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Kiel. Es gibt Tage bei der Bundeswehr, an denen Außergewöhnliches geschieht und die Chronisten zur Feder greifen (müssen). Solche Tage nennt das Militär „historisch“. „Geschichte“ wird geschrieben. Ein „Meilenstein“ wird erreicht. Ein „Leuchtturmprojekt“ leuchtet hell. Dass sich heute mehr als 18.000 Frauen für den Militärdienst in Deutschland entschieden haben, ist Bundeswehr-Normalität. Sie leisten ihren Beitrag in allen Laufbahnen und vielen Verwendungen: in Kampf- und Kampfunterstützungsverbänden, im Nachschub, in der Wartung und Instandsetzung, in einem Stab, als Teil der Führung, im Bereich der medizinischen Versorgung, im Cockpit eines Flugzeuges, als Kommandantin eines Bergepanzers. Einen außergewöhnlichen Tag erlebte jetzt die deutsche Marine: Am 18. Juni übernahmen die ersten beiden weiblichen Marineoffiziere das Kommando über jeweils ein Minenjagdboot. Auch wenn dies eine Premiere war, so ist die Ruder-Übernahme durch die ersten Kommandantinnen doch nur die logische Fortsetzung einer zwölfjährigen Entwicklung. Denn bei der Marine finden sich Frauen ebenfalls seit Langem schon in Führungsverantwortung …

Kommandantenwechsel sind auf den Booten und Schiffen der Teilstreitkraft zwar nicht alltäglich, aber auch nicht ungewöhnlich. So wurden auch diese beiden Kommandoübergaben am 18. Juni mit routiniertem Zeremoniell abgehalten. Dennoch war dieser Dienstag gleich zweier Kommandowechsel schon ein besonderer Moment, standen doch jetzt junge Frauen als Inhaberinnen der Kommandogewalt vor ihren Besatzungen. Kapitänleutnant Inka von Puttkamer übernahm das Kommando über das Minenjagdboot „Homburg“, eins von insgesamt 13 Booten des in Kiel beheimateten 3. Minensuchgeschwaders. Auf dem Schwesterboot „Datteln“ übernahm Kapitänleutnant Helena Linder-Jeß die Führung. Die Marine blieb bei ihrer Bewertung und sprach von einem „historischen Tag“ und einem „Meilenstein“.

Weiße Mütze und goldener Stern

Beide Marineoffiziere gaben sich beim Kommandantenwechsel selbstbewusst und waren stolz auf das Erreichte. Hinter von Puttkamer und Linder-Jeß liegen teilweise anstrengende und entbehrungsreiche „Lehrjahre“ als Wachoffiziere – der Lohn vieler Mühen, der individuellen Leistungen und der besonderen Qualifikationen ist nun die weiße Schirmmütze und der goldene Stern vorn auf der Uniformjacke, beides Erkennungsmerkmale eines Marinekommandanten. „Ich betrachte es als ganz besondere Herausforderung, aber auch als große Chance, ab heute das Kommando auf dem Minenjagdboot ,Datteln‘ führen zu dürfen. Für mich ist das ein einzigartiges Erlebnis“, beschrieb Frau Kapitänleutnant Linder-Jeß ihre Gefühle kurz nach der Kommandoübernahme. Ein wenig nachdenklich meinte ihre Kameradin Inka von Puttkamer: „Auch ich freue mich auf die vor mir liegende Aufgabe, bin aber auch sehr gespannt, was auf mich zukommt.“

Klage vor dem Europäischen Gerichtshof

Was auf sie „zukommen würde“, konnte die mutige Tanja Kreil am 29. Juni 1999 nicht erahnen. Zu ungewiss war der Ausgang ihrer Klage auf Zulassung zum Wehrdienst in der Bundeswehr, die an diesem Tag erstmals vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verhandelt wurde. Die damals 22 Jahre alte Elektronikerin aus Hannover hatte sich 1996 bei der Bundeswehr für den Bereich „Instandsetzung-Elektronik“ beworben und eine Absage erhalten mit der Begründung, Frauen dürften laut Gesetz keinen Dienst mit der Waffe leisten. Mit Unterstützung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes beschritt sie danach ihren Klageweg im Ausland.

Auf keinen Fall Kombattantenstatus

Die Ablehnung war zu diesem Zeitpunkt juristisch korrekt und unter anderem historisch begründbar. Als 1955 die Bundeswehr gegründet und 1957 die ersten Wehrpflichtigen eingezogen wurden, waren Frauen vom Dienst an der Waffe ausgeschlossen. Artikel 12a des Grundgesetzes legte damals in Absatz 4 (Satz 2) fest, dass Frauen in keinem Fall Dienst mit der Waffe leisten dürfen, mithin auch ein freiwilliger Dienst mit der Waffe kategorisch ausgeschlossen wurde. Der Verfassungsgeber wollte damit nicht nur vermeiden, dass Frauen an kriegerischen Kampfhandlungen teilnehmen und dabei Waffen benutzen. Es sollte vielmehr generell verhindert werden, dass Frauen den Kombattantenstatus im Sinne des Kriegsvölkerrechts einnehmen und damit den humanitären Schutz als Teil der Zivilbevölkerung verlieren.

