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Berlin. Beschämender Hitlergruß, Sieg-Heil-Gebrüll, krasse Tattoos mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, dumpfe Musik aus der rechten Szene, rechtsradikale Bemerkungen, fremdenfeindliche Sprüche, volksverhetzende Internetauftritte – Jahr für Jahr müssen sich Bundeswehr, Parlament, Medien und Öffentlichkeit mit einer ausgesprochen kleinen Minderheit von Soldatinnen und Soldaten befassen, die durch ihre Propagandadelikte dem Ruf der Streitkräfte insgesamt schaden. Die Linken wollten vor Kurzem von der Bundesregierung wieder einmal mehr über den „Umgang der Bundeswehr mit Rechtsextremisten in ihren Reihen“ in Erfahrung bringen. Am 15. Mai beantwortete die Regierung eine entsprechende Anfrage von Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz und weiteren Abgeordneten dieser Bundestagsfraktion.

Die Fragesteller rügen in ihrem am 21. April an die Bundesregierung versandten Fragenkatalog vor allem die ihrer Meinung nach immer noch bestehenden Informationsdefizite. Aus den bisherigen Regierungsangaben schließe man, dass es innerhalb der Bundeswehr keine einheitliche Strategie für den Umgang mit Personen, die als Rechtsextremisten aufgefallen seien, gebe, so die Politiker der Linken.

Wird nach subjektiver Einschätzung der jeweiligen Vorgesetzten entschieden?

Die Linken beklagen hauptsächlich: „Manchmal werden keinerlei Disziplinarmaßnahmen ergriffen, manchmal wird zügig eine vorzeitige Entlassung vorgenommen. Manche Soldaten haben weiterhin Zugang zu Waffen, auch dann, wenn ihre vorzeitige Entlassung schon beschlossen ist. Andere wiederum kommen mit einer Disziplinarbuße davon, dürfen aber weiterhin an die Waffe und Befehle erteilen.“ Dieser unterschiedliche Umgang mit rechtsextremen Bundeswehrangehörigen liege offenbar daran, so die Fragesteller irritiert, dass „in jedem Einzelfall“ und nach subjektiver Einschätzung der jeweiligen Vorgesetzten entschieden werde.

An anderer Stelle in der Anfrage heißt es auch: „Auch wenn keine ,gefestigte‘ rechtsextreme Gesinnung nachweisbar ist, sollten sich solche Soldaten für derlei Aufgaben und Funktionen [Anm.: Zugang zu Waffen, in Ausbilderfunktion, Befehlsgewalt als Vorgesetzter] disqualifiziert haben. Es kann nicht sein, dass die Bundeswehr ihre Funktionsfähigkeit auf Soldaten gründet, die den ,Hitlergruß‘ entbieten.“

Auch fehle in den Darlegungen der Bundesregierung eine lückenlose Erfassung des konkreten Umgangs mit auffällig gewordenen Soldaten, bemängeln die Parlamentarier weiter. Dies stelle „ein großes Manko“ dar, weil dadurch eine vollständige Übersicht unterbleibe, wie in der Bundeswehr konkret mit Rechtsextremisten umgegangen werde.

Schwerwiegender schuldhafter Verstoß gegen die politische Treuepflicht

Die Bundesregierung übermittelte den Linken in ihrer Antwort auch eine 17 Seiten umfassende Dokumentation über die in den Jahren 2013 und 2014 gemeldeten Verdachtsfälle aus den Teilstreitkräften und Organisationsbereichen. Zwölf Seiten umfasst dabei die Tabelle „Übersicht Meldungen über Besondere Vorkommnisse mit Verdacht auf rechtsextremistischen, antisemitischen oder fremdenfeindlichen Hintergrund oder Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung 2014“. Die für den Zeitraum 14. Januar 2014 bis 19. Dezember 2014 aktenkundig gewordenen Fälle beziehen sich auf insgesamt 63 Bundeswehrangehörige.

Eine zweite fünfseitige Anlage „Übersicht Meldungen über Besondere Vorkommnisse an den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (WBdBT) mit Verdacht auf rechtsextreme Betätigung 2013“ führt weitere, ältere Zwischenfälle auf. Im Zeitraum 15. Januar 2013 bis 18. Dezember 2013 wurden hier 58 Soldatinnen und Soldaten wegen Verfehlungen gemeldet.

Auch wenn die Verfasser der Dokumentation diese mittlerweile um eine Bewertung für den „schwerwiegenden schuldhaften Verstoß gegen die politische Treuepflicht“ erweitert haben, so dürften die Informationen in der neuen Spalte doch nicht alle Unschärfen beseitigen.

