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Berlin/Kunduz (Afghanistan). Die Bundeswehr hat in Afghanistan während ihres dortigen Einsatzes insgesamt knapp eine halbe Milliarde Euro für Feldlager, Flugplätze und andere bauliche Maßnahmen ausgegeben. Das Verteidigungsministerium nennt diese Investitionen „infrastrukturelle einsatzbedingte Zusatzausgaben“; sie werden aus dem Verteidigungsetat bestritten. Nach dem Abzug der deutschen Truppen – beispielsweise aus Faizabad oder Kunduz – verfallen die Bauprojekte mehr und mehr. Schon im September 2014 hatte Jürgen Webermann, Südasien-Korrespondent der ARD in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi, nach einem Besuch in Nordafghanistan berichtet: „Das ehemalige Feldlager der Bundeswehr in Kunduz wirkt wie eine Geisterstadt im amerikanischen Mittleren Westen.“

In seinem Lagebericht aus der afghanischen Provinzhauptstadt schrieb Webermann damals: „Sand hat sich auf die Wege gelegt, Bäume und Büsche sind verdorrt. Ein Schild prangt am Zaun, auf Deutsch steht darauf: ,Tal der Tränen‘. Die Kantine, früher ein belebter Treffpunkt für die Bundeswehrsoldaten, ist völlig verwaist. Die Wasserhähne im Eingangsbereich sind kaputt. Die afghanischen Polizisten kommen manchmal hierhin zum Essen, sie kochen aber woanders – die Küche der Deutschen können sie nicht nutzen, zu kompliziert. Ein anderes Gebäude, das frühere Lazarett, ist komplett geschlossen. Verwundete werden in die Stadt gebracht.“

Heute – gut zwei Jahre später und nach der zwischenzeitlichen Eroberung der Stadt Kunduz durch die Taliban (28. September bis 13. Oktober 2015) – dürfte sich der Zustand der früheren Bundeswehr-Einrichtungen sogar noch weiter verschlechtert haben.

Erhebliche Investitionen auch in den Lufttransportstützpunkt Termez

In den 15 Jahren des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr flossen seit Mandatsbeginn 2001 über das Mandatsende von ISAF (31. Dezember 2014) hinaus bis zum 31. Dezember 2015 insgesamt 448,7 Millionen Euro in Bundeswehr-Einsatzliegenschaften am Hindukusch. 20,4 Millionen Euro steckte Deutschland in die Infrastruktur seines Drehkreuzes für den Lufttransport, Termez. Den Strategischen Lufttransportstützpunkt in Usbekistan nutzte die Bundeswehr im Zeitraum 18. Februar 2002 bis 11. Dezember 2015. Die gesamten investiven Kosten betragen somit momentan 469,1 Millionen Euro.

Diese Details stammen aus der Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine entsprechende Anfrage des Bundestagsabgeordneten Tobias Lindner (Bündnis 90/Die Grünen). Die Aufstellung der Abteilung „Haushalt und Controlling“ liegt dem bundeswehr-journal vor.

Die Auflistung der gerundeten Ausgaben sieht für die folgenden Standorte beziehungsweise Einsatzliegenschaften folgendermaßen aus: Mazar-e Sharif 267,5 Millionen Euro (davon wurden rund 63 Millionen für das Camp Marmal seitens der NATO finanziert), Kunduz 136,3 Millionen, Kabul 22,2 Millionen (rund 2,5 Millionen davon wurden von Frankreich als Restwertzahlung bei Übernahme des Camp Warehouse im Juli 2006 entrichtet), Termez 20,4 Millionen, Faizabad 14,2 Millionen, Taloqan 8,2 Millionen, Aibak 0,1 Millionen. Hinzu kommen sonstige Ausgaben in Höhe von 0,2 Millionen Euro für operative Infrastruktur (beispielsweise für den Ausbau der Polizeistation Chahar Darah im gleichnamigen Distrikt der Kunduz-Provinz).

