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Neubiberg/Berlin. Die Fakultät für Humanwissenschaften der Universität der Bundeswehr München führt zum 1. Oktober 2013 den neuen Bachelorstudiengang „Psychologie“ und (darauf aufbauend) am 1. Januar 2016 den Masterstudiengang „Klinische Psychologie“ ein. 22 Frauen und Männer werden nun mit dem Bachelorstudiengang in Neubiberg beginnen. Das neue Studienangebot soll auch mithelfen, in naher Zukunft den personellen Bedarf der Streitkräfte an Experten für die Erforschung und die Behandlung des posttraumatischen Belastungssyndroms (PTBS) zu decken.

Über die neuen Studienprogramme werden an der Universität der Bundeswehr München zugleich neue Forschungsschwerpunkte installiert. Diese sollen sich mit bundeswehrbezogenen Themenkreisen wie „Einsatz“, „Begleitung im Einsatz“ oder „Traumaforschung und Stressbewältigung“ aus psychotherapeutisch-klinischem und sportpsychologischem Blickwinkel befassen. Der neue Neubiberger Studiengang „Psychologie“ orientiert sich an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie.

Das gesamte Spektrum psychischer Störungen

Der Bedarf der Bundeswehr an Fachpersonal für das Gebiet der PTBS-Forschung und PTBS-Behandlung ist in den letzten Jahren gestiegen. Untersuchungen von Hans-Ulrich Wittchen, Sabine Schönfeld (beide Technische Universität Dresden, Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie) oder Jens Kowalski (Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Psychotraumazentrum) haben ergeben, dass Auslandseinsätze – verbunden mit häufigen traumatisch erlebten Ereignissen – mit einem zwei- bis vierfach erhöhten PTBS-Risiko verbunden sind. Nach der Rückkehr vom Einsatz erkranken etwa 300 je 10.000 Soldaten pro Jahr. Die kumulierte Gesamtzahl PTBS-erkrankter Bundeswehrangehöriger dürfte, so schreiben Wittchen und Schönfeld in ihrer 2012 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Arbeit, „somit in die Tausende gehen“. Fast jeder PTBS-Fall bleibt zudem unerkannt und unbehandelt (die Dunkelziffer beträgt 45 Prozent).

Darüber hinaus ist den Forschern zufolge von einem mehrfach höheren Risiko für einsatzbedingte andere Formen psychischer Erkrankungen auszugehen. Damit liegt das tatsächliche Ausmaß einsatzbedingter psychischer Störungen wahrscheinlich um ein Mehrfaches höher, als die Häufigkeit der PTBS. Dazu raten Wittchen und Schönfeld: „Dies legt nahe, künftig den Schwerpunkt präventiver und kurativer Maßnahmen über das Problem PTBS hinaus auf das gesamte Spektrum psychischer Störungen zu richten.“

Wie die Untersuchungen und Befragungen betroffener Heimkehrer aus dem Auslandseinsatz ergaben, bestand und besteht das höchste Risiko für Bundeswehrangehörige, an PTBS zu erkranken, offenbar bei Einsätzen in Kunduz in Nordafghanistan und bei Kampfeinsätzen. Aber auch die Zahl der Kosovo-Rückkehrer mit psychischen Beschwerden stieg in den letzten Jahren, so Stichproben der Berliner Traumaforscher, deutlich an.

Auch eine größere Offenheit im Umgang mit dem Thema

Die neuesten veröffentlichten Zahlen des Verteidigungsministeriums zum Thema „Posttraumatische Belastungsstörung in der Bundeswehr“ (Stand 30. Juni 2013) dokumentieren insgesamt – und bezogen auf die Einsatzgebiete Afghanistan und Kosovo – einen weiteren Anstieg der PTBS-Behandlungsfälle. Im vergangenen Jahr wurden in den Bundeswehrkrankenhäusern 1143 PTBS-Fälle behandelt (2011: 922), 194 Fälle davon waren Neuerkrankungen, hinzu kamen 949 Patientenkontakte im Rahmen von Weiterbehandlungen. Auch das Jahr 2013 wartet mit weiter zunehmenden Behandlungen auf: Bis zum Ende des zweiten Quartals 2013 wurden bereits 746 PTBS-Behandlungsfälle registriert (96 Neuerkrankungen und 650 Wiedervorstellungen).

Die steigende Zahl von Behandlungen ist nach Ansicht des Ministeriums Folge der stärkeren Belastungen im Einsatz, der wachsenden Zahl von Soldaten mit belastenden Erfahrungen, der langen Dauer einer Therapie aber auch der größeren Offenheit im Umgang mit dem Thema.

