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Berlin. Das für die Geheimdienstkontrolle zuständige Parlamentarische Kontrollgremium beriet am 3. Juli in einer nicht öffentlichen Sondersitzung in Berlin über die Abhör- und Spionageaktionen westalliierter Dienste, die der US-amerikanischen NSA (National Security Agency) und des britischen Nachrichten- und Sicherheitsdienstes GCHQ (Government Communications Headquarters). Beantragt hatte die Sitzung die SPD; Vorsitzender des Kontrollgremiums ist der Sozialdemokrat Thomas Oppermann. Auf dem Sitzungsprogramm für diesen Mittwoch stand unter anderem die Befragung des Koordinators der deutschen Geheimdienste Ronald Pofalla. Anwesend waren auch die Präsidenten der drei deutschen Dienste BND (Bundesnachrichtendienst), MAD (Militärischer Abschirmdienst) und BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz).

MAD-Präsident Ulrich Birkenheier, der das Amt seit dem 1. Juli 2012 leitet, sagte dem Deutschlandfunk vor dem Treffen, der Militärische Abschirmdienst betreibe keine umfassende Überwachung des Internets. Lediglich in Einzelfällen und in Bezug auf Bundeswehrangehörige würden die Experten aktiv. Allerdings, so Birkenheier gegenüber dem Deutschlandfunk weiter, beobachte man das Internet, um nach eventuellen Äußerungen von Soldaten in bestimmte Richtungen reagieren zu können.

Überwachungstätigkeiten der USA „völlig außer Kontrolle geraten“

Wie verschiedene Nachrichtenagenturen nach Ende der Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) am 3. Juli berichteten, sollen die erteilten Informationen nicht unbedingt zur Erhellung der nationalen Sicherheitslage beigetragen haben. SPD-Politiker Oppermann wird mit den Worten zitiert, Bundesregierung und deutsche Geheimdienste seien „nicht in der Lage, unsere Bürger und Unternehmen vor der millionenfachen Ausspähung zu schützen“. Offenbar gebe es eine „klare Schutzlücke“, erklärte der Vorsitzende des Kontrollgremiums. Die deutsche Spionageabwehr werde „bei der Ausspähung durch die Geheimdienste befreundeter Staaten wie die USA nicht aktiv“.

Einen Tag vor der Berliner Sondersitzung hatte Oppermann die Messlatte für die Zusammenkunft mit den deutschen Geheimdienstexperten angelegt. In einem Statement am 2. Juli hatte er geäußert: Edward Snowdens „Enthüllungen zeigen, dass die Überwachungstätigkeiten der USA völlig außer Kontrolle geraten sind. Die Veröffentlichungen (Anm.: Snowdens) offenbaren auch das Dilemma der Bundesregierung: Entweder war Frau Merkel ahnungslos. Dann muss sie sich vorwerfen lassen, dass sie nicht in der Lage ist, die Daten der deutschen Bürger vor der Ausspähung durch befreundete Staaten zu schützen. Oder Frau Merkel hat von der Totalüberwachung gewusst. Dann hätte sie das Ausspähen sogar billigend in Kauf genommen. Wir wollen morgen bei der Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums herausfinden, was das Bundeskanzleramt von den NSA-Aktivitäten wusste und ob dabei Hilfe geleistet wurde.“

Dem Gremium eine „Sachverhaltsprüfung“ zugesagt

Kanzleramtsminister Pofalla und die Chefs der deutschen Geheimdienste beteuerten in der PKGr-Sitzung, von den Lauschaktionen der NSA gegen deutsche Staatsbürger nichts gewusst zu haben. Dies berichteten nach Medieninformationen Teilnehmer dieser Sondersitzung übereinstimmend. Pofalla soll auch dem Kontrollgremium nach eigenen Angaben eine „Sachverhaltsprüfung“ zugesagt haben, danach werde die Bundesregierung „die notwendigen Konsequenzen ziehen“.

Harte Konsequenzen hatte vergangene Wochen bereits unter anderem Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende der SPD, gefordert. In einem Interview mit Spiegel-Online hatte Gabriel geäußert: „Ich fände es angemessen, wenn die Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen die Verantwortlichen der amerikanischen und britischen Geheimdienste anstrengt.“ Der SPD-Chef will allerdings auch die deutschen Geheimdienste auf den Prüfstand stellen: „Wenn der BND über den ihm gesetzten Rahmen hinausgeht oder mit anderen Geheimdiensten zusammenarbeiten sollte, um gesetzliche Beschränkungen zu umgehen, ist das eine Straftat und muss verfolgt werden.“ Eine Forderung, an der sich Gabriel unter Umständen wird messen lassen müssen. Doch dazu ein wenig später. Zunächst ein Stimmungsbild…

Das Vertrauen in die Partnerländer ist gestört

Die Enthüllungen über die Datenabschöpfung US-amerikanischer und britischer Geheimdienste (mittlerweile sorgt auch der französische Auslandsnachrichtendienst DGSE/Direction Générale de la Sécurité Extérieure für negative Schlagzeilen) waren – als das Thema der letzten Tage schlechthin – auch Gegenstand etlicher Meinungserhebungen.

