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Berlin. Deutschland wird sich auch weiterhin – allerdings „unter veränderten Bedingungen“ – an der NATO-geführten Operation „Active Endeavour“ (OAE) im Mittelmeer beteiligen. Der Deutsche Bundestag nahm am 29. Januar in namentlicher Abstimmung mit 467 Ja-Stimmen bei 129 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen einen entsprechenden Antrag der Bundesregierung an. Die Teilnahme bewaffneter deutscher Streitkräfte an OAE ist damit nun vorerst bis Ende 2014 möglich. Bis zu 500 Bundeswehrsoldaten sind für die nächsten Monate vor allem mit Seeraumüberwachung und Aufklärung im Mittelmeer beauftragt. Die einsatzbedingten Zusatzausgaben im Verlängerungszeitraum beziffert die Regierung mit rund 4,1 Millionen Euro, sie werden aus dem Verteidigungsetat bestritten. Der Bundestag folgte einer Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses.

Die Operation war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA beschlossen worden, um im Mittelmeerraum zur maritimen Terrorismusabwehr beitragen zu können. OAE basiert auf dem Recht zur kollektiven Selbstverteidigung (Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen) und auf Artikel 5 des NATO-Vertrages (der den Bündnisfall definiert). Der Bündnisfall war nach den Terroranschlägen 2001 erstmals in der Geschichte der NATO ausgerufen worden und besteht bis jetzt.

Mittlerweile jedoch wird die terroristische Bedrohungslage im Einsatzraum auch von der Bundesregierung nur noch als „abstrakt“ bewertet. Vor diesem Hintergrund und angesichts der tatsächlichen Einsatzrealität beschränkt sich OAE nach Regierungsauskunft aktuell nur noch auf Seeraumüberwachung und Lagebildaustausch.

Weltweit wichtigster internationaler Transportkorridor

In ihrer Antragsbegründung befasste sich die Bundesregierung auch mit der wirtschafts- und sicherheitspolitischen Bedeutung des Mittelmeeres und des Mittelmeerraumes. Es heißt dort: „Das Mittelmeer gehört zu den wichtigsten interkontinentalen Transportkorridoren weltweit und ist für den innereuropäischen und transatlantischen Handel von geostrategisch vitaler Bedeutung. Rund ein Drittel aller über See verschiffter Güter und ein Viertel aller Öltransporte weltweit werden durch das Mittelmeer geleitet. Jährlich durchqueren es 220.000 Handelsschiffe.“ Angesichts der globalen Verflechtung deutscher Unternehmen und ihrer starken Abhängigkeit von funktionierenden Seewegen liege die sichere Nutzung des Mittelmeeres im deutschen Sicherheitsinteresse.

Die Umbrüche in der arabischen Welt und die Vielzahl involvierter staatlicher und nicht-staatlicher Akteure erforderten zudem eine erhöhte Aufmerksamkeit des Bündnisses in der Region, so die Regierung weiter. „Im Rahmen von OAE wird mit Schiffen, Luftfahrzeugen und unter Nutzung multinationaler, netzwerkgestützter Informationssysteme ein umfassendes Lagebild für den gesamten Mittelmeerraum erstellt. Durch die Präsenz dieser Einsatzverbände trägt OAE zur maritimen Sicherheit im Mittelmeer bei und hat sich zudem faktisch zu einem präventiven Ordnungsfaktor entwickelt.“ Die Operation „Active Endeavour“ habe als Kooperationsplattform und wichtiges Konsultationsforum letztendlich eine wichtige vertrauensbildende Frühwarnfunktion.

Der weitere Beitrag Deutschlands zu OAE soll sich künftig im Rahmen des aktuellen Parlamentsbeschlusses auf die Beteiligung an den ständigen maritimen NATO-Verbänden und an den NATO-Aufklärungs- und Frühwarnflugzeugen (AWACS) sowie auf den Austausch von Lagedaten im Rahmen der „assoziierten Unterstützung“ beschränken. Eine direkte Unterstellung zusätzlicher nationaler deutscher Einheiten unter das Kommando des Befehlshabers OAE wird es nicht mehr geben.

Strategiepapier des Nordatlantikrates zur OAE-Zukunft

Deutschland setzt sich mittlerweile im Bündnis kontinuierlich dafür ein, die Einsatzgrundlagen der Operation „Active Endeavour“ auch konzeptionell an die tatsächlichen Einsatzgegebenheiten anzupassen.

Auf deutsche Initiative hin hat der Nordatlantikrat am 26. April 2013 mit der Verabschiedung eines Strategiepapiers die Option eröffnet, OAE perspektivisch in eine Operation zu überführen, die sich nicht mehr auf Artikel 5 des NATO-Vertrages stützt. Vielmehr soll OAE weiter in eine netzwerkgestützte Operation umgewandelt und künftig schrittweise in eine Maritime Sicherheitsoperation (MSO) überführt werden.

