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Berlin. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach wollte vor Kurzem von der Bundesregierung wissen, wie oft bereits die am 9. November 2010 gestiftete Bundeswehr-Einsatzmedaille Stufe „Gefecht“ verliehen worden ist. Wie nun der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Verteidigung Markus Grübel am 4. Februar mitteilte, haben bislang 5782 Frauen und Männer diese Auszeichnung „für die Teilnahme an Gefechten“ im Rahmen von Auslandseinsätzen erhalten (Stand 2. Februar 2015).

Nach Grübels Angaben entfallen von diesen 5782 Gefechtsmedaillen, die es ab dem Stichtag 28. April 2009 gibt, 5470 auf den ISAF-Einsatz in Afghanistan (ISAF: International Security Assistance Force), 310 – im Jahr 2011 – auf den KFOR-Einsatz im Kosovo (KFOR: Kosovo Force) und zwei auf den UNMISS-Einsatz in Südsudan (UNMISS: United Nations Mission in the Republic of South Sudan). Die hohe Zahl der an „Afghanistankämpfer“ verliehenen Gefechtsmedaillen – pro Monat durchschnittlich 107 – zeugt auch von der Härte und den Gefahren des deutschen Auslandseinsatzes am Hindukusch.

Gefährliche Missionen im Nordkosovo und in der Republik Südsudan

Hintergrund für die Auszeichnung mit der Gefechtsmedaille nach einem KFOR-Einsatz waren die Unruhen im nördlichen Kosovo im Sommer 2011. Von den Ausschreitungen und gewalttätigen Demonstrationen unter anderem am serbisch-kosovarischen Übergang Jarinje waren viele Bundeswehrsoldaten, die damals der internationalen Schutztruppe KFOR angehörten, betroffen.

Einer der beiden im Rahmen ihres UNMISS-Einsatzes ausgezeichneten deutschen Soldaten ist Holger Bernard. Der Stabsoffizier war vom 24. November 2012 bis zum 24. Mai 2013 in der Republik Südsudan eingesetzt. Am 20. Dezember 2012 geriet er bei einer Patrouille in eine Schießerei zwischen Angehörigen eines Volksstammes und Kräften der sudanesischen Volksbefreiungsarmee. Generalleutnant Hans-Werner Fritz, Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, sprach dem erfahrenen Offizier später bei der Verleihung der Einsatzmedaille „Gefecht“ seine Anerkennung für „das umsichtige Verhalten in dieser bedrohlichen Situation“ aus.

Feindberührung, Sprengfallen oder schwerer Beschuss

Die Einsatzmedaille der Bundeswehr der Stufe „Gefecht“ war am 9. November 2010 vom damaligen Bundesminister der Verteidigung Karl-Theodor zu Guttenberg durch Erlass gestiftet worden. Der damalige Bundespräsident Christian Wulff genehmigte sie am 12. November 2010.

Die Gefechtsmedaille kann den Bundeswehrsoldaten verliehen werden, die im Auslandseinsatz besonders gefährlichen Situationen wie Gefechtshandlungen ausgesetzt waren. Soldaten, die mindestens einmal in Kämpfe verwickelt wurden – beispielsweise bei einer Feindberührung im Rahmen einer Patrouille – erfüllen somit die Voraussetzungen. Ebenso können Soldaten die Gefechtsmedaille erhalten, die „unter hoher persönlicher Gefährdung terroristische oder militärische Gewalt erlitten haben“ (etwa durch Sprengfallen oder Minen oder durch schweren Beschuss).

Die Einsatzmedaille Stufe „Gefecht“ wird nur einmal verliehen (nämlich dann, wenn die Voraussetzungen erstmalig erfüllt wurden). Die Dauer des geleisteten Auslandseinsatzes spielt dabei keine Rolle.

