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Berlin/Erbil (Irak)/Kobane (Syrien). Mit deutlicher Mehrheit hat der Bundestag am vergangenen Donnerstag (29. Januar) den Einsatz deutscher Soldaten im Nordirak beschlossen. Bis zu 100 Bundeswehrangehörige können nach diesem Mandat dort nun kurdische Peschmerga auf den Kampf gegen die Terrorbanden des „Islamischen Staates“ (IS) vorbereiten. Die militärische Ausbildung wird in Erbil, der relativ sicheren nordirakischen Hauptstadt der Kurden, stattfinden. Andere Nationen der von den USA geführten Allianz gegen die Dschihadisten wollen ebenfalls irakische Sicherheitskräfte vor Ort ausbilden. Der Bundestag nahm den Antrag der Bundesregierung für eine „Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“ vom 17. Dezember 2014 mit 457 Ja-Stimmen an. Es gab 79 Nein-Stimmen und 54 Enthaltungen. Das Parlament folgte damit einer Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses.

Das Mandat gilt bis zum 31. Januar 2016 und erlaubt es, maximal 100 deutsche Soldaten im Raum Erbil beziehungsweise im Raum der Region Kurdistan-Irak einzusetzen. In ihrem Antrag beschreibt die Bundesregierung den Schwerpunkt der neuen Trainingsmission wie folgt: „Die Ausbildungsunterstützung leistet auf Bitten der irakischen Regierung und im Rahmen der internationalen Anstrengungen im Kampf gegen den IS einen Beitrag zum nachhaltigen Fähigkeitsaufbau der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak sowie der irakischen Streitkräfte.“

Die Peschmerga, die Sicherheitskräfte der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, werden jedoch keinesfalls von Bundeswehrsoldaten bei Kampfhandlungen begleitet oder unterstützt.

Bundeswehrteams reisen nach Lehrgangsende sofort wieder nach Deutschland

Deutschland will im Februar mit der Ausbildung beginnen. Dazu nannte Spiegel online am 29. Januar weitere Details: „Die Bundeswehr will den Einsatz so flexibel wie möglich gestalten. So sollen die Trainer stets in kleinen Teams in den Irak reisen, dort einen Lehrgang abschließen und wieder abreisen.“ Schon jetzt sind mehr als ein Dutzend Bundeswehrangehörige als „Verbindungselement“ zu den kurdischen Sicherheitskräften vor Ort. Sie haben in Erbil auch die Peschmerga in die Bedienung bereits gelieferter deutscher Waffen eingewiesen.

Neben der militärischen Ausbildung und Beratung der Peschmerga werden die deutschen Soldaten auch die Lieferungen humanitärer Hilfsgüter und militärischer Ausrüstung in den Nordirak koordinieren (siehe auch hier und hier).

Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dieser Irakmission werden nach Regierungsangaben bis zum 31. Januar 2016 rund 33,2 Millionen Euro betragen.

Mittlerweile schwere Verluste für die Terrormiliz „Islamischer Staat“

Die Parlamentsentscheidung wurde zu einem Zeitpunkt getroffen, der die Extremistenmiliz IS erstmals entscheidend in der Defensive sieht. Im Kampf gegen den IS sollen die USA bereits mehr als 6000 Kämpfer der Dschihadistenorganisation bei Luftschlägen in Syrien und im Irak getötet haben. Diese Zahlen nannte der US-Botschafter im Irak, Stuart E. Jones, in einem Interview mit dem Nachrichtensender al-Arabiya. Der in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) ansässige Sender strahlte das Interview, in dem Jones auch von „mehr als 1000 zerstörten IS-Fahrzeugen im Irak“ sprach, am 22. Januar aus. Vertreter des US-Verteidigungsministeriums bestätigten später die Angaben des Diplomaten.