Doch lesen Sie selbst, was die Regierungsseite der Links-Fraktion antwortet: „Handlungen mit rechtsextremistischem, fremdenfeindlichem oder antisemitischem Hintergrund von Soldatinnen und Soldaten ziehen immer disziplinare Ermittlungen nach sich. Die vorgenommene Bewertung, ob ein schwerwiegender schuldhafter Verstoß gegen die politische Treuepflicht vorliegt, beruht somit zunächst auf der Bewertung der zuständigen Disziplinarvorgesetzten, die im Rahmen ihrer disziplinaren Ermittlungen einen solchen Verstoß zu prüfen haben. Soweit sich im Rahmen der jeweiligen Ermittlungen die Verdachtsmomente erhärten und falls – wie in der Regel bei Soldatinnen und Soldaten auf Zeit sowie Berufssoldatinnen und Berufssoldaten – ein gerichtliches Disziplinarverfahren eingeleitet wird, wird im jeweiligen Einzelfall im Falle einer Verurteilung die Bewertung des zuständigen Truppendienstgerichts zu Grunde gelegt. Erfolgt im Einzelfall eine Abgabe an die Strafverfolgungsbehörden, ist deren jeweilige strafrechtliche Bewertung maßgeblich und zu berücksichtigen. Sofern statusrechtliche Maßnahmen zu betrachten sind, sind ergänzend auch die Entscheidungen der zuständigen Entlassungsdienststellen heranzuziehen.“

Einzelfallbetrachtungen und Einzelfallentscheidungen

Wie skurril im Einzelfall entschieden werden kann, zeigt folgender Vorgang. Im April 2014 hatten sich Zeugen aus der Nachbarschaft eines Soldaten unter anderem an das Bundesministerium der Verteidigung und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) gewandt und berichtet, dass der Bundeswehrangehörige den Hitlergruß verwendet und später laute antisemitische Musik abgespielt habe. Zwar wurde der Beschuldigte inzwischen fristlos aus dem Militärdienst entlassen und der Fall an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Als „schwerwiegender schuldhafter Verstoß gegen die politische Treuepflicht“ ist dieser rechtsextremistische Auftritt allerdings nicht gewürdigt worden.

Noch unverständlicher dieser Vorfall: Am 11. April 2014 wird gemeldet, dass ein Zeitsoldat „im alkoholisierten Zustand ,Heil Hitler‘ in Verbindung mit dem ,Hitlergruß“ gerufen haben soll. Es werden keine disziplinarischen oder strafrechtlichen Maßnahmen ergriffen. Der Mann hat nach der Meldung auch weiterhin Zugang zu Waffen. Seine Dienstzeit wird zwar nicht vorzeitig beendet, er scheidet aber 20 Tage nach dem angegebenen Tatzeitpunkt (offensichtlich wie geplant) aus der Bundeswehr aus. Auch bei diesem Rechtsextremisten will man keinen „schwerwiegenden schuldhaften Verstoß gegen die politische Treuepflicht“ erkannt haben.

Die Linken stoßen sich schon seit längerer Zeit an derartigen Ungereimtheiten. Die Bundesregierung versucht sich in Erklärung: „Bei allen Entscheidungen in solchen Fällen handelt es sich um Einzelfallbetrachtungen und Einzelfallentscheidungen, die den jeweiligen Stand und die Ergebnisse der durchzuführenden Ermittlungen zu berücksichtigen haben. Die zeitnah zum Vorfall zu erstellende Meldung ,Besonderes Vorkommnis‘ stellt nur einen sehr verkürzten und vorläufigen Sachstand des Ereignisses dar und lässt keine Rückschlüsse auf die weiteren Ermittlungsergebnisse der jeweils zuständigen Stelle zu. Im Rahmen der Ermittlungen wird jeder Fall separat betrachtet. Hierbei kann es zu unterschiedlichen Bewertungen, zur Feststellung von entlastenden Umständen für die oder den Beschuldigten und somit zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.“ Konsequenz geht anders!

Und sollte nicht auch die seit dem 20. Januar dieses Jahres gültige Zentrale Dienstvorschrift A-2600/7 „Extremismus. Vorbeugung und Bekämpfung“ Verantwortlichkeiten für alle Beschäftigten der Bundeswehr bei der Erkennung und Vorbeugung von Extremismus in den Streitkräften regeln?

Die Bundesregierung jedenfalls setzt auf diese neue ZDv: „Sie gibt […] notwendige Handreichungen und Informationen, um die unmittelbar zuständigen dienstrechtlichen Vorgesetzten zu befähigen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirksam aufzuklären, durch Aus-, Fort- und Weiterbildung ihr rechtsstaatliches Bewusstsein weiter zu festigen und Erscheinungsformen des Extremismus zu unterbinden.“ Auch wenn es eine Plattitüde ist: Man darf gespannt sein!

