Berlin/Köln. Es war ein Fall unter vielen anderen: Am 6. Juni 2012 drangen unbekannte Täter auf ein Gelände des BundeswehrDienstleistungszentrums in Hannover vor und setzten dort 13 neuwertige Militärfahrzeuge in Brand. Hierbei entstand ein Sachschaden in Höhe von rund 600.000 Euro. In einer Taterklärung verurteilten die anonymen Verfasser die Auslandseinsätze der Bundeswehr, deutsche Rüstungsexporte und die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften und Unternehmen der Privatwirtschaft. Der Anschlag war das Werk radikaler Antimilitaristen. In Deutschland nehmen die Sabotageakte gegen die Bundeswehr zu, Übergriffe auf Soldaten häufen sich. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sagte im August dieses Jahres der Welt am Sonntag, er betrachte die Entwicklung „mit großer Sorge“. Das Thema „Antimilitarismus“ spiele im gewaltbereiten Linksextremismus eine große Rolle.
m 13. August lieferte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern Ole Schröder im Namen der Bundesregierung eine detaillierte Antwort auf folgende Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke): „Welche nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden politisch motivierten Sachbeschädigungen hat es seit dem Jahr 2010 nach Kenntnis der Bundesregierung an Fahrzeugen, Liegenschaften, Material oder Gebäuden der Bundeswehr in Deutschland gegeben, und welche belastbaren konkreten Erkenntnisse hat die Bundesregierung für jede dieser Sachbeschädigungen über die zugrunde liegende politische Motivation?“
Nach Auskunft Schröders wurden im Zeitraum 23. Januar 2010 bis 31. Juli 2013 dem Bundeskriminalamt durch die jeweils zuständigen Landeskriminalämter insgesamt 91 Straftaten gegen die Bundeswehr gemeldet – zumeist Sachbeschädigungen, darunter aber auch 14 Brandstiftungen und acht „gefährliche Eingriffe in den Luft-/Bahn- und Straßenverkehr“. Die Meldung der jeweiligen Straftat, die von den betreffenden Bundesländern dem Themenfeld „Militär“ zugeordnet worden waren, erfolgte im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes (KPMD) „Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK).
Die zuständigen Sicherheitsbehörden konnten Angaben der Bundesregierung zufolge 83 dieser 91 Sachbeschädigungen eindeutig dem Bereich „PMK – links“ zuordnen.
Von „Krieg gegen die Bundeswehr im eigenen Land“ sprachen Simone Meyer und Florian Flade im Sommer dieses Jahres in einem Beitrag für die Tageszeitung Die Welt, in dem sie die zahlreichen Angriffe der linksextremen Szene gegen die Truppe beleuchteten. Aktueller Anlass für ihre Berichterstattung war der Brandanschlag auf dem Gelände der Elb-Havel-Kaserne in Havelberg (Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt) gewesen, der sich in der Nacht zum 27. Juli ereignet hatte. Unbekannte Täter hatten dort mehrere Brandsätze deponiert und 16 Fahrzeuge, darunter Lastwagen und Spezialfahrzeuge, teilweise schwer beschädigt. Zudem waren weitere elf Brandsätze, die nicht gezündet hatten, am Tatort gefunden worden. Nach Polizeiangaben war ein Sachschaden von mindestens zehn Millionen Euro entstanden.
Verteidigungsminister Thomas de Maizière hatte sich zu dem Anschlag gegenüber der Welt am Sonntag geäußert. „Ich finde es unerhört und skandalös, dass es solche Anschläge gegen die Bundeswehr gibt“, so der Minister. Ihn empöre, dass diese Attacke ausgerechnet in Sachsen-Anhalt stattgefunden habe, das am meisten unter der Flut gelitten habe. Die Soldaten hätten dort mit „überragendem Einsatz dieses Land geschützt“. De Maizière war sich sicher, auch im Fall „Havelberg“ von einem „linksautonomen Tatmuster“ ausgehen zu können: „Einige wenige glauben, sie könnten den Eindruck erwecken, als stünde eine Mehrheit der Bevölkerung der Bundeswehr und ihren Soldaten ablehnend gegenüber.“ Solch einer Wirkung müsse man von Anfang an entgegentreten – „am besten durch Solidarität vor Ort“.