Sollte die Schätzung über die getöteten Kämpfer des „Islamischen Staates“ der Realität entsprechen, wären dies wohl 30 Prozent aller IS-Milizionäre. US-Geheimdienstinformationen zufolge verfügt der IS aktuell über 9000 bis 18.000 Kämpfer. Wie die Tageszeitung Die Welt am 24. Januar berichtete, gehen Experten allerdings davon aus, dass die Islamisten Tausende Anhänger anderer Milizen mobilisieren könnten.

Erfolgreiche Rückeroberung von Kobane durch kurdische Kräfte

Die Luftschläge der westlichen Anti-IS-Koalition sollen auch in der Führungsriege der Islamisten hohe Verluste angerichtet haben. Nach US-Informationen scheint die Hälfte der Führungskader bereits ausgeschaltet. Abu Bakr al-Baghdadi, der Führer der Terrormiliz, wurde möglicherweise bereits vor etlichen Wochen bei einem Luftangriff der Koalition verwundet. Dies sagte am 20. Januar der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi der in London erscheinenden panarabischen Tageszeitung al-Hayat. Es grenze an ein Wunder, so der Premier, dass al-Baghdadi diese Attacke überlebt habe. Er halte sich jetzt „manchmal im nordirakischen Mossul auf, meistens jedoch in Syrien“.

Bestätigt hat das US-Militär jetzt auch die Befreiung der nordsyrischen Stadt Kobane. US-Generalleutnant James Terry erklärte vor der Presse: „Kurdische Bodentruppen, die von unseren Lufttruppen unterstützt wurden, haben die Stadt Kobane erfolgreich zurückerobert.“ Kurdische Kämpfer sowie die Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR) hatten bereits am 26. Januar von der Rückeroberung der seit Monaten umkämpften Stadt berichtet. In den östlichen Stadtvierteln, die von den IS-Kämpfern vermint wurden, gibt es derzeit offensichtlich noch letzte Widerstandsnester der Dschihadisten.

Letzten Zahlen der kurdischen Miliz in Syrien YPG zufolge sollen in der Schlacht um Kobane 3710 IS-Anhänger getötet worden sein. Die Kurden beklagen 409 eigene Gefallene (Stand 29. Januar). Die Volksverteidigungseinheiten YPG – Yekîneyên Parastina Gel – kontrollieren verschiedene mehrheitlich kurdisch besiedelte Gebiete in Nordsyrien sowie Teile vorwiegend kurdisch bewohnter Viertel in Aleppo und stellen eine De-facto-Armee in ihren Regionen dar.

Deutsche Unterstützung bislang offensichtlich sehr wirksam

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen konnte sich vor Kurzem bei ihrer Reise in den Irak selbst ein Bild von der bisherigen deutschen Unterstützung für die Peschmerga machen. Nach politischen Gesprächen in der irakischen Hauptstadt Bagdad am 10. Januar (unter anderem mit Staatspräsident Fuad Masum) erörterte sie in Erbil am Tag darauf mit Masud Barzani, dem Präsidenten der irakischen Kurdenregion, den weiteren Bedarf an Material und Ausbildung.

Ihre aktuellen Irak-Eindrücke schilderte die Ministerin anschließend am 15. Januar im Bundestag. An diesem Donnerstag stand hier die erste Lesung zum Regierungsantrag „Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte“ auf der Tagesordnung. Von der Leyen berichtete: „Unsere bisherige Unterstützung war wirksam. Kommandeure der Peschmerga haben uns eindrucksvoll geschildert, wie wichtig zum Beispiel der Einsatz der MILAN-Rakete ist. Zuvor standen sie dem IS machtlos gegenüber. Sie mussten ohnmächtig mit ansehen, wie vom IS mit Sprengmaterial gefüllte Autos oder Lastwagen in die Peschmerga-Stellungen hineingelenkt wurden – fahrende Bomben mit verheerender Wirkung.“ Mit Hilfe der Panzerabwehrwaffe MILAN seien die Peschmerga in der Lage gewesen, etliche solcher Selbstmordkommandos zu stoppen und den Feind auch auf Distanz zu halten, so die Ministerin weiter. „Dies hat nicht nur viele Menschenleben gerettet, sondern auch den Mut und die Zuversicht der Peschmerga gehoben, den IS-Kämpfern tatsächlich standhalten zu können.“

