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St. Gallen (Schweiz). Am vergangenen Freitag (30. Oktober) veröffentlichte die Schweizer Universität St. Gallen die Ergebnisse einer aktuellen Studie, die sich erstmals mit dem Thema „Gemeinwohl in Deutschland“ befasst. Bereits 2014 hatte das Team um die Professoren Peter Gomez und Timo Meynhardt erforscht, welchen Beitrag Schweizer Unternehmen und Organisationen zum Wohlergehen der eidgenössischen Gesellschaft leisten. Nach den beiden Veröffentlichungen „GemeinwohlAtlas der Schweiz“ für die Jahre 2014 und 2015 konnte nun auch ein „GemeinwohlAtlas Deutschland 2015“ erstellt werden. Die Bundeswehr kann sich über eine gute Bewertung durch die deutsche Bevölkerung freuen. Sie belegt Rang 30, noch vor der Bundesregierung (Rang 40). Auf dem 127. und damit letzten Platz der Erhebung: die BILD-Zeitung.

Googelt man den Begriff „Gemeinwohl“, so bietet dazu die Suchmaschine rund 544.000 Ergebnisse an. Aber auch dieser unglaubliche Fundus an Informationen garantiert noch lange keine ultimative Definition. Ganz im Gegenteil. Um eine Klärung des Gemeinwohl-Begriffs „ringen kluge Geister seit mehr als 2000 Jahren“, schreiben Meynhardt und Gomez in ihrem Essay „Was dient der Allgemeinheit? Und wer?“, das begleitend zur Studienpräsentation im Onlineportal der WirtschaftsWoche erschienen ist.

Im Gegensatz zum Individual- oder Gruppeninteresse

Der Begriff „Gemeinwohl“ – „das allgemeine Wohl betreffend“ – bezeichnet politisch-soziologisch betrachtet das Gemein- oder Gesamtinteresse einer Gesellschaft, welches oft als Gegensatz zum Individual- oder Gruppeninteresse gesetzt wird (übersehen werden darf dabei nicht, dass in pluralistischen, offenen Gesellschaften die konkrete inhaltliche Bestimmung des Gemeinwohls immer von den Interessen und Zielen jener abhängt, die sich auf dieses Gemeinwohl berufen, es bestimmen und möglicherweise auch Nutzen daraus ziehen wollen).

Der Psychologe und Betriebswirtschaftler Timo Meynhardt, Managing Director des Center for Leadership and Values in Society an der Universität St. Gallen, will Gemeinwohl im Sinne Kants „als regulative Idee“ verstanden wissen. Er erläutert dies: „Gemeinwohl ist eine das menschliche Zusammenleben regulierende gedankliche Vorstellung. Als solche ist sie eben nicht abstrakt, sondern entwickelt ihre Kraft durch die mit ihr verknüpften Emotionen. Somit hängt sie von den Menschen ab, die sie entwickeln und verändern können. Es handelt sich dem Grunde nach in erster Linie um einen Mechanismus in großen Gruppen, ohne den Sozialität nicht möglich ist.“

Eine Gesellschaft sei nicht funktionsfähig, wenn ihre Mitglieder nicht eine das Gemeinwesen tragende Gemeinwohlidee ausbildeten, argumentiert Meynhardt weiter. Dabei sei klar, dass es für Gemeinwohlbelange unterschiedliche Begriffe gebe, die Einzelaspekte, wie beispielsweise „sozialer Frieden“ oder „kulturelle Identität“, betonten. Da regulative Ideen nicht vollständig fassbar seien, könne es an die Ausformulierung von Gemeinwohlbelangen auch nur Annäherungen geben. Der Wirtschaftspsychologe kommt zu dem Schluss: „Folglich wird das Gemeinwohl immer wieder neu und abhängig von den weltanschaulichen und politischen Einstellungen inhaltlich anders aufgeladen und vereinnahmt. Gelegentlich muss das Verständnis vom Gemeinwohl repariert und neu ausgerichtet werden, um einen Minimalkonsens in der Gesellschaft zu erreichen.“

