätsaufbau und beim Informationsaustausch wollen westliche Partnernationen – allen voran die USA und Frankreich – auch mit Hilfe von Manövern schließen. „African Winds“ oder „Saharan Express“ und nicht zuletzt „Obangame Express“ (siehe auch hier) sollen bei der Ausbildung der Marinen der Region helfen und den Yaoundé-Prozess nachhaltig fördern.

Politische und ökonomische Ursachen von Piraterie lange ignoriert

Kritik an diesem Ansatz übte 2013 Denis Tull. Der damalige Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung für Zentralafrika und heutige Wissenschaftliche Mitarbeiter der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schrieb unmittelbar nach Beendigung des Yaoundé-Gipfels: „Bedenklich ist zweifellos der ausschließliche Fokus, den der Gipfel auf sicherheitspolitische Aspekte gerichtet hat. Er propagiert im Wesentlichen reaktive Antworten auf maritime Unsicherheit, die von Marineeinheiten und Küstenwachen getragen werden sollen. Diese verteidigungspolitische und militärische Engführung verkennt die politischen und ökonomischen Ursachen von Piraterie, die einer Politik der verantwortungslosen und ungerechten Ausbeutung und Verteilung des Ressourcenreichtums, Korruption und gesellschaftlicher Exklusion einer meist jugendlichen Bevölkerung entspringt.“

Die Tatsache, dass nicht wenige der Staatschefs, die sich in Yaoundé einfanden, die Architekten einer solchen Politik sind, mache die Ergebnisse des Gipfels ebenso nachvollziehbar wie die Unterstützung dieses Kurses durch die zunehmend militarisierte Afrikapolitik Frankreichs und der USA, rügte Tull. Sein Rat, nach wie vor hochaktuell: „Notwendig erscheint vielmehr ein Ansatz, der Rechtsstaatlichkeit und Transparenz in den von Korruption geprägten ressourcenreichen Staaten befördert.“

An der diesjährigen Übung „Obangame Express“ beteiligen sich Sicherheitskräfte, Ausbilder und Berater aus folgenden Staaten: Angola, Belgien, Benin, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Elfenbeinküste, Frankreich, Gabun, Ghana, Großbritannien, Guinea, Guinea-Bissau, Kamerun, Kanada, Kap Verde, Kongo (Demokratische Republik), Kongo (Republik), Liberia, Marokko, Namibia, Niederlande, Nigeria, Norwegen, Portugal, São Tomé und Príncipe, Senegal, Sierra Leone, Spanien, Togo, Türkei und USA.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Multinationale Übung „Obangame Express 2017“ – Marinesoldaten bei der Ausbildung „Boarding und Schiffsdurchsuchung“. Die Aufnahme entstand am 21. März 2017 in einem Navystützpunkt der Elfenbeinküste.
(Foto: Justin Stumberg/U.S. Navy)

2. Unsere Infografik zeigt die west- und zentralafrikanischen Staaten, die sich am Yaoundé-Prozess beteiligen. Das Hintergrundfoto vom 24. März 2017 zeigt einen Angehörigen der Schnellen Eingreifbrigade Kameruns während der Übung „Obangame Express“.
(Foto: Theron J. Godbold/U.S. Navy; Infografik © mediakompakt 03.17)

Kleines Beitragsbild: Übungseinlage im Rahmen von „Obangame Express“ am 20. März 2017 auf einem Stützpunkt der Elfenbeinküste.
(Foto: Justin Stumberg/U.S. Navy)


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