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Duchowschtschina (Russland). „Soldatenfriedhöfe sind die großen Prediger des Friedens“ – mit diesem Gedanken des Friedensnobelpreisträgers Albert Schweitzer (1875-1965) mahnte Verteidigungsminister Thomas de Maizière am 3. August in Duchowschtschina, die Opfer von Krieg und Gewalt niemals zu vergessen. Er nahm hier an diesem Samstag an der Einweihung des letzten großen Soldatenfriedhofes in Russland teil. Die Anlage rund 60 Kilometer nordöstlich der Stadt Smolensk war durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Zusammenarbeit mit den russischen Partnern und der regionalen Verwaltung errichtet worden.

Ein denkwürdiger Moment, ein denkwürdiger Tag: Am 3. August weihten Deutsche und Russen am Rande der kleinen Gemeinde Duchowschtschina gemeinsam den 22. und damit letzten Sammelfriedhof für deutsche Kriegstote in Russland ein. Über 70.000 Gefallene sollen hier einmal nach Abschluss der noch einige Jahre andauernden Umbettungen ruhen. 30.513 sind es bereits, geborgen aus den Gräbern auf den umliegenden Schlachtfeldern im sogenannten „Mittelabschnitt der deutschen Ostfront“. 16.300 Namen sind bekannt und auf Granitstelen dokumentiert. Weitere Namen werden folgen.

An der Einweihungszeremonie auf der neuen Friedhofsanlage nahmen rund 300 Gäste teil, unter ihnen etwa 200 aus Deutschland. Gekommen waren viele Angehörige der Gefallenen, aber auch junge russische und deutsche Soldaten, die in den Wochen und Monaten zuvor gemeinsam Gräber eingerichtet und Gedenkstelen aufgestellt hatten. Der Zeremonie vorausgegangen war eine stille Kranzniederlegung auf der russischen Kriegsgräberstätte in Duchowschtschina.

Viele Kriegstote bleiben ungeborgen

In Duchowschtschina setzte der Volksbund während der Einweihungszeremonie fünf deutsche gefallene Soldaten bei. Vier von ihnen sind namentlich bekannt: Hugo Blankenburg (geboren am 15. Juli 1913 in Witterda), Richard Sennecke (geboren am 12. September 1905 in Stettin), Günter Ulrich (geboren am 2. Dezember 1924 in Berlin) und Werner Zupp (geboren am 26. Juni 1924 in Köslin). Einer der fünf Wehrmachtsangehörigen ist der 500.000ste Kriegstote – Kriegstote, die die Volksbundmitarbeiter in Russland, Weißrussland und der Ukraine geborgen und würdig bestattet haben.

Nach Einschätzung des Volksbundes wird die Zahl der Umbettungen künftig wohl rückläufig sein, da es immer schwieriger wird, Grablagen zu finden. Bis 2017 sollen noch rund 150.000 gefallene Deutsche des Zweiten Weltkrieges umgebettet werden können, weitere vermutlich 250.000 Tote werden wohl ungeborgen bleiben.

Bedrückende Mahnmale der Geschichte

Verteidigungsminister de Maizière erinnerte in seiner Ansprache auf der Gräberanlage an den großen Humanisten Albert Schweitzer: „Ein Soldatenfriedhof wie dieser hier in Duchowschtschina ist ein Prediger des Friedens, weil er auch für die nachfolgenden Generationen sichtbar macht, welchen Preis die Völker für den Krieg zahlen. Die Erinnerung an die dunkle Zeit des Ersten und des Zweiten Weltkriegs – die gerade hier, in dieser Region, besonders dunkel war – darf nicht verblassen. Auch dann nicht, wenn es einmal keine Zeitzeugen mehr geben wird. Kriegsgräberstätten sind bedrückende Mahnmale unserer Geschichte, die uns alle überdauern werden.“