Personalmangel im Sanitätsdienst

Bis 1975 konnten Frauen der Bundeswehr lediglich als Zivilangestellte angehören. Erste Ausnahmen wurden ab dem Jahr 1975 unter dem damaligen Verteidigungsminister Georg Leber gemacht. Ärztinnen, Zahnärztinnen, Tierärztinnen sowie Apothekerinnen konnten in diesem Jahr erstmals als Seiteneinsteigerinnen in die Bundeswehr eintreten. Der Personalmangel im Sanitätsdienst machte es möglich. 1989 wurde die reguläre Ausbildung für alle Laufbahnen zum Sanitätsoffizier und -unteroffizier für Frauen ermöglicht. Auch der Militärmusikdienst nahm nun weibliche Bewerber auf. Im Jahr 1994 wurde mit Dr. Verena Merethe von Weymarn sogar die erste Frau in einen Generalsrang befördert.

Dienst an Bord der Uboote und Kampfeinsätze

Ende der 1990er-Jahre gehörte die Bundesrepublik Deutschland – neben Griechenland, Italien, Polen, Tschechien und der Türkei – noch zu den letzten NATO-Mitgliedsländern, die weiterhin Frauen den breiten Zugang zum Militär versperrten. Die Mehrheit der anderen Bündnisarmeen hatte Frauen bereits in den 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre eine Perspektive in den Streitkräften, die über den Sanitätsdienst und das reine Frauenkorps hinausreichte, eröffnet.

Belgien, Norwegen, Österreich und Schweden hatten zu diesem Zeitpunkt schon alle (oder fast alle) Verwendungseinschränkungen für Frauen aufgehoben, in diesen Ländern konnten Soldatinnen auch an Kampfeinsätzen beteiligt werden. Norwegen war das erste Land, das Frauen auch zum Dienst in Ubooten zugelassen hatte. Andere Armeen schlossen in jenen Jahren Frauen lediglich von ganz spezifischen Verwendungen aus (unter welchen teilweise fragwürdigen Gesichtspunkten auch immer). Belgien beispielsweise ließ Frauen nicht zu Fallschirm-Kommandobrigaden, Dänemark nicht zu den Kampfpiloten, die Niederlande nicht in die Marinekorps, Frankreich faktisch nicht auf Uboote und in Kampfjets, die USA und Großbritannien nicht auf Uboote und zu den Bodentruppen.

Angst vor einer „Militarisierung der Gesellschaft“

Bis zum Herbst 1999 war eine Änderung des Grundgesetzes, die die Bundeswehr für Frauen auf breiter Basis hätte öffnen können, noch nicht mehrheitsfähig. Die Soziologin Maja Apelt von der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg beschreibt die damalige bundespolitische Situation in ihrer 2002 erschienenen Studie „Die Integration der Frauen in die Bundeswehr ist abgeschlossen“ folgendermaßen: Ein Antrag „der FDP, die als einzige Partei die Öffnung der gesamten Bundeswehr für freiwillige weibliche Bewerber in ihrem Programm hatte, wurde zu diesem Zeitpunkt von den anderen Parteien mit unterschiedlichen Begründungen abgelehnt. Für die SPD, so hieß es, sei die Bundeswehr der denkbar ungeeignetste Ort, um die Emanzipation durchzusetzen. Überdies vollzöge sich mit der Zulassung von Frauen in die Streitkräfte eine weitere Militarisierung der Gesellschaft. Für die Grünen entsprach die Forderung nach Öffnung der Bundeswehr für Frauen lange Jahre einem antiquierten Emanzipationsverständnis der Gleichmacherei der Geschlechter. Die CDU wollte den Zugang von Frauen auf Logistik, Wachdienst und Transport beschränken und vor allem die Beteiligung an Kampfverbänden ausschließen. Die PDS war als ,Friedenspartei‘ generell für die Abschaffung aller Zwangsdienste, die Auflösung der NATO und die Abschaffung der Bundeswehr. Neben der allgemeinen Ablehnung gab jedoch es in allen Parteien Stimmen, die sich für die Zulassung von Frauen zum Dienst mit der Waffe aussprachen.“

Zurück zu Tanja Kreil. Ihrer Ansicht nach ist es damals rechtswidrig gewesen, Frauen aus geschlechtsspezifischen Gründen den Zugang zu Berufen in der Bundeswehr zu verwehren. Da eine Klage nach nationalem Recht an der Realitäten des Artikels 12a Grundgesetz gescheitert wäre, zogen sie und der Deutsche Bundeswehr-Verband vor den Europäischen Gerichtshof nach Luxemburg. Dieser entschied am 11. Januar 2000, dass auch Frauen in der Bundeswehr zum Dienst an der Waffe zuzulassen seien. Kreil selber hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits gegen einen Bundeswehrdienst und für einen zivilen Arbeitgeber entschieden.

