Neue Waffengeneration – und neue Fragen
2012
Berlin. Bewaffnete Drohnen sind für die Bundeswehr mittelfristig unverzichtbar – dürfen deutsche Soldaten bei ihrem Abzug aus Afghanistan ab 2014 auf den Schutz durch Kampfdrohnen hoffen? Die Diskussion über die Beschaffung und den Einsatz von Drohnen als Kampfmittel ist in Deutschland in vollem Gange. Verbündete NATO-Staaten setzen schon länger bewaffnete unbemannte Luftfahrzeugsysteme ein – so die USA zurzeit in Afghanistan oder in Teilen der grenznahen pakistanischen Stammesgebiete. Die Bundeswehr verfügte bisher nur über Aufklärungsdrohnen. Von mehreren Seiten wird nun die Anschaffung bewaffneter Drohnen gefordert. Ein Beitrag unseres Redakteurs Dr. Christian Kahl.
Die Bundeswehr hat derzeit in Afghanistan drei sogenannte UAS (Unmanned Aircraft System) im Einsatz. Diese unbemannten Mini-Luftfahrzeuge, die im allgemeinen Sprachgebrauch als Drohnen bezeichnet werden, sind ferngesteuert. Sie fliegen meist in einer Höhe von drei Kilometer und können ununterbrochen bis zu 40 Stunden in der Luft bleiben. Noch sind diese Drohen „nur“ mit modernster Aufklärungs- und Übertragungstechnik mit Videokameras und Infrarotsensoren ausgerüstet – jedoch ohne Bordwaffen. Das soll sich nach dem Willen zahlreicher Politiker und militärischer Experten bald ändern.
„Die Nutzung und Weiterentwicklung der Fähigkeiten unbemannter Luftfahrzeugsysteme ist in allen Bereichen der Aufklärung, Führung, Wirkung und Unterstützung zu optimieren und deren Einsatzspektrum auszuweiten“. Mit dieser Forderung in dem Ende August vorgelegten Dossier „Luftmacht 2030“ stieß der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, die Debatte um die Beschaffung bewaffneter Drohnen an. Für ihn sei es aus rein militärischer Sicht unerlässlich, dass Drohnen bewaffnet seien.
Verteidigungsminister Thomas de Maizière sowie der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus, sind sich in der Frage über die Anschaffung bewaffneter Drohnen einig und unterstützen Müllners Forderung. „Hätten unsere Soldaten bewaffnete Drohnen zur Verfügung, müssten sie nicht mehr hilflos zuschauen, wenn unsere eigenen Leute bedroht werden“, sagte unlängst Königshaus der Süddeutschen Zeitung. Es gehe kein Weg an bewaffneten Drohnen vorbei, wenn man deutschen Soldaten den bestmöglichen Schutz bieten wolle, den sie für die Erfüllung ihres Auftrags bräuchten.
Deutliche Worte fand auch der CDU-Bundestagsabgeordnete im Auswärtigen Ausschuss, Oberst a.D. Roderich Kiesewetter. In einem Interview mit dem Deutschland Radio antwortete der Vorsitzende des Reservistenverbandes auf die Frage, ob die Bundeswehr bewaffnete Drohnen benötige: „Ich sage ganz offen ja. Je vielseitiger die Drohnen einsetzbar sind, umso besser der Schutz deutscher Soldaten.“
Die Bundeswehr nutzt ihre drei UAS in Afghanistan seit März 2010. Da Deutschland über keine eigenen weitreichenden Drohnen verfügt, hat man von einem Konsortium israelische Drohnen des Typs Heron (Israel Aerospace Industries) geleast. Für die Wartung ist Rheinmetall verantwortlich. Zunächst sollte der Leasingvertrag im Oktober auslaufen, er wurde nun aber bis Ende 2014 verlängert. Heron hat sich im Einsatz bewährt. In einer Operationshöhe von mehr als 3000 Meter – die maximale Flughöhe beträgt gar 8000 Meter – beobachtet und klärt sie feindliche Aktivitäten auf. Eine Heron-Drohne ist damit für den Gegner unsichtbar, lautlos und nicht angreifbar.