Der Projektleiter „GemeinwohlAtlas Deutschland 2015“ schließt den Kreis: „Es sind unsere Institutionen, unsere Unternehmen, öffentlichen Verwaltungen und Nichtregierungsorganisationen, die unser Gemeinwohlempfinden prägen.“ Der „GemeinwohlAtlas“ versuche nun über die Wertschätzung in der Bevölkerung den Beitrag zu messen, den Organisationen oder Institutionen für die Gesellschaft leisten. Meynhardt, der seit wenigen Wochen auch Inhaber des Dr. Arend Oetker-Lehrstuhls für Wirtschaftspsychologie und Führung an der HHL Leipzig Graduate School of Management ist, bezeichnet den „GemeinwohlAtlas“ als einen „Spiegel, den die Gesellschaft ihren Institutionen, Organisationen und Unternehmen vorhält“.

Am Schluss nur noch 127 Kandidaten für die Hauptbefragung

Im Rahmen der Untersuchung der Universität St. Gallen wurden insgesamt 7802 Personen im Alter zwischen 19 und 91 Jahren, die in Deutschland wohnen, befragt. Die breit angelegte Panelbefragung führte das Markt- und Meinungsforschungsinstitut forsa durch.

In einem ersten Schritt war zunächst eine Liste bedeutender Unternehmen und Organisationen erstellt worden. Dabei handelte es sich um die aktuellen DAX-30-Unternehmen, die 50 größten deutschen Unternehmen nach Umsatz in 2013, die 50 wertvollsten Marken, die 30 größten deutschen Familienunternehmen nach Einnahmen, die 7 beliebtesten Geldinstitute zum Führen eines Gehalts- und Girokontos 2014, die 20 beteiligungsstärksten Nichtregierungsorganisationen, die 6 wichtigsten Versicherungen in 2013, die 6 größten privaten Krankenversicherungen nach Marktanteil 2012, die 6 größten gesetzlichen Krankenversicherungen nach Mitgliederzahl 2014, die 7 auflagenstärksten überregionalen Tageszeitungen in Deutschland im 4. Quartal 2014, die 7 TV-Sender mit höchstem Marktanteil 2014, die 3 größten Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes nach Mitgliederzahl inklusive DGB und dbb, die 4 größten privaten Klinikbetreiber nach Umsatz 2013, die 17 größten Verbände nach Anzahl der Mitglieder sowie die sechs größten Fußballvereine nach Anzahl der Facebook-Fans 2014 einschließlich DFB.

Darüber hinaus wurden zusätzlich folgende Organisationen des öffentlichen Sektors in die Befragung aufgenommen: Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht, Bundeswehr, Bundespolizei, Bundesagentur für Arbeit, Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, Feuerwehr und Europäische Zentralbank.

In die Hauptbefragung gelangten nur die 127 Organisationen und Unternehmen mit einer Bekanntheit über 4.0 auf einer Skala von 1 bis 6 – darunter auch die Bundeswehr.

Deutsche Streitkräfte genießen in der Bevölkerung „hohe Wertschätzung“

Im Fokus dieser Hauptbefragung standen die vier Dimensionen „Aufgabenerfüllung“ (die jeweilige Organisation leistet im Kerngeschäft gute Arbeit), „Zusammenhalt“ (die jeweilige Organisation trägt zum Zusammenhalt in Deutschland bei), „Lebensqualität“ (die jeweilige Organisation trägt zur Lebensqualität in Deutschland bei) und „Moral“ (die jeweilige Organisation verhält sich anständig).

Insgesamt zeichnen die Teilnehmer an dieser Studie ein sehr differenziertes Bild, wenn es um den Gemeinwohlbeitrag einzelner Organisationen geht: Auf einer 6er-Skala rangieren die 127 Kandidaten zwischen 2,4 und 5,7 (1 = niedrigster Wert; 6 = höchster Wert). Es wurde also klar unterschieden zwischen jenen, die besonders positiv auf die Gesellschaft wirken und jenen, denen dies (bislang) nicht gelungen ist. Die Bundeswehr erreichte den Mittelwert 4,23. Diese Platzierung entspricht nach Darstellung der Universität St. Gallen einer „hohen Wertschätzung“.

