menu +

Nachrichten



Berlin. Die Beschaffung wichtiger Güter für die deutschen Sicherheitskräfte – in erster Linie Bundeswehr und Polizei – soll beschleunigt werden. Am gestrigen Donnerstag (30. Januar) hat dazu der Deutsche Bundestag in zweiter und dritter Lesung sowie Schlussabstimmung ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht. Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ stimmten die Abgeordneten von CDU/CSU und SPD. Auch die AfD war für den Koalitionsentwurf, der die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie trug. Gegenstimmen kamen von der FDP, von Bündnis 90/Die Grünen und von den Linken (Enthaltungen keine). FDP, Grüne und Linke warnen – zumeist mit Blick auf die Organisation Transparency Deutschland – vor Wettbewerbsverzerrung, Intransparenz und einem erhöhten Korruptionsrisiko.

Mit der Reform der öffentlichen Auftragsvergabe im Sicherheits- und Verteidigungsbereich sollen es die Beschaffungsstellen künftig leichter haben, das benötigte Material schneller und effizienter einzukaufen. Dies soll insbesondere für die kurzfristig erforderliche Ausrüstungsbeschaffung gelten. Bereits nach geltendem Recht besteht eine Ausnahme vom üblichen Vergaberecht, wenn wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates betroffen sind.

Die Bundesregierung begründet die Novelle wie folgt: „Im Vergaberecht werden für den Bereich ,Verteidigung und Sicherheit‘ Änderungen vorgenommen, um den Bedarf für Einsätze beziehungsweise einsatzgleiche Verpflichtungen der Bundeswehr schneller zu decken.“ Seit dem Inkrafttreten neuer Vorgaben vor drei Jahren habe sich gezeigt, dass aufgrund aktueller Entwicklungen Änderungen erforderlich geworden seien. Im Bereich der Sicherheitspolitik habe sich beispielsweise mehr und mehr die Notwendigkeit durchgesetzt, „kurzfristig und effektiv auf sicherheitsrelevante Entwicklungen sowohl im In- als auch im Ausland zu reagieren“.

Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung öffentlicher Aufträge wird eingeschränkt

Die Novelle modifiziere nun – so erläutert die Regierung weiter – die Vorgaben des „Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“ und der Vergabeverordnung für die Bereiche „Verteidigung“ und „Sicherheit“, um eine beschleunigte Beschaffung für die militärischen und zivilen Sicherheitsbehörden zu ermöglichen. Außerdem sei vor allem die Vergabestatistikverordnung geändert worden.

Die Gesetzesänderung sieht auch vor, dass die Vergabe von Schlüsseltechnologien im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr EU-weit ausgeschrieben werden müssen. Die Gesetzesinitiative der Regierung dürfte sicherlich im Sinne des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, sein. Er hatte in der Vergangenheit wiederholt eine schnellere Beschaffung vor allem von Material für die Auslandseinsätze angemahnt.

Mandatierte Einsätze, einsatzgleiche Verpflichtungen, Bündnisverpflichtungen

Der Abstimmung im Bundestag war eine etwa 30 Minuten dauernde Beratung vorausgegangen. Der CDU-Abgeordnete Peter Bleser, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, verteidigte hier die Novellierung mit dem Hinweis, dass die bisherigen Beschaffungswege für den Ernstfall zu lang seien. Durch den Verzicht auf „langwierige EU-weite Ausschreibungen“ wolle man jetzt „in bestimmten Fällen“ schneller handeln können. Dies gelte besonders für mandatierte Einsätze der Bundeswehr, einsatzgleiche Verpflichtungen und Bündnisverpflichtungen. Zudem solle in Bezug auf Sicherheits- und Verteidigungsinteressen der Vorabzuschlag erleichtert werden und Direktaufträge erteilt werden können, so der Unionspolitiker. Dies gelte besonders für „besondere Lage“, bei denen schnell reagiert werden müsse „Uns liegt daran, dass die Soldaten und Sicherheitskräfte mit der bestmöglichen Ausrüstung in den Einsatz geschickt werden können“, betonte Bleser. „Unsere Soldaten sollen das Material erhalten, welches sie brauchen, um sich und uns zu schützen.“

