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Berlin. Der außen- und sicherheitspolitische Experte der CDU/CSU-Fraktion, Roderich Kiesewetter, warnt davor, die Diskussion über die deutsche Außenpolitik auf Einsätze der Bundeswehr zu verengen: „Wir sind ein wesentlicher Truppensteller und verlässlicher Partner in der Europäischen Union, in der NATO und auch in den Vereinten Nationen. Sicherheitspolitisches Engagement betrifft aber nicht nur militärische Einsätze, sondern ein viel weiteres Spektrum“, erklärte der CDU-Politiker jetzt in einem Interview mit der Wochenzeitung Das Parlament. Deutschland sei weltweit zivil engagiert – etwa bei der Entwicklungszusammenarbeit.

Der Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss fordert eine grundsätzliche Debatte, in der man sich über Interessen, Aufgaben, Instrumente und regionale Schwerpunkte der deutschen Außenpolitik verständigen könne. Eine stringente außenpolitische Strategie mache es Deutschland einfacher, für ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der Europäischen Union (EU) zu werben. „Das bringt uns dann auch nicht in die Verlegenheit, fallweise Partner zu unterstützen, die bereits vorangegangen sind“, so Kieswetter.

Es sei auch klar, dass die Probleme beispielsweise in Afrika nicht alleine militärisch gelöst werden könnten, sagte der Parlamentarier weiter. „Es muss um Instrumente der Krisenprävention, um Transformationspartnerschaften gehen.“

Zahlreiche nationale und internationale Verwendungen

Roderich Kiesewetter, Jahrgang 1963, ist ein „Bundeswehr-Insider“. Nach seinem Abitur im Jahr 1982 durchlief er die Offiziersausbildung in der Artillerietruppe und studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität der Bundeswehr München und der University of Texas in Austin (USA).

Anfang 1991 wurde Kiesewetter Batteriechef im thüringischen Sondershausen, 1993 dann Adjutant des Befehlshabers und Kommandeurs im Bundeswehrkommando in Düsseldorf. Es folgten in den Jahren 1995 bis 1997 die Generalstabsausbildung und die erste Generalstabsverwendung im Bundesministerium der Verteidigung in Bonn. Nach einem Auslandseinsatz auf dem Balkan diente der Heeresoffizier unter anderem beim Europäischen Rat in Brüssel, beim NATO-Hauptquartier in Brüssel und Mons sowie erneut auf der Bonner Hardthöhe. Von 2002 bis 2004 führte Kiesewetter als Kommandeur das Raketenartillerielehrbataillon 52 in Hermeskeil. Anschließend war er von 2004 bis 2006 in verschiedenen Verwendungen bei der 7. Panzerdivision und im Verteidigungsministerium eingesetzt.

Im Oktober 2006 wurde der gebürtige Pfullendorfer zum Oberst befördert und war Büroleiter von General Rainer Schuwirth und anschließend von General Karl-Heinz Lather im NATO-Hauptquartier Europa (SHAPE) in Mons. Im April 2009 folgte die Versetzung in das Kommando Operative Führung Eingreifkräfte in Ulm.

Bei der Bundestagswahl 2009 im Wahlkreis Aalen-Heidenheim wurde Oberst a.D. Kiesewetter als Direktkandidat ins Parlament gewählt. Bei den Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag erfolgte seine eindrucksvolle Wiederwahl. Seit Januar 2014 ist Kiesewetter Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Auswärtiges.

Wir veröffentlichen das Interview mit Roderich Kiesewetter, der seit November 2011 auch Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr ist, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der Wochenzeitung Das Parlament (das Interview ist hier in der Ausgabe vom 17. Februar 2014 zu finden).

Militäreinsätze einbetten in ein zivilmilitärisches Gesamtkonzept

Herr Kiesewetter, der Bundestag hat am 13. Februar 2014 der Entsendung von bis zu 3300 Soldaten nach Afghanistan und nochmals von bis zu 250 Soldaten für die Ausbildungsmission in Mali zugestimmt. Was ist dran an dem Vorwurf, Deutschland engagiere sich sicherheitspolitisch zu wenig?
Roderich Kiesewetter: Wir sind ein wesentlicher Truppensteller und verlässlicher Partner in der Europäischen Union, in der NATO und auch in den Vereinten Nationen. Sicherheitspolitisches Engagement betrifft aber nicht nur militärische Einsätze, sondern ein viel weiteres Spektrum. Wir sollten hier das deutsche Engagement gegenüber der Bevölkerung und unseren Partnern umfassender erklären. Dazu gehört zum Beispiel der Hinweis, wie stark wir weltweit zivil engagiert sind – etwa im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Was Militäreinsätze angeht: Solche Einsätze sind keine Lösung, wenn sie nicht eingebettet sind in ein zivilmilitärisches Gesamtkonzept. Wir sind bereit, im Ernstfall militärisch zu unterstützen, aber dazu gehören ein klares Einstiegs- und ein klares Ausstiegsszenario, also deutlich formulierte Ziele und auch eine Strategie, für den Fall, dass solch ein Einsatz scheitert.