Die Deutschland-Untersuchung ergab insgesamt ein überraschendes Gesamtbild. Angeführt wird das Ranking von der Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk und dem Weißen Ring. Es folgen auf den Plätzen 4 bis 10: das Deutsche Rote Kreuz, die Bundespolizei, der Malteser Hilfsdienst, das Bundesverfassungsgericht, das Deutsche Jugendherbergswerk, die Johanniter-Unfall-Hilfe und die Arbeiterwohlfahrt. Die Bundeswehr belegt Rang 30, die Bundesregierung Rang 40. Auf den letzten Plätzen: Facebook (125), Deutsche Bank (126) und Schlusslicht BILD-Zeitung (127).

Orientierung am Gemeinwohl entscheidend für den langfristigen Erfolg?

Studienleiter Dr. Timo Meynhardt sagte anlässlich der Veröffentlichung des „GemeinwohlAtlas Deutschland 2015“: „Er zeigt ein klares Bild – die Feuerwehr, die unser Schutz- und Sicherheitsbedürfnis befriedigt, wird von den Befragten mit Abstand als die gemeinwohlförderlichste Organisation eingestuft. Am unteren Ende rangiert mit Abstand die BILD-Zeitung. Sie steht für den polarisierenden Boulevardjournalismus. Diese beiden Pole spannen gewissermaßen den Bogen und definieren die Atlasränder.“

Und noch ein interessantes Ergebnis hat die Untersuchung ergeben: Das Gemeinwohl steht bei uns hoch im Kurs. 85 Prozent der Befragten sind besorgt, dass dem Thema in Deutschland zu wenig Beachtung geschenkt wird. Die große Mehrheit sieht zudem die Orientierung am Gemeinwohl für den langfristigen Erfolg einer Organisation als entscheidend an.

Blenden wir zum Schluss kurz zurück auf den 4. April 2009, ins französische Strasbourg. US-Präsident Barack Obama sprach dort an diesem Samstag im Rahmen des NATO-Gipfels und 60-jährigen Jubiläums des Bündnisses mit Jugendlichen aus Deutschland und Frankreich. Rund 4000 Schüler und Studenten lauschten ihm im Rhenus Sport Center und stellten am Ende eine Menge Fragen. Eine Schülerin aus Heidelberg wollte von Obama wissen, ob er bereue, Präsident der Vereinigten Staaten geworden zu sein. Es folgte ein kurzes Eingeständnis: „Weißt Du – mitunter ist das Gewicht auf den Schultern enorm schwer.“ Dann aber antwortete der Präsident: „Worum es geht, ist: Es gibt nichts Edleres, als für das Gemeinwohl zu arbeiten!“


Zu unserem Bildmaterial:
1. Das Hintergrundbild unserer ersten Infografik entstand am 19. August 2012 beim „Tag der offenen Tür“ des Verteidigungsministeriums in Berlin. Interessierte Bürger konnten bei dieser Veranstaltung, die unter dem Motto „Einladung zum Staatsbesuch“ stand, auch an einer Führung durch den Bendlerblock teilnehmen. Hier befindet sich der ministerielle Dienstsitz.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr, Infografik © mediakompakt 11.15)

2. Das Hintergrundbild der zweiten Infografik zeigt Luftfahrzeuge der Bundeswehr auf dem Static Display der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin. Das Bild wurde am 14. September 2012 gemacht.
(Foto: Markus Schulze/Bundeswehr, Infografik © mediakompakt 11.15)

Kleines Beitragsbild: Angehörige des Wachbataillons am 19. August 2012 beim „Tag der offenen Tür“ des Verteidigungsministeriums in Berlin.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)


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