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Berlin/Brüssel (Belgien). Die deutsche Marine stellt ein weiteres Jahr Kräfte für den Anti-Piraten-Einsatz der Europäischen Union (EU) vor der Küste Somalias. Der Bundestag verlängerte dazu am 22. Mai mit großer Mehrheit das Mandat für die Beteiligung deutscher Soldaten an der Mission Atalanta. Künftig können maximal 1200 Bundeswehrangehörige in diesen Einsatz entsandt werden – derzeit beteiligen sich rund 370 an der Mission im Indischen Ozean, um dort die für den Welthandel wichtigen Seewege zu sichern. Der namentlichen Abstimmung im Parlament ging eine lebhafte Debatte voran, die bereits Gegenstand des ersten Teils unseres Beitrages war.

Bei der Abstimmung am 22. Mai wurde die Beschlussvorlage der Bundesregierung vom 30. April mit 461 Ja-Stimmen bei 70 Gegenstimmen und 51 Enthaltungen gebilligt. In der Debatte hatten zuvor Jan van Aken (Die Linke) und Doris Wagner (Bündnis 90/Die Grünen) – wie berichtet – die Hauptargumente der Opposition gegen Atalanta vorgebracht. Die Fraktion Die Linke lehnte den Antrag geschlossen ab, die Fraktion der Grünen enthielt sich mehrheitlich.

Die Bundeswehr kann sich nun vorerst bis zum 31. Mai 2015 an der Operation „EU NAVFOR Somalia – Atalanta“ beteiligen (mit einer weiteren Mandatsverlängerung ist zu rechnen). Folgende deutschen Einheiten sind derzeit bei Atalanta: Fregatte „Brandenburg“ als Flaggschiff der Task-Force sowie Betriebsstofftanker „Rhön“, dazu ein Seefernaufklärer P-3C Orion und Hubschrauber Sea Lynx Mk.88A.

Alle Schiffe des Welternährungsprogramms sicher in Somalia angekommen

Der SPD-Abgeordnete Niels Annen beleuchtete bei der Bundestagsdebatte noch einmal die gegenwärtige Situation Somalias. Das Land sei zu einem traurigen Synonym für Staatszerfall geworden. Mit dramatischen Folgen. Denn an die Stelle des staatlichen Gewaltmonopols und staatlicher Strukturen sei die Herrschaft von Clans, von organisierter Kriminalität und auch die von terroristischen Organisationen getreten. Somalia sei zudem ein Symbol dafür, erklärte Annen, dass sich die Unregierbarkeit einiger Landstriche auf die gesamte Region ausweiten könne. Deshalb seien heute immer noch mehr als zweieinhalb Millionen Somalier auf akute Nothilfe durch die Internationale Gemeinschaft angewiesen.

Diese Hilfe erreiche das Land überwiegend auf dem Seeweg. Annen: „Atalanta gilt primär dem Schutz der Nahrungsmittelversorgung für Somalia, die mit Schiffen des Welternährungsprogramms durchgeführt wird … Für die somalische Bevölkerung ist die Versorgung mit Lebensmitteln eine existenzielle Frage. Deswegen ist es eine gute Nachricht, dass seit dem Beginn der Operation Atalanta alle Schiffe des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen sicher nach Somalia eskortiert wurden.“

Fortsetzung von Atalanta auch im nationalen Interesse Deutschlands

Atalanta habe auch noch eine andere Funktion, erinnerte der SPD-Politiker. Atalanta schütze die zivile Schifffahrt. Denn durch das Seegebiet vor Somalia verlaufe eine der wichtigsten internationalen Handelsrouten, die Asien, die Arabische Halbinsel und Europa miteinander verbinde. „Diese Route ist für unsere Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Auch deswegen ist die Fortsetzung von Atalanta in unserem eigenen, nationalen Interesse.“