De Maizière schilderte auch eine Begebenheit, die sich vor vier Jahren im russischen Besedino nahe Kursk zugetragen hatte. Am 17. Oktober 2009, so der Minister, habe dort an der Einweihung des deutschen Soldatenfriedhofes auch die 90 Jahre alte Witwe Frida Meier teilgenommen und ihr Glück dieses Augenblicks in drei Sätze gefasst: „Ich weiß noch, als ich und unsere damals zweijährige Tochter 1943 einen einfachen Zettel mit der Nachricht bekamen, dass Wilhelm gefallen ist. Seit dieser Zeit hatte ich bloß diesen Zettel. Jetzt hat er ein Grab, und ich kann mich von ihm verabschieden.“

Dem Frieden besonders verpflichtet

Zu der Einweihung der neuen deutschen Friedhofsanlage bei Duchowschtschina waren auch der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Moskau, Ulrich Brandenburg, sowie die CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten Klaus Brähmig, Stephan Mayer und Joachim Pfeiffer gekommen. An ihrer Seite standen Igor Skobelew, Vizegouverneur des Gebietes Smolensk, und Generaloberst Wladimir Walentinowitsch Tschirkin, Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte der Russischen Föderation.

Minister de Maizière würdigte in seiner Rede den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und dessen Partner auf russischer Seite. Er sagte mit Blick auf Reinhard Führer, Präsident der Organisation: „Das vergangene Jahrhundert hat in Europa schmerzlich gezeigt, dass Frieden nicht selbstverständlich ist. Der deutsche Angriffskrieg und die unvorstellbaren Gräueltaten, die gerade hier in der Region Smolensk begangen wurden, gehören sicherlich zu den dunkelsten Stunden der Menschheit. Russen und Deutsche haben es trotzdem geschafft, Lehren aus den dunklen Kapiteln der gemeinsamen Geschichte zu ziehen. Aus den Auseinandersetzungen und Kriegen der Vergangenheit sind heute Partnerschaft und Freundschaft geworden. Wir, Russen und Deutsche, sind dem Frieden zwischen unseren Völkern in besonderer Weise verpflichtet. Wohl insbesondere diesem Grund ist es geschuldet, dass unsere beiden Völker vor nunmehr über 20 Jahren einen wichtigen Beitrag zum unblutigen Ende des Ost-West-Konflikts leisten konnten. Auf diesem festen und soliden Fundament basieren heute unsere Beziehungen. Die wechselseitige Kriegsgräberfürsorge war sicherlich ein besonders wichtiger Bestandteil unserer bilateralen Beziehungen. Ihre Bedeutung für die Völkerverständigung kann aus meiner Sicht kaum hoch genug eingeschätzt werden.“

Akt menschlicher Größe und Zeichen der Versöhnung

Zum Schluss seiner Ansprache wandte sich der deutsche Verteidigungsminister an die knapp 4400 Einwohner der kleinen Gemeinde Duchowschtschina, die am 15. Juli 1941 von der Wehrmacht besetzt und am 19. September 1943 durch sowjetische Truppen zurückerobert worden war.

Er sei nach Duchowschtschina gekommen, um zu gedenken, aber auch, um zu danken. Sein erster Dank richte sich an Russland und seine Bürger, so de Maizière. „Sie hätten allen Anlass gehabt, an den Zweiten Weltkrieg – den Sie den Großen Vaterländischen Krieg nennen- allein in Form von Siegesdenkmälern zu erinnern. Dass Sie dem Anliegen, deutsche Soldaten in russischem Boden zu bestatten, Ihre Herzen geöffnet haben, war ein Akt menschlicher Größe und ein wichtiges Zeichen der Versöhnung.“ Und an die Bürgerinnen und Bürgern von Duchowschtschina gewandt sagte er: „In Ihrer Nachbarschaft haben die Gefallenen eine würdige letzte Ruhestätte gefunden. Sie werden hier in Frieden ruhen.“