Keine Dienstpflicht, jedoch freiwilliger Dienst

Am 7. Juni 2000 beschloss das Bundeskabinett, alle militärischen Laufbahnen innerhalb der Bundeswehr ohne Einschränkung für Frauen zu öffnen. Am 27. Oktober 2000 stimmten die Bundestagsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP für die Änderung des Artikels 12a des Grundgesetzes. Nach intensiver Diskussion einigten sich die Parteien auf die Formulierung „Sie (die Frauen) dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden“. Davon unberührt blieb die Pflicht zum Wehrdienst beziehungsweise Zivildienst für Männer.

Nach Verabschiedung der Änderungen am Soldatengesetz und an der Soldatenlaufbahnverordnung durch den Bundestag und den Bundesrat öffneten sich somit sämtliche Laufbahnen und Verwendungen innerhalb der Bundeswehr auch für Frauen. Im Januar 2001 traten bereits 244 weibliche Bewerber ihren Dienst an.

Klassische Marineausbildung durchlaufen

Zwölf Jahre später schließt sich in Kiel mit dem Kommandowechsel beim 3. Minensuchgeschwader der Kreis. Die beiden jungen Marineoffiziere Inka von Puttkamer und Helena Linder-Jeß haben bislang eine klassische Ausbildung durchlaufen. Der allgemeinen Ausbildung und dem Studium schloss sich die typspezifische Ausbildung für Minenabwehrboote an. Es folgten rund drei Jahre als Wachoffizier, mit zahlreichen Teilnahmen an internationalen Manövern und am Auslandseinsatz UNIFIL vor dem Libanon. Einen weiteren Baustein bildeten die jeweiligen Tätigkeiten als Adjutant: Kapitänleutnant von Puttkamer beim Befehlshaber des ehemaligen Flottenkommandos und Kapitänleutnant Linder-Jeß bei der NATO in Brüssel.

Nach einer Phase des Eingewöhnens und Trainierens mit den jeweils neuen Besatzungen werden sich demnächst die ersten beiden Kommandantinnen der deutschen Marine in den Einsatzpool der Flotte einreihen und danach Manöver und Auslandseinsätze bestreiten. Ihre Vorgänger stehen ebenfalls vor neuen Herausforderungen. Kapitänleutnant Andreas Schmidt, der die „Datteln“ fast drei Jahre in zahlreichen Manövern und im NATO-Verband geführt hatte, beginnt seinen Admiralstabslehrgang in die weiterführende Ausbildung. Kapitänleutnant Pierre Schubjé, der seit Mitte 2011 Kommandant der „Homburg“ gewesen war, wechselt zunächst in den Einsatzstab des UNIFIL-Kontingents und wird dort für die deutsche Ausbildungsunterstützung der libanesischen Marine verantwortlich sein.



Hinweis: Frauen gehören mittlerweile in den deutschen Streitkräften zum alltäglichen Berufsbild. Das Video der Bundeswehr vom Oktober 2012 erinnert noch einmal an die Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofes und an die Zeit der Öffnung der Verwendungsreihen und Laufbahnen in der Truppe auch für weibliche Bewerber. Vorgestellt werden zudem zwei Soldatinnen in ihrem Dienstalltag – wir erfahren ihre Motive für die Berufswahl, lernen ihre Erwartungen kennen und hören von ihren Erfahrungen in einer „Männerwelt“.

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Zum Bildangebot:

1. Erste Kommandantinnen der deutschen Marine: Kapitänleutnant Helena Linder-Jeß (links) und Kapitänleutnant Inka von Puttkamer.
(Foto: Jelena Wiedbrauk/PrInfoZ Marine)

2. Linder-Jeß übernahm das Kommando über die „Datteln“, Inka von Puttkamer das Kommando über die „Homburg“.
(Foto: Jelena Wiedbrauk/PrInfoZ Marine)

3. Unsere Infografik zeigt die Anzahl weiblicher Soldaten in den Reihen der Bundeswehr seit 1975. Die Zahlen für die Jahre 1975 bis 2006 stammen vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, die Angaben für die Jahre 2009 (Stand 18. März 2009), 2010 (29. Dezember 2010) und 2012 (13. Juli 2012) aus dem Verteidigungsministerium.
(Foto: IMZBw-Bildarchiv, Infografik @ mediakompakt 06.13)


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