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Berlin. Auslandseinsätze sind für Militärangehörige häufig mit traumatischen Ereignissen und einem zwei- bis vierfach erhöhten PTBS-Risiko verbunden (PTBS: Posttraumatische Belastungsstörung). Nach der Rückkehr vom Einsatz erkranken etwa 300 je 10.000 Bundeswehrsoldaten pro Jahr; die kumulierte Gesamtzahl PTBS-Erkrankter seit Beginn der deutschen Auslandseinsätze dürfte somit in die Tausende gehen. Dies ergab eine Studie des Instituts für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Technischen Universität Dresden, die im September vergangenen Jahres im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde. Mit dem Thema „PTBS“ hat sich auch die Journalistin Ulrike Scheffer befasst. In ihrem Beitrag „Krieg im Kopf“ im Berliner Tagesspiegel vom 3. Juli schreibt sie: „Nun gibt es Hinweise, dass Einsatzsoldaten vermehrt straffällig werden. Und Belege dafür, dass Kinder oder Lebenspartner betroffener Soldaten oft ebenfalls psychisch erkranken.“

Jeder zweite PTBS-Fall im Bereich der Bundeswehr bleibt unerkannt und unbehandelt. Über diese Dunkelziffer von 45 Prozent berichtete im vergangenen Jahr bereits das Dresdner Forscherteam um Hans-Ulrich Wittchen und Sabine Schönefeld, die in einer repräsentativen Zufallsauswahl 1599 Bundeswehrsoldaten, die 2009 nach Afghanistan entsandt worden waren, befragten (zusätzlich wurden von den Psychologen 889 vergleichbare Soldaten ohne Auslandseinsatz untersucht). Von den Bundeswehrangehörigen mit Auslandseinsatz berichteten dabei 49,2 Prozent über ein traumatisches Ereignis, 13 Prozent sogar über mehr als drei dieser Trauma-Ereignisse. Kampftruppen am Einsatzort Kunduz hatten (und haben) der Untersuchung zufolge das höchste PTBS-Risiko, nur jeder zweite PTBS-Betroffene hatte zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits professionelle Hilfe nachgefragt.

Depressionen, Angstzustände und Suchterkrankungen

Für ihren Bericht im Tagesspiegel sprach Scheffer auch mit Oberstarzt Dr. Peter Zimmermann, Leiter des Psychotraumazentrums des Berliner Bundeswehrkrankenhauses. Zimmermann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und besitzt Zusatzqualifikationen für die Psychotraumatologie und die Gruppenanalyse. 2012 war er selbst im Auslandseinsatz in Afghanistan gewesen.

Der Mediziner sagte dem Tagesspiegel, er gehe davon aus, dass bis zu 25 Prozent der deutschen Soldaten mit Einsatzerfahrung unter psychischen Störungen leiden. Viele von ihnen seien möglicherweise schon vor dem Einsatz belastet gewesen, nicht alle seien behandlungsbedürftig. Verbreitet seien bei den „Einsatzheimkehrern“ schwere Depressionen, Angstzustände und Suchterkrankungen. Immer mehr Einsatzsoldaten erkrankten an einer Posttraumatischen Belastungsstörung, so Zimmermann gegenüber der Tagesspiegel-Autorin.

Die aktuellen Zahlen zur Posttraumatischen Belastungsstörung in den deutschen Streitkräften vom 4. Februar 2013 dokumentieren eine steigende Zahl von Behandlungen. Laut Verteidigungsministerium wurden im vergangenen Jahr 194 Fälle einer PTBS als Neuerkrankung in den Bundeswehrkrankenhäusern behandelt. Hinzu kamen 949 Patientenkontakte im Rahmen von Weiterbehandlungen, also insgesamt 1143 Behandlungen (2011 hatte es 194 Neuerkrankungen und 728 Weiterbehandlungen gegeben). Das Ministerium sieht die steigende Zahl von Behandlungen als eine Folge der stärkeren Belastungen im Einsatz, der wachsenden Zahl von Soldaten mit belastenden Erfahrungen, der langen Dauer einer Therapie aber auch der größeren Offenheit im Umgang mit dem Thema.

