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Hamburg. Die 30. Olympischen Sommerspiele in London gehören der Vergangenheit an, erwartet uns nun eine Diskussion über die Sportsoldatinnen und Sportsoldaten der Bundeswehr? Wir jedenfalls lobten – wie der Dienstherr, der Deutsche Bundeswehr-Verband und große Teile der Medien – die Medaillenausbeute der Spitzensportler aus allen Teilstreitkräften und Organisationsbereichen. 43 Prozent der gesamten deutschen Olympia-Edelmetalle holten unsere Kameradinnen und Kameraden vom Bund! Oder etwa nicht?…

Professor Wolfgang Maennig, Ruder-Olympiasieger mit dem Deutschland-Achter von Seoul 1988, sorgte Anfang September mit seiner völlig anderen Betrachtungsweise des letzten Olympia-Medaillenspiegels für Schlagzeilen. „Berechnungen – etwa des Deutschen Bundeswehr-Verbandes – wonach 43 Prozent der deutschen Medaillen von Bundeswehrsoldaten gewonnen worden seien, sind falsch“, behauptet der Hochschullehrer für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hamburg. Maennig argumentiert: „In solchen Berechnungen wird beispielsweise die Goldmedaille des Achters den Sportsoldaten zugerechnet – obwohl nur ein Sportsoldat im Achter rudert, die anderen hingegen Studenten oder Berufstätige sind. Und die Goldmedaille des Ruder-Doppelvierers rechnet der Bundeswehr-Verband gleich zweifach an, weil zwei Sportsoldaten im Boot sitzen.“ Insgesamt, so der Ökonom, seien Deutschlands Sportsoldatinnen und -soldaten bei den Olympischen Spielen in London unterdurchschnittlich erfolgreich gewesen.

Training als einzige Verpflichtung

In seiner Expertise „London 2012 – das Ende des Mythos vom erfolgreichen Sportsoldaten“ (sie liegt uns vor), zieht Maennig ein wenig schmeichelhaftes Fazit. Er argumentiert: „Rund 800 beamtete und von der Bundeswehr voll bezahlte SportsoldatInnen gibt es, die kaum eine Verpflichtung haben – außer zu trainieren. 115 dieser Sportsoldaten konnten sich nach Angaben des Deutschen Olympischen Sport Bundes, DOSB, für die Olympiamannschaft in London 2012 qualifizieren; damit stellten die Sportsoldaten 29 Prozent der insgesamt 391 AthletInnen starken deutschen Olympiamannschaft – die zweitstärkste Gruppierung nach Studenten mit 35 Prozent“. Immer wieder werde von der politischen und militärischen Führung und der DOSB-Spitze betont, wie unverzichtbar die Bereitstellung von Sportsoldaten-Stellen für den Erfolg der deutschen Olympiamannschaft sei. In London jedoch seien die Sportsoldaten „unterdurchschnittlich erfolgreich“ gewesen, so der Autor der Expertise. „Nur“ 17 von ihnen, also rund jeder Siebente, hätte eine Medaille gewonnen. Maennig weiter: „Zwei Sportsoldaten gewannen zwei Medaillen. Der Rest der deutschen Olympiamannschaft war erfolgreicher: Von den 276 Nicht-Soldaten konnten 70 Medaillen gewinnen, also jeder Vierte. Fünf Nichtsoldaten konnten zwei Medaillen gewinnen. Die relative Erfolglosigkeit der Sportsoldaten kann auch anders ausgedrückt werden: Die Sportsoldaten machten 29 Prozent aller Olympiastarter aus, aber ihr Anteil unter den Medaillengewinnern lag bei nur 20 Prozent. Dies ist frappierend vor dem Hintergrund, dass es sich bei den Sportsoldaten eigentlich um die Talentiertesten der Besten handelt.“

Sportsoldatentum – ein Scheinsoldatentum?

Die unbefriedigenden Leistungen bzw. Leistungsentwicklung der Sportsoldaten ist nach Ansicht von Professor Maennig kein Zufall, sondern: „Ergebnis eines Sozialisationseffektes“. „Die fehlende Forderung in beziehungsweise die fehlenden Anregungen aus anderen Lebensbereichen können letztlich auch die Leistungsfähigkeit in der eigenen Spezialdisziplin verringern“, warnt er. Insbesondere „Längerdienende“ würden sich sportlich besser entwickeln, wenn sie sich nicht bei der Bundeswehr auf die scheinbare Perfektion einer einzigen Leistungsdimension, den Sport, konzentrierten. Das Sportsoldatentum, welches in Wirklichkeit ein Scheinsoldatentum ohne militärische Aktivitäten sei, gestalte sich monoton und langweilig. Dies übertrage sich auch auf die Trainingshaltung. Der Ruder-Olympiasieger von Seoul ist sich sicher: „Durch die eindimensionale Verengung des Sportleralltags können Medaillen verloren gehen.“