Im Oktober 2013 hat Deutschland schließlich konkrete Vorschläge zur Überarbeitung des Operationsplans (OPLAN) in die NATO-Gremien eingebracht. Die Vorschläge zielen darauf ab, das im OPLAN genannte Aufgabenspektrum der Operation auf Seeraumüberwachung, Lagebilderstellung und regionale Zusammenarbeit zu beschränken. Darüber hinausgehende Befugnisse müssten gesondert von der Allianz beschlossen und gegebenenfalls vom Deutschen Bundestag mandatiert werden.

Sowohl die Anpassung des OPLANs als auch die Entkopplung von Artikel 5 sind lediglich mit Zustimmung aller 28 NATO-Staaten möglich. Die Bundesregierung wirbt hierfür intensiv unter den Bündnispartnern. Die aktuelle Zustimmung des Parlaments zu einer Beteiligung an OAE unter geänderten Bedingungen stellt demnach eine Überganglösung dar und gilt nach Ansicht Berlins als wichtiger Schritt in dem Prozess zur Weiterentwicklung der maritimen Operation.

Deutsche Marine seit mehr als zwölf Jahren unter NATO-Flagge im Mittelmeer

Bislang beteiligte sich die Bundeswehr immer wieder mit Kräften an „Active Endeavour“. Erstens: Mit deutschen Marineeinheiten im Rahmen der Ständigen Maritimen Einsatzverbände der NATO (wobei es Absicht der Bundeswehr ist, sich im Rahmen dieser Standing Naval Forces grundsätzlich mit einer Fregatte an einer der beiden Standing NATO Maritime Groups und mit jeweils einer Minenabwehreinheit an beiden Standing NATO Mine-Countermeasure Groups zu beteiligen). Zweitens: Mit deutschen Besatzungsanteile der Aufklärungs- und Frühwarnflugzeuge der NATO (AWACS). Drittens: Mit im Mittelmeer operierenden deutschen Marineeinheiten, wenn diese einen Transit durch das „Active Endeavour“-Einsatzgebiet durchführen (Transitverfahren) – in der Regel betrifft dies deutsche Fregatten, die sich auf dem Marsch vom beziehungsweise zum Einsatzgebiet der Operation „Atalanta“ am Horn von Afrika befinden.

Die maritime Mission OAE ist nicht dadurch gekennzeichnet, dass eine ständige Truppenpräsenz besteht. Vielmehr werden maritime Einheiten fallweise für diese Mittelmeermission eingemeldet. Im Januar 2014 nahmen keine deutschen Einheiten an OAE teil.

Eine Region voller politischer und militärischer Spannungen

In einer lebhaften Aussprache am 29. Januar im Bundestag machten die Vertreter von Koalition und Opposition noch einmal ihre Positionen zum Thema „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Operation ,Active Endeavour‘ im gesamten Mittelmeer“ deutlich.

Der SPD-Abgeordnete Niels Annen zeigte sich überzeugt davon, dass „die terroristische Bedrohung auch im Mittelmeer“ nicht gebannt ist. Aber, so Annen weiter: „Wir brauchen eine neue Grundlage zur Bekämpfung des Terrorismus und dafür auch einen neuen politischen Konsens. Wir glauben, dass der Bezug dieses Mandates auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrags in den nächsten Jahren ersetzt werden sollte.“ Deutschland und seine Partner sollten allerdings auch weiterhin ein Interesse daran haben, Informationen und ein aktuelles Lagebild aus einer Region zu bekommen, die großen politischen und auch militärischen Spannungen unterliege.

Aktuelle Mandatsverlängerung ist eine Übergangslösung

Peter Beyer lobte stellvertretend für die CDU/CSU-Fraktion die Operation „Active Endeavour“ als ein „Paradebeispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit der NATO-Bündnispartner“. Mit Blick auf die Bedrohungslage im Mittelmeer, die sich in den vergangenen 13 Jahren verändert habe, erklärte der Christdemokrat: „Die Sicherheitslage bleibt aufgrund der politischen Umwälzungen im gesamten arabischen Raum durchaus fragil. Piraterie, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, organisierte Kriminalität und daraus resultierende Sicherheitsrisiken bestehen weiterhin.“

Mit einem präventiven und netzwerkbasierten Ansatz sowie einem Schwerpunkt auf Informationsgewinnung könne und müsse die Operation „Active Endeavour“ auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur maritimen Sicherheit im Mittelmeerraum leisten, forderte Beyer. Daran habe Deutschland als Exportnation ein strategisches Interesse; denn auch die heimische Wirtschaft sei auf sichere Seewege angewiesen. Für den innereuropäischen und den transatlantischen Handel gehöre das Mittelmeer zu den wichtigsten Transitrouten. Daher brauche Deutschland hier ein lückenloses Lagebild, um potenzielle Risiken schneller erkennen zu können.