Fraktionskollege Henning Otte, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Mitglied im Verteidigungsausschuss, warb ebenfalls um Zustimmung zum Gesetzentwurf. Er begründete die Änderung der Vergabeordnung mit der grundlegen Veränderung der sicherheitspolitischen Lage. Die Bundeswehr sehe sich mittlerweile erhöhten Anforderungen gegenüber, „ob in der Bündnis- und Landesverteidigung oder in den Einsatzgebieten“. Otte: „Es geht um Modernisierung und um Ersatzbeschaffung, und das alles bei unseren Verpflichtungen gegenüber der NATO, der Europäischen Union, den Vereinten Nationen, der OSZE oder bilateral.“ Mit der Gesetzesnovelle richte sich die Bundesregierung darauf aus zu verhindern, dass langwierige europäische Ausschreibungen notwendig seien, wenn Material dringend benötigt werde und der Truppe unmittelbar zur Verfügung gestellt werden müsse. Der Christdemokrat fasste zusammen: „Wir wollen die Beschaffungsorganisation anpassen. Wir wollen die Vergabeordnung ändern, wenn es militärisch notwendig ist, damit wir uns eine langwierige europäische Ausschreibung ersparen. Wir wollen die Auftragsvergabe durchführen, allerdings unter der Voraussetzung, dass das Material krisenbedingt notwendig ist oder wenn es um Bündnisverpflichtungen geht.“ Man erwarte in Deutschland und auch in Europa, dass die Bundeswehr so ausgestattet werde, dass sie im Bündnis Frieden und Freiheit verteidigen könne, appellierte Otte.

Kein Freibrief zur Aushebelung des Beschaffungsrechts

Von den Sozialdemokraten, die die Änderung des Beschaffungswesens gemeinsam mit dem Koalitionspartner bereits im Koalitionsvertrag verankert hatten, kam bei der Beratung naturgemäß Zustimmung. So betonte Thomas Hitschler, ebenfalls Mitglied des Verteidigungsausschusses: „Wo es Bedarf an schneller Beschaffung gibt, muss es auch gesetzliche Möglichkeiten geben, genau diesen Bedarf zu decken. Wir glauben nämlich, dass schnelle Beschaffung wichtig ist.“ Diese Position der SPD bedeute jedoch „keinen Freibrief zur Aushebelung des Beschaffungsrechts für alles, was olivgrün angestrichen ist“. Vielmehr setze man „klare Grenzen, die festlegen, was geht und was nicht“. Weiter sagte Hitschler während der Debatte: „Im Gesetzentwurf wird nicht nur deutlich, wann unsere wesentlichen Sicherheitsinteressen berührt sind, sondern auch, welche Güter die beschleunigte Beschaffung in diesem Bereich ermöglichen soll.“ Dies müsse eine sogenannte Schlüsseltechnologie sein, die vom Bundeskabinett entsprechend eingestuft werde, so der Politiker. Hitschler zählte auf: „Dazu gehören beispielsweise geschützte Fahrzeuge, Uboote oder Verschlüsselungstechnologien.“ Er schloss seine Rede mit dem Hinweis: „Wir haben auch Erwartungen an die Industrie. Unsere Erwartung an die Industrie ist, dass sie auch liefert, wenn bei uns die Vergabe genau so ist, wie sie sein soll.“

Hitschlers Fraktionskollege Frank Junge beschrieb zu Beginn seines Debattenbeitrags die Ausrüstung und Ausstattung der deutschen Streitkräfte als „mangelhaft“ und „nicht mehr zeitgemäß“. Aber die Bundeswehr habe keinesfalls ein „finanzielles Problem“, so der SPD-Bundestagsabgeordnete weiter. Junge, der einen Sitz im Ausschuss für Wirtschaft und Energie hat, erinnerte an die rund 1,1 Milliarden Euro für die Beschaffung von Rüstungsgütern, die im vergangenen Jahr nicht ausgegeben, sondern anderweitig verwendet worden seien. Es werde somit klar, dass man es mit einem „Managementproblem“ zu tun haben. Er sehe hier ganz besonders das Bundesministerium der Verteidigung in der Pflicht. Junge wörtlich: „Die Fehler in diesem Management müssen beseitigt werden, damit unter diesen Gesichtspunkten die Ressourcen, die wir bereitstellen, am Ende auch dort ankommen, wo sie hingehören.“ Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Optimierung der Vergabestatistik und zum beschleunigten Verfahren im Bereich der Verteidigung und Sicherheit werde das Parlament zwar das Materialproblem der Bundeswehr nicht lösen können. Man werde „mit diesen Änderungen aber dennoch dafür sorgen, dass in Situationen, in denen Gefahr in Verzug ist, in denen es explizit um die Sicherheit des Landes und die Sicherheit der Bundeswehrangehörigen geht, künftig schneller ausgeschrieben, schneller produziert und schneller bereitgestellt werden kann als bisher“.

