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Pullach/Berlin. Cyberkriminalität, internationaler Rauschgifthandel, islamistischer Terror – die Schreckenszenarien, mit denen sich der Bundesnachrichtendienst (BND) tagtäglich konfrontiert sieht, sind vielgestaltig. „Die Arbeit des BND ist heute wichtiger denn je“, erklärt Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. „Geheimdienste und Demokratie, das verträgt sich nicht“, meint hingegen Jan Korte, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion Die Linke. Er fordert: „Für eine an den Bürgerrechten orientierte Politik wird es über kurz oder lang keine Alternative zur Abschaffung der Geheimdienste geben, zumal ihr Nutzen oft fragwürdig ist.“ Die Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes feierte am gestrigen Freitag (1. April) den 60. Jahrestag ihrer Gründung. Die BND-Grundstellung ist und bleibt wohl auch noch für längere Zeit der schmerzhafte Spagat …

Der 1956 gegründete Bundesnachrichtendienst mit Hauptsitz im oberbayerischen Pullach und neuer Zentrale in Berlin ist – neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Amt für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) – einer der drei deutschen Nachrichtendienste. Aufgaben und Tätigkeiten „der Pullacher“ sind durch das BND-Gesetz geregelt („Gesetz über den Bundesnachrichtendienst“ vom 20. Dezember 1990). Darin heißt es: Der Dienst „sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen und wertet sie aus“.

Von den Erkenntnissen der Auslandsaufklärer profitieren die Bundesregierung, der Bundestag, der Krisenstab des Auswärtigen Amtes und die Bundeswehr bei ihren Auslandsmissionen (siehe auch hier).

Die Behörde beschäftigt etwa 6500 Mitarbeiter. Der BND-Etat aus dem Bundeshaushalt beträgt für 2016 rund 723,8 Millionen Euro. Alle drei deutschen Nachrichtendienste unterliegen der Kontrolle des Bundestages und seiner Gremien, insbesondere der des Parlamentarischen Kontrollgremiums, des Vertrauensgremiums des Haushaltsausschusses und der G10-Kommission (sie entscheidet über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch die Nachrichtendienste des Bundes durchgeführten Beschränkungsmaßnahmen im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses).

Frustrierte Nachrichtendienstmitarbeiter im schweren Terror-Abwehrkampf

Der Bundesnachrichtendienst wird sein gestriges Jubiläum nicht völlig entspannt gefeiert haben. Denn da sind zum einen die bedrückenden Negativschlagzeilen der jüngeren Zeit – Journalistenbespitzelung im Inland, Plutoniumschmuggel oder enge Zusammenarbeit mit der amerikanischen National Security Agency (NSA) bei millionenfacher Ausspähung. Zum anderen verunsichert Kritik von der Opposition aber auch aus den Reihen von CDU/CSU und SPD den Dienst derart, dass – Zitat Deutsche Presse-Agentur – „Sicherheitskreise aus wichtigen operativen Abteilungen von schlechter Stimmung und Frustration im deutschen Auslandsgeheimdienst“ berichten. In einem Beitrag der Tagesschau zum 60. des BND heißt es sogar: „Die Aufarbeitung der Kooperation von BND und NSA durch den Bundestagsuntersuchungsausschuss hat ihre Spuren hinterlassen: die Kommunikationsüberwachung des BND sei nahezu zum Erliegen gekommen, heißt es in Sicherheitskreisen.“

Hinzu kommt ein Gesetzentwurf des Bundeskanzleramtes zur besseren Kontrolle des BND, der zwar vorerst „auf Eis“ gelegt worden sein soll, aber weiterhin wie ein Damoklesschwert über der Behörde schwebt. Stefan Aust, Manuel Bewarder und Florian Flade beschreiben in der Welt vom 18. März das Vorhaben: „Der Entwurf, der im Januar fertiggestellt wurde, soll die Auslandsaufklärung des BND auf eine neue gesetzliche Grundlage stellen. Dem Dienst soll künftig unter anderem untersagt werden, Staaten der Europäischen Union auszuspionieren. Zudem soll die Kontrolle durch das Parlament deutlich strenger werden. Die Vorgaben, die der Gesetzgeber seinem Nachrichtendienst macht, wären weltweit einmalig.“

Gleichzeitig aber – und hier kehren wir zum Bild des schmerzhaften Spagats zurück – soll der Bundesnachrichtendienst angesichts der extremen Terrorgefahr auch in Deutschland und der blutigen Anschläge mitten in Europa das bleiben, was er war und ist: effektiver „Vorfeldaufklärer“. So beschrieb es vor wenigen Tagen der Bundestagsabgeordnete und Innenexperte der CDU Armin Schuster in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Er appellierte an all diejenigen, die „schon seit zwei Jahren ein Nachrichtendienst-Bashing betreiben“, sich dies „politisch genau zu überlegen“. Schuster, unter anderem Obmann seiner Fraktion im Innenausschuss, zu den drei deutschen Nachrichtendiensten: „Es sind unsere Vorfeldaufklärer, es sind – wenn Sie so wollen – unsere wichtigsten Sensoren bei terroristischen Angriffen. Und die müssen wir arbeiten lassen.“

