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Berlin/Inçirlik (Türkei). Die Bundeswehr wird ihr Personal und ihre Flugzeuge vorerst nicht vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Inçirlik abziehen. Dies erklärte am heutigen Montag (13. März) in Berlin Jens Flosdorff, Sprecher des Verteidigungsministeriums. Auf der Air Base in der Südtürkei sind momentan sechs Tornado-Aufklärer und ein A310 MRTT für die Luftbetankung stationiert. Deutschland beteiligt sich mit diesen Maschinen seit Dezember 2015 als Teil der „Operation Inherent Resolve“ am Kampf der internationalen Koalition gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS). Vor dem Hintergrund der bereits lange anhaltenden und weiter eskalierenden Spannungen zwischen der Türkei und einigen europäischen Nachbarstaaten – vor allem Deutschland und den Niederlanden – hat jetzt der CSU-Verteidigungsexperte Florian Hahn in Zeitungsinterviews einen Abzug der Bundeswehr vom Stützpunkt Inçirlik vorgeschlagen. Der Bundestagsabgeordnete ist nicht der einzige Politiker, der mittlerweile diese Forderung erhebt.

Bereits im vergangenen Jahr war es zwischen Ankara und Berlin zu ernsthaften Verwerfungen gekommen, als der Bundestag am 2. Juni nahezu einstimmig seine Armenien-Resolution verabschiedete. In der von Union, SPD und Grünen getragenen Erklärung wird die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern während des Ersten Weltkrieges im damaligen Osmanischen Reich, dem Vorgänger der heutigen Türkei, als Völkermord bezeichnet. Die türkische Regierung hatte zuvor gewarnt, dass die Genozid-Bezeichnung für den Massenmord an Armeniern die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland beschädigen könnte.

Als Retourkutsche für die Armenien-Resolution des Parlaments verbot danach die türkische Regierung unter anderem deutschen Abgeordneten den Besuch des Bundeswehrkontingents in Inçirlik. Das Verbot betraf auch eine für Mitte September geplante Reise des Verteidigungsausschusses zum Luftwaffenstützpunkt (siehe auch hier).

NATO-Generalsekretär Stoltenberg ruft Konfliktparteien zur Mäßigung auf

Inzwischen hat der Streit um Auftrittsverbote für türkische Regierungsmitglieder, die offenbar außerhalb ihres Landes Wahlkampf für das anstehende Referendum in der Heimat führen wollen, eine neue bedrohliche Situation erreicht (die Türkei und wahlberechtigte Türken im Ausland stimmen im April in einem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei ab, das Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ein noch größeres Machpotenzial garantieren würde).

Sogar die NATO sieht sich inzwischen gezwungen, die streitenden Länder – allesamt Partner im Bündnis – zur Mäßigung aufzurufen. Ziel müsse es sein, „Spannungen zu entschärfen und die Lage zu deeskalieren“, appellierte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nun in Brüssel.

CSU will geplante deutsche Investitionen in die türkische Air Base jetzt stoppen

Unionspolitiker Hahn sagte am Wochenende, in der derzeitigen „aufgeheizten Atmosphäre“ scheine es zunehmend unsicher, ob die türkische Regierung den Schutz der derzeit rund 280 deutschen Soldaten in Inçirlik „umfassend gewähren kann und will“. Er wolle keinesfalls, dass „unsere Bundeswehr zum Faustpfand in diesem Konflikt wird“. Der CSU-Parlamentarier warnte: „Ich mache mir Sorgen. Wir wissen nicht, was sich während des Verfassungsreferendums und kurz danach in der Türkei abspielen wird. Hier halte ich nichts für ausgeschlossen.“

Auf die Frage, wo denn ein Ausweichstandort für die deutsche Luftwaffe sein könnte, verriet Hahn: „Wir haben schon vor Monaten ein paar Alternativen für den Standort Inçirlik ins Auge gefasst. Jordanien ist davon sicher nicht die schlechteste. Die Regierung dort zeigt sich sehr kooperativ. Mein Rat ist: Wir sollten den Ausbau in Inçirlik – das sind geplante Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe – sofort stoppen und bald über eine Verlegung nachdenken.“

Zur Erinnerung: Das Bundesministerium der Verteidigung hat seit längerer Zeit bereits ein Budget von knapp 60 Millionen Euro bewilligt, das im Zusammenhang mit dem deutschen Einsatz auf dem türkischen Stützpunkt Inçirlik in dortige Infrastruktur investiert werden soll. Geplant sind eine Flugbetriebsfläche für die deutschen Tornado-Maschinen, Unterkunfts- und Stabsgebäude sowie ein mobiler Gefechtsstand. Die Vertragsunterzeichnung mit der türkischen Gegenseite steht aber immer noch aus. Ankara fordert zunächst einen direkten Zugang zu den Ergebnissen der deutschen Aufklärungsflüge über dem Irak und über Syrien – die Bundesregierung lehnt dies strikt ab.

