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Berlin. Die Bundeswehr wird sich in Kürze mit bis zu 100 Soldaten an der Ausbildung von Peschmerga-Kräften für den Kampf gegen die Terrorbanden des „Islamischen Staates“ (IS) beteiligen. Dies beschloss der Deutsche Bundestag am vergangenen Donnerstag (29. Januar) mit großer Mehrheit. Bei der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung vom 17. Dezember gab es 457 Ja-Stimmen. 79 Abgeordnete sprachen sich gegen eine „Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“ aus, 54 enthielten sich. Das Mandat gilt bis längstens 31. Januar 2016.

Die Ausbildungsmission der Bundeswehr im Nordirak ist verfassungsrechtlich umstritten, weil sie weder unter dem Dach der Vereinten Nationen noch im Auftrag der Europäischen Union oder NATO stattfinden wird. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam beispielsweise in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass das Mandat für diesen Bundeswehreinsatz mit der von der Bundesregierung gewählten Begründung „keine taugliche Rechtsgrundlage“ besitze. Dies bedeute jedoch nicht, dass der Nordirakeinsatz als „verfassungswidrig“ einzustufen sei, so der Dienst (wir berichteten darüber bereits in unserem Teil 1).

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wies die verfassungsrechtlichen Bedenken zurück. In einem Interview am 29. Januar mit dem Morgenmagazin der ARD sagte sie: „Ich vertraue da vollständig unseren Verfassungsressorts innerhalb der Bundesregierung, die das sehr genau durchdiskutiert haben und die Grundlage festgelegt haben, auf der wir gehen.“

Beschlüsse der Vereinten Nationen im Zusammenhang sehen

Die Frage der Mandatsklarheit spielte auch noch einmal eine große Rolle in der Debatte vor der namentlichen Abstimmung zum Nordirak-Mandat.

Der SPD-Abgeordnete Rolf Mützenich lobte die Bundesregierung für ihre klare Darstellung des künftigen Mandats im Antragstext. Er sagte mit Blick auf die Opposition: „Es ist eine überschaubare Aufgabe. Sie wird mit verlässlichen Partnern durchgeführt. Es werden keine Strukturen geschaffen, die selbstbindend sind oder sozusagen zeitlos wirken werden. Vielmehr stehen wir insbesondere vor der Möglichkeit, die Führung relativ schnell – nach sechs Monaten – an andere Partner zu übergeben.“ Auch seien die Beschlüsse der Vereinten Nationen klar, die jedoch im Zusammenhang gesehen werden müssten.

Mützenich bedauerte allerdings: „Ich vermisse, dass neben der Resolution 2170 zu wenig auf die Resolutionen 2169 und 2178 eingegangen wird; denn diese bieten den Rahmen für ein kollektives Sicherheitssystem, in dem es möglich ist, die Aufgabe an die Mitgliedsnationen zu überweisen.“

Bekämpfung des IS ist militärische und politische Aufgabe gleichermaßen

Alles in allem sei das, was die Bundesregierung für diesen 29. Januar zur Abstimmung vorgelegt habe, eine „rechtlich einwandfreie Herleitung“. Letztendlich bestehe das System der kollektiven Sicherheit auch darin, dass „uns eine legitime Regierung und das irakische Parlament gebeten haben, an dieser Ausbildung mitzuwirken“.

Abschließend wies der SPD-Politiker darauf hin, dass die Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ eine militärische und zugleich politische Herausforderung darstelle. Der IS habe offensichtlich auch deshalb eine so zahlenmäßig große Gefolgschaft anlocken können, weil es in der Region in den vergangenen Jahren „Staatsversagen“ gegeben habe. Nun bestehe dort für die politischen Akteure die zwingende Verpflichtung zu einer guten Regierungsführung. Insbesondere gehe es auch um eine „Delegitimierung des IS-Kalifats“. Mützenich mahnte: „Ich finde, das ist einer der wichtigen Bestandteile, zu dem man immer wieder Fragen an den Irak – insbesondere aber auch an Saudi-Arabien – richten muss.“

