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Berlin/Köln. Ist das Glas nun halb voll? Oder ist es halb leer? Wenn es um das Thema „Personallage der Bundeswehr“ geht, sind die Meinungen und Positionen oft sehr unterschiedlich. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, warnt beispielsweise in seinem aktuellen Jahresbericht: „So klein wie heute war die Bundeswehr niemals in ihrer Geschichte.“ Ohne gezielte Nachsteuerung drohe Überlastung in wichtigen Bereichen. Jetzt müsse die Debatte über Personalstruktur, Aufgaben und Umfang – militärisch und zivil – der Streitkräfte geführt werden. Entspannt klingt dagegen die Lagebeurteilung von Petra Müller, Leiterin der Abteilung II „Personalgewinnung“ im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr. Sie versicherte vor Kurzem dem Magazin WirtschaftsWoche: „Die Bundeswehr hat grundsätzlich keine Nachwuchsprobleme.“

Das mag stimmen, momentan jedoch fehlen der Bundeswehr – nimmt man die Stärkemeldung des Verteidigungsministeriums mit Stand 17. Februar 2016 zur Hand – rund 2100 Zeit- und Berufssoldaten. Dieses Defizit bezieht sich auf die Vorgaben des geltenden Personalstrukturmodells für die Bundeswehr, das einen Gesamtumfang von 185.000 Soldaten (PSM 185) hat. Die Zielstruktur des PSM 185 soll im Jahr 2017 erreicht werden.

In dieser Zielstruktur gehen die Planer des PSM 185 unter anderem von 170.000 Zeit- und Berufssoldaten sowie von bis zu 12.500 Freiwilligen Wehrdienst Leistenden (FWDL) aus. Im „Jahresbericht 2015“ von Hans-Peter Bartels lesen wir jedoch: „Von diesen [Soldaten] sind aber 7500 nicht auf Dienstposten eingeplant. Zusätzlich werden Wehrübungstage von Reservisten im Gegenwert von 2500 Stellen in die zu erreichende Umfangszahl eingerechnet. Zudem ist festzuhalten, dass längst nicht alle zahlenmäßig vorhandenen aktiven Soldatinnen und Soldaten […] tatsächlich für den Dienst in der Bundeswehr zur Verfügung stehen.“ Es müsse deshalb ein „Fehl“ von fast 15.000 Soldaten konstatiert werde, so der Wehrbeauftragte in seinem am 26. Januar veröffentlichten Bericht.

Monatliche Stärkemeldungen der Bundeswehr sprechen eine deutliche Sprache

Dieses fehlende militärische Personal befinde sich im Berufsförderungsdienst mit Anspruch auf Freistellung vom Dienst oder werde aus strukturellen oder persönlichen Gründen auf Planstellen zur besonderen Verwendung beziehungsweise dienstpostenähnlichen Konstrukten geführt, erklärt Bartels.

Sein Fazit: Der angestrebte Umfang des geltenden PSM 185 werde – rein quantitativ betrachtet – nicht erreicht („was auch die monatlichen Stärkemeldungen der Bundeswehr regelmäßig belegen“). Auch in qualitativer Hinsicht könne keinesfalls davon gesprochen werden, dass die für 2017 ins Auge gefasste Zielstruktur bereits erreicht wäre.

Die Aufgabenstellung sei deshalb vielmehr folgende, schlussfolgert Bartels: „Es bleibt eine zentrale Herausforderung für das Personalmanagement, den militärischen Personalkörper von den Altstrukturen in die Neustruktur des Personalstrukturmodells 185 zu überführen und diese Umsetzung so effektiv, transparent und sozialverträglich wie möglich zu gestalten.“

Bundeswehr sieht die Bewerberzahlen „auf einem hohen Niveau“

In seinem Onlinebeitrag „Deutschlands Armee fehlen hunderte Soldaten“ für die WirtschaftsWoche, in dem auch Abteilungsleiterin Petra Müller aus dem Kölner Bundesamt Stellung bezieht, nennt Autor Helmut Michelis am 11. Februar folgende interessante Zahlen: „Die Bundeswehr benötigt jährlich rund 13.000 neue Zeitsoldaten und mindestens 5000 junge Frauen und Männer für den Freiwilligen Wehrdienst. Im zivilen Bereich umfasst der Einstellungsbedarf 4000 Auszubildende, Arbeitnehmer und Beamte. Damit eine Auswahl möglich wird, sind deshalb alljährlich mehr als 60.000 Bewerbungen für den militärischen und rund 20.000 für den zivilen Bereich Pflicht.“

Es könne personell nicht von einem sinkenden Schiff die Rede sein, zitiert Michelis die Personalexpertin aus dem Bundesamt. Die Bundeswehr habe grundsätzlich keine Nachwuchsprobleme.