Aufgefangen durch ein Netz der Hilfe und Helfer

Die Bundeswehr hat vor einigen Jahren das „Psychosoziale Netzwerk“ gegründet. Auf Standortebene können Angehörigen der Streitkräfte bei Truppenärzten, Truppenpsychologen, Sozialarbeitern oder Militärseelsorgern Hilfe erhalten. Darüber hinaus koordiniert und unterstützt die Arbeitsgruppe „Psychosoziale Unterstützung“ (Fachleute des Sozialdienstes, der Seelsorge, des Psychologischen Dienstes und des Sanitätsdienstes der Bundeswehr als Geschäftsführer) die Zusammenarbeit. Schweigepflicht und Vertraulichkeit sind dabei oberstes Gebot. 2009 wurde zudem mit einer Telefonhotline eine weitere Beratungsmöglichkeit geschaffen.

Bundesweit kooperiert die Bundeswehr mit 16 Kliniken. Eine stationäre Behandlung erkrankter Soldaten erfolgt vorwiegend an den Bundeswehrkrankenhäusern. Ambulante Behandlungen führen Sanitätszentren oder auch zivile Ärzte durch. In Berlin wurde nach dem Aufbau eines Kompetenz- und Forschungszentrums durch die anschließende Fusion mit der Abteilung „Psychiatrie und Psychotherapie“ des Bundeswehrkrankenhauses Berlin ein Traumazentrum geschaffen, dass Forschung und Behandlung vereint.

Enge Zusammenarbeit mit anderen Studiengängen

Vor diesem Hintergrund ist es nur ein weiterer logischer Schritt, dass die Bundeswehr demnächst nun auch an ihrer Universität in Neubiberg einen Studiengang „Psychologie“ anbieten wird. Der Studiengang wird hier mit den bereits bestehenden Studiengängen der Fakultät „Bildungswissenschaft“ und „Sportwissenschaft“ eng vernetzt.

Die künftigen Studiengänge „Psychologie“ und „Klinische Psychologie“ werden von sechs Professuren getragen werden. Professor Karl-Heinz Renner wird ab 1. September 2013 die Professur „Differentielle und Diagnostische Psychologie“ und Professor Wolfgang Mack ab 1. Oktober 2013 die Professur „Allgemeine Psychologie“ innehaben. Ebenfalls bis Oktober 2013 wird die Professur „Entwicklungs- und Gesundheitspsychologie“ besetzt sein. Die Professuren „Klinische Psychologie: Trauma und Krisenbewältigung“ und „Klinische und Biologische Psychologie“ sind ausgeschrieben. Die Ausrichtung der weiteren Professur wird derzeit beraten.

Vorreiter Helmut-Schmidt-Universität Hamburg

Auch an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg werden jetzt zusätzlich Fachkräfte ausgebildet. Den neuen Bachelorstudiengang „Psychologie“, auf den ein konsekutives Masterstudium aufbaut, belegen seit Oktober 2012 erstmals 16 Studierende. 30 Studienplätze stehen hier pro Jahr zur Verfügung.

In seinem am 29. Januar veröffentlichten Jahresbericht 2012 regt Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages, zudem an: „Angesichts des Bedarfs an Therapeuten wäre es sinnvoll, in Zusammenarbeit mit dem Bundeswehrkrankenhaus Hamburg auch ein medizinisches Aufbaustudium für Psychotherapie anzubieten.“


Hintergrund                                         

Die Medizin versteht unter dem Begriff „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) die Entstehung einer verzögerten Reaktion auf ein belastendes einmaliges oder wiederkehrendes negatives Erlebnis. Die Reaktion kann ausgelöst werden durch Erlebnisse oder Situationen, die von der Normalität abweichen.
Einmalig belastende Erlebnisse erfahren Menschen beispielsweise als Zeuge oder Ersthelfer bei schweren Verkehrsunfällen oder eines Amoklaufs. Wiederkehrende oder fortlaufende Erlebnisse sind beispielsweise Mobbing, Missbrauch, Folter oder Krieg.
Während kriegerischer Auseinandersetzungen werden Soldaten immer wieder mit schweren Schicksalen, Verwundung und Tod konfrontiert. Die ständige Anspannung während eines Einsatzes kann dazu beitragen, dass das Erlebte nicht verarbeiten werden kann. Symptome für die Entwicklung einer PTBS sind Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, Albträume, Aggressivität, Schuld- und Schamgefühle. Betroffene kapseln sich von ihrem sozialen Umfeld ab, vermeiden Kontakt zu Familie und Freunden.
Dr. Catri Tegtmeier, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, und Oberst i.G. Michael A. Tegtmeier, Referatsleiter im Verteidigungsministerium (und spezialisiert auf das Thema „PTBS“), haben sich in einem Beitrag für das unlängst erschienene „Jahrbuch Innere Führung 2012“ mit den posttraumatischen Belastungsstörungen befasst und geben Betroffenen und Vorgesetzten Hilfestellung. Ihr Kapitel lautet: „Die andere Herausforderung für den militärischen Führer“.


Unser Bildangebot:
1. Blick auf einen Gebäudekomplex der Bundeswehr-Universität in Neubiberg.
(Foto: UniBw München)

2. Entwicklung der PTBS-Behandlungen in den Bundeswehrkrankenhäusern im Zeitraum 2004 bis 2012.
(Foto: truthout, Infografik © mediakompakt 09.13)


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