Der Sozialdemokrat schloss mit dem eindringlichen Rat: „Den IS bekämpfen, umfasst mehr als nur den militärischen Ansatz – aber ohne den militärischen Ansatz wird es keine Voraussetzungen für politische Lösungen geben!“

Linke befürchten eine Abspaltung des Nordiraks und damit „ein Desaster“

Als „grundgesetzwidrig“ und zudem „politisch auch falsch“ bezeichnete Jan van Aken (Die Linke) den geplanten Ausbildungseinsatz der Bundeswehr im Nordirak. Der IS werde damit auf Dauer gestärkt und die Spaltung des Iraks vorangetrieben, warnte der Oppositionspolitiker.

Van Aken erläuterte im Bundestag die Sichtweise der Linken: „Es gibt einen zentralen Grund, warum der IS im Irak so stark ist. Das liegt daran, dass in den letzten Jahren die sunnitischen Muslime im Nordirak komplett ausgegrenzt worden sind, dass die Zentralregierung in Bagdad alle lukrativen Posten, die gesamten Öleinnahmen, den gesamten Reichtum des Landes an die Schiiten und zum Teil an die Kurden verteilt hat. Die Sunniten sind völlig leer ausgegangen.“ Dies habe zu einem unglaublichen Hass in der Region auf die Schiiten geführt, ein Hass, der dann zum Nährboden für einen starken IS geworden sei. Die Bekämpfung des IS setze zugleich auch eine Beseitigung dieses Hasses auf die Schiiten voraus. Der Vertreter der Linken appellierte: „Das politische Ziel muss es sein, in Bagdad eine faire Regierung zu installieren, die den Reichtum des Landes zwischen Kurden, Schiiten und Sunniten gerecht verteilt.“

Allerdings würden die Bestrebungen der kurdischen Autonomieregierung, einen eigenen Nationalstaat im Nordirak errichten zu wollen, den IS auf Dauer weiter stärken. Denn diese Abspaltungstendenzen würden einer möglichen nationalen Vereinigungen der drei großen Bevölkerungsgruppen des Iraks zuwiderlaufen. „Wenn sich der Nordirak abspaltet, dann zerfällt der Restirak, und wir haben ein Desaster, von dem wir uns viele Jahre nicht erholen werden“, warnte der Abgeordnete der Linksfraktion.

Als eines der Hauptprobleme im Konflikt mit den Terrorbrigaden des „Islamischen Staates“ bezeichnete van Aken schließlich die Türkei. „Noch immer können Dschihadisten mit ihren Waffen über die Türkei nach Syrien einreisen. Sie können gar nicht so schnell in Erbil ausbilden, wie der IS über die Türkei weiter wächst. […] Stoppen Sie endlich den Zufluss der IS-Terroristen über die Türkei. Machen Sie endlich Druck auf die Türkei, die Grenze zu schließen.“

Fraktion der Grünen beklagt zahlreiche unbeantwortete Fragen

Omid Nouripour machte in seinem Debattenbeitrag noch einmal deutlich, warum sich die große Mehrheit seiner Fraktion bei der folgenden Abstimmung enthalten würde. Zwar wisse man, dass der IS nur militärisch zu stoppen sei und dafür dessen Gegner auch militärisch ausgebildet werden müssten. Allerdings gebe es für Bündnis 90/Die Grünen auch handfeste Gründe, dem Antrag der Bundesregierung in der vorgelegten Form nicht zuzustimmen.

Zum einen beantworte das Mandat nicht die Fragen, wen man eigentlich ausbilden und an welchen Waffen man ausbilden wolle. Auch fehle im Regierungstext ein klar formuliertes Einsatzziel. Darüber hinaus vermisse seine Fraktion ausformulierte Einsatzregeln für die Soldaten. Dies sei „schlicht unverantwortlich“. Kritikwürdig sei und bleibe für Bündnis 90/Die Grünen auch die verfassungsgemäße Grundlage dieser neuen Bundeswehrmission.