70 Jahre liegen die furchtbaren Kämpfe des Zweiten Weltkrieges in diesem Gebiet nun schon zurück. Außer dem russischen Soldatenfriedhof und dem neuen deutschen Friedhof erinnert hier nichts mehr an den Krieg. Anders aber ist es in den Köpfen der Menschen. Die Geschichte wirkt fort. „Nie werden wir das unermessliche Leid vergessen, das den Menschen unseres Volkes – auch von denen, die hier liegen – angetan wurde“, erklärte Vizegouverneur Skobelew bei der Einweihungszeremonie. Man dürfe aber nicht nur an die Vergangenheit denken – und nie dürfe man sich von Gefühlen der Rache und des Hasses leiten lassen! Dann fügte er einen Satz hinzu, der wahrscheinlich bei all den vielen Gedenkreden in den vergangenen zwanzig Jahren in Russland so noch nie gefallen ist: „Wir dürfen anderen keine Schuldgefühle aufzwingen.“


Hintergrund                                         

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. ist eine humanitäre Organisation. Er widmet sich im Auftrag der Bundesregierung der Aufgabe, die Gräber der deutschen Kriegstoten im Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen.
Gegründet worden war die gemeinnützige Organisation am 16. Dezember 1919 – aus der Not heraus. Die noch junge Reichsregierung war weder politisch noch wirtschaftlich in der Lage, sich um die Gräber gefallener Soldaten zu kümmern. Dieser Aufgabe widmete sich fortan der Volksbund, der sich als eine „vom ganzen Volk getragene Bürgerinitiative“ verstand. Bis Anfang der 1930er-Jahre baute er zahlreiche Kriegsgräberstätten aus.
Ab 1933 unterwarf sich die Führung des Volksbundes aus eigenem Antrieb der Gleichschaltungspolitik der NS-Regimes. Die Errichtung von Soldatenfriedhöfen des Zweiten Weltkrieges übernahm der Gräberdienst der Wehrmacht.
Erst 1946 konnte der Volksbund seine humanitäre Tätigkeit wieder aufnehmen. In kurzer Zeit gelang es, über 400 Kriegsgräberstätten in Deutschland anzulegen. 1954 beauftragte die Bundesregierung den Volksbund mit den aktuellen Aufgaben.
Im Rahmen von bilateralen Vereinbarungen erfüllt der Volksbund seine Aufgabe in Europa und Nordafrika. In seiner Obhut befinden sich heute 832 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten mit etwa 2,5 Millionen Kriegstoten.
Nach der politischen Wende in Osteuropa nahm der Volksbund seine Arbeit auch in den Staaten des einstigen Ostblocks auf, wo im Zweiten Weltkrieg etwa drei Millionen deutsche Soldaten ums Leben gekommen waren. Diese Aufgabe stellte und stellt die mehreren Tausend ehrenamtlichen und 566 hauptamtlichen Mitarbeiter vor immense Schwierigkeiten: Viele der über hunderttausend Grablagen sind nur schwer auffindbar, zerstört, überbaut oder geplündert. Seit 1991 richtete der Volksbund 330 Friedhöfe des Zweiten Weltkrieges und 188 Anlagen aus dem Ersten Weltkrieg in Ost-, Mittel- und Südosteuropa wieder her oder legte sie neu an. Insgesamt wurden 759.110 Kriegstote auf 82 Kriegsgräberstätten umgebettet.


Das Bildangebot:
1. Ein letzter Gruß – Einweihung der deutschen Gräberstätte bei Duchowschtschina.
(Foto: Uwe Zucci/Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge)

2. Zu der Zeremonie am 3. August 2013 waren rund 300 Gäste aus Deutschland und Russland gekommen.
(Foto: Uwe Zucci/Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge)

3. Verteidigungsminister Thomas de Maizière gedachte in Duchowschtschina der Gefallenen beider Seiten.
(Foto: Uwe Zucci/Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge)

4. Minister de Maizière und der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Reinhard Führer (rechts), vor einer der neuen Granitstelen der Friedhofsanlage.
(Foto: Uwe Zucci/Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge)


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