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Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel will offenbar „mit den Vereinigten Staaten“ eine Verlängerung der Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission „Resolute Support“ über das Jahr 2016 erörtern. Einem Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zufolge soll sie in einer vertraulichen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages mit Blick auf den Irak und das Vorrücken der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) Zweifel an den aktuellen Plänen der NATO und der USA geäußert haben. Der Spiegel beruft sich auf „Teilnehmer“ der Sitzung und berichtet, die Situation der afghanischen Sicherheitskräfte beunruhige die Kanzlerin. Aus den Erfahrungen im Irak und dem dortigen Kampf gegen IS müssten ihrer Ansicht nach unbedingt Lehren für Afghanistan gezogen werden.

Die ISAF-Mission der NATO in Afghanistan wird zum 31. Dezember dieses Jahres auslaufen. Im fließenden Anschluss daran soll die Nachfolgemission „Resolute Support“ die Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte fortführen. Die Bundesregierung hatte bereits im Frühjahr 2013 ihre grundsätzliche Bereitschaft bekundet, sich mit einem Bundeswehrkontingent von bis zu 800 Soldatinnen und Soldaten an diesem Folgeeinsatz zu beteiligen. Insgesamt will die NATO ab dem 1. Januar 2015 in Afghanistan mit rund 12.000 Mann präsent sein.

Nach dem derzeitigen Stand der Planungen werden aller Voraussicht nach ab Januar 2017 keine Soldaten der Internationalen Gemeinschaft mehr am Hindukusch stationiert sein. Bereits ab Jahresbeginn 2016 soll die NATO-geführte Mission „Resolute Support“ nicht mehr in der Fläche Afghanistans wirken, sondern nur noch in der Hauptstadt Kabul ausbilden und beraten. Die Sicherheit des Landes wird damit völlig alleine in den Händen der afghanischen Sicherheitskräfte liegen.

Zweifel an der Durchschlagskraft der afghanischen Armee

Wie nun Der Spiegel berichtet, soll die Bundeskanzlerin in der Ausschusssitzung vor ähnlichen Verhältnissen wie im Irak gewarnt haben. „Aus den Erfahrungen im Irak müsse man Lehren ziehen – die dortigen Sicherheitskräfte erodierten nach dem kompletten Abzug der US-Armee schnell und kämen heute kaum noch gegen die Kämpfer des ,Islamischen Staates‘ an“, schreibt das Magazin und gibt so die angeblich im Ausschuss vorgetragenen Äußerungen Merkels wieder.

Es scheint, als ob auch die Kanzlerin ihre Zweifel daran hat, dass die afghanischen Sicherheitskräfte den langen Kampf gegen die Aufständischen am Hindukusch insgesamt erfolgreich bestehen könnten. Der Spiegel weist darauf hin, dass die NATO die Einsatzbereitschaft der afghanischen Armee im landesweiten Durchschnitt derzeit nur als „mittel“ einstufe. Diese Angaben habe die Bundesregierung gemacht, so das Magazin. Merkel jedenfalls habe nun „nach Teilnehmerangaben“ in der vertraulichen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses angekündigt, mit den USA über eine eventuelle Verlängerung der „Resolute Support“-Mission reden zu wollen.

Die Taliban als politischen Faktor zu lange unterschätzt

Wenig optimistisch klingt auch der Beitrag von Außenminister Frank-Walter Steinmeier für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 12. Oktober. In seiner selbstkritischen Bilanz des deutschen Engagements in Afghanistan meint Steinmeier, es gebe in Afghanistan neben zahlreichen Fortschritten „auch vieles, was bis heute nicht gelungen“ sei. Die Drogenökonomie floriere noch immer. Korruption auf allen Ebenen behindere die Modernisierung von Wirtschaft und Staat. In vielen Provinzen herrschten mächtige Warlords. In Teilen des Landes regiere immer noch Gewalt. Auch habe man die radikalislamischen Taliban zu früh als besiegt betrachtet. „Zu lange haben wir wohl die Taliban als politischen Faktor unterschätzt“, räumt der Außenminister in seinem Beitrag ein.

Als Niederlage will Steinmeier das Engagement in Afghanistan alles in allem nicht gewertet wissen. Allerdings ist es diskussionswürdig, wenn er die Ansicht vertritt, dass von Afghanistan „heute keine terroristische Bedrohung mehr für die Internationale Gemeinschaft“ ausgehe. Aktuelle Bürgerkriege und Krisen in Syrien, Libyen und im Irak zeigten, dass Afghanistan einen weit schlechteren Weg hätte nehmen können, argumentiert Steinmeier. „Der Blick auf die politische Weltkarte lässt mich davor warnen, unsere Mission voreilig als gescheitert abzuschreiben.“ Gerade im Vergleich mit diesen Ländern „können sich die Ergebnisse des Afghanistaneinsatzes hinreichend sehen lassen“.