Aufbau eines militärischen Ausbildungszentrums in Erbil

Präsident Barzani habe bei ihrem Besuch in Erbil im weiteren Verlauf des Gesprächs dann auch „sehr deutlich“ gemacht, dass die Kurden nicht nur Ausrüstung, sondern auch Ausbildung benötigen, sagte von der Leyen am 15. Januar weiter. „Die Peschmerga sind gut organisiert; sie sind entschlossen, standzuhalten – aber es fehlt an Vielem. Das beginnt bei wintertauglichen Stiefeln, geht über die MILAN, endet aber nicht zuletzt auch bei Sanitätsmaterial. Sie haben uns geschildert, wie viele Peschmerga, wenn sie an der Front verletzt werden, sterben, die nicht sterben müssten, weil basales Verbandsmaterial fehlt und banale Techniken – wie beispielsweise das Abbinden bei einem Durchschuss – nicht beherrscht werden. Es fehlt Material, es fehlt Wissen.“

Zum Schluss ihres Plädoyers für einen Nordirakeinsatz der Bundeswehr skizzierte die Ministerin die Schwerpunkte der neuen Mission, über die der Bundestag dann am 29. Januar abstimmte: „Wir wollen mit diesem Mandat ein Ausbildungszentrum in Erbil aufbauen, das unter der Leitung der Kurden steht, aber dessen Ausbildungsbereich wir koordinieren. Das geschieht gemeinsam mit anderen europäischen Partnern und in Abstimmung mit der Allianz. Dabei richten wir uns ausdrücklich nach dem Ausbildungsbedarf, den die Peschmerga anzeigen. Das beginnt bei der Grundausbildung, geht über Minenabwehr bis hin zur medizinischen Versorgung.“

Medienberichten zufolge werden sich neben Deutschland wohl weitere Nationen an den Ausbildungs- und Unterstützungsleistungen in der nordirakischen Region beteiligen. Bislang soll es sich dabei um Finnland, Italien, die Niederlande, Norwegen und Schweden handeln.

Das bisherige Engagement Deutschlands bei der Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ beläuft sich nach Angaben der Bundesregierung „im Bereich humanitäre Hilfe und strukturelle Übergangshilfe“ auf mehr als 100 Millionen Euro. Darüber hinaus hat die Bundesregierung bisher militärische Ausrüstung im Wert von 46,6 Millionen Euro für die Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak geliefert.

Verfassungsjuristen dreier deutscher Ministerien bestärken Bundesregierung

Die neue Bundeswehrmission war und ist rechtlich umstritten, da das im Regierungsantrag formulierte und letztendlich vom Parlament erteilte Mandat formal nicht in einem „System der kollektiven Sicherheit“ unter dem Dach der Vereinten Nationen (VN) oder im Auftrag der Europäischen Union beziehungsweise der NATO stattfinden wird.

Die Bundesregierung stützt sich bei ihrer Argumentation auf Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes. Die entscheidende Passage: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen.“ Bislang war fraglich, ob auch dann von einem „System kollektiver Sicherheit“ gesprochen werden kann, wenn ein entsprechendes Mandat des VN-Sicherheitsrates oder etwa ein Beschluss der NATO fehlt.