Obwohl der Golf von Aden durch die Operation Atalanta erheblich sicherer geworden und die Zahl der Piratenangriffe in dieser Region insgesamt auf einen Tiefstand gesunken sei, habe man das Problem der Piraterie dennoch nicht völlig beseitigen können, bilanzierte der Parlamentarier abschließend. „Wir sind uns bewusst, dass der Erfolg an der einen Stelle zu Verdrängungen hin zu einer anderen Stelle führt und dass wir inzwischen weitere Piraterieschwerpunkte haben: am Golf von Guinea, am Golf von Bengalen oder an der Straße von Malakka.“ Trotz der Erfolge von Atalanta sei man zudem von einer Stabilisierung ganz Somalias noch weit entfernt. Allerdings gebe es trotz aller Schwierigkeiten dort auch hoffnungsvolle Zeichen. Niels Annen: „In einigen Teilen des Landes haben sich durchaus funktionsfähige staatsähnliche Einheiten gebildet, zum Teil geschah das sogar unter Anwendung demokratischer Prinzipien. Diese Entwicklung sollten wir weiterhin unterstützen.“

Erhebliche Summen im Rahmen der Not- und Übergangshilfe aufgebracht

CDU/CSU-Vertreter Roderich Kiesewetter machte in seinem Redebeitrag einmal mehr deutlich, wie „wichtig die militärische Begleitung und Absicherung im vernetzten Handeln ist“. Dabei wies er auch darauf hin, dass Deutschland mittlerweile 20 Prozent sämtlicher humanitärer EU-Ausgaben bestreitet. Außerdem habe man seit 2008 im Rahmen der Not- und Übergangshilfe auch erhebliche Summen insbesondere für Ernährung und sauberes Trinkwasser in Somalia aufgebracht.

Dem Kritikpunkt von Bündnis 90/Die Grünen, die Ausweitung von Atalanta an Land könne zu einer Eskalation beitragen, hielt Kiesewetter entgegen: „Im Jahr 2012 gab es im Rahmen von Atalanta einen einzigen Einsatz an Land, seither keinen mehr. Es ist also eindeutig festzustellen, dass von Atalanta eine abschreckende Wirkung ausgeht. Ich glaube, die Ausweitung auf den Küstenschutz beziehungsweise den Küstenrand im Jahr 2012 war richtig und notwendig. Es war gut, dass wir diese Entscheidung im Bundestag getroffen haben.“

Sicherheitsstrukturen, Küstenschutz und humanitäre Hilfe

Über das Zusammenspiel ressortübergreifender Operationen und damit den vernetzten Ansatz sprach am 22. Mai im Deutschen Bundestag auch die CSU-Abgeordnete Julia Bartz. Erfolgreiche Sicherheitspolitik sehe ihrer Ansicht nach wie folgt aus: „Im Rahmen von EUTM Somalia legen wir den Grundstein für eine staatliche Sicherheitsstruktur. Mit EUCAP Nestor bereiten wir den Weg für einen selbstständigen Küstenschutz. Mit über 300 Millionen Euro beteiligen wir uns an der humanitären Hilfe in Somalia. GIZ, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, ist aktiv, um die Lage der Binnenflüchtlinge zu verbessern. Und nicht zuletzt verzeichnen wir durch unseren erfolgreichen Beitrag an Atalanta einen stetigen Rückgang von Piratenangriffen.“

Allerdings warnte die Abgeordnete auch: „Wir dürfen uns von der scheinbar ruhigen Lage am Horn von Afrika aber nicht täuschen lassen. Von den subversiven Kräften in Somalia geht nach wie vor eine große Gefahr aus.“ In Somalia habe man es mit einer brisanten Gemengelage zu tun: im Wiederaufbau befindliche staatliche Strukturen, Terroristen und Clans, Warlords und Piraterie. Durch die Operation Atalanta könnten jedoch auch die Einnahmequellen von Terroristen in Somalia nach und nach zum Versiegen gebracht werden. Bartz: „Jede verhinderte Schiffsentführung blockiert eine Modernisierung und Professionalisierung der Piraten und damit auch deren niederträchtiges Geschäftsmodell. Die jetzt ausbleibenden Millionen, die nun nicht mehr als Lösegeld erpresst werden, können auch nicht in Waffen und Munition investiert werden.“

Militärische und entwicklungspolitische Maßnahmen voneinander trennen?