Weiter kritisierte Nouripour die Korruption in der irakischen Armee. Er forderte: „Wir brauchen in diesem Land dringend eine vernünftige Reform des Sicherheitssektors; denn die Art und Weise, wie die irakischen Streitkräfte aufgestellt worden sind – dabei geht es nicht um Geld –, ist Teil des Problems.“

Ein entscheidender Grund für die ablehnende Haltung seiner Fraktion sei auch die offene Frage des Verbleibs der gelieferten deutschen Waffen. Der Politiker erklärte: „Uns ist bekannt, dass man nicht weiß, wo sie [die bisher gelieferten Waffen] sind. Man geht auch nicht der Frage nach, wie man mit Menschenrechtsverletzungen von kurdischen und irakischen Streitkräften umgehen will. Das ist alles andere als verantwortlich. Wir sind für Ausbildung. Das, was die Bundesregierung hier vorlegt, ist für die große Mehrheit meiner Fraktion nicht zustimmungsfähig. Deshalb werden wir uns enthalten.“

Ausbildungsmission auch „Gradmesser für die Menschlichkeit unseres Landes“

Für die CDU/CSU-Fraktion sprachen bei der Irak-Debatte an diesem 29. Januar die Abgeordneten Henning Otte, Roderich Kiesewetter und Julia Bartz (nach ihrer Hochzeit im Januar jetzt Julia Obermeier).

CDU-Politiker Otte bezeichnete das Ausbildungsprojekt der Bundeswehr als einen „Gradmesser für die Menschlichkeit, für die Verlässlichkeit und auch für die Verantwortung unseres Landes“. Man wolle mit der neuen Mission im Nordirak rechtzeitig beginnen und nicht in eine Situation wie in Afghanistan geraten. Henning Otte: „Dieses Land war bereits völlig zerrüttet, als man um Hilfe gebeten hat. Deshalb wollen wir schon jetzt einen Beitrag dazu leisten, den Irak weiter zu stabilisieren.“ Deutschland sei deswegen nun im Verbund mit rund 60 Partnerländern der Anti-IS-Koalition bereit für eine Ausbildungsmission, bei der es darum gehe, sich dem Terror entgegenzustellen und zugleich einen Beitrag zur eigenen Sicherheit zu leisten.

„Vorbeugende Sicherheitspolitik“ in einem Rahmen der Rechtssicherheit

Wie wichtig es sei, mit der parlamentarischen Verabschiedung des Mandats auch ein „Signal des Handels“ zu zeigen, unterstrich danach Roderich Kiesewetter. Der Bundestagsabgeordnete der CDU erklärte: „Die Einsatzschwelle ist mit der Ausbildungsmission im Nordirak nicht erreicht. Aber wir als Parlamentarier setzen damit ein ganz wichtiges Zeichen, dass wir bereit sind, eine Ausbildungsmission zu mandatieren, die der Stabilisierung einer Region im Norden des Iraks dient und auf Einladung der irakischen Regierung, auf Aufforderung der Vereinten Nationen erfolgt. Das gibt auch die Handlungssicherheit, die wir brauchen.“

Das Mandat gebe den Bundeswehrsoldaten, die in den Nordirak müssten, die notwendige Rückendeckung für dieses Ausbildungsvorhaben, so der Christdemokrat. Die neue Mission sei kein Kampfeinsatz und auch keine bewaffnete Auseinandersetzung. Kiesewetter: „Für eine Ausbildungsmission gibt es bestimmte Regeln. Auch Eigensicherung ist zulässig. Aber mehr brauchen wir da im Moment nicht. Entscheidend ist, dass wir vorbeugende Sicherheitspolitik betreiben. ,Vorbeugende Sicherheitspolitik‘ heißt, dass wir einen Rahmen schaffen, der bei einer möglichen Eskalation Rechtssicherheit gewährleistet.“