Die Soldaten sind von dem System überzeugt. Sie beschreiben es als zuverlässig. Auch wenn Heron über ein vollautomatisches Start- und Landesystem verfügt, kann der Pilot von seinem Einsatzort, der meist im Lager liegt, jederzeit manuell die Steuerung übernehmen. Die Drohne liefert das Material in Echtzeit, zeichnet aber auch Videos auf. In Afghanistan hat Heron bereits mehrfach improvisierte Sprengfallen der Aufständischen aufgeklärt. Spezialisten der Bundeswehr konnten diese dann gezielt geschützt entfernten. Wäre die Drohne bewaffnet gewesen, hätte sie diese Arbeit direkt ohne Zeitverlust leisten können. Es wären keine Soldaten gefährdet worden. Ähnlich sieht es Ulrich Kirsch, Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehr-Verbandes: „In Gefahrensituationen wie im Falle eines Hinterhaltes könnte der Gegner direkt ausgeschaltet werden.“ UAS können eine Gefahr auf Abstand schnell ausschalten, bevor und ohne dass das Leben und die Gesundheit der eigenen Soldaten gefährdet werden.
Die Befürworter bewaffneter Drohnen drängen auf eine rasche Entscheidung, die der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold gut überlegt wissen möchte: „Wir haben überhaupt keinen Grund zur Eile.“ Widerstand gegen eine zügige Beschaffung gibt es auch aus dem Lager der Grünen. Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid Nouripour, betonte, man wolle sich nicht einem Zeitdruck aussetzen, den es gar nicht gibt. Wenn aber ab 2014 die Rückverlegung deutscher Soldaten aus Afghanistan beginnt, müssen alle Möglichkeiten zu deren Schutz ausgeschöpft werden. Vor diesem Hintergrund erscheinen derartige Aussagen sehr fragwürdig. Versäumtes ist später nicht mehr aufzuholen.
Die Mehrheit der Parlamentarier und der Bevölkerung zeigt sich der Forderung nach bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr durchaus aufgeschlossen. Geht es nicht um einen optimalen Schutz für unsere Soldaten, wenn sie in die Auslandseinsätze geschickt werden? Rechtfertigt nicht schon diese Forderung nach bestmöglicher Absicherung die Beschaffung und den Einsatz bewaffneter UAS? Doch ganz so einfach wird eine zeitnahe Beschaffung nicht erfolgen. Die Gegner dieser Pläne führen ethisch-moralische Bedenken zu Felde. Macht der Einsatz von Kampfdrohen das Töten anonym? Sinkt damit die Hemmschwelle für ihren und generell für einen bewaffneten Einsatz?
Mit Waffen, die ferngelenkt auf Abstand in ein Zielgebiet wirken, sinkt die Hemmschwelle der sie bedienenden Soldaten, befürchtet mancher. SPD-Verteidigungspolitiker Arnold erinnerte daran, dass US-amerikanische Soldaten etwa nachts Gehöfte bombardierten, in denen Talibankämpfer vermutet wurden. Darin sieht er eine große Gefahr und fordert: „Wir brauchen zuerst eine Debatte darüber, dass die Einsatzschwelle nicht sinkt.“ Für diesen Einwand zeigt auch Bundesvorsitzender Kirsch Verständnis, indem er ausführt: „Die ethischen Fragen werden zu Recht gestellt. Dass in Deutschland jemand auf die Idee kommt, mit Kampfdrohnen gezielt Tötungen durchzuführen, schließe ich allerdings aus. Das halte ich für undenkbar.“ Die Gefahr, dass Kampfdrohnen leichtfertig eingesetzt werden, erkennt Andreas Hubert, Vorstandsmitglied des Bundeswehr-Verbands, ebenfalls nicht. „Jeder Einsatz, der aus der Luft kommt, birgt die Gefahr, dass er auch Unschuldige trifft, da ist jeder einzelne zuviel. Das ist eine Sorge, die uns immer umtreibt“, sagte der Mandatsträger gegenüber MDR INFO.