Konfrontiert mit der ganzen Härte des Einsatzes – mit Verwundung und mit Tod

Hintergrund für die Stiftung der Einsatzmedaille „Gefecht“ waren die Einsatzbedingungen vor allem bei ISAF in Afghanistan, die sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert hatten. Besonders am Hindukusch mussten die Bundeswehrangehörigen darauf gefasst sein, in klassische Infanteriegefechte verwickelt zu werden, wo sie „in besonderem Maße die Härte des Einsatzes erleben sowie mit Verwundung und Tod konfrontiert werden“.

Auch kritisierten zunehmend Angehörige von Einsatzkontingenten, die bei ihren Patrouillen außerhalb der Feldlager großen Gefahren ausgesetzt waren, einen offensichtlichen „Zwei-Klassen-Dienst“. Während die „Kämpfer“ jederzeit in Gefechte mit aufständischen Kräften verwickelt werden konnten und auf Hinterhalte und Sprengfallen gefasst sein mussten, erlebten viele Kameraden aufgrund ihrer Verwendung beispielsweise als Stabsdienstsoldat den Einsatz nur im sicheren Camp. Für beide Gruppen – „Drinnies“ und „Draußies“ – gab es gegen Ende des Afghanistaneinsatzes bis dahin lediglich die Einsatzmedaille der Bundeswehr, deren Verleihung jedoch vor allem an das Erreichen von Mindesteinsatztagen gebunden ist.

Die Politik schloss mit der Gefechtsmedaille die Lücke zwischen der Würdigung der bloßen Teilnahme an einer Mission der Bundeswehr in Form der Einsatzmedaille und der höchsten militärischen Auszeichnung der Bundeswehr, dem Ehrenkreuz für Tapferkeit.

Angriffe der Aufständischen im Raum Kunduz mit verheerenden Folgen

Die neue Einsatzmedaille Stufe „Gefecht“ wurde am 25. November 2010 zum ersten Mal verliehen und an diesem Tag den Angehörigen des in Afghanistan gefallenen 21-jährigen Sergej Motz überreicht. Der Hauptgefreite hatte am 29. April 2009 als Sicherungssoldat auf einem Transportpanzer Fuchs das Maschinengewehr bedient, als seine Patrouille in der Nähe von Kunduz in einen Hinterhalt geriet. Die Granate einer Panzerfaust durchschlug das Heck des Fahrzeugs und traf den Soldaten. Motz war der erste deutsche Soldat seit Ende des Zweiten Weltkrieges, der in einem Feuergefecht sein Leben verlor.

Am 8. Dezember 2011 wurde US-Stabsunteroffizier Peter M. Woken in der Deutschen Botschaft in Washington als erster Angehöriger der amerikanischen Streitkräfte mit der Gefechtsmedaille der Bundeswehr ausgezeichnet. Die Verleihung nahm Botschafter Peter Ammon vor. Woken hatte am 17. Oktober 2010 einem Bundeswehrsoldaten, dem Oberstabsgefreiten Tim Focken, das Leben gerettet. Focken war bei einem Hinterhalt der Taliban nahe Kunduz schwer verwundet worden, seine Evakuierung war wegen des andauernden Feuergefechts nur aus der Luft möglich. Ein Sanitätshubschrauber der U.S. Army wurde angefordert, landete unter anhaltendem Beschuss und brachte Focken aus dem Kampfgebiet. Staff Sergeant Woken gehörte als Rettungssanitäter zur Hubschrauberbesatzung und versorgte den verwundeten Deutschen.

Vorgesetzte ohne Einsatzmedaille – Vorgesetzte auf verlorenem Posten?

Kurz nach Bekanntwerden der Stiftung der neuen Gefechtsmedaille der Bundeswehr entbrannte eine heftige Diskussion um die Stichtagsregelung „28. April 2009“ (Anm.: Am 29. April 2009 fiel Hauptgefreiter Motz in einem Feuergefecht – der Stiftungserlass stellt auf dieses tragische Ereignis ab und bestimmt, dass „die Einsatzmedaille der Stufe ,Gefecht‘ nur für Sachverhalte verliehen werden kann, bei denen die […] genannten Voraussetzungen nach dem 28. April 2009 erfüllt worden sind“).

