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Berlin. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus, hat keine Erkenntnisse über allgemeine rechtsradikale Tendenzen in der Bundeswehr. Bei noch immer rund 200.000 Soldatinnen und Soldaten „liegen die jedenfalls bekannt gewordenen Vorfälle glücklicherweise hinsichtlich Anzahl und Schwere unterhalb der Durchschnittswerte der Gesellschaft“. Dies erklärte Königshaus am 27. September im Parlament zu Beginn der Debatte über seinen Jahresbericht 2011.

Gleiches gelte auch für die „beklagenswerten sexuellen Übergriffe und Sexualdelikte, von denen wir lesen mussten“, sagte der Wehrbeauftragte weiter. „Ich möchte diese Vorfälle nicht bagatellisieren, aber man darf sie auch nicht verallgemeinern.“ Zwar lägen auch diese Zahlen unter dem statistischen Mittel der allgemeinen Kriminalitätsstatistik. Dennoch sei jede dieser schändlichen Taten eine zu viel. Königshaus versicherte: „Ich werde diesen beiden Bereichen auch in Zukunft besondere Aufmerksamkeit widmen!“

Reform geht nicht spurlos an den Soldaten vorbei

Der Jahresbericht 2011 ist der erste Bericht des Anwaltes der Soldaten nach Aussetzung der Allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland im Sommer 2011. Helmut Königshaus, seit mehr als zwei Jahren Wehrbeauftragter unseres Parlaments, hatte den Bericht an 24. Januar 2012 an Bundestagspräsident Norbert Lammert übergeben. Susanne Kastner, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, hatte an diesem Dienstag ebenfalls ein druckfrisches Exemplar des insgesamt 53. Jahresberichts erhalten. Ihr erster Kommentar: „Die Bundeswehrreform geht selbstverständlich nicht spurlos an den Soldatinnen und Soldaten vorbei.“

Dass in weiten Teilen der Truppe schlechte Stimmung herrscht, ist zumindest seit zweier aktueller Studien – der des Deutschen Bundeswehr-Verbandes und der des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr – unbestritten. Der Wehrbeauftragte hatte zwar bereits zuvor in seinem Jahresbericht 2011 die Verunsicherung vieler Bundeswehrangehöriger in Zusammenhang mit der aktuellen Streitkräftereform konstatiert. Aber wie viele Ohren haben den Rufer wirklich gehört? Die Mängelliste des Wehrbeauftragtenberichts für das Jahr 2011 beinhaltet – neben dem Stimmungsbild – auch die alten „Klassiker“: Mangelnde Ausbildung und Ausrüstung in den Auslandseinsätzen, Defizite in der Versorgung Verwundeter, Traumatisierter und Hinterbliebener, Personalmangel im Sanitätsdienst, die familiäre Situation der Soldaten. Mängel in diesen Bereichen waren schon in den Berichten der Vorjahre angemahnt worden.

Viel Schatten, aber auch so manches Licht

Zu der jüngsten Erhebungen der TU Chemnitz, die im Auftrag des Deutschen Bundeswehr-Verbandes erstellt worden ist, und der Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr im Auftrag des Verteidigungsministeriums sagte Königshaus bei der Bundestagssitzung am 27. September: Beide Arbeiten „haben nun auch wissenschaftlich belegt, was bereits Tenor meines Jahresberichts in diesem Punkt war.“ Viele der Probleme, die beim Übergang von der Wehrpflicht zum Freiwilligendienst in den Streitkräften aufgetreten seien, habe man zwar größtenteils lösen können. Dennoch: „Die Stimmung unter den Soldatinnen und Soldaten und mehr noch unter ihren Angehörigen ist noch immer schlecht“, beklagte Königshaus. „Die Soldaten vermissen ein klar umrissenes Ziel der Reform und bezweifeln, dass die jetzt eingeleiteten Umstrukturierungen Bestand haben können – vor allem kritisieren sie die Umsetzung der Reform.“