Mit der Mission auch weitere Massenmorde des IS verhindern

Mit der moralischen Legitimierung des neuen Bundeswehrauftrags im Norden des Iraks befasste sich abschließend noch einmal die CSU-Politikerin Julia Obermeier. Sie rief ins Gedächtnis: „Die Schlächter des IS richten auf menschenverachtende Art tausendfach Tod, Leid und Schmerz an. Amnesty International spricht von einer systematischen ethnischen Säuberung historischen Ausmaßes. Der IS macht ganze Dörfer dem Erdboden gleich. Die Männer werden ermordet, Mädchen und Frauen vergewaltigt und versklavt. Millionen von Menschen sind im Irak und in Syrien brutalster Verfolgung ausgesetzt. Die Terrormiliz bedroht damit nicht nur die Stabilität der gesamten Region, sondern auch die internationale Sicherheitsarchitektur. Zur Wahrheit gehört leider auch, dass sich diese Terrormiliz nicht durch diplomatische Gespräche stoppen lässt. In diesem Fall muss die Weltgemeinschaft zur Ultima Ratio greifen: zu militärischen Mitteln.“

Das neue Mandat verfolge somit das Ziel, Leben zu retten, erklärte die Parlamentarierin weiter. Auch Obermeier betonte, dass es sich dabei um eine reine Ausbildungsmission und nicht etwa um einen Kampfeinsatz handele. Es seien auch keine Partnering-Modelle wie etwa in Afghanistan geplant. Die Mandatsobergrenze sei mit 100 Bundeswehrangehörigen eng begrenzt; aber die Mission sei letztendlich ein wichtiger Teil des deutschen Beitrags im internationalen Kampf gegen die IS-Terrormiliz. Die CSU-Abgeordnete erinnerte daran: „Wir handeln hier auf Bitte der irakischen Regierung und der Regionalregierung von Erbil. Mit dieser Ausbildungsmission wollen wir dazu beitragen, die Region zu stabilisieren, Menschen zu schützen und insbesondere weitere Massenmorde zu verhindern.“

Winterbekleidung, Sanitätsmaterial und auch weitere Waffen

Ursula von der Leyen hat übrigens am 29. Januar, dem Tag der Abstimmung über die Ausbildungsunterstützung der Bundeswehr für die kurdischen Peschmerga-Kämpfer, zusätzliche Waffenlieferungen in den Irak angekündigt. In dem eingangs bereits erwähnten Interview mit dem ARDMorgenmagazin sagte die Verteidigungsministerin: „Den Peschmerga fehlt es im Grunde an allem.“ Demnächst wolle die Bundesregierung nun Winterkleidung und Sanitätsmaterial in den Irak schicken. Mitte oder Ende Februar sei man dann so weit, auch Waffen und Munition liefern zu können.

Die Prüfung weiterer Waffenlieferungen hatte von der Leyen bereits bei ihrem Besuch im Irak im Januar zugesagt. Die Peschmerga wünschen sich vor allem panzerbrechende Waffen wie die MILAN. Sie signalisierte, dass auch diese Panzerabwehrwaffe wieder zum Lieferumfang gehören könnte.


Zu den drei Bildern unseres Beitrags „Parlament billigt Ausbildungsmission im Nordirak“ (Teil 2):
1. Ausbilder der Bundeswehr weisen Peschmerga-Kämpfer in die Handhabung des deutschen Sturmgewehrs G3 ein. Die Aufnahme entstand am 2. Oktober 2014 auf einer Schießanlage nahe der nordirakischen Stadt Erbil.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

2. Das Parlament stimmte am 29. Januar 2015 über den Antrag der Bundesregierung „Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“ ab. Der Screenshot zeigt den Beginn der namentlichen Abstimmung.
(Videostandbild: Video Deutscher Bundestag)

3. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen äußerte sich am 29. Januar 2015 in einem Interview mit dem ARD-Morgenmagazin auch über die künftige Ausbildungsmission der Bundeswehr im Nordirak.
(Videostandbild: Video ARD)


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