Sportkarriere statt Ausbildung oder Studium

Ein weiteres schwerwiegendes Problem sieht der Hamburger Wissenschaftler darin, dass die meisten Sportsoldaten keinerlei geregelter Ausbildung nachgehen oder studieren. Nach vielen Jahren Spitzensport stünden sie quasi vor dem „Nichts“. Maennig schlussfolgert in seiner Expertise: „Es ist ein Problem für den Sport beziehungsweise Spitzensport, wenn sich das Bild festigt, dass Spitzensportler nach der Sportkarriere kaum angemessene gesellschaftliche Partizipationsmöglichkeiten haben. Es werden dann bildungsaffine Milieus vom Spitzensport ferngehalten, was langfristig der Leistungsentwicklung des Spitzensportes schadet.“

Wolfgang Maennig stellt in seiner Arbeit schließlich die Sportförderung der Bundeswehr grundsätzlich zur Diskussion. „Angesichts des fehlenden Nachweises der Sinnhaftigkeit der Bundeswehr-Sportförderung in der derzeitigen Ausgestaltung stellt sich die Frage, weshalb Sport und Politik auf der Fortführung insistieren.“

Eine Vielzahl von Chancen für Athleten

Heftigen Widerspruch erfährt Kritiker Maennig aus Frankfurt am Main. Hier residiert der Deutsche Olympische Sportbund, kurz DOSB. „Ohne die Sportförderstellen bei der Bundeswehr, der Bundespolizei, dem Zoll und den Landespolizeien hätten rund 1000 Athleten keine optimalen Voraussetzungen, ihre Karriere im Leistungssport und ihre berufliche Laufbahn miteinander zu verbinden“, kommentierte jetzt DOSB-Leistungssportdirektor Bernhard Schwank die Hamburger Arbeit. „Herr Maennig geht von einer falschen Annahme aus. Denn die Sportförderung der Bundeswehr bezieht sich auf den gesamten Leistungskader der Verbände und nicht nur auf die aktuellen Medaillenkandidaten. So werden derzeit 15 Hockey-Junioren aus dem Perspektivkader des Deutschen Hockey-Bundes durch die Spitzensportförderung in ihrem Training unterstützt. Ein mit dem Verband eng abgestimmtes Konzept ermöglicht diesen Sportlern eine hohe Anzahl an Trainingstagen im Rahmen von zentralen Verbandsmaßnahmen. Auch ein Großteil der Londoner Hockey-Goldmedaillenmannschaft hat die Spitzensportförderung der Bundeswehr in Anspruch genommen, auch wenn die Athleten zum Zeitpunkt des Medaillengewinns in London nicht mehr bei der Bundeswehr angestellt gewesen sind.“

Schwank bekräftigte vor der Presse noch einmal die Sicht- und Zählweise des DOSB und des Verteidigungsministeriums. 43 Prozent der deutschen Medaillengewinne in London seien aktuellen Sportsoldaten zu verdanken. Und: „Elf Medaillen wurden von Bundeswehr-Angehörigen in Individualsportarten gewonnen, acht in Mannschaftswettbewerben wie dem Ruder-Achter oder im Kanu-Rennsport.“

Das Fördersystem der Bundeswehr bezeichnete Bernhard Schwank als „einen festen Bestandteil des Gesamtsystems des deutschen Leistungsports“. Um die Vereinbarkeit zwischen Spitzensport und Beruf im Rahmen einer „dualen Karriere- und Laufbahnplanung“ zu gewährleisten, sei zudem in enger Abstimmung mit dem DOSB die Möglichkeit geschaffen worden, neben Bundeswehr und Spitzensport ein Studium oder eine zivile und/oder militärische Ausbildung zu absolvieren. Der Spitzenfunktionär: „Damit eröffnet die Bundeswehr den Athleten eine Vielzahl von Chancen. Für diese in den vergangenen Jahren ermöglichte Weiterentwicklung im Sinne der Athleten sind wir sehr dankbar.“

Unterstützung erhält der DOSB vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Bundestrainer Dietmar Chounard, der die Leichtathletik-Belange mit der Bundeswehr koordiniert, teilt Schwanks Position uneingeschränkt: „Die Bundeswehr ist für uns ein wichtiger Partner. Ohne die Bundeswehr und auch die Bundespolizei könnten wir die Athleten nicht so entwickeln und für sie nicht die entsprechenden Freiräume schaffen.“ Der DLV kann bei der Bundeswehr derzeit rund sechzig Förderplätze in Anspruch nehmen.


Zu unseren Bildern:
  1. Silberjunge von London – Kunstturner Marcel Nguyen. Der Sportsoldat gewann bei der Sommerolympiade 2012 in London im Mehrkampf und am Barren Silber. Damit ist der Stabsgefreite von der Sportfördergruppe Todtnau-Fahl einer der erfolgreichsten deutschen Olympiateilnehmer im Turnen. (Foto: Ströter/Bundeswehr)
  2. Im Porträt – Wolfgang Maennig, Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. (Foto: UH)

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