Insgesamt gebe es „zu viele Baustellen und zu wenige Lösungen“. So fehle es beispielsweise oftmals an den vorausschauenden, notwendigen personellen Ressourcen, um eine familienbedingte Abwesenheit bei Mutterschutz oder Elternzeit auffangen zu können. Beim Thema „Besoldung und Betreuung“ empfänden insbesondere Portepeeunteroffiziere die Angebote bei einem früheren Ausscheiden aus dem Dienst nach dem Bundeswehrreform-Begleitgesetz als „nicht ausreichend“. Erhebliche Sorgen bereite weiterhin der Sanitätsdienst – besonders jetzt durch die geplanten Einschränkungen. Auch die Behandlung und Betreuung einsatzgeschädigter, insbesondere traumatisierter Soldatinnen und Soldaten verlange weitere Anstrengungen, forderte Königshaus. „Ziel muss hier die Versorgung aus einer Hand auch über das Ende der Dienstzeit hinaus sein.“

Positiv hervorzuheben seien die durch das Parlament beschlossenen Verbesserungen bei der Versorgung durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz und das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz. Der Wehrbeauftragte: „Das sind Maßnahmen, die die Situation der Betroffenen deutlich verbessert haben. Den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, die diese Verbesserungen – die übrigens weit über die Vorstellungen der beteiligten Ministerien hinausgingen – für unsere Soldatinnen und Soldaten durchgesetzt haben, gilt mein besonderer Dank.“

Bürokratische Hemmnisse endlich beseitigen

Zum Schluss seiner Rede im Bundestag befasste sich Hellmut Königshaus mit dem Bereich der Ausstattung und Ausrüstung im Einsatz sowie der einsatzvorbereitenden Ausbildung. Hier habe es weitere Verbesserungen gegeben, das müsse man anerkennen. Aber bei der Beschaffung müssten unbedingt bürokratische Hemmnisse abgebaut werden. Königshaus wörtlich: „Nicht immer muss für den Einsatz neuer Systeme jede zivile verkehrstechnische oder arbeitsrechtliche Anforderung erfüllt sein, insbesondere dann nicht, wenn dadurch im militärischen Einsatz andere Einschränkungen der Sicherheit hingenommen werden müssen. Entscheidend ist doch, dass die Truppe Systeme erhält, die den Anforderungen des Einsatzes gerecht werden und den Schutz der Soldaten verbessern. Das muss die Richtschnur zukünftiger Beschaffungs- und Entwicklungsverfahren sein.“

Völlig inakzeptabel sei im Berichtsjahr das Fehlen von Munition für Handfeuerwaffen und die dadurch bedingte unzureichende Schießausbildung gewesen. Die Stellungnahme des Ministeriums dazu erschöpfe sich in einer Erklärung, wie es zu dem Missstand gekommen sei. „Sie gibt lediglich einen Ausblick, wann die ergriffenen Maßnahmen voraussichtlich greifen werden. Das reicht in einer Einsatzarmee für die Behebung eines so eklatanten Mangels nicht aus. Unsere Soldaten brauchen jeden Tag ihre erforderliche Munition, sie brauchen jeden Tag die entsprechende Ausrüstung. Ich bin froh, dass der Inspekteur der Streitkräftebasis nun eine neue Initiative zur Verbesserung der Situation ergriffen hat“, zürnte der Wehrbeauftragte. Er  legte sein Redemanuskript zur Seite mit einem eindringlichen, früher bereits so einmal formulierten Schlussappell an die Verantwortlichen: „Die Grundrechte unserer Soldatinnen und Soldaten, insbesondere der Anspruch auf den Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit, würden verletzt, wenn andere Gesichtspunkte – wie etwa Fragen der politischen Opportunität, industriepolitische Gesichtspunkte oder Kostengründe – Vorrang vor ihren Schutzansprüchen hätte!“