Der CDU-Politiker schloss seinen Redebeitrag im Parlament mit dem Hinweis: „Deutschland setzt sich kontinuierlich dafür ein, die Einsatzgrundlagen der Operation auch konzeptionell der tatsächlichen Einsatzrealität anzupassen … Die aktuelle Verlängerung des Mandats unter den geänderten Bedingungen stellt eine Übergangslösung dar. Sie ist ein wichtiger Schritt in dem Prozess zur Weiterentwicklung dieser Operation.“

Präventiver Ordnungsfaktor durch starke Präsenz im Mittelmeerraum

Auch die CSU-Bundestagsabgeordnete Julia Bartz nannte noch einmal die aus Sicht ihrer Fraktion und der Regierungskoalition entscheidenden Argumente für eine erneute OAE-Mandatsverlängerung. „Die Instabilität im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika, die Absicherung einer der wichtigsten Handelsrouten und unsere Bündnissolidarität sprechen für die Fortsetzung der Operation ,Active Endeavour‘. Es liegt im Interesse Deutschlands, dass die NATO im Mittelmeerraum präsent ist. Wir müssen die Lage auf dem Schirm haben. OAE liefert uns dieses dichte Lagebild dank fliegender und maritimer Aufklärung. Durch unsere Präsenz im Mittelmeerraum hat sich OAE zu einem präventiven Ordnungsfaktor entwickelt.“

Zudem sei OAE im Laufe der Jahre zu einer Kooperationsplattform geworden, an der auch viele Mittelmeeranrainer mitwirkten, so Bartz weiter. Die Ziele der Operation hätten sich außerdem zunehmend hin zur Seeraumüberwachung, Aufklärung und Lagebilderstellung in und über See gewandelt. Der Antrag der Bundesregierung werde diesen neuen Anforderungen gerecht und bereite gleichzeitig den Weg für eine Neukonzipierung und Weiterentwicklung des Mandats. Ziel sei und bleibe es, OAE in eine nicht auf Artikel 5 des NATO-Vertrages gestützte Operation zu überführen.

Opposition strikt gegen eine Verlängerung des „Active Endeavour“-Mandats

Die sofortige Aufhebung des Bündnisfalles und die Beendigung der deutschen Beteiligung an „Active Endeavour“ forderte bei der Bundestagsaussprache einmal mehr ein Vertreter der Linken. Alexander S. Neu erklärte unter Beifall seiner Fraktion: „Der Selbstverteidigungsfall war im Mittelmeer nie gegeben. Er ist – wie man es auch drehen und wenden mag – auch unter zeitlichem Aspekt nicht gegeben gewesen. Es hat im Mittelmeer niemals eine konkrete Bedrohung Europas und der USA gegeben. Das ist der eigentliche Punkt. Die präventive Selbstverteidigung gegen eine abstrakte Bedrohung … ist völkerrechtswidrig und irgendwie auch lächerlich, wäre sie nicht friedensgefährdend.“

Tobias Lindner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bezeichnete in seinem Redebeitrag den Antrag der Bundesregierung als „ein widersprüchliches Wischiwaschi“. Mehr als zwölf Jahre nach den Terroranschlägen in den USA könnte dieses Ereignis heute nicht mehr als „Begründung für eine abstrakte Bedrohungssituation im Mittelmeer“ dienen. Der andere Punkt sei folgender, so Lindner: „Wenn wir uns anschauen, zu welchen Mitteln bei einer solch abstrakten Bedrohungssituation gegriffen wird – Seeraumüberwachung, Fernmeldeaufklärung, Patrouillen –, dann stellen wir fest, dass es in vielen Teilen dieses Mandats um Elemente geht, die (bereits) in routinemäßigen Missionen der NATO vorkommen. Die Bundesregierung hat es nicht nur versäumt, sich dafür einzusetzen, dass der Bündnisfall endlich beendet wird. Sie hat auch nicht dafür gesorgt, das Mandat so weit zurückzuführen, dass es einer Routinemission entspricht.“

Bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag am 29. Januar sprachen sich die Fraktionen der Linken und von Bündnis90/Grüne jeweils geschlossen gegen den Antrag der Bundesregierung aus.

Auch Frankreich will „Anpassung der Operation an die Einsatzwirklichkeit“

Mittlerweile engagiert sich auch Frankreich für eine Überarbeitung des „Active Endeavour“-Operationsplanes, der vorerst weiter an den Artikel 5 des NATO-Vertrages gekoppelt ist. Nach einer Sitzung des Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrats (DFVSR) am 19. Februar im Rahmen des 16. deutsch-französischen Ministerratstreffens in Paris hieß es in einer Erklärung: „Deutschland und Frankreich streben eine konzeptionelle Anpassung der Operation ,Active Endeavour‘ im Mittelmeerraum an die Einsatzwirklichkeit an.“

Die DFVSR-Sitzung fand statt unter Leitung der Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Laurent Fabius sowie von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihres französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian. Der Generalinspekteur der Bundeswehr und der Generalstabschef der französischen Streitkräfte nehmen qua Amt an diesen Treffen teil.



Die Aufnahme zeigt die Fregatten „Álvaro de Bazán“ (Spanien), „De Ruyter“ (Niederlande) und „Rheinland-Pfalz“ (Deutschland) im März 2012 im Mittelmeer bei der Operation „Active Endeavour“.
(Foto: Ronnie Kinnie/ Department of National Defence and Canadian Armed Forces)


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