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Kabul (Afghanistan)/Berlin. Für Verteidigungsminister Thomas de Maizière stand die 46. Kalenderwoche dieses Jahres fast völlig im Zeichen des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr und ihrer Verbündeten. Am 12. und 13. November besuchte er zum zehnten Mal unsere Soldaten am Hindukusch. Am 14. November stellte er gemeinsam mit Außenminister Guido Westerwelle die Eckpunkte des neuen Afghanistan-Mandats vor. Am 15. November schließlich begannen in der afghanischen Hauptstadt Kabul die Gespräche zwischen Vertretern der Obama-Administration und einer Delegation der afghanischen Regierung über die zukünftige Unterstützung aus Washington nach dem bis Ende 2014 geplanten Abzug der Kampftruppen aus dem Land.

De Maizière landete bei seiner unangekündigten Dienstreise am frühen Montagmorgen in Nordafghanistan auf dem Flugplatz südöstlich des Feldlagers Mazar-e Sharif. Mit einer Transall ging es dann weiter nach Kabul zu politischen Gesprächen mit Afghanistans Verteidigungsminister Bismullah Khan Mohammadi.

Zentrales Thema dieser Begegnung war die Ausgestaltung der Zusammenarbeit beider Länder nach Ende des internationalen Kampfeinsatzes in Afghanistan im Winter 2014. Dabei stand für die afghanische Seite unter anderem die Frage einer möglichen Versorgung der Armee mit Waffen und sonstiger Ausrüstung im Vordergrund. Wie Minister de Maizière bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen mit Khan erklärte, wisse man, dass die afghanischen Sicherheitskräfte nicht über genug Waffen verfügten. Lieferungen müssten jedoch erst zwischen den Bündnispartnern koordiniert werden. „Bisher liegt der Schwerpunkt der Übergabe der Ausrüstung bei den Amerikanern. Ich vermute, das wird auch so bleiben“, meinte de Maizière.

Afghanistans Armee – ein stabilisierender Faktor

Ein weiterer Gesprächsschwerpunkt galt der Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizeikräfte, die nach Ende 2014 die alleinige Verantwortung für die Sicherheit im Land übernehmen sollen. Die Internationale Gemeinschaft hat sich dafür zunächst den Aufbau der Afghan National Army und der Afghan National Police (ANA und ANP) auf insgesamt 352.000 Kräfte zum Ziel gesetzt. 97 Prozent dieses Personalumfanges sind inzwischen erreicht (Anm.: siehe auch unseren Beitrag „In ständiger Gefahr, aber immer mehr respektiert“). Vor diesem Hintergrund zollte de Maizière den afghanischen Sicherheitskräften großen Respekt, sie seien auf einem guten Weg. „Die Zahl ist nahezu erreicht, die Qualität ist sehr gut geworden“, urteilte der deutsche Verteidigungsminister vor der Presse. „Ich glaube, dass diese Armee zu den besseren Einrichtungen in ganz Afghanistan gehört; sie kann ein stabilisierender Faktor in der Entwicklung des Landes sein.“

Leicht gereizt klang das Statement von Bismullah Khan. De Maizières afghanischer Amtskollege erteilte all jenen Kritikern eine Absage, die noch immer an der Schlagkraft seiner nationalen Sicherheitskräfte zweifeln. Er sei reine Propaganda, dass die Afghanen nicht in der Lage seien, nach dem Ende des internationalen Kampfeinsatzes alleine für ihre Sicherheit zu sorgen. „Das entbehrt jeder Grundlage und ist unwahr“, entrüstete sich Khan.

Ausschließlich afghanisches Lehrpersonal

Verteidigungsminister Thomas de Maizière nutzte auch seine zehnte Afghanistan-Reise wieder für unverfälschte Eindrücke vor Ort und aus erster Hand. Auf dem Weg zurück nach Mazar-e Sharif besuchte er im Camp Shaheen, etwa 30 Kilometer westlich der Provinzhauptstadt, die neue Pionierschule der afghanischen Armee. Dort werden afghanische Pioniere für ihre spätere Verwendung als Einheitsführer und Ausbilder trainiert. Ausgerichtet ist die Schule für rund 750 Lehrgangsteilnehmer und 300 Stabsangehörige. Bundeswehrsoldaten arbeiten hier als Berater, die afghanische Ausbilder in fachlichen Fragen unterstützen. Die Lehrgänge für Mannschaften, Unteroffiziere und Offiziere sowie für das Personal der Kampfmittelräumung werden inzwischen ausschließlich von afghanischem Lehrpersonal durchgeführt.