Pro Jahr etwa 400 Verdachtsfälle aus dem ganzen Extremismus-Bereich

Die Zahl rechtsextremer Verdachtsfälle in der Bundeswehr ist übrigens weitaus höher, als es die periodischen Wehrbeauftragtenberichte annehmen lassen. Während beispielsweise der Jahresbericht 2012 eine Zahl von 67 Fällen nennt, hatte der damalige MAD-Chef Ulrich Birkenheier in einem Interview mit dem Deutschlandfunk (am 14. Juli 2013) von „knapp über 300 Fällen“ in 2012 gesprochen. Birkenheier meinte damals „Verdachtsfälle“ und nicht den Personenkreis „identifizierte Rechtsextremisten“.

Aus der aktuellen Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken geht hervor, dass der MAD im Jahr 2013 insgesamt 309 Verdachtsfallbearbeitungen neu aufgenommen hatte. Im Jahr 2014 waren es 308 neue Verdachtsfälle. Von diesen 308 Fällen bestätigten sich im Jahr 2014 drei. 130 Verdachtsfälle wurden nicht bestätigt, 150 Verdachtsfälle werden vom MAD immer noch bearbeitet. Bei den verbleibenden 25 Fällen endete die Zuständigkeit des Dienstes, weil die jeweiligen Verdachtspersonen vor einem Bearbeitungsergebnis aus der Bundeswehr ausgeschieden sind.

Der auch für den Schutz unserer Streitkräfte vor Extremismus zuständige MAD bearbeitet nach eigenen Angaben pro Jahr etwa 400 Verdachtsfälle aus dem gesamten Extremismus-Bereich. Dabei gehe es vor allem um Rechtsextremisten und Islamisten, kaum noch um Linksextremisten, sagte im März in einem Interview mit dem Magazin Focus Christof Gramm. Der Jurist, der seit dem 2. Januar dieses Jahres das Amt in Köln leitet, gewährte weitere Einblicke: „Der größte Themenblock ist nach wie vor der Rechtsextremismus. Aber was die Brisanz angeht, machen uns die Islamisten besonders große Sorgen – weil es schwerer ist, in deren Milieus einzudringen.“

Gramm forderte im Gespräch mit dem Focus eine Sicherheitsprüfung vor jeder Einstellung eines neuen Soldaten. Der Leiter des MAD begründete dies folgendermaßen: „Wir müssen unsere Handlungsmöglichkeiten so weiter entwickeln, dass wir in der Lage sind, diejenigen, die zur Bundeswehr kommen, im Vorfeld einem Basis-Check zu unterziehen. Wir würden gern überprüfen, ob es ernsthafte Zweifel an der Verfassungstreue der zukünftigen Soldaten gibt.“

Erfassung und Bewertung der „inneren und sozialen Lage“ der Truppe

Zum Schluss noch der Hinweis auf ein besonderes Projekt der Streitkräfte. Im Laufe dieses Jahres soll nun endlich auch das „Konzept zur Erfassung und Bewertung der Inneren und Sozialen Lage in der Bundeswehr“ abgeschlossen und vorgestellt werden. Mit diesem Konzept, an dem bereits seit 2013 gearbeitet wird, will die Führung Erkenntnisse aus Meldeverfahren und Berichtspflichten vereinen, um so zu einer besseren Beurteilung der „seelischen Verfassung“ der Truppe zu gelangen.

In diesem Zusammenhang werden nach Auskunft der Bundesregierung jetzt auch „rechtliche und tatsächliche Möglichkeiten“ geprüft, um die von den Disziplinarvorgesetzten und von der Personalführung bei „Besonderen Vorkommnissen“ getroffenen Maßnahmen (sowie den Abschluss eines möglichen Strafverfahrens) nachvollziehen zu können.


Das Hintergrundbild unserer Infografik entstand am 15. Juni 2010 in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin während der Ausbildung von Soldaten des Wachbataillons. Das Bild soll keinesfalls (!) suggerieren, dass in den Reihen des Wachbataillons Bundeswehrangehörige mit extremistischer Gesinnung dienen.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr, Infografik © mediakompakt 06.15)

Kleines Beitragsbild: Unscheinbares Graffito, unmissverständliche Forderung – „Nazis raus!“. Mit freundlicher Genehmigung des „Infoportals für antifaschistische Kultur und Politik aus Mecklenburg-Vorpommern“.
(Foto: Projekt INO)


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