Zum Thema „Antimilitarismus und gewaltbereite Linksextremisten“ äußerte sich vor Kurzem erst das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Bundeswehr gelte unter Linksextremisten, so das Amt in einer Analyse, als „Organisation zur Durchsetzung kapitalistischer Interessen im Ausland“. Linksextremisten unterstellten der Bundeswehr, dabei „auch vor Mord nicht zurückzuschrecken“. Deshalb nun würden Anschläge gegen Einrichtungen der Bundeswehr für ein legitimes Mittel gehalten, um „antimilitaristischen Widerstand“ zu leisten. Das Bundesamt weiter: „Ziele ,militanter Aktionen‘ sind neben der Bundeswehr auch privatwirtschaftliche Unternehmen, darunter Betriebe, die Rüstungsgüter herstellen oder Unternehmen, die mit der Bundeswehr zusammenarbeiten.“
Linksextremisten starten nach Erkenntnissen der Verfassungsschützer etwa seit 2008 „antimilitaristische Kampagnen“, die der Mobilisierung dienen, Anschlagsbegründungen liefern und dadurch die ideologische Legitimation für einschlägige Handlungen gewaltbereiter Linksextremisten bilden. Unter dem Titel „DHL – olivgrün unter postgelbem Tarnanstrich“ initiierten beispielsweise im Oktober 2008 gewaltorientierte Linksextremisten eine Kampagne gegen den Logistikdienstleister DHL, den sie „Kriegsprofiteur“ nannten und als „Deutsche Heeres Logistik“ verunglimpften. Im Rahmen dieser Kampagne kam es bis April 2010 zu einer Vielzahl von Sachbeschädigungen und über 20 Brandanschlägen auf Fahrzeuge von DHL und Deutscher Post. Der Gesamtsachschaden im Rahmen der Kampagne dürfte bei etwa einer Million Euro liegen.
Seit Ende Juni 2011 mobilisieren Linksextremisten, darunter Zusammenschlüsse aus der autonomen Szene und Gruppen aus der „Interventionistischen Linken“, zu einer Kampagne unter dem Titel „Krieg beginnt hier. War starts here. Kampagne gegen die kriegerische Normalität“, die sich als Teil europaweiter „antimilitaristischer“ Aktivitäten versteht. Dazu das Bundesamt für Verfassungsschutz: „Der Fokus dieser Kampagne liegt auf der „erweiterten Infrastruktur und der ideologischen Legitimierung von militärischer Gewalt. So sollen ,zivile Orte‘ und Institutionen – unter anderem Arbeitsagenturen, Unternehmen, Schulen, Universitäten und Berufsmessen – als Plätze markiert werden, in die ,militärische Formierung und Rekrutierung für die Bundeswehr‘ tagtäglich eindringt.“
Neben sachschadensorientierten Angriffen sind nach dem Verständnis gewaltorientierter Linksextremisten auch gezielte körperliche Angriffe auf Bundeswehrangehörige legitim. Dies verdeutliche der Flyer „Feinderkennung. Eine Gebrauchsanweisung für den Alltag“, so das Kölner Bundesamt. Das Faltblatt, im Juni 2009 Beilage einer Berliner autonomen Szenezeitschrift, habe seine Leser ermutigt, Straftaten gegen Angehörige der Bundeswehr und deren Eigentum zu begehen. Die Verfassungsschützer befürchten: „Weitere Straftaten – von Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen – aus dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum im Begründungszusammenhang ,Antimilitarismus‘ müssen auch in Zukunft in Betracht gezogen werden.“
Der Bundeswehr sind seit 2010 insgesamt 37 Vorfälle bekannt geworden, bei denen Soldatinnen und Soldaten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Streitkräften „Ziel von Angriffen und Tätlichkeiten oder zumindest der Androhung von Gewalt“ geworden sind.
Zu unserem Bildangebot:
1. Eine Gruppe „Autonome AntimilitaristInnen“ bekannte sich im März 2013 dazu, Fahrzeuge der Bundeswehr in Darmstadt mit „antimilitaristischen Parolen“ bemalt zu haben.
(Foto: ww.linksnavigator.de)
2. Auch in den Jahren 2000 bis 2009 sah sich die Bundeswehr zahlreichen Gewaltaktionen ausgesetzt. Diese sind in den „Jahresberichten zur militärischen Sicherheitslage“ dokumentiert und enthalten auch aus Auslandseinsätzen gemeldete Vorkommnisse (eine nachträgliche Differenzierung der Sachbeschädigungen – zum Beispiel nach Fahrzeugen oder Gebäuden – war nicht mehr in allen Fällen möglich).
(Foto: amk, Infografik © mediakompakt 10.13)