Eine besondere Geste der Freundschaft

Einen weiteren Besuchstermin hatte der Minister danach am Dienstag direkt in Mazar-e Sharif. Hier ist das 209. Korps der afghanischen Armee stationiert, für dessen Aufbau das von Deutschland geführte ISAF-Regionalkommando Nord unter Generalmajor Erich Pfeffer verantwortlich ist. Neben der Pionierschule im Camp Shaheen und der Logistikschule in Kabul bildet das 209. Korps den Schwerpunkt der deutschen Unterstützung beim Aufbau der Afghan National Army. Im kommenden Jahr soll die Aufstellung des Großverbandes abgeschlossen sein. Bereits jetzt stellen die Afghanen im Norden des Landes 80 Prozent aller Sicherheitskräfte.

In Mazar-e Sharif besuchte der Gast aus Berlin auf Einladung und in Begleitung von Mohammad Atta Noor, Gouverneur der Provinz Balkh, auch die rund 1000 Jahre alte „Blaue Moschee“. Eine besondere Geste der afghanischen Provinzregierung, die das gute Verhältnis zu Deutschland symbolisiert.

Neues Mandat und weniger Soldaten

Am Mittwoch nach seiner Rückkehr vom Hindukusch stellte Verteidigungsminister de Maizière gemeinsam mit Außenminister Guido Westerwelle in Berlin Eckpunkte des neuen Afghanistan-Mandats vor. Der Vorschlag der beiden Minister ist mit Bundeskanzlerin Angela Merkel abgestimmt. Er sieht vor, die personelle Obergrenze der Bundeswehr in Afghanistan mit Beginn des neuen Mandats Anfang Februar 2013 von derzeit 4900 auf 4400 Soldaten zu senken. Es ist das gemeinsame Ziel, das deutsche Kontingent dann im nächsten Mandatszeitraum auf 3300 Soldaten zu reduzieren. Bis Ende Februar 2014 sollen damit deutlich mehr als 1000 Bundeswehrangehörige aus Afghanistan abgezogen werden. Die Dauer des Mandats wird mit Blick auf den politischen Kalender im nächsten Jahr über 13 Monate laufen.

Das Mandat wird nun am 28. November ins Bundeskabinett eingebracht, die erste Lesung im Bundestag soll noch im Dezember stattfinden, die zweite und dritte Lesung dann im Januar 2013 rechtzeitig vor Ende des bisherigen Mandats.

Millionen für Wiederaufbau und das Militär

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit de Maizière bekräftigte Außenminister Westerwelle: „Wir stehen zu unserem Wort und zu unserer Planung. Für diesen klaren Kurs der Verantwortung für unsere Soldaten und für Afghanistan werden wir bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestages um eine breite Mehrheit werben.“ Mit Blick auf die bisherige Entwicklung in Afghanistan sagte er zudem, das Land könne mittlerweile mehr und mehr für seine eigene Sicherheit sorgen. Anzunehmen ist, dass in diese Lageeinschätzung auch die frischen Reiseeindrücke des Verteidigungsministers eingeflossen sind.

„Einen dauerhaften Frieden wird es nur mit einem politischen Prozess geben“, mahnte Westerwelle. Dieser müsse aber unverändert auch militärisch geschützt und unterstützt werden. Auch Minister Thomas de Maizière wies mit Nachdruck darauf hin, dass die Eckpunkte für das neue Mandat militärisch „lageangemessen“, international „abgestimmt und passfähig“ und „politisch verantwortungsvoll“ seien. Zudem werde Deutschland weiterhin substanziell zivile Wiederaufbauhilfe leisten, ergänzte Westerwelle. Die Bundesregierung werde dafür jährlich 430 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Außerdem werde Deutschland jährlich 150 Millionen Euro zur Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte leisten.

