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Berlin. Eine Rückkehr zur Wehrpflicht wäre keine Garantie für eine skandalfreie Bundeswehr. Dies ist der Grundtenor der Kommentare, die sich in den letzten Tagen mit einer Wiedereinführung der militärischen Dienstpflicht befasst haben. Der Deutsche Bundestag hatte die Allgemeine Wehrpflicht rund 55 Jahre nach ihrer Einführung am 24. März 2011 (zum 1. Juli 2011) ausgesetzt. Seitdem entflammte immer mal wieder eine Debatte um ihre Neuauflage. Zuletzt hat der CDU-Parlamentarier Patrick Sensburg den Stein ins Wasser geworfen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte auf die Wellen und äußerte sich zu dem Thema. Dabei bezog sie einmal mehr eindeutig Position …

Bundestagsabgeordneter Sensburg hatte vor wenigen Tagen vor dem Hintergrund der alarmierenden Vorfälle in der Bundeswehr – sadistische Aufnahmepraktiken, sexuell motivierte Übergriffe, rechtsextreme Umtriebe – eine Rückkehr zur Allgemeinen Wehrpflicht vorgeschlagen.

Deren Aussetzung vor knapp sechs Jahren habe bewirkt, dass die deutschen Streitkräfte keinen Querschnitt der Gesellschaft mehr abbilden könnten, so der CDU-Politiker gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Sensburg, der Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen und Oberstleutnant der Reserve ist, hatte argumentiert, der Bürger in Uniform sei „ein verlässliches Frühwarnsystem zur Erkennung von Extremismus von links und rechts“.

„Bundeswehr braucht Berechenbarkeit in ihrer Entwicklung“

Bundeskanzlerin Merkel lehnt die Rückkehr zur Wehrpflicht ab. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte sie am Donnerstag (11. Mai) auf eine entsprechende Frage: „Ich denke, wir haben eine grundsätzliche Entscheidung getroffen. In der Kontinuität dieser Entscheidung sollten wir jetzt auch die notwendigen Reformen vornehmen, die die Bundesverteidigungsministerin vorgeschlagen hat. Die Bundeswehr braucht Berechenbarkeit in ihrer Entwicklung, damit der von der überwiegenden Mehrheit sehr gut geleistete Dienst auch berechenbar und gut fortgesetzt werden kann.“

Für das entsprechende Wehrrechtsänderungsgesetz der Bundesregierung hatten im März 2011 gemäß der Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses die Fraktionen CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. SPD und Linksfraktion hatten gegen den Gesetzesentwurf der Regierung votiert. Mit dem Gesetz war zugleich ein freiwilliger Wehrdienst von sechs bis 23 Monaten geschaffen worden, der heute Männer und Frauen gleichermaßen offensteht. Treibende Kraft hinter der Aussetzung der Allgemeinen Wehrpflicht war der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Bundeskanzlerin Merkel hatte ihn dabei unterstützt.

Ausreichend Zeit für Ethik, Innere Führung und Politische Bildung einplanen

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, hält die Debatte um eine Rückkehr zur Wehrpflicht für überflüssig. Ein solcher Schritt sei organisatorisch unmöglich. In einem Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung für die Freitagsausgabe sagte der Sozialdemokrat: „Solche Vorschläge spielen auf der grünen Wiese und haben wenig mit der heutigen Bundeswehr zu tun.“ Eine Rückkehr zur Wehrpflicht wäre keine Garantie dafür, dass es keine rechtsextremistischen Vorfälle mehr geben könnte. Denn auch in der deutschen Bevölkerung, wie in ganz Europa, seien Tendenzen von Nationalismus und Populismus zu verzeichnen. Bartels betonte: „Es gibt kein Sonderphänomen Bundeswehr!“

Vielmehr ist der Wehrbeauftragte davon überzeugt, dass die Freiwilligenarmee gut in die demokratische Gesellschaft integriert ist: „Viele Soldaten sind im politisch-demokratischen Leben aktiv, sie sind in Vereinen und Parteien engagiert, kandidieren als Personalräte oder fürs Kommunalparlament – das geht viel tiefer als in vielen anderen Ländern.“

Zudem sei es organisatorisch gar nicht möglich, zur Allgemeinen Wehrpflicht zurückzukehren. Bartels gab zu bedenken: „Wir müssten einen ganzen Jahrgang von jungen Männern und heute gewiss auch Frauen betrachten. Für Hunderttausende von tauglich gemusterten Rekruten jedes Jahr gibt es aber keine militärischen Strukturen, keine Kasernen, keine Waffen und keine Ausbilder.“ Er forderte stattdessen ausreichend Zeit auf den Dienstplänen für die Ausbildung in Ethik, Innerer Führung und Politischer Bildung.