„Kartellbildungen, überhöhte Preisen und unter Umständen auch Korruption“

Auf Ablehnung stieß der Gesetzentwurf der Bundesregierung bei FDP, Grünen und Linken. Freidemokrat Alexander Müller sagte: „Der Gesetzentwurf hat einen großen Pferdefuß. Man will jetzt nach und nach Technologien zu Schlüsseltechnologien erklären und die Beschaffung nur noch auf rein nationaler Ebene abwickeln. Wenn wir für die Bundeswehr aber das Beste an Ausrüstung, das Beste an Material haben wollen, brauchen wir möglichst viele Anbieter, möglichst viele Wettbewerber. Dann bekommen wir besseres Material, dann bekommen wir es günstiger, und dann bekommen wir es vor allen Dingen schneller.“ Der Politiker, FDP-Obmann im Verteidigungsausschuss, forderte die Bundesregierung auf „dafür zu sorgen, dass die anderen Länder in Europa ebenfalls ihre Märkte öffnen, damit wir in ganz Europa einen gemeinsamen Markt für Rüstungsbeschaffung haben“. Der Gesetzentwurf der Regierung „mit dem Schritt zu immer mehr nationaler Vergabe“ sei ein Rückschritt für die europäische Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, beklagte Müller. Die Freien Demokraten stünden klar zu Europa und zu einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt – deswegen lehne seine Fraktion auch diesen Gesetzentwurf ab.

Der Obmann von Bündnis 90/Die Grünen im Verteidigungsausschuss, Tobias Lindner, vertritt die Auffassung, dass das neue Gesetz „eine Menge Schaden anrichten“ werde statt überwiegend zu helfen. Weit auslegbare Begriffe wie „einsatzgleiche Verpflichtungen“ könnten unter Umständen dazu verführen, darunter auch große Projekte zu fassen. Die Gefahr, dass so „Kartellbildungen, überhöhten Preisen und unter Umständen auch Korruption Tür und Tor geöffnet“ werde, sei nicht von der Hand zu weisen. Lindner verlangte zudem: „Wenn andere europäische Länder ihren Markt abschotten, dann muss man – Kollege Müller hat es gesagt – dafür sorgen, dass sie ihren Markt öffnen. Die Antwort kann nicht sein, dass wir unseren Markt abschotten.“

Tobias Pflüger, Stellvertretender Vorsitzender der Linken und ebenfalls Mitglied des Verteidigungsausschusses, begründete die Ablehnung des Gesetzentwurfes durch seine Fraktion. Es liege ein Gesetzentwurf vor, bei dem der Begriff und der Bereich „nationale Schlüsseltechnologien“ neu definiert werde. Pflüger: „Die Definition greift so weit, dass inzwischen quasi fast alles gefördert werden soll, was vorhanden ist.“ Und: „Der Gesetzentwurf habe als Grundregel: Gekauft wird auf jeden Fall hier in Deutschland – egal ob es teuer ist, ob es schlechter ist. Auf jeden Fall muss hier wohl die deutsche Rüstungsindustrie gefördert werden.“ An die Adresse der Bundesregierung gerichtet kritisierte Pflüger zum Schluss seiner Rede im Parlament: „Offensichtlich sind Sie nicht stringent in dem, was Sie politisch tun. Bei der Rüstungsindustrie wird eine Ausnahme gemacht; da wird vor allem national vergeben. Aber in anderen Bereichen soll es europäisch sein. Das ist hochgradig widersprüchlich.“

Warnung vor eingeschränktem Wettbewerb und intransparenten Verfahren

Transparency International Deutschland sieht das neue Gesetz „zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ kritisch. Die Organisation warnt angesichts der neuen Regelungen vor erhöhten Korruptionsrisiken. Sie beklagt, dass der Wettbewerb eingeschränkt und die Beschaffungsverfahren undurchsichtig würden.