Der Bund Deutscher Veteranen begrüßte zwar grundsätzlich die Einführung dieser neuen Auszeichnung, äußerte aber ansonsten Unmut darüber, dass „wieder einmal eine gut gemeinte Entscheidung an einen willkürlich ausgesuchten Stichtag gebunden sein soll“. Die Interessenvertretung fragte: „Was ist mit den Soldatinnen und Soldaten, die vor dem 29. April 2009 in Gefechte verwickelt waren?“

Ein Blick in das Archiv des Onlineauftritts des Veteranenverbandes zeigt, wie umstritten der gewählte Stichtag war und immer noch ist. In den Kommentaren nach der Verleihung der ersten Gefechtsmedaillen im November 2010 heißt es beispielsweise: „Da ich ,damals‘ 1999 als Waffensystemoffizier 18 Einsätze über dem Kosovo geflogen bin und meine Erfahrungen sehr wohl als ,Gefecht‘ empfunden habe, habe ich am […] den Wehrbeauftragten zu einer Stellungnahme zur Stichtagsproblematik aufgefordert.“ Ein anderer Soldat fragt erzürnt: „Was ist mit den Kameraden, die im Konvoi am 7. Juni 2003 durch das hinterhältige Bombenattentat in der afghanischen Hauptstadt Kabul verletzt wurden?“

Fragen, die man – statt mit einer „Stichtagsregelung“ – durchaus auch glaubwürdiger hätte beantworten können, ja müssen. Denn dass es bereits vor dem 28. April 2009 besonders in Afghanistan etliche „Gefechtshandlungen“ und Situationen gegeben hat, bei denen Soldaten der Bundeswehr „unter hoher persönlicher Gefährdung terroristische oder militärische Gewalt erlitten haben“, ist unstrittig. Dies belegen unter anderem die öffentlich zugänglichen Berichte der Bundeswehr (beziehungsweise des Einsatzführungskommandos) aus dem Einsatzland.

Nachdenklich stimmt auch noch ein anderer Aspekt, der mit der Verleihung der Gefechtsmedaille zu tun hat. In seinem Beitrag „Bundeswehr-Rückzug: Beraten statt kämpfen in Afghanistan“, veröffentlicht am 27. September 2014 vom Deutschlandfunk, bestätigte der Journalist Eric Chauvistré einen Trend, der auch den Verfechtern der Inneren Führung nicht gefallen dürfte. Chauvistré notierte erstaunt: „Afghanistan-Erfahrung gehört in der Bundeswehr mittlerweile zur Karriereplanung dazu. Vorgesetzte ohne Einsatzmedaille, so heißt es schon, werden von ihren Untergebenen nicht mehr ernst genommen.“


Unser Bild vom 29. November 2010 zeigt den damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, der in Berlin verdiente Bundeswehrsoldaten und posthum im Afghanistaneinsatz Gefallene mit dem Ehrenkreuz in Gold der Bundeswehr für Tapferkeit und der Einsatzmedaille der Bundeswehr „Gefecht“ auszeichnete. Von links: Hauptfeldwebel Philipp Oliver Pordzik, Hauptfeldwebel Mario Kunert, Minister zu Guttenberg, Hauptfeldwebel Ralf Rönckendorf und Stabsgefreiter Maik Mutschke.
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)


Kommentare

  1. Redaktion | 21. Februar 2015 um 01:38 Uhr

    Der Verein „Informationsstelle Militarisierung“ (IMI) greift in seiner Meldung „Kein Kampfeinsatz, keine Karriere“ (IMI-Aktuell 2015/087) einen Aspekt unseres Beitrags „Tapferkeit und Trauma und 5782 Gefechtsmedaillen“ auf.

    http://www.imi-online.de/2015/02/18/ohne-kampfeinsatz-keine-karriere/

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