Verfassungsjuristen des Innenministeriums, des Verteidigungsministeriums und des Auswärtigen Amtes sind sich mittlerweile allerdings sicher, dass dies im Fall der neuen Ausbildungsmission der Bundeswehr im Nordirak möglich ist. Ihre Argumentation: Die Bundeswehr handele als Teil der internationalen Anstrengungen im Kampf gegen den IS. Der Sicherheitsrat der VN habe in der Resolution 2170 (2014) festgestellt, dass vom „Islamischen Staat“ eine Bedrohung für Weltfrieden und internationale Sicherheit ausgehe. Damit folge man der Aufforderung des Sicherheitsrates, wenn man den Irak im Kampf gegen den IS unterstütze.

Rechtsexperten des Bundestages halten Mandatsbegründung für falsch

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kommt in einem Gutachten zu einem anderen Ergebnis. Er hält die rechtliche Begründung des Nordirakeinsatzes für falsch, zieht daraus aber nicht den Schluss, dass der Einsatz zugleich auch verfassungswidrig ist.

Nach Auffassung des Dienstes ist der Artikel 24 Absatz 2 „keine taugliche Rechtsgrundlage“. Die vorhandenen Erklärungen der Vereinten Nationen zum Kampf gegen den IS reichten als Basis für die deutsche Beteiligung nicht aus. Bei der Anti-IS-Allianz handele es sich um einen losen Zusammenschluss und nicht um ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit.

Allerdings prüft das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes auch, ob Artikel 87a Absatz 2 des Grundgesetzes als alternative Rechtsgrundlage dienen könnte. Danach sind Bundeswehreinsätze auch außerhalb eines kollektiven Sicherheitssystems verfassungsrechtlich zulässig, wenn sie der „Verteidigung“ dienen. Der überwiegende Teil der Rechtsliteratur sehe in dieser „Verteidigung“ auch die sogenannte Drittstaaten-Nothilfe – die Verteidigung anderer Staaten. Zumal angesichts der globalisierten Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus auch ein Bezug zu den Sicherheitsinteressen Deutschlands bestehen würde, so der Dienst. Einen Präzedenzfall des Bundesverfassungsgerichts gebe es dazu allerdings noch nicht. Dies sei „verfassungsrechtliches Neuland“.

Im zweiten Teil unseres Beitrages hören wir hinein in die Bundestagsdebatte im Vorfeld der namentlichen Abstimmung über das Nordirak-Mandat für die Bundeswehr.


Video-Hinweis: Das YouTube-Video des paneuropäischen Nachrichtensenders euronews befasst sich mit der Rückeroberung der nordsyrischen Grenzstadt Kobane. Kobane wurde Ende Januar nach monatelangen Gefechten mit der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ von kurdischen Kämpfern eingenommen. Unterstützt worden waren diese dabei von den US-Streitkräften, die Luftangriffe auf Stellungen des IS flogen. Nach Einschätzung des amerikanischen Militärs kontrollieren die Befreier jetzt Anfang Februar etwa 90 Prozent von Kobane.
(Video: Copyright © 2015 euronews)

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Zu unserem Bildangebot:
1. Ausbildung im nordirakischen Erbil – die Aufnahme vom 1. Oktober 2014 zeigt Peschmerga-Kämpfer bei der Einweisung in die deutschen Waffen.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

2. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen informierte sich am 2. Oktober 2014 an der Infanterieschule des Heeres in Hammelburg über den Stand der Ausbildung kurdischer Soldaten – insbesondere an der Panzerabwehrwaffe MILAN.
(Foto: Dana Kazda/PrInfoZ Heer/Bundeswehr)

3. und 4. Die an der syrisch-türkischen Grenze gelegene Stadt Kobane, überwiegend von Kurden besiedelt, war seit September 2014 Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen dem IS und kurdischen Einheiten. Ende Januar 2015 konnte Kobane von den Islamisten befreit werden. Eine entscheidende Rolle spielten dabei auch die Luftangriffe der Anti-IS-Koalition. Unsere beiden Bilder zeigen die Stadt zum Zeitpunkt eines US-Luftschlages und nach der Einnahme durch die Kurden.
(Fotos: amk, bijikurdistan)


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