Votum für eine stringente außenpolitische Strategie

Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen haben vor Kurzem bei der 50. Münchner Sicherheitskonferenz eine aktivere Rolle Deutschlands in der Weltpolitik gefordert. Bedeutet das, dass wir uns auf mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr einstellen müssen, insbesondere auf mehr Kampfeinsätze?
Roderich Kiesewetter: Die Diskussion nach diesen Reden erscheint mir zu stark auf das Militärische fokussiert. Ich glaube, es geht erst mal darum, dass wir uns grundsätzlich über unsere außen- und sicherheitspolitischen Interessen verständigen sollten. Sicherlich gehören Stabilität zu unseren Interessen, gute Nachbarschaft und im weiteren Sinne auch freie Handelswege. Die zweite Frage ist: Welche Aufgaben wollen und können wir erfüllen und welche Instrumente setzten wir dafür ein? Dazu gehört die Entwicklungszusammenarbeit bei Fragen des Zugangs zu Nahrung, Bildung, Gesundheit, sauberem Wasser und Energie. Dazu kommen drittens die Instrumente der zivilen Krisenprävention, der Rüstungskontrolle, der Konfliktbewältigung. Auch freier Handel kann zu Entwicklung und Stabilität beitragen. All dies sind zivile Instrumente, mit denen wir Interessen wahrnehmen können. In bestimmten Fällen können sie eine militärische Absicherung benötigen, zu der wir dann auch bereit sein müssen. Zudem müssen wir uns darüber klar werden, in welchen Regionen wir uns engagieren. Über diese vier Punkte – Interessen, Aufgaben, Instrumente und Regionen – müssen wir sprechen. Eine stringente außenpolitische Strategie macht es auch einfacher, für ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der EU zu werben. Das bringt uns dann auch nicht in die Verlegenheit, fallweise Partner zu unterstützen, die bereits vorangegangen sind.

Libyen-Entscheidung führte zu einem heilsamen Prozess

Wie sehr steckt der deutschen Außenpolitik eigentlich noch die Enthaltung beim Libyen-Einsatz 2011 in den Knochen? Haben die neuen außenpolitischen Töne auch mit dieser Entscheidung zu tun?
Roderich Kiesewetter: Das glaube ich nicht. Aber die Libyen-Entscheidung hat zu einem heilsamen Prozess geführt – etwa zu der Einsicht, dass wir uns noch enger mit unseren Bündnispartnern über das Vorgehen abstimmen. Da komme ich wieder zu dem Vierklang aus Interessen, Aufgaben, Instrumenten und Regionen. Man mag zur Libyen-Entscheidung stehen, wie man will. Eines aber hat sie gezeigt: Wir konnten damals weder dem Ausland noch der eigenen Bevölkerung vermitteln, dass wir uns zunächst nicht mit dem Luftaufklärungssystem AWACS in Afghanistan beteiligen wollten und drei Monate später, nachdem wir gesagt haben, dass wir uns bei Libyen heraushalten, wie aus heiterem Himmel dann doch dafür bereit waren. Hätten wir eine klar formulierte Strategie gehabt, wäre uns das nicht passiert.

Parlamentarische Kontrollrechte bei fortschreitender Bündnisintegration

Was bedeutet eine stärkere sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Europa konkret für den Parlamentsvorbehalt des Deutschen Bundestages bei Bundeswehreinsätzen?
Roderich Kiesewetter: Zunächst einmal – noch nie ist ein Auslandseinsatz am deutschen Parlament gescheitert. Der Frage, wie sich die parlamentarischen Kontrollrechte bei fortschreitender Bündnisintegration sichern lassen, wird sich jetzt eine Kommission widmen, die Handlungsoptionen formulieren soll. Wichtig ist etwa, dass deutsche Soldaten in internationalen Stäben, etwa im NATO-Hauptquartier in Brüssel, grundsätzlich mandatiert sind. Es muss klar sein, dass deutsche Soldaten und Diplomaten bei den Planungen von Einsätzen mitwirken können. Auch so können wir deutsche Interessen wahrnehmen und auch mal den Finger heben, wenn bestimmte Entwicklungen nicht in unserem Sinne sind.