Einen weitergehenden ganzheitlichen Ansatz bei der Somalia-Hilfe fordert die SPD-Bundestagsabgeordnete Gabi Weber. Sie sprach bei der Atalanta-Debatte von „notwendigen weiteren Entwicklungsmaßnahmen im Landesinneren“. Die Politikerin wörtlich: „Piraterie fällt nicht vom Himmel. Meist stecken die Menschen in einer Notsituation, und kriminelle und terroristische Gruppen wie die Shabaab-Milizen machen sich dies zunutze und schicken wehrlose Fischer auf hochgefährliche Missionen auf See. Die durch Schiffskaperungen erzielten Einnahmen wiederum führen dazu, das Land weiter zu destabilisieren. Das ist nicht hinnehmbar.“

Der beste Schutz der Handelswege, so Weber, wäre eine Verbesserung der Bedingungen für die Menschen im Land und an der ostafrikanischen Küste. Denn im Rahmen von Atalanta könnten ihrer Meinung nach nur die Symptome der fragilen Situation in Somalia bekämpft werden. Gegen die tieferen Ursachen an Land hingegen müsse man sich entwicklungspolitisch engagieren. Die Sozialdemokratin empfahl: „Das sollte man allerdings nicht in einem integrierten Mandat vermischen. Beide Maßnahmen – militärische und entwicklungspolitische – müssen parallel erfolgen.“

Schiffe der deutschen Marine bereits „über Gebühr strapaziert“

Zum Schluss der Aussprache zur Atalanta-Mandatsverlängerung wies der CDU-Abgeordnete Ingo Gädechens auf die besondere Situation der deutschen Marine hin. Derzeit verfüge die Teilstreitkraft über lediglich elf Fregatten und fünf Korvetten, die für den Einsatz am Horn von Afrika geeignet seien. Für die Marine stelle dieser Umstand eine „überaus schwierige Situation“ dar, denn die vorhandenen Schiffe würden in den ständigen NATO-Einsatzverbänden oder im UNIFIL-Einsatz und Atalanta-Mandat über Gebühr strapaziert.

Auch sorgten in gewissen Zeiträumen die deutschen Marineflieger mit ihren Seefernaufklärern für ein besseres Lagebild in diesem äußerst groß dimensionierten Seegebiet. Dies alles erfordere Logistik, technische Wartung und auch Betreuung der Kräfte an Land.

Der Parlamentarier gab deshalb auch zum Schluss grundsätzlich zu bedenken: „Die Forderungen vieler Staaten der Welt und die Appelle an die Bundesrepublik Deutschland sind vielfältig und gehen zumeist über das hinaus, was unser Land zu leisten in der Lage ist. Es gilt immer wieder in ehrlicher Selbstbestimmung und kritischer Abwägung festzulegen, wo, mit welchen Mitteln, in welchem Umfang und wie wir in der friedlichen Staatengemeinschaft unseren ganz eigenen Beitrag leisten wollen, ja leisten müssen.“ Im Falle von Atalanta erwarte die Staatengemeinschaft, dass sich Deutschland weiterhin beteilige.

Noch mehr als 50 Seeleute in der Hand von Piraten

Eine aktuelle Erfolgsbilanz der vergangenen Monate lieferte erst vor Kurzem die Bundesregierung mit ihren Antworten auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen. Am 6. Mai teilte sie mit: „Im Zeitraum von April 2013 bis März 2014 wurden am Horn von Afrika zehn Angriffe auf Handels- oder Fischereischiffe bekannt. Es gelang den Piraten in drei dieser Fälle, temporär die Kontrolle über Transport-Dhaus zu gewinnen. Den Piraten gelang es in diesem Zeitraum jedoch nicht, sich eines Handels- oder Fischereischiffs dauerhaft zu bemächtigen.“

Die Bundesregierung geht außerdem von etwa 50 Seeleuten aus, die derzeit von Piraten in Somalia festgehaltenen werden. Schwerpunkte der Piratenaktivitäten sind nach Regierungsangaben vor allem die Regionen Xarardheere, Ceel Huur und Hobyo sowie der Nordosten Puntlands. Zivile Maßnahmen seien hier derzeit wegen der Gefährdungslage nicht möglich.