Wer die Nachrichtendienste verstehen will, der muss ihre Vergangenheit kennen

Das eingetrübte Image des BND hat dessen Präsident Gerhard Schindler einmal so auf den Punkt gebracht: „Wir in Deutschland scheuen uns ja schon, das Wort ,Geheimdienst‘ zu gebrauchen.“ Woran liegt es? Eine Antwort, warum der im Terror-Abwehrkampf doch so lebenswichtige Bundesnachrichtendienst einen so schweren Stand in Teilen von Gesellschaft und Politik hat, erhalten wir in Dresden. Gorch Pieken, wissenschaftlicher Leiter des dort beheimateten Militärhistorischen Museums der Bundeswehr, rät: „Wer die modernen Nachrichtendienste verstehen möchte, muss ihre Vergangenheit kennen.“ Und er lädt ein in die Sonderausstellung „Achtung Spione!“, die in Kooperation mit dem BND entstanden ist und am 18. März in Dresden eröffnet wurde.

Der Zweite Weltkrieg war in Asien noch nicht beendet, als der ehemalige Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen bereits für das US-Militär arbeitete. Sein Auftrag war unverändert: Aufklärung der Roten Armee. Von Sommer 1945 bis 1946 war der Kriegsgefangene Gehlen dazu mit einem kleinen Team in Washington tätig. Nach seiner Rückkehr baute er in Deutschland die nach ihm benannte „Organisation Gehlen“ auf, Vorläufer des heutigen Bundesnachrichtendienstes.

Bis zur Gründung des BND am 1. April 1956 standen die hauptamtlichen Mitarbeiter und Spione Gehlens auf der Gehaltsliste der US-Regierung – darunter (frei nach der Devise „Großzügigkeit gegenüber der Vergangenheit, Geschlossenheit im Gegenwartskampf“) der berüchtigte Gestapo-Chef von Lyon Klaus Barbie, Adolf Eichmanns Mitarbeiter Alois Brunner und Walther Rauff, Erfinder der mobilen Gaskammer.

„Um die Entwicklungen der letzten Jahre und die Funktionsweise des BND heute besser verstehen zu können, muss man den Blick auf seine Gründungsphase richten“, wiederholt Pieken. Die große Sonderausstellung des Militärhistorischen Museums „Achtung Spione! – Geheimdienste in Deutschland von 1945 bis 1956“ macht genau dies möglich.

Die Ausstellung präsentiert mehr als 600 Objekte und Dokumente, von denen viele erstmals öffentlich zu sehen sind. Noch nie gezeigte Dokumente und Erinnerungsstücke aus privaten Nachlässen ergänzen die Schau. Die Besucher erhalten Einblicke in das Leben und Handeln der bekanntesten Persönlichkeiten deutscher Spionagegeschichte im beginnenden Kalten Krieg. Der Sandstein-Verlag hat zu „Achtung Spione!“ eine zweibändige Begleitpublikation herausgebracht. Der Essayband vereint Beiträge renommierter Wissenschaftler zur Geschichte der „Organisation Gehlen“ und des BND. Interviews mit Egon Bahr und Daniel Ellsberg, dem „Vater“ der Whistleblower, lenken den Blick schließlich bewusst auf die Gegenwart.

Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der BND-Geschichte

„Die lange Liste der öffentlich gewordenen Skandale des BND“, so meint Bundestagsabgeordneter Jan Korte, „begann schon vor seiner eigentlichen Gründung“. Bereits 1950 sei mit Wissen und Billigung des Kanzleramtes eine Geheimarmee ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS und der Wehrmacht im Umfeld der „Organisation Gehlen“ gegründet werden. Gehlen selber sei es auch gewesen, der dafür gesorgt habe, dass „jede Menge Nazis, Kriegsverbrecher und zum Teil auch Massenmörder“ beim BND ein- und ausgehen konnten.