Ähnlich zuversichtlich klingt Müllers Unterabteilungsleiter II 1, Oberst Hans-Joachim Peter. Er ist zuständig für den Aufgabenbereich „Personalgewinnung und Marketing“ und sieht die Bewerberzahlen „auf einem hohen Niveau“. Eine aktuelle Zahl und einige Details erfahren wir aus einem Beitrag, den das Bundesamt am Mittwoch vergangener Woche (2. März) in seinem Onlineportal veröffentlicht hat.

Planer erwarten im vierten Jahresquartal bis zu 1000 weitere FWDL-Plätze

Wie Peter sagte, habe man rückblickend auf das Einstellungsjahr 2015 „die mehr als zufriedenstellende“ Bedarfsdeckungsquote von 97 Prozent erreichen können. In den Laufbahnen der Offiziere und der Feldwebel des Truppendienstes seien alle offenen Stellen besetzt worden.

Etwas Sorgen bereite den Personalplanern die Situation beim Bewerberkreis der FWDL. Da man in der Ausbildungskapazität „sehr begrenzt“ gewesen sei, habe man hier auch im Juli 2015 keine freien Ausbildungsplätze mehr anbieten können. Die Streitkräfte würden nun aber für das vierte Quartal 2016 den Planern „bis zu 1000 weitere Plätze“ zur Verfügung stellen, berichtete der Unterabteilungsleiter.

Unbefriedigend ist das Bewerberaufkommen bei den Frauen. Zwar sind die Hälfte der Schulabgänger weiblich, die Bundeswehr erreicht aus dieser Gruppe aber nur einen kleinen Teil. Oberst Peter gestand ein: „Wir müssen auf diese Personengruppe gezielter zugehen, indem wir beispielsweise Stellenausschreibungen speziell für Frauen präsentieren.“

Etwas konkreter hatte sich bei diesem Punkt seine Abteilungsleiterin im Gespräch mit Helmut Michelis geäußert. Neue Wege – wie eine klare Dienstzeitregelung, Teilzeitarbeit, Telearbeit und Kinderbetreuung am Arbeitsplatz – würden sicherlich dabei helfen, die traditionelle Männerdomäne „Bundeswehr“ weiter aufzubrechen. „Wir dürfen eine Schwangerschaft nicht mehr als Problem sehen“, so Petra Müller gegenüber der WirtschaftsWoche. Derzeit haben die deutschen Streitkräfte mit rund 19.200 Soldatinnen einen Personalanteil von rund elf Prozent.

In vielen Bereichen von einer „robusten Personalstruktur“ noch weit entfernt

Müller und Peter räumen abschließend ein, dass es in manchen Fachbereichen eine ganze Anzahl unbesetzte Stellen gibt. Insbesondere bei Spezialistentätigkeiten – wie beispielsweise dem IT-Feldwebel – habe man lediglich eine Bedarfsdeckung von etwa 38 Prozent erreichen können, bedauert der Unterabteilungsleiter. Auch seine Abteilungsleiterin ist wenig erfreut über diesen Umstand, weist aber auf vergleichbare Zahlen in der Wirtschaft hin. Im vergangenen Jahr habe die Bundeswehr nur knapp 250 IT-Feldwebel einstellen können, gesucht habe man aber mehr als 600, so Müller in der WirtschaftsWoche. Auch der Sanitätsdienst müsse derzeit bei der Krankenpflege deutliche personelle Engpässe ertragen.

Der Wehrbeauftragte greift in seinem „Jahresbericht 2015“ ebenfalls das Thema „Fachkräftemangel bei der Bundeswehr“ auf. Allerdings wählt Bartels eine weniger trostreiche Sprache. Er urteilt frank und frei: „Die Bundeswehr hat trotz intensiver Anstrengungen bei der Personalgewinnung erhebliche bis alarmierende Personalprobleme in einigen Verwendungsbereichen und Laufbahnen. […] Von einer robusten Personalstruktur, die auch einer stärkeren Ausrichtung auf Einsatzerfordernisse gerecht würde, kann in vielen Bereichen nicht gesprochen werden.“

Der Jahresbericht zählt auf: „Besonders betroffen sind die Laufbahnen der Feldwebel des allgemeinen Fachdienstes und zunehmend auch der Fachunteroffiziere in technischen und informationstechnischen sowie sanitätsdienstlichen Verwendungen.“

Hinzu komme ein Fehl an Personal in Bereichen mit besonders anspruchsvollen körperlichen Verwendungen wie beispielsweise bei den Minentauchern oder besonderen Verwendungen wie dem Militärischen Nachrichtenwesen.

Größte personelle Vakanzen beim Heer im Bereich „Elektronik“

Beim Heer besteht nach Erkenntnissen des Wehrbeauftragten in der Laufbahn der Feldwebel des allgemeinen Fachdienstes eine personelle Unterdeckung in den Ausbildungs- und Verwendungsreihen der Führungsunterstützungs-, Informations- und Telekommunikationsfeldwebel. Bei einem Soll von rund 4600 Dienstposten liegt hier das Fehl bei etwa 1900 ausgebildeten Soldaten.