Die aktuelle Umfrage von infratest dimap im Rahmen von „DeutschlandTREND“ (regelmäßige Umfrage zur politischen Stimmung in der Bundesrepublik im Auftrag der ARD-Tagesthemen und der Tageszeitung Die Welt) beispielsweise brachte folgende Ergebnisse:

Eine geheimdienstliche Datenüberwachung zum Zweck der Terrorbekämpfung wird von den Deutschen nicht prinzipiell abgelehnt. Das Ausmaß, in dem die USA und Großbritannien Telefonverbindungen und Internet ausspähen, hat jedoch die meisten Bürgerinnen und Bürger unseres Landes überrascht (61 Prozent), ebenso der Umstand, dass ausgerechnet die Bundesrepublik Zielscheibe dieser Geheimdienstaktivitäten in Europa geworden ist (62 Prozent). Entsprechend ist das Vertrauen der Bundesbürger in die Partnerländer USA und Großbritannien gestört.

Die Spionageenthüllungen beschäftigen auch die deutsche Innenpolitik. Die Kritik der Opposition gegenüber der Bundesregierung, den Vorgängen insgesamt zu wenig Aufmerksamkeit zu widmen, wird von den Deutschen geteilt. 78 Prozent wünschen sich eine angemessene Reaktion von Angela Merkel gegenüber den USA und Großbritannien.

Wird die „Kernfrage der Souveränität“ ausgeklammert?

Vielleicht wird der Druck auf die Bundesregierung bald wesentlich größer. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) verwies am 6. Juni auf einen Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), der weitere innen- und außenpolitische Sprengkraft entfalten könnte, so denn die recherchierten und kommunizierten Fakten stimmen sollten.

Das Autorenteam Thomas Gutschker, Marie Katharina Wagner und Markus Wehner kündigten in der FAZ-Samstagsausgabe an: „Nach Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung können sich die amerikanischen Geheimdienste bei Ausspähaktionen in Deutschland auf Rechtsgrundlagen berufen, die noch aus der alten Bundesrepublik stammen. Gemäß Verwaltungsvereinbarungen von 1968 dürfen die Geheimdienste der Westalliierten BND und Verfassungsschutz um Aufklärungsmaßnahmen ersuchen; die deutschen Dienste haben Rohdaten zu übergeben. Das begründet ein Recht der Amerikaner auf in Deutschland nachrichtendienstlich erhobene Daten. Bis vergangenes Jahr waren die Vereinbarungen als geheim eingestuft. Nach Angaben der Bundesregierung sind sie weiter in Kraft, wurden jedoch seit 1990 nicht mehr in Anspruch genommen. Wie die F.A.S. erfuhr, wird die Zusammenarbeit zwischen den amerikanischen Geheimdiensten und dem BND durch mehrere Absichtserklärungen geregelt, die weiterhin als streng geheim eingestuft sind.“

Eine in diese Richtung gehende Vermutung hatte bereits am 4. Juli in Maybrit Illners Talkshow – Thema „Lizenz zum Abhören: Ist das der Preis der Freiheit?“ – der Direktor des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim, Erich Schmidt-Eenboom, geäußert. Er gehe davon aus, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND in der US-amerikanischen Ausspähaffäre als „Sündenbock“ dafür herhalten müsse, dass die Bundesregierung an die „Kernfrage der Souveränität“ nicht heran wolle. Die Frage, ob „alle Vorbehaltsrechte der Alliierten“ abgelöst worden sind und mit Abschluss der 2+4-Verhandlungen volle Souveränität erreicht worden sei, stehe nach wie vor im Raum. Gefragt werden müsse auch, ob es „schriftliche, geheime Zugeständnisse“ an die Amerikaner gebe, die es den USA erlaubten, „weiterhin mit den alten Siegerrechten in der Bundesrepublik aufzuklären“.


Das Bildangebot:

1. Besuch von Verteidigungsminister Thomas de Maizière am 6. Februar2013 in Köln beim Militärischen Abschirmdienst, rechts Präsident Ulrich Birkenheier.
(Foto: Thomas Ströter/IMZBw-Bildarchiv)

2. Hauptquartier des Nachrichtendienstes National Security Agency in Fort Meade im US-Bundesstaat Maryland, rund 30 Kilometer nordöstlich von Washington, D.C.
(Foto: NSA)

3. Hintergrundbild der Infografik: das NSA-Gebäude in Fort Meade bei Nacht; Bildzeile des NSA-Fotos: „The Mission never sleeps“.
(Infografik © mediakompakt 07.13, Datenquelle: infratest dimap/ARD-DeutschlandTREND Juli 2013)

4. Hintergrundbild der Infografik: Porträt Edward Snowdens auf einem Straßentransparent.
(Infografik © mediakompakt 07.13, Datenquelle: infratest dimap/ARD-DeutschlandTREND Juli 2013)

5. Aktivisten demonstrieren auf dem New Yorker Union Sqare für Snowden.
(Foto: Michael Fleshman)

6. Erich Schmidt-Eenboom, Publizist und Geheimdienstexperte, am 4. Juli 2013 bei Maybrit Illner.
(ZDF-Standbild)


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