Die Bundeswehr hat, so eine weitere Auskunft, über dem somalischen Festland im Zeitraum April 2013 bis März 2014 insgesamt 54 Aufklärungseinsätze durchgeführt. Dabei wurde ausschließlich ein unbewaffneter Seefernaufklärer vom Typ P-3C „Orion“ eingesetzt. Es kam in den fraglichen zwölf Monaten zu keinen Einsätzen von Kräften der Operation Atalanta gegen Piratenlogistik am Strand Somalias.

In den letzten 24 Monaten wurden nach Angaben des Kommandeurs der Operation Atalanta insgesamt 26 der Piraterie verdächtige Personen an Staaten am Horn von Afrika beziehungsweise deren Anrainerstaaten zur strafrechtlichen Verfolgung übergeben – davon 14 an die Seychellen und zwölf an Mauritius. Im Augenblick befinden sich keine Personen, die der Piraterie verdächtigt werden, in Gewahrsam der Operation Atalanta.

Globale Schäden durch somalische Seeräuberei deutlich geringen geworden

Zum Schluss noch eine Meldung aus den USA. In Broomfield nahe Denver veröffentlichten am 7. Mai die Initiatoren von „Oceans Beyond Piracy“ (OBP) eine bemerkenswerte Zahl, die den positiven Trend im Kampf gegen das maritime Unwesen am Horn von Afrika bestätigt. OBP, ein Projekt der gemeinnützigen Organisation „One Earth Future Foundation“, ermittelt regelmäßig die globalen wirtschaftlichen und sozialgesellschaftlichen Schäden, die durch Seeräuberei vor den Küsten Afrikas verursacht werden.

In ihrem Jahresbericht 2013 kommt OBP nun zu dem Ergebnis, dass sich die ermittelbaren Schäden durch somalische Piraten im Vergleich zum Vorjahr um gut 50 Prozent verringert haben. Waren es im Jahr 2012 noch zwischen 5,7 und 6,1 Milliarden US-Dollar, so sind es ein Jahr später nur noch zwischen 3 und 3,2 Milliarden. Jens Madsen, einer der Autoren des neuen Reports, kommentierte die erfreulichen Zahlen so: „Die Anstrengungen der Internationalen Gemeinschaft und die der Schifffahrtsindustrie haben enorm dazu beigetragen, die Bedrohung durch somalische Piraten zurückzudrängen. Aber wir haben unser endgültiges Ziel – kein gekapertes Schiff und kein entführtes Besatzungsmitglied mehr – noch nicht erreicht.“



Zu unserem Bildangebot „Atalanta-Mandat“ (Teil 2):
1. Luftbild vom 24. März 2014 – von oben: Fregatte „Hessen“, US-Betriebsstofftanker „Pecos“ und französisches Docklandungsschiff „Siroco“ im Atalanta-Einsatz. Die „Hessen“ war von Dezember 2013 bis April dieses Jahres am Horn von Afrika und wurde von der „Brandenburg“ abgelöst. Am 17. April erreichte das Schiff wieder seinen Heimatstützpunkt Wilhelmshaven.
(Foto: EU NAVFOR Atalanta)

2. Flottillenadmiral Jürgen zur Mühlen, seit dem 6. April 2014 Kommandeur der Task-Force Atalanta, an Bord des Flaggschiffs „Brandenburg“. Die Aufnahme mit zur Mühlen an der Stirnseite des Tisches entstand bei einem ersten Briefing.
(Foto: EU NAVFOR Atalanta)

3. Das Bild vom 11. Oktober 2012 zeigt ein Boardingteam des italienischen Landungsschiffs „San Giusto“, das vor der somalischen Küste mutmaßliche Piraten gestellt hat.
(Foto: EU NAVFOR Atalanta)

4. Die Infografik präsentiert die immer noch aktuellen Schwerpunkte der Piratenaktivitäten an der somalischen Küste – die Regionen Xarardheere, Ceel Huur und Hobyo sowie den Nordosten Puntlands.
(Foto: EU NAVFOR Atalanta, Infografik © mediakompakt 05.14)


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