Erstaunt stellt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken aber auch fest: „Immerhin lässt der BND in dieses dunkelbraune Kapitel nun seit einigen Jahren etwas Licht. Und die unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Dienstes hat entgegen meinen Annahmen – ich hätte das gar nicht für möglich gehalten – extrem viel Gutes, Neues und Kritisches über die braunen Wurzeln beim BND hervorgebracht. Insbesondere die Zwischenergebnisse zur Frage der historischen Bedeutung der massiven innenpolitischen Präsenz des Nachrichtendienstes in den Gründungsdekaden der Bundesrepublik sind bemerkenswert. Man wusste zwar schon durch den Guillaume-Untersuchungsausschuss von 1974, dass BND-Chef Gehlen eine umfangreiche Sonderkartei über Hunderte Personen der westdeutschen Innenpolitik anfertigen ließ. Welchen Umfang die verfassungswidrige Inlandsaufklärung des BND hatte und welchen Zielen sie diente, blieb der Öffentlichkeit aber bislang weitgehend verborgen.“

Der Volksvertreter schreibt dem Bundesnachrichtendienst zum „runden 60.“ abschließend ins Stammbuch: „Nach dem NSA-Skandal und in der heutigen Situation der millionenfachen Überwachung der Bürgerinnen und Bürger durch in- und ausländische Geheimdienste ist jede Maßnahme demokratisch geboten, die Geheimdiensten Schranken aufweist.“ Für seine Partei und seine Fraktion sei klar, so Korte, dass sich der Grundwiderspruch „Geheimdienst versus Transparenz“ in der Demokratie nicht durch zaghafte Reformen und eine leicht verbesserte parlamentarische Kontrolle auflösen lasse.

Die lange angekündigte Reform auf den „Sankt-Nimmerleins-Tag“ verschoben

Mit dem Thema „Reformen und Kontrolle“ befasste sich auch der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz. Zum 60-jährigen Bestehen des BND forderte er die Bundesregierung auf, die „eklatanten Mängel“ der geheimdienstlichen Arbeit endlich abzustellen.

Die Nachrichtendienste hätten erwiesenermaßen oftmals am Rande und teilweise auch deutlich über ihre gesetzlichen Befugnisse hinaus agiert, kritisierte der Innenexperte in der Freitagausgabe der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der Regierung warf von Notz vor, ihre Dienst- und Fachaufsicht nicht ernst genommen zu haben. Grenzüberschreitungen seien toleriert und sogar bewusst gefördert worden. „Angesicht terroristischer Bedrohungen brauchen wir zuverlässig arbeitende, der Rechtsstaatlichkeit verpflichtete Nachrichtendienste“, erklärte der Sprecher für Netzpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Der Reformbedarf beim BND sei hoch. Darauf hätten auch unabhängige Sachverständige immer wieder hingewiesen. Von Notz nannte es „unverantwortlich“, dass die Bundesregierung eine seit Monaten angekündigte Reform gerade „auf den Sankt-Nimmerleins-Tag“ verschoben habe.

Terroristische Anschläge auf Bundeswehrangehörige in Afghanistan verhindert

„Die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes ist heute wichtiger denn je“, verteidigt der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer die viel gescholtene Behörde. Dies hätten nicht zuletzt die terroristischen Anschläge in Paris im vergangenen Jahr und aktuell die schrecklichen Verbrechen in Brüssel gezeigt. Auch in Deutschland wachse die Terrorgefahr.

Der innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag verweist auf die Vorgehensweise der dschihadistischen Terroristen und fordert „eine intensivere internationale Zusammenarbeit“ bei der Terrorismusbekämpfung. „Dies schließt auch – das sage ich ganz deutlich – den Austausch von Daten mit den US-Diensten ein“, so der CSU-Politiker. „Deutschland kann es sich nicht erlauben, angesichts der aktuellen Herausforderungen auf die Zusammenarbeit mit diesem starken Partner zu verzichten. Sofern konkret rechtliche Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche internationale Zusammenarbeit fehlen, sollten wir als Gesetzgeber nicht zögern, diese Voraussetzungen zu schaffen.“

Der Bundesnachrichtendienst habe es in der Vergangenheit vermocht, terroristische Anschläge zu verhindern – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Afghanistan zum Schutz der dort eingesetzten Bundeswehrangehörigen, gibt Stephan Mayer zum Schluss zu bedenken. „Wir sollten das Jubiläum des Bundesnachrichtendienstes zum Anlass nehmen, uns dafür auch einmal zu bedanken.“


Randnotiz                                  

„Achtung Spione! Geheimdienste in Deutschland von 1945 bis 1956“. Sonderausstellung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden zur Gründungsphase der deutschen Geheimdienste und deren Wirken nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Bundesnachrichtendienst, der in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag feiert. Sie wird noch bis zum 29. November 2016 gezeigt.
Ort: Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Olbrichtplatz 2, 01099 Dresden (Wechselausstellungsbereich im Erdgeschoss und in der Halle 28). Öffnungszeiten: täglich 10 bis 18 Uhr, Montag 10 bis 21 Uhr, Mittwoch geschlossen. Die Angaben sind ohne Gewähr.


Zu unseren Aufnahmen:
1. Haupteingang zum Areal des Bundesnachrichtendienstes im oberbayerischen Pullach.
(Foto: Bjs)

2. Neue Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Berlin.
(Foto: Alexander Obst, Marion Schmieding)

Kleines Beitragsbild: Bundesadler im Eingangsbereich des Bundesnachrichtendienstes in Pullach.
(Foto: Bjs)


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