Konzepte für Anschlussnutzung wohl „oftmals nicht optimal“

Tobias Lindner erklärte vor wenigen Tagen gegenüber der Rheinischen Post, dass all diese Ausgaben für den Schutz der Soldaten zwar notwendig gewesen seien. „Wenn man jedoch sieht, dass manche dieser Gebäude nun teilweise verfallen, wird deutlich, dass die Konzepte für eine Anschlussnutzung oftmals nicht optimal waren.“ Betrachte man die Kosten und den jetzigen Zustand der Gebäude, so habe die Bundeswehr mancherorts sicherlich auch zu komplex und teuer gebaut, kritisierte der haushalts- und sicherheitspolitische Experte der Grünen.

Von Unsummen, die in Afghanistan verschwendet sind, berichtet regelmäßig in den USA auch SIGAR, das Büro des Special Inspector General for Afghan Reconstruction. Allerdings geht es hier um ganz andere Dimensionen im Milliardenbereich. Das Gesicht der Institution SIGAR ist John F. Sopko, der unabhängige Sonderbeauftragte des US-Kongresses für den Wiederaufbau in Afghanistan. Die periodischen Berichte des obersten Rechnungsprüfers für die amerikanischen Investitionen am Hindukusch stellen den Verantwortlichen, die dort amerikanische Steuergelder sinnvoll einsetzen sollten, kein gutes Zeugnis aus. Ganz im Gegenteil!

„Zu viel Geld war einfach kontraproduktiv für Afghanistan“

Während die USA Afghanistan mit Milliarden US-Dollar geflutet haben, um dem Land eine bessere Zukunft zu erkaufen, ist dadurch eine korrupte Führungselite noch reicher geworden und die übergroße Mehrheit der Afghanen noch tiefer in Armut und Resignation versunken. Der Flüchtlingsstrom Richtung Pakistan und nach Europa spricht eine deutliche Sprache. In einem Interview mit Christian Thiels für tagesschau.de im September vergangenen Jahres hatte Sopko bitter beklagt: „Zu viel Geld war kontraproduktiv in Afghanistan. Es hat die lokale Wirtschaft verzerrt, es hat die Gesellschaft verzerrt und wesentlich zur Korruption beigetragen.“

Seit dem Jahr 2002 bis zum Stichtag 31. März 2015 haben die USA ihr Partnerland in Zentralasien mit rund 110 Milliarden US-Dollar unterstützt. SIGAR hat seit 2009 in mittlerweile 35 Untersuchungsberichten zu Aufbauprojekten des Verteidigungsministeriums die enorme Verschwendung von Steuergeldern angeprangert. Bei einer Anhörung vor einem Komitee des Repräsentantenhauses am 16. März dieses Jahres wurde bekannt, dass ein Drittel aller fertiggestellten Wiederaufbau- und Neubauprojekte der Amerikaner in Afghanistan niemals genutzt worden ist. Diese Bauvorhaben gammeln nun vor sich hin.


Zum Bildmaterial unseres Beitrages:
1. Bau einer neuen Brücke über die Koktscha mit deutscher Hilfe. Die Aufnahme entstand im Januar 2008.
(Foto: John Scott Rafoss/ISAF HQ Public Affairs)

2. und 3. Mit dem Abzug der Bundeswehr aus Kunduz begann dort auch der langsame Niedergang des früheren deutschen Feldlagers, das inzwischen einer Geisterstadt gleicht. NDR-Korrespondent Jürgen Webermann gestattete uns, aus seinem Bericht „Ohne Bundeswehr geht es bergab“ (veröffentlicht im Onlineportal des Deutschlandfunks im September 2014) zu zitieren und sein Fotomaterial aus Kunduz zu nutzen. Die beiden Bilder symbolisieren den Abwärtstrend in der nordafghanischen Provinzhauptstadt.
(Fotos: Jürgen Webermann)

4. Das Hintergrundbild unserer Infografik zeigt den Blick auf die Berge nahe des Camp Marmal in Mazar-e Sharif. Die Aufnahme wurde im Januar 2011 gemacht.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr, Infografik © mediakompakt 06.16)


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