Besser geschützt als viele Verbündete

Nach dem Wehrbeauftragten trat Verteidigungsminister Thomas de Maizière ans Rednerpult. Er verstehe die Unsicherheit vieler Soldaten und Mitarbeiter infolge der Neuausrichtung der Bundeswehr, räumte der Minister ein. „Insbesondere in einer Phase, in der die Umsetzungsschritte noch nicht für jeden Mitarbeiter und für jede Mitarbeiterin, für jeden Soldaten und jede Soldatin klar sind. Das ist verständlich, und wir müssen daran arbeiten, dass diese Unsicherheit schnell abgebaut wird.“

De Maizière äußerte sich danach zu einigen Punkten des Jahresberichtes und zu Bemerkungen seines Vorredners ausführlicher. Beim Thema „Vereinbarkeit von Familie und Dienst“ erläuterte er noch einmal seinen Standpunkt zur Kinderbetreuung. Er sah kurz in Richtung des Wehrbeauftragten: „Wenn wir unter Kinderbetreuung verstehen, dass jedes Kind von Soldaten ein Angebot haben soll, aber es kein bundeswehreigenes Angebot sein muss, dann sind wir, glaube ich, einig. Ich möchte, dass die Soldaten und ihre Angehörigen Teil der Gesellschaft sind und Kinderbetreuung für sie stattfindet, ganz gleich wo.“

Die Sanitätsversorgung will der Minister durch eine intensivere Zusammenarbeit mit zivilen Vertragsärzten verbessern. Vor allem an kleinen Standorten seien derartige Vereinbarungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Krankheitsbilder sinnvoll und würden weite Anfahrtswege zu fachärztlichen Einrichtungen der Bundeswehr ersparen. „Ich glaube, das ist im Interesse der Soldaten gerade an kleinen Standorten, wenn wir diese vertragsärztliche Versorgung ausbauen können. Das Konzept kommt demnächst.“

Zum Dauerbrenner „Ausrüstung der Soldaten im Einsatz“ nahm de Maizière ebenfalls Stellung. In diesem Bereich habe sich viel getan. Sicherlich sei manches – im Hinblick auf Afghanistan – zu spät gewesen. Jedoch wage er die Behauptung, so der Minister mit Blick in die Runde, dass heute die Angehörigen der Bundeswehr „sowohl hinsichtlich ihrer Ausrüstung wie auch bei der Fortbewegung und bei anderen Formen im Schnitt besser geschützt sind als unsere Verbündeten. Das ist so. Ich will jetzt nicht die Staaten miteinander vergleichen, weil sich das nicht gehört. Aber wenn man mit den Soldaten vor Ort spricht und wenn man manche Folgen von Anschlägen sieht, dann stellt man fest, dass das inzwischen so ist.“ Dies sei auch ein Verdienst des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass das Abstellen von Mängeln nicht immer am Verteidigungsministerium oder an den Finanzen liege, sondern manchmal auch an dem, der etwas liefern sollte. „Ein leidgeprüftes Thema“, meinte Verteidigungsminister de Maizière am Ende seiner Rede.


Hinweis:
Im weiteren Verlauf der Aussprache über den Wehrbeauftragten-Bericht 2011 äußerten sich noch folgende Parlamentarier: Karin Evers-Meyer (SPD), Christoph Schnurr (FDP), Harald Koch (Die Linke), Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen), Anita Schäfer (CDU/CSU) und Wolfgang Hellmich (SPD). Ihre Redebeiträge sind auszugsweise dokumentiert im Magazin bundeswehr-journal Ausgabe 3/2012. Unser Video (Quelle: Deutscher Bundestag) zeigt die komplette Aussprache am 27. September 2012.


Die Aufnahme zeigt
den Wehrbeauftragten am 27. September 2012 bei der parlamentarischen Aussprache zum Jahresbericht 2011.
(Bild: Deutscher Bundestag)


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