Schulterschluss mit der Terrorgruppierung „Islamischer Staat“

Ob die Lagebeurteilung des SPD-Politikers lange der Realität standhalten wird, darf bezweifelt werden. Denn in Afghanistan mehren sich mittlerweile die Zeichen einer diabolischen Allianz unterschiedlicher Terrorgruppierungen. So sollen Ende September im Bezirk Andar der Provinz Ghazni neben afghanischen Taliban mehr als 300 fremde Kämpfer aktiv gewesen sein. Offizielle Stellen identifizierten Informationen des afghanischen Fernsehsenders TOLOnews zufolge Milizionäre aus Pakistan und aus arabischen Ländern. Auch seien zahlreiche Anhänger der Terrorgruppierung „Islamischer Staat“ (IS) in Andar gesichtet worden. Der Vorsitzende des Provinzrates von Ghazni, Abdul Jami Jami, sagte TOLOnews, die Kämpfer hätten schwarze Flaggen gehisst und seien „mit starken und äußerst aggressiven Kräften“ vorgegangen. Dabei seien auch Zivilisten ermordet worden. Wie die afghanische Nachrichtenagentur Khaama Press unter Berufung auf lokale Regierungsmitarbeiter berichtete, sollen 15 Zivilisten – darunter Frauen und Kinder afghanischer Polizisten – nach IS-Methode enthauptet worden sein.

Ebenfalls Ende September hatte Mullah Fazlullah, Chef der pakistanischen Taliban (Tehrik-e-Taliban Pakistan, TTP), dem IS in einer schriftlichen Botschaft Unterstützung zugesagt. Derzeit sollen bereits mehr als 1000 Kämpfer aus Pakistan mit der Terrormiliz IS in Syrien und im Irak kooperieren.

Anführer einer militanten islamischen Gruppierung, die eng mit den afghanischen Taliban verbunden ist, trafen sich zudem vor einigen Wochen mit einem BBC-Reporter und räumten ein, eine Zusammenarbeit mit dem IS in Erwägung ziehen zu wollen. Sollte IS tatsächlich ein „wahres“ islamisches Kalifat begründen, dann werde man beitreten.

Gefahr einer globalen Ausbreitung von IS nicht kleinreden

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, warnte vor Kurzem in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel davor, den Zusammenschluss „Islamischer Staat“ weiterhin zu unterschätzen. „Die Gefahr einer Ausbreitung von IS auf weitere Teile der Welt darf nicht kleingeredet werden“, sagte Mißfelder. „Gerade im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet sollen in der vergangenen Zeit verstärkt Kämpfer für die IS rekrutiert worden sein. Im geplanten Abzug der Truppen aus Afghanistan sehen sicherlich einige ihre Chance, ein Kalifat oder die Herrschaft der Taliban erneut zu errichten.“

Der stellvertretende Gouverneur der Provinz Ghazni, Mohammad Ali Ahmadi, hatte im September gegenüber Khaama Press bestätigt, dass mit dem IS verbundene Taliban in verschiedenen Bezirken Ghaznis die schwarze Flagge des „Islamischen Staates“ gezeigt hätten. Zudem sollen zahlreiche IS-Druckschriften an die Bevölkerung verteilt worden sein. Eine davon trägt den Namen „Fata“ („Sieg“) und dient der Anwerbung neuer Kämpfer.

Afghanische Sicherheitskräfte erlitten in diesem Jahr schwere Verluste

Die afghanischen Sicherheitskräfte erlitten in diesem Jahr im Kampf gegen die Aufständischen schwere Verluste. ISAF-Kommandeur John F. Campbell bezifferte am 2. Oktober die Gesamtzahl getöteter afghanischer Polizisten und Soldaten mit „etwa 7000 bis 9000 Mann“. Insgesamt soll die Todesrate unter den Sicherheitskräften Kabuls in diesen Gefechtsmonaten nach offiziellen Angaben um rund 30 Prozent höher ausgefallen sein, als noch im Vorjahreszeitraum. Schuld daran seien die heftigen Attacken der Aufständischen und die vielen Sprengfallen entlang der Straßen und Wege, die enorme Opfer kosteten, berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press (AP).

AP berichtet auch, dass die Vereinigten Staaten seit Beginn des Afghanistaneinsatzes 2001 etwa 62 Milliarden US-Dollar in die Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Sicherheitskräfte investiert hätten. Militärexperten gingen davon aus, so AP, dass das afghanische Militär immer noch nicht über genügend Soldaten und Material verfüge.

Linke warnen vor Verlängerung des Militäreinsatzes am Hindukusch

Zurück zu Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer (vom Spiegel öffentlich gemachten) Ankündigung, sich für eine Verlängerung der ISAF-Nachfolgemission „Resolute Support“ starkmachen zu wollen. Dazu meldete sich der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Die Linke, Jan van Aken, zu Wort.

In seiner Presseerklärung vom 12. Oktober heißt es: „Das Gerede der Bundesregierung über einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan erweist sich als Schall und Rauch. Jetzt will die Kanzlerin die Soldaten sogar länger dort lassen als die USA. Einen gescheiterten Krieg gewinnt man auch nicht in der Verlängerung. Die Bundeswehr muss raus aus Afghanistan – komplett und so schnell wie möglich.“ Die ernüchternde Bilanz des Afghanistaneinsatzes, die selbst Bundesaußenminister Steinmeier eingestehe, scheine insbesondere der Kanzlerin noch nicht Warnung genug zu sein, meint Aken.


Zu unseren beiden Aufnahmen:
1. Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Besuch des deutschen Afghanistan-Einsatzkontingents im Mai 2013 – das Bild zeigt sie in Kunduz im Gespräch mit Soldaten der Schutzkompanie.
(Foto: Rolf Walter/PAO Kunduz/Bundeswehr)

2. Merkel nach der Rückkehr aus Kunduz auf dem Flugfeld in Mazar-e Sharif mit dem damaligen Kommandeur des Regionalkommandos Nord, Generalmajor Jörg Vollmer (rechts).
(Foto: Uwe Lepa/Bundeswehr)


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