Immunität und Souveränität

Am Donnerstag dieser 46. Kalenderwoche begannen in Kabul die bilateralen Beratungen zwischen den USA und Afghanistan über die militärische Zusammenarbeit und Unterstützung sowie die Rahmenbedingungen für die Ära „post 2014“. Die US-Delegation wird von James B. Warlick, dem Sonderbeauftragten Obamas für Afghanistan und Pakistan, angeführt. Der Botschafter Afghanistans in den USA, Ahmad Eklil Hakimi, vertritt mit seinen Diplomaten die Interessen der Regierung Karsai.

Nach der ersten Gesprächsrunde verriet Hakimi bei einem Pressetermin, ein künftiger Status von US-Soldaten – insbesondere ihre mögliche Immunität in Afghanistan – sei bislang kein Thema zwischen den Verhandlungspartner gewesen. Insgesamt aber gehen beide Seiten von langwierigen und schwierigen Verhandlungen aus. Präsident Karsais Sprecher Aimal Faizi erklärte dazu: „Afghanistan wünscht zwar eine strategisch enge Partnerschaft mit den USA, wird dabei aber gewissenhaft die roten Linien, die wir gezogen haben, beachten.“ Das Maß aller Dinge bei dem Dialog mit Washington sei für Afghanistan die nationale Souveränität und das nationale Interesse, erklärte Faizi die „roten Linien“.

Abzug, Unterstützung und Partnerschaft

Der weitere Verlauf der Kabuler Gespräche ist besonders für den designierten neuen ISAF-Commander Joseph (Joe) Dunford von größter Bedeutung. Denn nach Übernahme der Amtsgeschäfte im Hauptquartier der Koalitionstruppen wird der General des Marine Corps, der den jetzigen Kommandeur John Allen ablösen soll, sich sogleich drei strategischen Herausforderungen auf einmal stellen müssen: dem Abzug der Kampftruppen aus Afghanistan bis Ende 2014, der weiteren intensiven Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte und der Realisierung einer neuen amerikanisch-afghanischen Sicherheitspartnerschaft am Hindukusch auf der Basis des „Strategic Partnership Agreements“, das Barack Obama und Hamid Karsai am 1. Mai dieses Jahres unterzeichnet hatten.

Eine historische Fußnote dieser 46. Kalenderwoche 2012 bleibt noch nachzutragen. Bei seiner zehnten Afghanistan-Reise war Verteidigungsminister Thomas de Maizière erstmals mit der offiziellen Regierungsmaschine direkt von Berlin nach Nordafghanistan geflogen und nicht, wie sonst aus Sicherheitsgründen üblich, im usbekischen Termez in eine geschützte Transall umgestiegen. „Das ist auch ein Zeichen für die bessere Sicherheit hier im Norden“, begründete de Maizière nach der Landung seinen Entschluss. „Das wird nicht immer so sein, ich habe das für heute mal so entschieden.“


Zu unserem Bildangebot:
1. Verteidigungsminister Thomas de Maizière hatte bereits wenige Tage vor seinem Flug nach Mazar-e Sharif seinen afghanischen Amtskollegen, Minister Bismullah Khan Mohammadi, bei der NATO-Tagung am 10. Oktober 2012 in Brüssel getroffen.
(Foto: NATO)

2. Minister de Maizière wird im Camp Shaheen von einem der ANA-Ausbilder begrüßt.
(Foto: Mick Neustadt)

3. In Camp Marmal nahe Mazar-e Sharif unterhielt sich der Minister ausgiebig mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr über ihren Auslandseinsatz.
(Foto: Mick Neustadt)

4. Der designierte neue Commander ISAF, General Joe Dunford, am 10. Oktober 2012 bei der Brüsseler NATO-Tagung. Die Gesprächsrunde von links: US-Verteidigungsminister Leon E. Panetta, NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, Admiral James Stavridis, General Joseph Dunford und General John Allen.
(Foto: Erin A. Kirk-Cuomo/DoD)


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