Offensichtlich die Spitze eines Eisberges

Wittchen, Schönfeld und das Dresdner Forscherteam weisen in ihrer Studie allerdings auch auf eine „defizitäre und widersprüchliche“ Datenlage hin. In der Untersuchung heißt es: „Unstrittig ist, dass nach administrativen Daten die Häufigkeit der PTBS seit Beginn der Bundeswehr-Auslandseinsätze deutlich zugenommen hat … Ausgehend von etwa 25.000 Soldatinnen und Soldaten, die 2008 im Auslandseinsatz waren, erscheint aber die grob geschätzte Prävalenz von 245/25.000 (entspricht 0,98 Prozent) extrem niedrig; diese Zahlen dürften demnach nur die Spitze eines Eisberges sein, da sie sich nur auf Fälle in Bundeswehrkrankenhäusern beziehen.“ Vermutet wird also auch bereits hier, dass die Zahl erkrankter (ehemaliger) Soldaten deutlich höher liegt und sich viele Betroffene erst nach ihrem Ausscheiden aus der Bundeswehr in zivilen Einrichtungen behandeln lassen.

Wutausbrüche und häusliche Gewalt

In einem Gespräch mit dem Augsburger Rechtsanwalt und Vertragsanwalt des Deutschen Bundeswehr-Verbandes Christian Steffgen erfuhr Tagesspiegel-Redakteurin Ulrike Scheffer zudem, dass Straftaten von Soldaten immer häufiger mit Einsatzerlebnissen in Verbindungen zu stehen scheinen. Steffgen, Oberstleutnant der Reserve, vertritt Soldaten bundesweit in straf- und dienstrechtlichen Angelegenheiten. Er bestätigte, dass sich die Zahl der „Soldaten mit vorbildlicher Karriere“ häufen, die „plötzlich persönlichkeitsfremde Taten begehen“. Aggressives Auftreten und Gewaltausbrüche von früheren Einsatzsoldaten seien inzwischen vermehrt anzutreffen, so Steffgen.

Endlich einen eigenen Status zuerkennen

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, sieht auch weiterhin deutliche Mängel bei der Betreuung und Versorgung von Soldaten, die psychisch geschädigt aus dem Auslandseinsatz zurückkehren. In seinem Jahresbericht 2012 rügt er die noch immer nicht ausreichende Anzahl geeigneter Therapeuten im Sanitätsdienst. Auch auf Langzeittherapien sei die Bundeswehr nicht eingerichtet. Noch immer ungelöst sei auch das Problem der Hilfe für ehemalige Einsatzteilnehmer, deren Erkrankung erst nach ihrem Ausscheiden aus dem Dienst sichtbar wird. Nicht wenige dieser früheren Einsatzsoldaten seien aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage, ihre Situation zu erkennen oder sich selbst um Hilfe zu kümmern und gerieten darüber hinaus in finanzielle Notlagen.

Königshaus schlägt deshalb vor: „Um (den Betroffenen) helfen zu können, muss der Kontakt mit ihnen über ihr Ausscheiden aus dem Dienst hinaus aufrechterhalten bleiben. Dazu ist es zuallererst erforderlich, allen Einsatzteilnehmern einen eigenen Status zuzuerkennen. Das könnte mit dem Begriff des ,Einsatzrückkehrers‘ oder auch ,Veteranen‘ verbunden werden. Die Zuerkennung eines solchen Status könnte dann Ausgangspunkt dafür sein, die Daten ihrer Einsätze zu erfassen und ein System der vorsorgenden Betreuung und fürsorglichen Hilfe für die aus dem Dienst ausgeschiedenen Einsatzrückkehrer und ihre Familien aufzubauen. Das wäre kein Akt von Großzügigkeit, sondern Ausdruck der Fürsorge, zu der der Dienstherr nach Paragraf 31 des Soldatengesetzes ohnehin verpflichtet ist.“


Zu unseren Bildern:

1.Tiefe Trauer und Schmerz, Tod und Verwundung…
(Foto: Andrea Bienert/IMZBw-Bildarchiv)

2. …sind nicht selten Begleiter der Auslandseinsätze unserer Soldaten.
(Foto: Harald Dettenborn/IMZBw-Bildarchiv)

3. Die seelischen Leiden der in einem Einsatz geschädigten Bundeswehrangehörigen will auch das Bundeswehrkrankenhaus in Berlin mit seinem Psychotraumazentrum lindern, ja heilen.
(Foto: Frank Eggen/IMZBw-Bildarchiv)


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