Soldaten müssen willkommen sein und sich willkommen fühlen

Florian Hahn erhält mittlerweile auch Unterstützung von den Linken. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sagte der Nachrichtenagentur AFP: „Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Türkei ist es überfällig, die Tornados und die Bundeswehrsoldaten abzuziehen und Waffenlieferungen an die Türkei sofort zu stoppen.“

Einen Abzug der Bundeswehr aus der Türkei und die „sofortige Aussetzung der Sicherheitskooperation mit Ankara auf dem Gebiet der Geheimdienste, der Polizei und des Militärs“ hatte bereits vergangene Woche der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Jan van Aken, verlangt. Deutschland müsse außerdem sämtliche Rüstungsexporte in das NATO-Partnerland beenden. Staatspräsident Erdogan habe die Türkei in eine Diktatur umgebaut, aber die Bundesregierung unterstütze ihn noch immer, hatte van Aken gegenüber der Tageszeitung Heilbronner Stimme beklagt.

Auch für den Wehrbeauftragten des Bundestages scheint ein vorzeitiger Abzug der Bundeswehr aus der Türkei nicht mehr undenkbar. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Hans-Peter Bartels: „Inçirlik als Standort ist nicht alternativlos. Der Anti-IS-Kampf könnte auch von dem Stützpunkt im jordanischen Amman oder dem kretischen Akrotiri aus erfolgen.“ Für eine Stationierung in Inçirlik sprächen vor allem die Nähe zu Syrien und die Nutzung eines NATO-Flugplatzes. „Unsere Soldaten müssen dort aber auch willkommen sein und sich willkommen fühlen“, meinte Bartels.

Bundesinnenminister de Maizière rät von einem Rückzug aus Inçirlik ab

Bei der Frage eines möglichen Abzuges aus der Türkei gibt es allerdings auch andere Stimmen. So wollte sich beispielsweise Bundesinnenminister Thomas de Maizière den CSU-Forderungen nicht anschließen und gab zu bedenken: „Die Bundeswehrsoldaten sind ja da nicht zum Schutz türkischer Interessen, sondern sie sind dort zum Schutz von NATO-Interessen – also auch unseren Interessen. Deswegen rate ich davon ab.“

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, wies heute in der Passauer Neuen Presse die Forderungen aus der CSU ebenfalls zurück. „Die deutschen Soldaten aus Inçirlik abzuziehen, nur um gegenüber der Türkei ein Zeichen zu setzen, hielte ich für falsch.“ Der CDU-Politiker argumentierte ähnlich wie der Innenminister. Die Bundeswehr sei „nicht zum Schutz der Türkei in Inçirlik, sondern leiste einen Beitrag zur Bekämpfung der IS-Miliz.“ Der Luftwaffenstützpunkt sei dafür wichtig.

Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Vorsitzender, empfiehlt ebenfalls dringend, auf einen Bundeswehr-Abzug von der Air Base Inçirlik zu verzichten. Er schlägt vielmehr vor, die aggressiven Töne aus Ankara mit wirtschaftlichem Druck zu beantworten.

Ausweichen auf andere Basen wäre mit starken Einschränkungen verbunden

Auch bei der deutschen Luftwaffe fand und findet der Vorstoß von Florian Hahn wenig Zustimmung. Wie Spiegel online am gestrigen Sonntag berichtete, hieß es aus Kreisen der Luftwaffenführung: „Trotz der schwierigen politischen Großwetterlage zwischen Berlin und Ankara gibt es beim Einsatz in Inçirlik und der Zusammenarbeit mit der türkischen Armee auf der Basis weiterhin keinerlei Probleme.“ Auch gebe es keinerlei Hinweise darauf, dass die Türken die deutschen Soldaten nicht ausreichend schützen könnten oder wollten.

Ministeriumssprecher Flosdorff räumte ein, dass das BMVg zwar bereits Alternativstandorte – etwa in Jordanien und Kuwait – habe prüfen lasse, Inçirlik aber weiterhin militärisch für den besten Standort halte. „Man könnte auf andere Basen ausweichen, aber das wäre mit starken Einschränkungen verbunden.“

Am 7. Februar hatte die deutsche Luftwaffe von der Inçirlik Air Base, die rund zwölf Kilometer östlich von Adana im Süden der Türkei liegt, mit dem Start zweier Tornado-Flugzeuge die Marke von 750 Aufklärungsflügen seit Beginn der Mission erreicht.


Unsere Aufnahme zeigt den Start zweier deutscher Tornado-Aufklärer am 8. Januar 2015 vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Inçirlik im Rahmen der Militäroperation „Counter Daesh“.
(Foto: Falk Bärwald/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Ankunft deutscher Soldaten auf der Air Base Inçirlik am 30. Dezember 2015.
(Foto: Falk Bärwald/Bundeswehr)


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