Bildungs- und Lebensperspektiven für Millionen Afrikaner

Welche Bedeutung hat Afrika für Europa und weshalb rückt der Kontinent gerade jetzt verstärkt ins Blickfeld?
Roderich Kiesewetter: Das hat unterschiedliche Ursachen. Europa wird grundsätzlich mehr Verantwortung in Afrika zu übernehmen haben, weil sich die USA stärker auf den pazifischen Raum konzentrieren. In Libyen etwa sind nach dem Regimewechsel die Außengrenzen unsicherer geworden, ganze Waffenarsenale sind nicht unter staatlicher Kontrolle, der Süden des Landes ist zum Rückzugsraum für Terroristen geworden, die in Mali, im Tschad und im Niger agieren. Als nördlichem Nachbarn Afrikas liegt es in unserem europäischen Interesse, dass wir dort mit Regierungen zusammenarbeiten, die die innere und äußere Sicherheit ihres Landes ernst nehmen. Es ist klar, dass sich diese Probleme nicht militärisch lösen lassen. Es muss um Instrumente der Krisenprävention, um Transformationspartnerschaften gehen. Im nördlichen Afrika sind rund 17 Millionen Menschen auf der Flucht. Wir wollen, dass sie Bildungs- und Lebensperspektiven in ihren Ländern haben. Dort gilt es zu investieren, bei kleinen und mittleren Unternehmen und in Bildung, damit die Menschen ihre Perspektive nicht allein im Überqueren des Mittelmeeres sehen. Eine Massenflucht nach Europa löst keine Probleme vor Ort, und sie würde neue Probleme bei uns schaffen.

Für Afghanistan fehlte ein ziviles Wiederaufbaukonzept

Welche Lehren lassen sich aus dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan für mögliche künftige Einsätze ziehen?
Roderich Kiesewetter: Wir haben in Afghanistan viel zu spät auf das regionale Umfeld – etwa auf die Nachbarn Pakistan oder Iran – geachtet. Wir waren viel zu sehr fokussiert auf kleinteilige Betrachtungen in den Einsatzregionen. Eine andere Lehre ist, sehr früh einen solchen Einsatz zu evaluieren und ihn im laufenden Prozess zu verbessern, vor allen Dingen auch die Bündnisleistung der Partner über das ganze Land hinweg besser zu koordinieren. Anfangs hieß es bei uns in Deutschland, die Bundeswehr sei im friedlichen Norden Afghanistans eingesetzt, sei für den friedlichen Wiederaufbau verantwortlich, tue also eigentlich das, was Entwicklungshelfer auch tun könnten. Das war aus meiner Sicht falsch. Gefehlt haben in Afghanistan ein ziviles Wiederaufbaukonzept und auch Organisationen, die bereit waren, diese Aufgaben zu übernehmen.

Größter Reformprozess in der Geschichte der Bundeswehr

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, spricht mit Blick auf die Bundeswehrreform von der Grenze der Belastbarkeit. Kann die Truppe weitere Einsätze verkraften?
Roderich Kiesewetter: Die Bundeswehr ist, was den Willen, was die Disziplin und die Fähigkeit angeht, trotz Verkleinerung nicht an der Belastungsgrenze. Bei der Ausstattung und der Ausbildung für den Einsatz und auch bei der Fürsorge nach dem Einsatz können wir sicher noch Einiges verbessern. Man muss dabei bedenken, dass die Bundeswehr sich im größten Reformprozess ihrer Geschichte befindet, der erst 2017 abgeschlossen sein wird. Es ist sehr zu begrüßen, dass die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Fragen wie die Vereinbarkeit von Familie und Dienst und die hohe Dienstzeitbelastung in den Mittelpunkt stellen will.



Zu unseren beiden Aufnahmen:
1. Roderich Kiesewetter verlangt bei militärischen Einsätzen der Bundeswehr im Ausland auch ein klares Einstiegs- und ein klares Ausstiegsszenario. Das Bild zeigt Soldaten des Fallschirmjägerbataillons 261 aus Lebach im Oktober 2006 bei einer Patrouille durch die Armenviertel der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa (Deutschland stellte in jenem Jahr ein Bundeswehrkontingent für die europäische Mission EUFOR RD Congo).
(Foto: Andrea Bienert/Bundeswehr)

2. Der CDU-Bundestagsabgeordnete am 28. November 2013 im Deutschen Bundestag. Kiesewetter sprach an diesem Donnerstag zum Tagesordnungspunkt „Zukunft der Operation Active Endeavour“.
(Foto: Achim Melde/Lichtblick/Deutscher Bundestag)


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