Anlässlich der abschließenden Beratungen im Bundestag erklärte Christian Lantermann, Vorstandsmitglied von Transparency Deutschland: „Dass das Vergaberecht die sach- und zeitgerechte Erfüllung von Aufgaben behindert, ist nicht konkret belegt. Die angeblichen Klarstellungen im Gesetzentwurf stehen zudem potenziell im Konflikt mit europarechtlichen Vorgaben und bergen daher die Gefahr rechtswidrigen Verhaltens. Angesichts vielfach festgestellter Defizite in der Anwendung des Vergaberechts im Verteidigungsbereich ist die nicht gebotene Änderung des Rechtsrahmens der falsche Weg, mit dem erhöhte Korruptionsrisiken einhergehen.“


Hintergrund                           

Die gemeinnützige und politisch unabhängige Organisation Transparency International Deutschland e.V. (kurz: „Transparency Deutschland“) setzt sich ein für eine nachhaltige Bekämpfung und Eindämmung der Korruption. Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssten dazu zusammenarbeiten und Koalitionen bilden, fordert der Verein. Ziel müsse es sein, das öffentliche Bewusstsein über die schädlichen Folgen der Korruption zu schärfen und Integritätssysteme zu stärken.
Transparency International gibt alljährlich den „Korruptionswahrnehmungsindex“ (Corruption Perceptions Index, CPI) heraus. Nach den am 23. Januar 2020 veröffentlichten CPI für das Jahr 2019 erreicht Deutschland auf einer Skala von 0 (0 = hohes Maß an wahrgenommener Korruption) bis 100 (100 = keine wahrgenommene Korruption) wie im vergangenen Jahr 80 Punkte und rangiert damit auf dem 9. von 180 Plätzen (2018: Rang 11).
Dänemark und Neuseeland belegen mit 87 Punkten den ersten Platz. Finnland (86), die Schweiz (85), Singapur (85), Schweden (85), Norwegen (84), die Niederlande (82) und Luxemburg (80) folgen danach in der Rangliste vor Deutschland.
Der Sudan (16), Afghanistan (16), der Jemen (15), Syrien (13), der Südsudan(12) und Somalia (9) rangieren als fragile Staaten und Konfliktregionen wie im vergangenen Jahr auf den unteren sechs Plätzen.
Die Analyse der Daten zeige, so Transparency International, dass sich Länder am unteren Ende des CPI durch einen großen Mangel an politischer Integrität auszeichneten. Konkret bedeute dies, das einige wenige vermögende Personen die Politik ihres Landes kontrollierten und die Bevölkerung der Meinung sei, dass Wahlen gekauft würden. Gut platzierte Länder setzten dagegen Vorschriften zur Parteienfinanzierung zuverlässig um und verfügten über einen gut geregelten Zugang der Öffentlichkeit zu politischen Entscheidungsprozessen. Weitere Kennzeichen seinen hier außerdem: Rechtsstaatlichkeit, starke demokratische Institutionen sowie ein gesellschaftlicher Konsens gegen den Missbrauch öffentlicher Ämter und Ressourcen.


Zu unserem Bildmaterial:
1. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Bleser sprach sich am 30. Januar 2020 bei der Beratung im Bundestag deutlich für die Novellierung des Beschaffungswesens im Bereich „Verteidigung und Sicherheit“ aus.
(Videostandbild: Video Deutscher Bundestag)

2. FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Linke stimmten gegen den Entwurf der Bundesregierung „zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“. Für die Grünen begründeten Katja Keul und Tobias Lindner – das Bild zeigt ihn bei seiner Rede – die Ablehnung.
(Videostandbild: Video Deutscher Bundestag)

Kleines Beitragsbild: „Wo drückt der Schuh?“ – General Eberhard Zorn, der Generalinspekteur der Bundeswehr, im Gespräch mit Soldaten im Schützenpanzer Puma. Durch die Vergaberecht-Novelle soll die Bundeswehr künftig ihren Bedarf an Ausrüstung für Auslandsmissionen schneller decken können. Die Aufnahme entstand am 18. August 2019 im Verteidigungsministerium in Berlin am „Tag der offenen Tür“ der Bundesregierung.
(Foto: Christian Vierfuß/Bundeswehr)


Kommentieren

Bitte beantworten Sie die Frage. Dies ist ein Schutz der Seite vor ungewollten Spam-Beiträgen. Vielen Dank *

OBEN