Für einige Menschenrechtsorganisationen ist das Töten aus der Distanz verfassungswidrig. Verteidigungsminister de Maizière teilt diese Bedenken nicht. Für ihn sind Waffen prinzipiell als „ethisch neutral“ zu betrachten. Flugzeuge sind mit Waffen ausgerüstet. „Warum sollen unbemannte Flugsysteme das nicht dürfen?“, stellte der Minister die Frage.
Das Dilemma in dieser Diskussion kann nur mit klaren Vorgaben und Rahmenbedingungen gelöst werden. So sollten ausschließlich nur gut ausgebildete und erfahrene Soldaten, die sich an klar definierte Einsatzregeln halten, die Drohnen bedienen. „Wenn wir solche Systeme beschaffen sollten, wird sich Deutschland völkerrechtlich an die Bestimmungen halten, die das Genfer Zusatzprotokoll vorsieht“, ist sich Kiesewetter absolut sicher.
Experten aus Bundeswehrkreisen sprechen sich für die rasche Anschaffung bewaffneter Drohnen aus, und in der Politik scheint die Frage der Beschaffung längst entschieden. Unklar ist noch das „wann“ und „woher“. Wird die Regierung bewaffnete Drohnen anderer Nationen kaufen oder werden in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Nationen eigene Drohnen entwickelt?
Soll die Beschaffung kurzfristig erfolgen, müssen ausländische Drohnen gekauft werden. „Die Anschaffung einer Militärdrohne ist nicht so leicht abzuwickeln wie ein Autokauf“, sagte unlängst der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ernst-Reinhard Beck gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. Will man also bei der 2014 beginnenden Rückverlegung in prekären Notlagen und Bedrohungen auf die Unterstützung bewaffneter UAS setzen, muss die Bundeswehr auf die Beschaffung fremder Drohnen zurückgreifen. Hier stehen Modelle aus US-amerikanischer oder israelischer Produktion zur Wahl.
Die Entscheidung für die im Einsatz bewährten US-Modelle Predator und Predator B (Reaper) oder für die israelische Variante Heron TP, mit deren unbewaffnetem Vorgänger die Bundeswehr sehr gute Erfahrungen gemacht hat, ist eine politische. Experten sehen in der Leistungsfähigkeit der beiden Modelle keine entscheidenden Unterschiede. Langfristig jedoch sollen gemeinsam mit Frankreich bewaffnete europäische Drohnen entwickelt und gebaut werden. „Wir hoffen, dass wir bis 2020 eine europäische Lösung gefunden haben“, äußert sich Beck zuversichtlich. Die Aussichten sind gut, denn jüngst haben beide Nationen eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet, und das deutsche Verteidigungsministerium stellt in den nächsten Jahren für die Entwicklung über 600 Millionen Euro bereit. Großbritannien, Italien und Spanien überlegen derzeit, ob sie sich ebenfalls an diesem europäischen Rüstungsprojekt beteiligen.
Auch die Wehrexperten Rainer Arnold von der SPD sowie sein Kollege von der CDU, Bernd Siebert, forcieren ein europäisches Projekt, um nicht weiter von US-amerikanischer Rüstungstechnologie abhängig zu sein. Nach Sieberts Vorstellungen wäre sogar eine Neuaufnahme des Projektes „Talarion“ der EADS-Division Cassidian denkbar, das im Februar 2012 (zunächst) eingestellt wurde.
Eine erste Entscheidung wird nicht allzu lang auf sich warten lassen. Noch im Herbst soll beschlossen werden, welche Drohnen nach dem Ende des Leasingvertrags beschafft werden. Im Finanzplan für die nächsten vier Jahre sind für drei neue Drohnen samt Bodenstation fast 170 Millionen Euro eingebracht.