Entscheidend ist die Kontrolle der Armee durch die Politik

Und wie steht es um das Presse-Echo zu Sensburgs Wehrpflicht-Vorstoß? Dies findet durchgängig bei den Kommentatoren keinen Anklang. So schreibt die Berliner Zeitung: „Natürlich kann man dennoch darüber nachdenken, die Wehrpflicht wieder einzuführen. Aber man sollte sich davor hüten, sie zu überhöhen. Für eine skandalfreie Bundeswehr ohne Rechtsextremisten ist die Wehrpflicht jedenfalls keine Garantie. Entscheidend dafür, dass die Bundeswehr sich nicht zu einem ,Staat im Staate‘ entwickelt, ist nicht die Wehrpflicht, sondern die Kontrolle der Armee durch die Politik.“

Die Mitteldeutsche Zeitung erinnert daran: „Skandale gibt es nicht erst seit der Abschaffung der Wehrpflicht. Das gerne bemühte Bild vom Spiegel der Gesellschaft traf auf die Bundeswehr außerdem schon lange nicht mehr zu: Wegen der Verkleinerung der Armee wurde nur noch ein Bruchteil eines Jahrgangs eingezogen. Die in die Kasernen einrückten, machten zuletzt einen Grundwehrdienst von wenigen Monaten.“

Das Rad der Geschichte lässt sich nicht einfach zurückdrehen

Auch die Lausitzer Rundschau ist sich sicher, dass eine Rückkehr zur Wehrpflicht das Problem nicht lösen würde. Schließlich habe sich die Bundeswehr schon immer schwer damit getan, Rechtsradikale in ihren Reihen herauszufiltern. Deswegen seien andere Wege besser: Von Anfang an müssten Bewerber einer viel intensiveren Sicherheits- und Haltungsprüfung unterzogen werden. Auch gelte es, endlich wieder die Politische Bildung im Rahmen der Dienstzeit zu beleben. Und: Innerhalb der Bundeswehr müsse sich stärker eine Kultur des Hinschauens etablieren – vom Gefreiten bis zum Kompaniechef. Nur so ließen sich rechtsextreme Umtriebe eindämmen oder aufdecken. Das Blatt kommentiert weiter: „Hinzu kommt, dass sich das Rad der Geschichte nicht einfach zurückdrehen lässt. Es sei denn, man überzöge die Soldaten erneut mit einer tiefgreifenden Strukturreform. Die würde aber dauern, Milliarden verschlingen und die Frage nach der Wehrgerechtigkeit neu aufwerfen.“

In der Rheinischen Post war zu lesen: „Gäbe es noch die Wehrpflicht, dann würden wir ob der jüngsten rechtsextremistischen Vorfälle in der Truppe folgendes Argument hören: Die Bundeswehr ist ein Spiegel der Gesellschaft, und in der gibt es halt auch solche Spinner. Jetzt, da Deutschland über eine Berufsarmee verfügt, wird das Bild vom Hort für radikale Gruppen bemüht. Beide Verweise gehen an der Wirklichkeit vorbei.“ Der Autor verweist darauf: „Wer die Statistiken liest, wird feststellen, dass die Zahl der rechtsextremistischen Verdachtsfälle in der Bundeswehr seit Jahren deutlich sinkt. Für Extremisten gilt: null Toleranz.“ Eine Rückkehr zur Wehrpflicht löse nicht das Problem. Sie stelle einen Eingriff in die Freiheit von Bürgern dar, der allein durch die massive Bedrohung der Sicherheit des Landes gerechtfertigt wäre. Davon könne jedoch keine Rede sein.

Die Westdeutsche Zeitung stellt der Truppe als „Unternehmen“ insgesamt ein gutes Zeugnis aus. Hagen Strauß kann sich zum Schluss seines Kommentars aber einen Seitenhieb auf den Initiator der gegenwärtigen Diskussion, Patrick Sensburg, nicht verkneifen. Er schreibt: „Die heutige Bundeswehr ist viel professioneller und moderner als die einstige große Wehrpflicht-Armee. Sie steht im Wettbewerb als Arbeitgeber, das ist auch gut so. Und übrigens: CDU-Mann Sensburg, der diesmal mit der Wiedereinführung Rechtsextremismus verhindern will, hat die Forderung schon vor einem Jahr erhoben, als es aber um das neue Zivilschutzkonzept der Bundesregierung ging. Diese Art der Beliebigkeit zeigt: Es geht mehr um die Schlagzeile als darum, was für die Bundeswehr gut ist.“


Unsere Aufnahme vom 22. März 2011 zeigt Rekruten der 5. Kompanie des Panzergrenadierbataillons 371 Marienberg zum Schluss ihrer Allgemeinen Grundausbildung. Sie endete mit einer militärischen Abschlussprüfung, der sogenannten „Rekrutenbesichtigung“. Es war dies die vorerst letzte Grundausbildung für Wehrpflichtige. Zwei Tage später setzte der Deutsche Bundestag die Allgemeine Wehrpflicht (zum 1. Juli 2011) in Deutschland aus.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)

Kleines Beitragsbild: Rekrutenbesichtigung am 22. März 2011 mit den vorerst letzten Wehrpflichtigen des Panzergrenadierbataillons 371 „Marienberger Jäger“.
(Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr)


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