Die größten personellen Vakanzen im Bereich der Fachunteroffiziere bestehen beim Heer laut Jahresbericht in den Ausbildungs- und Verwendungsreihen „Elektronik“ (Soll: 528/Ist: rund 280). In den Ausbildungs- und Verwendungsreihen „Umschlag“ beziehungsweise „Transport“ bestehen im Heer bei den ausgebildeten Unteroffizieren laufbahnübergreifend ebenfalls Personaldefizite (Soll: rund 1250/Ist: etwa 750).

Auch Luftwaffe und Marine händeringend auf der Suche nach Spezialisten

Bei der Teilstreitkraft Luftwaffe bereiten den Personalplanern – so Wehrbeauftragter Bartels – die Verwendungen mit IT-Bezug die größten Sorgen. Betroffen sind insbesondere die Bereiche „Informationsverarbeitung“ (Soll: 1215/Ist: rund 900), „Informationsübertragung Weitverkehr“ (Soll: 988/Ist: rund 450) sowie der Bereich des Programmierpersonals (Soll: 145/Ist: rund 100).

Ein „überdurchschnittliches Personalfehl“ hat der Jahresbericht auch bei den Feldwebeln des allgemeinen Fachdienstes ausgemacht. Folgende Luftwaffendienste sind vorrangig betroffen: Radarelektronik mit der Verwendung „Radarelektronikfeldwebel“ (Soll: 235/Ist: rund 150) sowie Fluggerätetechnik „Mechanik Eurofighter“ (Soll: 527/Ist: rund 320).

In der Marine besteht eine deutliche personelle Unterdeckung in den Verwendungen „Elektrotechnik“ (Soll: 687/Ist: rund 400), „Marineelektronik“ (Soll: 644/Ist: rund 450) und „IT-Systembetreuung“ (Soll: 638/Ist: rund 400). Besonders betroffen ist auch – wie bereits erwähnt – die spezialisierte Verwendungsreihe „Minentaucher“ (Soll: 117/Ist: 57).

Hälfte des Assistenzpersonals für ambulante medizinische Versorgung fehlt

Für den Personalbereich des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr hat das Amt des Wehrbeauftragten in der Laufbahngruppe der Feldwebel die größte Vakanz mit einer unter 50 Prozent liegenden Besetzungsquote im Verwendungsbereich „Assistenzpersonal ambulante medizinische Versorgung“ ausgemacht (Soll: 589/Ist: rund 240).

Bei den Fachunteroffizieren des Sanitätsdienstes bestehen erhebliche personelle Engpässe bei den „Gehilfen ambulante Versorgung“ und bei der Verwendung „Rettungsdienst“ (Einsatzsanitäter). Hier ist nach dem Kenntnisstand des Wehrbeauftragten gerade einmal die Hälfte aller Dienstposten besetzt (rund 850 von 1700).

Den Teilbefund über die Personalfehlbestände bei der Bundeswehr nennt Bartels insgesamt „besorgniserregend“. Dabei seien lediglich die größten personellen Vakanzen erfasst und dokumentiert worden. Bereiche mit weniger als 100 Dienstposten im Soll habe man in diese Darstellung gar nicht aufgenommen.

Hat die Bundeswehr wirklich die Zeichen der Zeit erkannt?

Kommen wir zurück zu unserem Eingangsbild vom halb gefüllten Wasserglas. Man muss dem Anwalt der Soldaten dankbar sein für seine klare, unverblümte Sprache zur Beschreibung des Fachkräftemangels bei der Bundeswehr. Wenn Hans-Peter Bartels von „erheblichen bis alarmierenden Personalproblemen in einigen Verwendungsbereichen und Laufbahnen“ spricht, so ist dies der Sache wesentlich dienlicher als Schönfärberei des verantwortlichen Managements. Denn dabei besteht die Gefahr, dass aus allzu optimistisch formulierten Statements der Planer auch leicht einmal Wasserstandsmeldungen werden können.

Hoffen wir nun, dass dies auf ein Versprechen des Bundesamtes – abgegeben vor dem Hintergrund geburtenschwacher Jahrgänge und dem daraus resultierenden Konkurrenzkampf mit Industrie und Wirtschaft um die „klügsten Köpfe und geschicktesten Hände“ – einmal nicht zutreffen wird. Die Behörde versichert: „Die Bundeswehr hat die Zeichen der Zeit erkannt und versucht, mit entsprechenden Maßnahmen, die Bewerberlage für die kommenden Jahre zu sichern.“


Die Aufnahme zeigt Haus 6 des Verteidigungsministeriums in Berlin am 4. Juli 2011. Arbeiter befestigen an der Wand ein Riesenplakat der neuen Nachwuchs-Werbekampagne „Wir.Dienen.Deutschland.“.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

Kleines Beitrags- und Symbolbild: Bundeswehrangehörige am 21. Mai 2011 bei der 53. Internationalen Soldatenwallfahrt im französischen Lourdes.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)


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